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Die Neue Welt.
Aufenthalt in heißen, rauchigen Lokalen, zugigen Korridoren, die meist schlechte Kost, das Alles muß dahin führen, daß der Keim zu späterem Siechthum bereits zu dieser Zeit in die unentwickelten, geschwächten Körper gesenkt wird.
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An das Lernen von Sprachen kann unter diesen Umständen wenig gedacht werden. Auch der Umstand, daß in einigen Großstädten eine Fachschule" für Kellnerlehrlinge besteht, ändert daran wenig. Es ist nur ein verhältnißmäßig geringer Prozentsaz, der dadurch die Gelegenheit zum Lernen hätte, wenn die Herren Prinzipale in ihrer Mehrheit es nicht überhaupt vorzögen, in der praktischen Ausb- ildung ihrer Zöglinge keine Unterbrechung durch den theoretischen Krimskrams" eintreten zu lassen.
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Hat der junge Mann seine meist dreijährige Lehrzeit beendet, dann strebt er, in's Ausland zu kommen. Als nächstes Ziel gilt gewöhnlich England. Vielfach muß aber erst das Reisegeld und etwas Zehrgeld verdient werden; der junge Mann hat von seinen älteren Kollegen genugsam von dem Elend der Stellenlosigkeit im Ausland erzählen hören. Auch möchte er sich doch noch etwas vorbereiten und verschafft sich nun Bücher zum Selbstunterricht, in denen er, soweit seine Zeit es ihm erlaubt, fleißig studirt.
Das nächste Frühjahr aber sieht ihn auf dem Wege nach London ; Hunderte, wenn nicht Tausende haben um diese Zeit mit ihm das gleiche Ziel. Von hier aus erhält ein großer Theil Stellung in den englischen Badeorten auf den Inseln Isle of Man , Isle of Wight , nach dem schottischen Hochgebirge.
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Da in diesen Hotels aber die Mehrzahl des Personals aus Nichtengländern besteht und die jungen Leute mit den Gästen nur wenig in direkten Verkehr treten die Bestellungen werden von ihren älteren Kollegen, die bereits genügend englisch sprechen, entgegengenommen so lernen sie ebensowenig englisch sprechen, als Diejenigen, welche in den großen Hotels und Restaurants Londons Stellung gefunden haben.
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Ihr Bestreben geht daher im Spätsommer, wenn sie nach London zurückkehren, dahin, in einer Familie als Diener Unterkunft oder in einem sogenannten Boarding House" Stellung zu finden. Das„ Boarding House" ist ein Mittelding zwischen Hotel und Privathaus. Viele Familien in England miethen sich Monate lang in einem solchen Hause ein und lassen sich entweder ganz verpflegen oder beköstigen sich theilweise selbst.
Nicht blos die meisten Gäste sind hier Engländer, auch das Personal sezt sich aus solchen zusammen, nur als„ Waiter "( Aufwärter- Kellner) wird aus den oben angeführten Gründen, und weil er billiger und williger ist, gern ein Ausländer genommen. Hier sowohl als in den Privathäusern muß der Waiter oder, wie er in den Familien genannt wird, der„ Indoor- servant" zum Unterschied von Dem, der bei den Ausfahrten neben dem Kutscher die .Herrschaft" begleiten muß, viel Hausarbeiten verrichten, lernt aber, selbstverständlich je nach seiner Begabung, rasch und gut englisch . In den meisten Fällen hat er gute Behandlung; der Dienstbote in England läßt sich nicht halb so viel gefallen als der deutsche.
Im Herbst aber ist ein neuer Strom junger Leute vom Kontinent herüber gekommen und vermehrt nun die Zahl der Stellesuchenden ganz enorm. In London drängt sich Alles zusammen. Hier besigen ein öfterreichischer, ein schweizerischer und mehrere deutsche Kellnervereine ihre eigenen Klubhäuser, die in sehr praktischer Weise eingerichtet sind. Sie enthalten neben den Restaurationsräumen meist Billard-, Rauch, Lesezimmer, Kegelbahn, auch eine Anzahl Schlafzimmer. Auch das vom Verein unterhaltene Plazirungsbureau befindet sich im Hause.
