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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

dinken. Man glaubte früher, das Postwesen uur flügen zu können, wenn man eine ganze Reihe von Fahrbeschränkungen gegen Fuhrhalter erließ. An den Orten, wo fahrende und reitende Posten be= standen, durften z. B. die Kutscher und Fuhrleute keine Briefe und keine unter 20 Psund wiegende Packete befördern. Sie hatten diese Sendungen ein­fach an die Post zu verweisen. Drängten außer­Drängten außer halb der Posttage einige Sendungen sehr, so durften die Fuhrleute diese nur dann transportiren, wenn sie eine Karte lösten und das halbe Porto erlegten. Bei der Ankunft an dem Bestimmungsorte der Sendungen mußten die Fuhrleute die Karte zeigen und ein Attest von den Thorschreibern verlangen, daß sie keine anderen Sendungen als die gestatteten bei sich führten. Den Fuhrleuten war es ferner nur erlaubt, sechs Stunden nach Abgang der Post zu fahren.

Eine ungesunde, geradezu niederdrückende Atmo­sphäre von Zwang und Unfreiheit steigt uns bei der Lektüre der polizeilichen Tarordnungen entgegen. Der Herrschaftsbereich der Polizeitaren war im ab­soluten Staate riesenhaft ausgedehnt. Es ist kaum möglich, sich ein Bild von der bis in das kleinste Detail herabsteigenden Polizeiaufsicht zu machen, wenn man nicht einen Einblick in diese Tarordnungen selbst nimmt. Die Tare der Riemer in Gotha von 1768 hatte jage und schreibe- 139 139 verschiedene Taren für die einzelnen Riemerarbeiten eingeführt; die Wagnerordnung 105. Die Löhne der Hand­werksleute, die Honorare der Aerzte 2c. bestimmte meist die Polizei. So die Löhne der Bauhandwerker, der Seiden- und Wollspinner, der Schneider, Schorn­steinfeger, Tuchbereiter, Tuchscherer, Brunnenmacher, Steinmetzen, Schwarz- und Schönfärber, Fuhrleute, der Hausschlachter, Tagelöhner, Boten 2c. Die Württembergische Medizinalordnung setzte 104 Tagen für die einzelnen Operationen und Verrichtungen der Chirurgen fest.

In jedem Berufe fast harrten des damaligen Bürgers schwerlastende staatliche Ketten und Fesseln, und jede freie Bewegung ward dadurch beinahe er­drückt.

Der Bürger des achtzehnten Jahrhunderts war als Berufsmensch hart genug geknebelt. Man sollte meinen, daß es ihm nun wenigstens vergönnt war, sich außerhalb der Werkstatt und der Geschäfte frei auszuleben. Aber weit gefehlt! Der Staat, der das Individuum je nach seiner Geburt in eine bestimmte Produktionssphäre hineinbannte und ihm eine freie Berufswahl nach Möglichkeit erschwerte, trug auch seine engherzigen Standesbegriffe in die Welt der Konsumtion, des Bedarfs hinein. Der Edelmann, so wollte es der allgebietende Staat, sollte in der Gesellschaft als Edelmann, der Knecht als Knecht herumlaufen. In der Kleidung, in den Freuden der Tafel, in den tausend Gewohnheiten und Gebräuchen des Alltags hatte sich daher die ganze vielgliedrige, wohl abgestufte Standeswelt schon äußerlich abzuzeichnen. Der Staat fuhr nun ganz gröblich mit Aufwandgeseßen und Kleiderordnungen in das individuelle Belieben der einzelnen Stände hinein. Namentlich sollten sich die kleinen Leute, die Bürger und Bauern, die Knechte und Mägde nicht über ihren Stand erheben. Die hohe Staats­polizei mußte ja wissen, was einer Dienstmagd zu kam, und sie konnte es nicht ungerügt lassen, daß sich etwa so ein aufgeblasenes Frauenzimmer mit goldenen Schmuckgegenständen behängte oder daß sie gar in fojibare Stoffe und seidene Spizen schlüpfte. Das Plebejerpack mußte sich eben als das, was es wirklich war, darstellen und nicht anders. Daher bestimmte in Hildesheim eine Kleiderordnung" von 1779 Folgendes: Wir setzen, verordnen und wollen, daß hinfiiro die gemeine Bürger- und Bauersleute nebst ihren Weibern und Kindern( worunter Wir auch die Müller und Krüger nebst ihren Frauen und Dienstmägden mitbegriffen haben wollen) alles Gold und Silber auf den Kleidungen, und insonderheit auf ihren Hauben und Miißen alles Sammets und Seiden, wie auch Brabantischen Kanten oder Spizen, wie weniger nicht alles Gammertuches und Ziges sich gänzlich enthalten sollen; sind sie gleichwohl mit dergleichen Kleidungen jezo versehen, so wird

