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und Mägde folgten bald seinem Beispiel, und so erfuhr der Hof Solhmig, von dein bisher nie die Töne eines weltlichen Liedes erklangen, in kurzer Zeit eine merkbare Verwandlung. Knud und Margit schüttelten die Köpfe, aber so lange der Student zu Hanse war, sagten sie nichts.— Eines Abends war Pastor Hansen ans Sol- hang zum Besuch. Sie saßen in der guten Stube und rauchten ans langen Pfeifen. Agestin hatte alle Fenster geöffnet, und ein wonniger Dnft von frisch gemähtem Heu jinb Birkenlaub drang in den niedrigen Raum herein, in dem sonst immer ein strenger Trnhengernch, mit Tabaksrauch durchsetzt, herrschte. Knud schielte unzufrieden nach den offenen Fenstern und behauptete, er könne keinen Zug ver- tragen. „Ein bischen Zug ist manchmal gesund, Knud," erklärte Agestin und lachte. Das Gespräch kam schließlich ans das politische und geistige Leben in der Hauptstadt. Knud Solhang, welcher mit dem Pastor gemeinschaftlich die reaktionäre Zeitung dieser Stadt hielt, ließ eine Bemerkung über die Rück- sichtslosigkeit der oppositionellen Partei fallen. Der Prediger stimmte ihn? bei und sprach die Hoffnung aus, die idyllische Ruhe, die auf politischem, wie auf sozialem Gebiete bis vor kurzer Zeit geherrscht habe, möchte durch das Geschrei der Radikalen nicht für die Tauer gestört werden. „Da geben Sie sich, wie ich glaube, einer eitlen Hoffnung hin, Herr Pastor!" wagte Agestin einzu- wenden.„Sie sollten nur sehen, welche Begeisterung unter den Studenten herrscht!" „Besonders, wenn sie betrunken sind," sagte Knud Solhaug trocken,„ich habe mir sagen lassen, sie trinken alle Abende Punsch im Studentenverein." „Das stimmt," rief Agestin heiter,„aber wenn auch— Punsch tödtet den Geist nicht, wenn er nur nicht im Uebermaß genossen wird." „Darüber sind die Ansichten verschieden," lautete die mürrische Antwort. „Ja— ich muß auch sagen," nahm der Pastor das Wort,„Geist und Geist sind zwei verschiedene Dinge. Der Geist, der in unserer Zeit von der radikalen Partei her über das Land weht, scheint mir nicht der echte zu sein; es giebt echte und es giebt falsche Propheten! Immerhin nähre ich die sichere Hoff- nung, daß der ganze Lärm weiter nichts zu bedeuten hat; das Ganze schmeckt mir doch ein wenig nach politischer Kannengießerei." Agestin's Augen funkelten vor Kampflust, und seine sonore Stimme klang voll und beredt durch den Raum:„Von politischer Kannengießerei, Herr Pastor, kann insofern nicht die Rede sein, als wir Jungen im Studentenverein uns nicht mit der Politik befassen, sondern rein ethische und künstlerische Ziele verfolgen. Aber mit einem solchen Führer, wie wir ihn haben, werden wir etlvas erreichen. Es ist ein Geist der Einigkeit, ein tiefes, inniges Solidaritäts- gefühl in den Bund der Jugend gedrungen, welches Alle in Brüderschaft vereinigt. Hoch und heilig haben wir es gelobt, die großen Ideen durchzuführen, und es wird uns gelingen." „Was sind das für große Ideen, wenn ich fragen darf?" fragte Knud ironisch. „In erster Linie unsere Bühne in einen freien Tempel der Kunst zu verwandeln." „Du sprichst vom Theater? Pfui!" sagte Knud und spie aus. Agestin wurde heiß über den ganzen Körper; ihm war zu Muthe, als wäre ein liebes, ihni nahe- stehendes Wesen in seiner Gegenwart verhöhnt worden, aber er biß die Zähne fest aufeinander und schwieg. Pastor Hansen sah seine Aufregung und klopfte ihm beruhigend ans die Schulter. „Ich bin kein Freund von der Schauspielkunst, überhaupt von keiner Kunst, es sei denn, daß die- selbe als ausgesprochenes Ziel hat: Gott, den All- mächtigen, in Bild oder Wort zu verherrlichen." Der Prediger machte eine Pause, während der er die Mundwinkel schräge herabzog und nachdenklich mit der Hand über das spitze glattrasirte Kinn fuhr. „Aber die Sache hat ihre zwei Seiten. In der Theorie wäre ich wohl geneigt, die wirklich vornehme
