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Die Neue Welt.

Kellner die eben beschriebene Carrière". Die mitt­leren und kleineren Hotels, die Gasthöfe der Pro­vinzialstädte, die Restaurants aller Art, die Cafés, Speisewirthschaften, die großen Bierlokale und Bier­gärten, die Vergnügungslokalitäten, Ball- und Kon­zertfäle brauchen Tausende von Kellnern, die sonst gewiß auch Tüchtiges leisten müssen, von denen man aber Sprachkenntnisse meist nicht verlangt. Zwischen allen diesen Kategorien aber giebt es eine bestimmte Grenzscheide nicht. Im Winter, wenn die Badeorte ver­lassen sind, nimmt auch der, sagen wir einmal, ,, Elitefellner" gern eine Stelle in einem besseren Bierlokale an, verdient dort auch durchaus nicht weniger, häufiger mehr, als im Hotel. Gestern im Hotel ersten Ranges, heute im Gasthofe eines kleinen Landstädtchens, morgen wieder im Brauerei­ausschant der Großstadt so wird der Kellner hin und her geworfen. In späteren Jahren zieht es auch der Sprachkundige Kellner vielfach vor, in den besseren Restaurants der Großstädte zu arbeiten, weil er dort außer dem Hause wohnen kann und so etwas weniger gebunden ist. In den Restaurants erster Klasse werden übrigens allgemein nur sprachkundige Leute eingestellt, weniger weil auch hier dann und wann Ausländer Hinkommen, sondern weil der viel gereiste Kellner an Menschenkenntniß, Gewandtheit und allgemeinem Schliff seinen Kollegen meist über­Tegen ist.

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Was schließlich aus dem Kellner wird? Nur einem verhältnißmäßig geringen Theil gelingt es, sich selbstständig zu machen oder sich bis zum Direktor oder Geschäftsführer großer Aktienhotels oder sonstiger gastwirthschaftlicher Etablissements empor zu schwingen. Je mehr das Großkapital sich auch auf dieses Ge­werbe wirft, je mehr Riesenetablissements empor wachsen, desto häufiger tritt auch hier die Erschei­mung zu Tage, daß der Arbeiter, und sei er noch so fähig, immer mehr mit der fast sicheren Wahr­scheinlichkeit zu rechnen hat, sein Lebenlang das zu bleiben, was er ist Lohnarbeiter. Zugegeben muß indeß werden, daß die Etablirung hier noch nicht ganz so schwierig ist, wie in der eigentlichen Industrie; vielfach aber bleibt es dann bei einer fleinen, bescheidenen Wirthschaft. Viel größer aber ist die Zahl Derjenigen, die in den Großstädten, weil ihr Körper viel zu sehr ausgemergelt ist, um dauernd harte Arbeit aushalten zu können, oder weil sie ein eigenes Heim sich gegriindet haben, als Aus­hülfskellner ein bescheidenes, oft ärmliches Dasein fristen müssen. Unter ihnen finden wir ebensowohl Denjenigen, welcher seine Kellnerlaufbahn als Zapf­bursche in der Budike begonnen hat, als auch den ehemaligen vielgereisten, sprachengewandten Hotel­fellner.

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Volkswissenschaft und Volksweisheit.

Von Manfred Wittich.

ie Alten sind auch keine Narren gewesen," sagt mit Recht das Sprichwort. Erhebt sich nun unsere bildungsstolze Gegenwart so gern über die ältere Zeit, namentlich über das angeblich durchaus finstere und barbarische" Mittelalter, so noch mehr von jeher die zünftige Wissenschaft über das ungelehrte Volk der Laien.

Man vergißt dabei, daß die Schulgebildeten auch nur zwei Augen, zwei Ohren usw. haben, und alle übrigen Werkzeuge des Erkennens und Denkens ganz genau so bei ihnen organisirt sind wie bei dem Mann aus dem gemeinen" Bolt.

Auf dem Gebiete des Naturerkennens hat die moderne Wissenschaft in den letzten hundert Jahren wohl die überraschendsten und mächtigsten Triumphe zu verzeichnen. Darunter find merkwürdigerweise eine ganze Anzahl Entdeckungen, die das in innigerer Berührung mit der Natur stehende Volk zum Theil schon vor Jahrhunderten gemacht hat.

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Um dem Dünfel unserer Modernen und Ge­bildeten", d. h. Schulgebildeten, einen kleinen Dämpfer aufzufezen, stelle ich eine Reihe solcher mir bekannt gewordener Proben von alter Volkswissenschaft und Volksweisheit zusammen. Hat doch ein Zoologe

Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

wie Gustav Jäger  , trot seiner phantasievollen Ent­deckung der Seele" und seiner geschäftskundigen Wolleregime- Spekulationen ein ohne Frage höchst beachtenswerther Gelehrter, der oft recht scharfsinnigen Beobachtungsgabe des Volkes wohlverdiente, hohe Anerkennung gezollt.