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ihnen zwar erlaubt, dieselbe fernerhin bis den 1. Januar fünftigen 1781 Jahrs zu tragen und zu gebrauchen, in Zukunft aber soll ihnen, dergleichen wieder anzuschaffen, gänzlich verboten und alle die­jenigen, welche von nun an diese verbotene Kleidung sich angeschafft haben, und die noch jezt habende, nach dem 1. Januar 1781 zu tragen, betreten und überführet werden, sollen in 5 Thlr. Strafe verfallen." Die verbotene Kleidung wurde von der gestrengen Obrigkeit konfiszirt. Waren diese Kleidungsstücke auf Kredit von den Kaufleuten genommen, so ver= loren diese ihre Geldforderungen. Dem gemeinen Mann schaute der aufdringliche Staat sogar in den Kochtopf hinein, damit er sich nicht etwa an dem theuren Kaffee erlabte.

In Hildesheim verbot man den Bürgern, Hand­werksgesellen, Bauern, Knechten und Mägden das Kaffeetrinken bei sechs Mariengroschen" Strafe. Im Paderbornischen Gebiete entzündete der doch soust so friedliche und gemüthliche Kaffee eine kleine Revolution. Hier hatten sich der Adel, die Geistlich­keit und der höhere Beamtenstand den Kaffeegenuß vorbehalten. Der bösartige Kaffeerevolutionär sah in seiner Verblendung das Kaffeetrinken für ein all­gemeines Menschenrecht an.

Nicht einmal bei seinen hohen Festen, den Hoch­zeiten und Kindtaufen konnte sich der Bürger des achtzehnten Jahrhunderts ungezwungen den Tafel­freuden überlassen. Inmitten seiner lärmenden Fest­lichkeiten erschien vielleicht der Bittel, der peinlich genau prüfte, ob nicht vielleicht ein Gast mehr zu Tisch geladen und ein Faß Bier mehr angezapft war, als es die Lurusgeseße erlaubten.

Selbst in seiner überschäumendsten Lustigkeit durfte der gute Bürger nicht vergessen, daß er in einer halb chinesischen Standeswelt lebte, die sogar die Nangunterschiede bei dem Essen und Trinken respektirt wissen wollte. Im Jahre 1774 wurden die Einwohner des Herzogthums Lauenburg mit einer Verordnung wider den Aufwand beglückt, die selbst die biirgerlichen Hochzeiten noch genau klassifizirte. " Bey bürgerlichen Hochzeiten", so heißt es in dieser Verordnung, soll auf die verschiedene Classe gesehen, und unter die erste die Magistratspersonen, Advokaten und Procuratores, Geistliche und Schulbediente, Kauf- und Handelsleute, auch andere angesehene Einwohner, die ohne Gewerbe von ihren Mitteln leben, unter die zweite Classe die Brauer, Höcker und Kranter und sämmtliche in Gilden stehende Handwerker und Professionsverwandte, und endlich zur dritten Classe die Tagelöhner und Einlieger, Handwerksgesellen, Schiffstnechte und übrige Hand­werfer gerechnet werden. Bey Hochzeiten der ersten Classe wird die Anzahl der Hochzeitsgäste hiemit höchstens auf dreißig, sowohl Manns- als Frauens­personen geist- und weltlichen Standes, Braut und Bräutigam mit eingerechnet, bey der zweiten Classe auf zwanzig, und bey der dritten auf funfzehn, in allem damit eingeschränkt und festgesezt, so daß einer wohl weniger, nicht aber mehrere Gäste haben dürfe, bey zwei Thaler Strafe für jeden überzähligen Gast."..

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Es mag die Hochzeit bey einer Mittags- oder Abendmahlzeit gehalten werden, so sind den Bürgern und Einwohnern ersten Standes nicht mehr als acht Gerichte, sie bestehen in warme oder kalte Essen, jedoch mit Ausschließung aller aus der Fremde ver= schriebenen kostbaren Speisen und Aufsäßen von Zuckerwerk, bey dem mittleren Stande sechs Gerichte, bey dem dritten Stand nur vier Essen, außer Butter und Käse, auch bey letzterem nur eine Tonne Bier und drei Kannen Branntwein erlaubt; gleich auch bey allen drei Classen, wenn das Hochzeitsmahl des Mittags gehalten worden, zum Abendessen nur kalte, des Mittags übrig gebliebene Speisen vergönnet, mithin alles warme Essen untersagt wird."

Die Mahlzeit durfte nicht länger als drei Stunden währen. Die zweite Stunde nach Mitternacht machte allen Festlichkeiten ein Ende.