Kunst gelten z» lassen, weil sie in vielen Fällen einen erzieherischen Einfluß ans die Menschheit haben kann. In der Praxis stellt sich die Sache, wie gesagt, anders. Das sinnliche Leben— ich spreche hier vom Gedanken- und Gefühlsleben des schaffenden Künstlers, muß meiner Ansicht nach mit Rothwendigkeit zu einer Selbstbespiegelung führen, die ihn in solcher Weise absorbirt, daß er sein Herz von Gott ivendet und sich gegen das erste Gebot versündigt, und wer sich gegen ein Gebot versündigt hat, der hat sich gegen sie alle versündigt. Tarin wird mir wohl auch mein lieber Schüler Agestin Recht geben." Der Prediger wandte sich jetzt nach dieser schweren Auseinandersetzung an Knud.„Unser junger Freund hat aber hier eine rein theoretische Seite der Sache erwähnt, und Du hast Unrecht gethan, Knud, Deine Mißachtung in so ungebührlicher Weise an den Tag zu legen." Knud Solhang, dessen Sache das Dispntiren nie gewesen, wurde roth, räusperte sich und ivnrde noch röther. Schließlich brachte er mühsam und stottenid, aber mit harter Betonung, folgende Worte hervor:„Run ja, mag sein, daß ich etwas derb war, ich bin ja doch nur ein Bauer, aber Agestin's hochtrabende Art zu reden— hm, widerte mich an. Ich glaubte, er hätte Punsch getrunken." Agestin blieb die Antwort im Halse stecken. Ihm war, als würde bei dieser stupiden Kleinlichkeit die Luft so schwül und drückend, daß er kaum athmen konnte. Ihn: wurde übel, er mußte hinaus.— Die Sonne war nach einem glühend heißen Tage untergegangen. Es war schon seit vielen Wochen Dürre gewesen. Die Natur seufzte nach Regen. Agestin athmete tief auf, als er über den Hofplatz ging. Sein Blut war in Wallung gerathen. Eine innere Unruhe war über ihn gekomnien, die er sich selbst nicht zu erklären vermochte. Er sprang über den Zaun und lief in vollem Lauf gegen den Fluß. Wie ein Sturm brach er auf den jungen Birkenwald ein. Junge Bäume und Aeste, die ihm' den Weg versperren wollten, wurden heftig zurück- gestoßen oder geknickt, bis er endlich mit perlender Stirn und fliegendem Athem das Ufer erreicht hatte. Er blieb stehen und holte tief Atheni. Dann zog er sein Messer aus der Scheide und schnitt sich eine Weidenruthe, der er die Rinde abschälte, während er in allerlei widersinnigen Gedanken und Gefühlen versunken, den Fluß zur Linken, über die kahlen Steine dahin wanderte. Es fiel ihm ein, daß man jetzt zu Hause Abendbrot essen und auf ihn warten würde. „Laß sie!" murmelte er und that einen scharfen, pfeifenden Schlag mit der Weidengerte durch die Luft. Er sah sich um. Eine ungeheuerliche senk- rechte Felswand, über die das Wasser herunter- rieselte, versperrte ihm die Aussicht. Knorrige Birken und üppiges Farrenkraut wucherten rings um ihn her. Der Fluß kam zwischen zwei mächtigen Steinen wie ein einziger Strahl hervorgespritzt und schlug mit furchtbarem Gedröhn gegen den Boden eines im Felsen gebildeten Kessels an. Dort unten im Kessel siedete und kochte es, und hin und wieder spritzte der Schaum des Strudels hoch in die Luft. Aber links vom Abhang, wo dieser weniger steil war, da kletterte Alles, was wachsen wollte, empor, und aus den Rissen streckten Kiefern ihre verdrehten und knorrigen Wurzeln hinaus in die Luft. Da war eine sonderbare Felsen- bildung, die hatte Aehnlichkeit mit einem Pastor im Talar; daneben befand sich eine Wurzel, in der man mit etwas Phantasie einen Mann, der sich an den Kopf faßte, erkennen konnte. „Haha— was ist das?" rief Agestin.„Knud Solhaug und Pastor Hansen. Ja, ja, so sind die Menschen hier im Thale , verquackelt, verdreht wie dieses verwünschte und versteinerte Koboldgesindel da. Knud Solhaug, hahaha! Und nun soll ich wohl ebenso werden? Pah! Ich werde Euch'was pfeifen." Mit einem wilden Gelächter warf er seine Gerte in den Strudel, drehte sich auf dem Absatz und schlug einen Fußweg ein, der rechts von der Felswand durch Geröll und Gestrüpp ziemlich steil in die Höhe führte, bis er in einem Plateau mündete, wo der Strom ruhig dahin floß. Rechts öffnete