Erst 1672 gelang es Swammerdam  , durch genaue anatomische Untersuchung festzustellen, daß der Weisel" der Honigbienen, den man bis dahin in den Natur­geschichten als Männchen betrachtet und Bienenkönig genannt hatte, eine Frau sei. Aber schon die alten Angelsachsen nannten ihn Beomodôr Bienen­Bienen mutter, und ein frühmittelalterlicher Bienensegen redet von der Mutter der Bienen", womit eben der Weisel gemeint ist.

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Unsere moderne Luftschifffahrt, namentlich die Versuche, den Vogelflug nachzuahmen, z. B. die Lilien­thal's, der ja ein Opfer seiner Bemühungen ward, haben ergeben, daß der Abflug und das Nieder­seßen stets gegen den Wind erfolgen muß. Ueber­raschend ist es demnach wohl Manchem, wenn er vernimmt, daß schon in der altdeutschen Wielandsage dieser kunstreiche Schmied, der sich Flügel schmiedete, mit denen er sich einem Vogel gleich in die Lüfte schwang, zu seinem Bruder sagt: Du magst es wissen, daß alle Vögel sich gegen den Wind nieder­lassen und sich ebenso empor heben."

Die Rolle, welche bei der Befruchtung einer ganzen Reihe von Pflanzen der Wind spielt, welcher den Blüthenstaub an seine rechten Stellen gelangen läßt, ward von den Bauern längst erkannt, ehe die erakte" Wissenschaft davon etwas wußte. ,, eratte" Wissenschaft davon etwas wußte. Die Kornmutter geht durch das Feld," sagt der Volks­mund, wenn der Wind über's Feld streicht und die Halme auf und niederschwanken, und man erwartet ein fruchtbares Jahr, wenn die Kornmutter" den Aeckern ihren Besuch abgestattet hat.

An Stelle der Kornmutter setzten unsere Aelter­ahnen Odin's Eber oder Wolf, oder man sagte, Frô reitet auf seinem goldborstigen Eber über das Feld, leise nur berührt des Ebers Fuß die Spike der Aehren, die sich ehrfurchtsvoll vor dem Gott verneigen. Nationalistisch bezeichnet die Sache das Sprichwort der Eifelbewohner: Wenn die Korn­Sprichwort der Eifelbewohner: Wenn die Korn halme in der Blüthe sind, so ist gut für sie der Wind."

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Sehr oft haben die Bauern beobachtet, und zwar richtig beobachtet, namentlich in Westfalen, daß ihr Getreide besonders stark von Rost befallen wurde, Getreide besonders stark von Rost befallen wurde, wenn sich Berberißensträucher in der Nähe befanden. Defter wurden von ihnen gegen die Gärtner, welche die Berberizensträucher hatten, Prozesse angestrengt, aber ohne Erfolg, da die Sachverständigen" den Zusammenhang zwischen dem Rostpilz und dem auf der Berberize wuchernden Pilze in Abrede stellten. Erst de Bari   entdeckte im Jahre 1865, daß in der That der Berberißenrostpilz und der auf dem Getreide wuchernde ein und derselbe ist, nur in verschiedenen Stadien seiner Entwickelung, daß die Wintersporen des betreffenden Pilzes auf der Berberize schmarozen und die hier gezeitigten Sommersporen auf Getreide­arten abwandern und dort den Pilz von Neuem bilden.

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Vor den Eichen sollst du weichen, Vor den Fichten sollst du flüchten, Doch die Buchen sollst du suchen.

So lautet eine alte Gewitterregel des Volkes für Diejenigen, welche sich vor Blizgefahr schützen wollen. Auch sie hat die gelehrte Wissenschaft be= stätigt. Eine elf Jahre umfassende Statistik hat ergeben, daß im Lippe'schen der Bliz 56 Mal Eichen, 24 Mal Tannen und Fichten, kein einziges Mal aber eine Buche getroffen hat, obgleich ein Siebentel des gesammten Waldbestandes von Buchen gebildet wird. Blizanziehend wirkt auch die Pappel. Von allen vom Blitz getroffenen Bäumen waren, so ergab sich bei einer Erhebung im Weichbild Moskaus  , die Hälfte Pappeln. Ich erinnere mich, gelesen zu haben, daß gewisse Dele im chemischen Bestand der betreffenden Pflanzen, ihr starkes oder schwaches betreffenden Pflanzen, ihr starkes oder schwaches Vorhandensein oder gänzliches Fehlen hierbei eine ausschlaggebende Rolle spielen.

Seit alter Zeit schon hat" man", d. h. haben ungelehrte Leute aus dem Volf in der Nähe ihrer

Gehöfte die betreffenden Bäume angepflanzt und sich ihrer als Blizableiter bedient.