Der absolute Staat begleitete den Bürger, wie wir gesehen, während seines ganzen Lebens; er verließ ihn auch nicht im Tode. Selbst auf seine letzte stille Wohnung, auf den hölzernen Sarg, lenkte er noch sein immer wachsames Auge. Was galten

ihm die Empfindungen kindlicher Dankbarkeit, die noch den todten Vater mit einem schönen eichenen Sarge ehren wollte, wenn sie die weisen Grundsäße der Sparsamkeit verletzten! Tannenes Holz erfüllte doch dem Todten die gleichen Dienste wie eichenes! In der That wurde in der Grafschaft Ravensberg­Tecklenburg und Lingen und in dem Fürstenthum Minden der Verbrauch eichener Dielen" zu Särgen verboten, da die eichenen Särge den Todten ohne allen Nuzen sind, tannene und büchene Dielen in der Erde die nemliche, wenigstens hinreichende Dauer haben und aus selbigen ebenfalls zierliche und äußerlich schöne Särge gemacht werden können."*

Ja, um das leßte Kleid, das der Todte mit in die Erde nahm, sorgte sich noch der liebe, gute Staat. So gebot z. B. eine preußische Verordnung vom Jahre 1794, daß das Bekleiden der Todten und Ausschlagen der Särge von jetzt an nicht anders als mit wollenen und leinen Waaren geschehen" sollte. Gewiß, das Interesse der inländischen Wollen- und Leinenfabriken mußte ja kräftig gehegt und gepflegt werden!

Der Todte genoß nun die wohlverdiente Ruhe vor dem Staate und seinen Zwangsgeseßen, nicht aber seine Hinterbliebenen. Die Polizei mußte natürlich darauf schauen, daß sich der Trauerpomp innerhalb der Standesgrenzen bewegte und daß sich die Karossen und Leichenwagen nicht mit gar zu viel schwarzen Draperien bedeckten. Das Todtenmahl, das stille Glas, das dem Verblichenen gebracht wurde, durfte auch nicht überreichlich ausfallen. Die Quan­tität Bier, die nach der Beerdigung geschenkt wurde, war in den Satzungen genau vorgeschrieben. Wer sich gegen diese Sagungen versündigte, hatte da und dort eine viertägige Gefängnißstrafe bei Wasser und Brot zu erwarten. Sogar das Trauern schrieb der Staat den Hinterbliebenen vor.

Eine Lübecksche Polizeiverordnung von 1748 enthält eingehende Bestimmungen über das Trauern: Kinder mögen ihre Eltern, Großeltern, Schwieger­eltern ein Jahr betrauern, desgleichen die Ehegatten einander. Brüder und Schwestern durften sich nur ein halbes Jahr betrauern. ein halbes Jahr betrauern. Kinder unter sieben Jahren werden garnicht betrauert, von sieben bis achtzehn Jahren drei Monate, und ,, wenn sie darüber oder verheirathet sind", ein halbes Jahr. Nach Verwandtschaftsgraden stufte sich die Trauerzeit ab. Auf eine ähnliche Abstufung der Trauerzeiten stoßen wir in einer Trauerordnung für das Fürstenthum Ostfriesland und das Harringerland von 1772.

Und nun lassen wir den Todten friedlich in seinem Tannensarge und in seiner leinenen oder wollenen Kleidung schlummern. Er ist endlich dem Staate entschlüpft, der allgegenwärtig über seinen Werktagsarbeiten, über seinen Leiden und Freuden schwebte.

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Die Hochseefischerei mittels Fischdampfer.

Von Hermann Rosmus.

n verhältnißmäßig furzer Zeit hat sich in dem Hochseefischereibetriebe eine gewaltige Wand­lung vollzogen, und zwar durch das Eingreifen des Großkapitals. Der Segelfischer ist von einem Rivalen geschlagen worden, gegen dessen Macht er nicht anzufämpfen vermag: von dem Fischdampfer. So wird auch in diesem Betriebe das Kleinhandwerk durch die übermächtige Konkurrenz des Kapitals langsam, aber sicher zu Grunde gerichtet.

Im Jahre 1884 fuhr von Geestemünde der erste Fischdampfer Sagitta" zum Fang aus. Das Unternehmen erwies sich nach Abstellung einiger Mängel als rentabel, und so sehen wir die Zahl der Fischdampfer im Jahre 1887 auf 4, im Jahre 1890 auf 16 steigen. Im folgenden Jahre machte sich dann mit einem Male ein gewaltiger Aufschwung bemerkbar, der sich sowohl auf die weitere Ausdehnung des Fischhandels, als auch auf die Vermehrung der Fischdampferflotte erstreckte. Legtere umfaßte 1891 bereits 31 Fahrzeuge und zählte nach der vom Reichs­

* Das Verbot stammt aus dem Jahre 1795.