Obgleich die Preise in den Klubs für die dort gewährte Verpflegung durchaus nicht zu hoch bemessen sind, fönnen in der Regel doch nur die kleinen Krösusse, die aus der Saison zurückkehrenden älteren Leute oder die mit gespicktent Beutel vom Kontinente Kommenden dort wohnen und regelmäßig verkehren. Aufangs geht es flott; der Kellner liebt es, die noblen Passionen nachzuahmen, die er täglich Diejenigen ausiiben sieht, die er bedienen muß. Bald
Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
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aber sind die Ersparnisse zusammengeschmolzen, es werden die billigen Fish- Shops"( Fischläden, wo es allerhand billige gesottene und gebratene Fische giebt) und die giebt) und die„ Coffee- Shops"( wo große Tassen Kaffee, Thee, Kakao 2c. ausgeschenkt werden) auf gesucht. Viele kochen in ihren Logis selbst. Das sind immer noch die Beneidenswerthen; viel schlimmer sind Diejenigen daran, die, nachdem sie Wochen oder gar Monate lang gebummelt", ohne Stellung zu erhalten, nicht blos all' ihr Geld verzehrt haben, sondern auch bereits ihre besten Sachen versezen mußten und die nun jeden Morgen mit Bangigkeit dem kommenden Tag entgegenblicken. Ob sie wohl einen guten Bekannten treffen werden, der für sie noch einen Penny übrig hat zu einer Tasse Katao? Zum Verseßen ist nichts Werthvolles mehr da; der lezte Sechser wird durch den Kauf eines Morgenblattes besser angelegt. Da sind die Stellenangebote enthalten. Vielleicht glückt es heute. Richtig! Da steht ja: A young man- servant wird verlangt in South Kensingtown. Das ist die fashionabelste Gegend von ganz London , gewiß eine Stelle in einer feinen Familie!
sie
Schnell in Gala geworfen! Die schwarze Hose ist am Knie schon etivas speckig geworden, aber der etwas zu lange Gehrock des Zimmerkollegen deckt das zu. Die weiße Kravatte und die Glacehandschuhe nicht zu vergessen! Nun nur noch einen Penny für's Nasiren, denn die englische Missiß ist es, die das Hauspersonal engagirt verabscheut alles Haarige; und einen zweiten Penny, um mit der Untergrundbahn ein Stück fort zu kommen, damit man der Erste ist. Die Freunde schaffen Nath, denn es liegt in Aller Interesse, daß wenigstens Einer in Stellung kommt. Und er hat die meisten Chancen, er kommt dem in der Annonce geforderten Körpermaß am nächsten und spricht auch schon etwas englisch .
Aber ach! Obwohl er sich beeilt, er ist, wie ihm der Abgehende mittheilt, gerade der Vierzehnte, der sich vorstellt.
Es ist ein Boarding House" in einer engen Nebenstraße. Er wird in den Salon gewiesen, die Lady rauscht herein und beginnt das Verhör. Die erste Frage hat er nicht verstanden, er antwortet ganz verkehrt und wird verwirrt. Nach und nach geht es besser; schließlich heißt es aber:, Sie sprechen schon recht gut und wollen doch nur noch auslernen, dann gehen Sie wieder." dann gehen Sie wieder." Er ist entlassen.
So war es nun schon oft gegangen. Bald sprach er zu viel, bald zu wenig englisch , bald war er zu groß, bald zu klein gewesen, hier wünschte man einen dunkleren, dort einen blonderen Jüngling.
Und Hunderte machen dieselben Erfahrungen und müssen oft den ganzen Winter hindurch bummeln; die„ London Saison", die im Februar beginnt, bringt noch Diesem oder Jenemt eine Stelle oder etwas Aushülfsarbeit. Im Sommer wird dann das Glück von Neuem in einem Badeorte versucht, im Herbst wiederholt sich die Jagd nach einem Plaz in einer Familie.
So vergehen im günstigsten Falle zwei, auch drei Jahre, ehe der junge Mann das Englische erlernt Jahre, ehe der junge Mann das Englische erlernt hat und nun daran denken kann, sich das Franhat und nun daran denken kann, sich das Französische anzueignen. Viele aber sind in dem Sumpfe der Riesenstadt untergegangen, moralisch verkommen, haben erst vom Pump gelebt, sich durchgeschwindelt, bis sie dem Verbrechen vollständig in die Arme ge= sunken sind.
Um das Französische zu erlernen, wird weit mehr die französische Schweiz und Belgien aufgesucht, als Frankreich selbst. Diejenigen, die zuerst nach England gegangen sind und englisch können, haben hier weit mehr Chancen als ihre Kollegen, die direkt von Deutschland gekommen sind. Denn da vier Fünftel aller Vergnügungsreisenden Engländer, Amerikaner und Deutsche sind, so können Jene, sobald sie nur einige Brocken Französisch erlernt haben, um sich mit der Küche verständigen zu können, bessere Stellungen einnehmen, als die soeben aus Deutschland Gekommenen, und wenn sie noch so gut französisch sprächen.