sich der Birkenwald; er sah zwischen den weißen Stämmen ein wogendes Kornfeld, dahinter die rothen Dächer des Hofes Bangen, die im Widerscheine des noch schwach gerötheten Abendhimmels sich von einem dahinter liegenden Tannenwald abhoben. Die Töne einer Geige erreichten sein Ohr. Er lauschte. Da erklang ein jauchzender Schrei; Agestin stieg ans einen hohen Stein und spähte. Es wurde dort getanzt. Hin und wieder konnte er zwischen den leise im Abendwinde nickenden Aehren die Köpfe und Schultern eines tanzenden Paares erblicken. Sollte er hingehen?— Tanzen, trinken, raufen! Hahaha! Mit einem Sprung war er vom Slein herunter und raschen Schrittes eilte er auf den Hof zu. Sie tanzten draußen ans dem Rasen hinter den Häusern. Bangen war der zweile Hof nach Solhang, und Agestin war da als Knabe öfter ge- Wesen. Er warf sich jauchzend wie ein Bacchant in den wirren Trubel, umschlang mit kräftigem Arm die erste beste Dirne und schwang sie ausgelassen im Tanze. Man bot ihm Branntwein an, und er trank, obgleich ihn das ekelhafte Getränk anwiderte. Er war in einer Stimniung, in der er zu Allem fähig war. Jetzt machte der Spielmann eine Pause, legte seine Geige hin und verließ seinen Platz. Agestin ergriff sie und spielte mit einer Wildheit und einem Uebermnth, die auf die Tanzenden ansteckend wirkte. Die Burschen schrieen und jauchzten, die Mädchen bewegten tanzend den Kopf im Takt mit der Geige, und ein alter Bauer, der Agestin während der ganzen Zeit beobachtet hatle, rief laut:„Ist es nicht, als wäre Thormod Talen ans den: Grabe wieder auferstanden?" Agestin hörte die Bemerkung des Alten und wurde plötzlich ernst. Nach einigen Takten unter- brach er sein Spiel mit zwei heftigen Strichen über die Gl-Saite, legte die Geige fort und ging zu ihm hin. „Hast Du meinen Vater gekannt?" fragte er höflich grüßend. Der Angeredete sah ihn verwundert an. Er war ein hübscher Mann in der Mitte der Fünfziger. Sein graues Haar hing ihm wie eine Mähne über die Schultern. „Ich.. Deinen Vater?.. Wie kommst Du darauf? Ich kenne Dich ja selbst nicht." „Du nanntest soeben Thormod Dalen's Namen. Ich bin sein Sohn Agestin." Ein fröhliches Lächeln ging über die hübschen, offenen Züge des Bauern. „Bist Du Agestinns?" fragte er, und schüttelte die Hand des jungen Mannes.„Ich heiße Harald Barstue und wohne in Syllejord, ja, ja.. war ein guter Freund Deines Vaters, mußt Du wissen.. waren viel zusammen, wir Beide, als ganz junge Leute, weißt Du. Mein Vater war damals Besitzer und Bauer hier auf Bangen. Als er den Hof ver- kaufte und nach Syllejord ging, hörte der Verkehr zwischen Thormod und mir leider auf." Agestin hatte mit Interesse zugehört.„So hatte mein Vater also doch eine verständnißvolle Seele gefunden," sagte er,„ich dachte, er wäre stets allein und ohne Freunde gewesen." Der Alte erwiderte mit einem wehmllthigen Lächeln:„Ich war der einzige. War nänilich auch eine Art Kunstpfuscher, habe es auch nicht weiter gebracht, als zum Schnitzen von Löffeln und Tiner."* Er that einen tiefen Seufzer und blickte nachdenklich, wie träumend, vor sich hin. Dann raffte er sich wieder auf und betrachtete mit Wohlgefallen den Sohn seines Jugendfreundes.„Du siehst Deinem Vater übrigens recht ähnlich, kann ich Dir sagen. Er war ein schöner Mann! Und begabt, wie Wenige. Schade, schade, daß er nicht die Kraft besaß. Das durchzuführen, was er sich vorgenommen hatte. Es ging ihm wie mir, wir wollten Beide Künstler werden, er Musiker und ich Bildhauer. Aber zu der Zeit mußte man nach Deutschland , um die Theorie und das Uebrige vom Handwerk zu lernen. Das ist wohl jetzt nicht mehr so?" „O ja," erwiderte Agestin lächelnd,„das ist noch immer so... aber mein Vater konnte wohl nicht das nöthige Geld auftreiben— oder wie?" * Tiner sind hübsch geformte hölzerne Kisten mit geschweiftem Griff.