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Als Aberglaube oft genug gebrandmarkt wurde die Bauernregel, bei Blizgefahr Feuer anzuzünden, namentlich mit Brennstoff, der starken, schwelenden Rauch erzeugt. Feuer auf dem Herd ist gut gegen Gewitter" Wo Herdfeuer brennt, schlägt der Blizz nicht ein", sagt der Bauer. Die moderne Wissen­schaft hat nun erkannt, daß der Nauch und die Verbrennungsgase die Leitungsfähigkeit der Luft elektrischen Strömen gegenüber erhöht. Darum ergab auch eine schleswig- Holsteinische Statistik, daß der Blitz 20 Mal öfter in Kirchen, 30 Mal öfter in Windmühlen   einschlägt als in Fabrikschornsteine.

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Aehnlich verhält es sich mit dem Wetterläuten und Wetterschießen, womit man Gewitterbildung und Hagelschlag abwenden will. Ein Versuch von 1896 in der stark Weinbau treibenden und viel von Hagel heimgesuchten Unterſteiermark, in Windisch Feistritz  , ist interessant. Dort hat man aus Besorgniß vor der Reblaus junge, amerikanische Neben angesetzt. zu ihrem Schuße errichtete der Bürgermeister Albert Stiger an sechs hochgelegenen Stellen Schießstände mit je 10 Stück schweren Böllern. Bei nahendem Gewitter wurde auf jedem Stand von sechs Winzern als Freiwilligen aus jedem Böller eine Pulver­ladung von 120 Gramm ununterbrochen abgeschossen. Ergebniß: Sechsmal im Sommer 1896 zertheilten sich die gefahrdrohenden Wetterwolfen und es fiel weder Plazregen noch Hagel auf dem Flächenraum von etwa einer Quadratmeile. Auf Antrag der steiermärkischen Sparkasse zu Graz sind ihr 1897 von der Regierung vier ausrangirte Zehnzentimeter­Kanonen mit dem nöthigen Zubehör überlassen worden. Zum Schluß ein wenig voltsmedizinische Wissen= schaft. Bekannt ist die heilende Wirkung einer ganzen Reihe von Hausmitteln", denen die wissen­schaftliche" Medizin als Altweibermitteln aus Groß­mutters Handförbchen stolz und verächtlich begegnete. Zuweilen aber, wenn sie sich zu Versuchen herbeiließ, wurde sie eines Besseren belehrt. Schnell war man gemeinhin bei der Hand mit dem Vorwurf der Un­wissenheit und des Aberglaubens und behandelte diese Voltsmedizin in Bausch und Bogen als nichts­mißen Blödsinn. Wie sehr mit Unrecht zuweilen, dafür ein paar Beispiele.

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Asche von Meerschwämmen galt von Alters her für heilsam gegen Strophulose und Gicht. Da fam die Wissenschaft der Gelehrten, analysirte besagte Asche chemisch und fand nur Soda. Nun suchte man mit Soda jene Leiden zu bekämpfen, natürlich ohne Erfolg. Später( 1812) wurde das Jod, der bei der Analyse der Meerschwammasche nicht gefundene Bestandtheil, entdeckt, dessen umfangreiche Verwendung in der neueren Heilkunst bekannt genug ist.

Unter anderen Heilmitteln, welche die gelehrte" Medizin dem Volfe verdankt, nennen wir weiter den Kusso, die weiblichen Blüthen der Brayera anthelmintica, das jetzt allgemein angewandte Bandwurmmittel, wel­ches wir dem Volke in Abessinien verdanken.

Von einer alten Waschfrau erfuhr der Berliner  Arzt Ascherson, daß eine Pflanze, Wienkriech, oder Weiberkrieg( Radix Ononidis), gegen Rheumatismus  helfe; er fand das Mittel probat und veranlaßte dessen Einführung in die Pharmokopöa d. h., in die Zahl der anzuwendenden, von den Apotheken zu führenden Heilmittel und in die Heilmittellehre.

Wie wir gesehen haben, waren unsere Alt­vordern keine Narren, aber auch das gemeine" Volk der Gegenwart ist nicht so einzuschätzen! Viel­fach hat es sich schon den Stubengelehrten und Schreibmenschen überlegen erwiesen. Es lernt heut­zutage sogar beim Arbeiten um sein liebes Brot, da die Wissenschaft immer praktischer wird und ihre Ergebnisse in das moderne Arbeitssystem eingeführt werden, ein gut Theil Fachwissenschaften.

Jedenfalls empfiehlt es sich, auch solche Volks­meinungen, welche in die Bureaukratenschablone und in die Schubfächer der Zunftwissenschaft nicht ohne Weiteres passen wollen, genauer zu untersuchen, ehe man sie spöttisch und verächtlich als Urtheile von " Nichtfachleuten" bei Seite schiebt, ja vielleicht sogar zum Vorwand von Verfolgung und Maßregelung macht, wie das ja leider so oft geschieht.