Trotzdem zieht in jedem Frühjahr ein neuer Schwarm junger Leute nach der französischen Schweiz , um zunächst Französisch zu lernen. Die Herren
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als„ Volontär". Das klingt recht schön und kostet nichts. In dem Engagementsvertrag heißt es gewöhnlich, daß am Ende der Saison„ bei Zufriedenheit" eine Gratifikation gezahlt wird. Die Zufriedenheit hält aber auf Seiten des gestrengen Herrn Direktors, dem häufig für das Personal eine bestimmte Summe zugewiesen ist, nicht immer bis zu Ende der Saison an und die Gratifikation kann dann natürlich auch nicht gezahlt werden.
Ein Theil der Kellner hat wohl auch vorher ein Semester in einer der französischen Pensionate in oder um Lausanne zugebracht und kommt danu wohl etwas schneller vorwärts. Namentlich thun das vielfach die Söhne von Gasthofsbesißern; das Gros der Kellner aber hat keinerlei Vorkenntnisse, sondern sucht sich durch Selbstunterricht fortzuhelfen.
Ist die Saison in der Schweiz zu Ende, dann stieben die paar Tausend Kellner, die während dieser Zeit dort thätig waren, nach allen Windrichtungen auseinander. Ein Theil, darunter Diejenigen, die sich noch im Französischen vervollkommnen wollen, geht nach der Riviera; für die älteren, beider Sprachen Mächtigen, bieten die eleganten Hotels von Mentone , Cannes , Nizza und Monte Carlo, wo die raffinirteste Genußsucht auf ihre Rechnung kommt, zum Theil sehr einträgliche Stellungen. Drängen sich doch hier die Millionäre beider Hemisphären und die internationalen Hochstapler und Glücksritter aller Arten zusammen, um sich zu amüsiren und in den Sälen von Monaco ihr Spielchen zu machen. Leider lassen sich auch die meisten Hotelangestellten verleiten, wenigstens einmal ein Jeu zu machen, Mancher wird vom Spielteufel ergriffen, und nicht selten sind die Fälle, daß Einer seinen ganzen Verdienst dort läßt.
Der Zug der deutschen Kellner geht aber noch viel weiter südlich. In Italien spielen sie dieselbe Rolle wie in den westeuropäischen Ländern; in allen Hotels von Mailand , Venedig , Florenz , Rom , Neapel , soweit sie für den internationalen Verkehr in Betracht kommen, sind sie vertreten. Soweit sie den Trieb in sich fühlen und Gelegenheit dazu haben, lernen sie wohl auch noch italienisch. Indeß kommen sie in den meisten Häusern schon mit einigen wenigen Brocken aus, da die Angestellten selbst fast alle Ausländer sind; auch die Köche, soweit sie etwa Italiener sind, sprechen französisch, denn sie haben ihre Schule" in Frankreich gemacht und sind stolz darauf. Die Gäste aber sind ebenfalls meist Ausländer, und die Italiener, die Anspruch auf Bildung erheben, sprechen auch französisch.
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So kommt der Kellner mit den drei Hauptsprachen Deutsch , Französisch, Englisch in der Regel aus. Viele aber erlernen noch das Italienische, wohl auch noch das Spanische und Portugisische. Denn diese Zugschwalben ziehen auch, namentlich geschieht das von England aus, über das Meer und suchen in den Hauptstädten der Südamerikanischen Staaten Stellung. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika zählen sie nach Tausenden; in New York allein bestehen mehrere deutsche Kellner- Vereinigungen, die dem nordamerikanischen Gewerkschaftsbunde angeschlossen sind.
Da der Zug der Sommerfrischler und Touristen in den letzten Jahren mehr und mehr auch nach dem äußersten Norden, nach den skandinavischen Ländern sich wendet, ist auch hier, wie schon erwähnt, der deutsche Kellner vertreten. Aber auch nach Rußland , den Balkanstaaten geht er; in Kairo wie in der Kap stadt , in den asiatischen wie in den australischen Großstädten, kurz überall, wo ein Hotel nach europäischem Muster eingerichtet ist, stellt sich auch der deutsche Kellner ein.
So ziehen die Schaaren der Zugschwalben" hin und her. Im Sommer nach der Nord- und der Ostsee , in's Erz- und Riesengebirge , in den Harz und die Alpen , im Winter nach der Riviera, Italien usw. und nach den großen Residenzstädten und Verkehrszentren. Viele von den Schwalben" fehren vom Auslande nicht mehr in ihre Heimath zurück, überall seßen sich Einige fest zu dauerndem Aufenthalt, und Hunderte von Kellnern stehen in den Stammrollen als„ Unsicher- Heeresflüchtige".
' Selbstverständlich machen nicht alle deutschen