300 Die Reue Welt. Illustrirte llnterhalwngsbeilage. werden. ES entstanden entweder kleine Bühnen für bessere Theater oder jene Jammerkasten, die wir in ähnlicher Gestalt heute als Kasperle-Theater kennen. Die ganze Theaterkunst war auf einem Niveau au- gekommen, wo ein tieferes Versinken nicht mehr möglich war. Nur einen Gehalt, einen Werth besaß sie noch in ihrem Zotenreißer, ihrem Juxbruder, der auch als Puppe eifrig und erfolgreich thätig war. Nur ihm, dem Hanswurst, ist das Verdienst zuzuerkennen, daß das Interesse an theatralischen Aufführungen nicht gänzlich geschwunden ist; er war der Kern, um den sich Alles drehte, mit ihm stand und fiel die ganze damaligeKunst". Stofflich entwickelte er dieselbe Vielseitigkeit, wie sein ehemaliger lebender Bruder. Ihm war nichts heilig. Szenen aus den vergilbten Mysterien, aus Haupt- und Staatsaktionen, aus Volksmärchen und Legenden, Alles, woriiber man lachen mußte, wenn es Hanswurst bearbeitet, fügte er mit seinem Witz zusammen. Und doch war manch' tragischer Stoff in jenen Darbietungen enthalten, über die sich das Volk lustig machte. Nur eines Motives sei Erwähnung gethan, das im Verlauf der späteren literarischen Entwickelung vielfach wiederbenutzt und das in Goethe's   Lebens- werk zum höchsten deutschen Drama verwendet wurde: die Faust-Sage. Hat doch Goethe selbst, bevor er das alte Faustbuch kennen lernte, eine Darstellung des Puppenspieles vom Faust auf einem Kasperle- Theater in Frankfurt   gesehen. Doch wie ist im Puppenspiel der Stoff verwendet? Die Hauptrolle hat Kasperle, der Hanswurst; er ist der Diener des großen Zauberers, findet ein Zauberbuch uud lernt Geister zitiren.Perlippe", die Geister er- scheinenPerlappe", sie verschwinden, und während der gelehrte Faust sich ganz in den Händen der Teufel befindet, peinigt Kasperle die Teufel auf's Aergste; er läßt sie mit solch' rasender Schnelligkeit kommen und verschwinden, daß ihm vorperlippe"- undperlappe"- kommandiren der Athem ausgeht. Faust muß seine Seele dem Teufel verschreiben; Kaspar kann das nicht, weil er nach seiner Ueber- zeugung gar keine Seele hat. Mst den Worten: Ihr dummen Teufel, daß Ihr das garnicht bemerkt habt; als ich auf die Welt kam, da waren gerade keine Seelen mehr da," lehnt er ein diesbezügliches Anerbieten des Teufels ab und wird Nacht­wächter. Mit einem mächtigen Spieß, Laterne und Horn erscheint er auf derBühne" und singt die Stunden ab, gerade an dem Abend, an dein Faust, sein ehemaliger Herr, vom Teufel geholt wird. Aber der Humor überwiegt auch in dieser bitteren Szene; das dumm-schlaue Kasperle bedauert den armen Fanst, der unter Donner und Blitz verschwunden ist, lacht sich dann aber eins und tanzt schließlich mit seinem Weibe den Kehraus. Auch für das Theater sollte eine bessere Zeit kommen. Es blieb Männern ans dem Volke vor- behalten, mit allem lieberlieferten zu brechen und die Bühnenkunst auf neue Bahnen zu leiten. Auch Hanswurst ging mit unter; man wird sich seiner aber immer gern erinnern. Die Gegenden um den Südpol  . Von Bruno Borchardt. fic Erforschung des Südpols oder vielmehr der am Südpol   gelegenen Gegenden, der sogenannten Antarktis, hat bei dem großen Publikutn durchaus nicht das gleiche oder auch nur ein ähnliches Interesse erregt, wie etwa die Berichte über die Reisen in den unbekannten Gebieten Afrikas   oder in den Eisgefilden des Nord- pols. Noch in der jüngsten Zeit sind Stanley und Wißmann, NordcuSkjöld und Nausen in fast über- triebener Weise gefeiert worden, und auch die Be- richte früherer Forschungsreisen, eines Livingstone  in Afrika  , eines Franklin oder Kane im hohen Norden, werden noch immer mit Interesse gelesen, während die Reisen der Südpolforscher außer den Fachleuten nur sehr Wenigen bekannt sind. Der Grund dafür liegt wohl darin, daß für den Menschen doch immer der Mensch das Interessanteste ist. Am Aequator   kamen die Reisenden mit fremden Stämmen in Berührung, deren Kultur und Lebensweise Jeder- mann interessirt; noch bis weit hinauf nach Norden wohnen fremdartige Menschen, die Eskimos, die ein seltsames Leben führen, und wenn die Reisen noch höher hinauf gingen, bis in die eisstarrenden Re- gionen, die nie eines Menschen Fuß betreten hatte, so waren es immer größere Expeditionen, die dort mehrere Jahre zubrachten und ihr Leben den Ver- Hältnissen anpaßten. In der Antarktis   dagegen ist noch niemals ein menschliches Wesen angetroffen worden, und ebenso wenig ist es bis jetzt jemals einer Expeditton gelungen, längere Zeit in jenen unwirthlichen Gegenden zuzubringen. Die Berichte der antarkttschen Forscher enthalten daher nur geo- graphische und naturwissenschaftliche Mittheilungen, die die meisten Menschen naturgemäß weniger fesseln als die anregenden Schilderungen menschlichen Lebens und Treibens. Aber auch in wissenschaftlicher Beziehung ist der hohe Süden weit weniger bekannt und weit weniger durchforscht, als der hohe Norden. Nansen ist bis iiber den 86. Breitengrad nach Norden vorgedrungen, war also nur noch 4 Grad vom Pol entfernt, und vor Nansen waren andere Forscher bereits bis über den 83. Breitengrad gelangt. Im Süden dagegen ist die höchste erreichte Breite 78° 10', und diese ist nur einmal, von Roß, erreicht worden, während Andere nicht bis zum 75. Breitengrad gekommen sind. Es ist nicht irgend welchen zufälligen Umständen zuzuschreiben, daß uns das Südende der Erde so viel weniger bekannt und vertraut ist als das Nord- ende; vielmehr trägt in erster Linie die Beschaffenheit der nördlichsten, resp. südlichsten bewohnbaren und bewohnten Gegenden die Schuld. Norwegen   dehnt sich bis zum 71. Breitengrad aus und unter 71° findet sich noch eine Stadt, Hanimerfest, wo drei- tausend Menschen in rüstiger Arbeit leben; auch die Nordküste Amerikas   reicht bis über den 70., die Asiens   gar bis über den 75. Breitengrad hinaus. Die Slldküste von Grönland   liegt unter 60 Grad nördlicher Breite, und dann erstreckt sich diese Insel in nördlicher Richtung bis über den 82. Breitengrad. Eine ganze Reihe von Orten befindet sich also im hohen Norden der Erde, die den Expedittonen zur Erforschung des unbekannten Gebietes am Pol als Stützpunkte dienen können und dienen. Ganz anders im Süden. Afrika   erstreckt sich nur bis zum 34. Breitengrad, das Australische Festland bis zum 39., die südlich vorgelegene Insel Tasmanien   mit dem Hafenplatz Hobart   bis zum 42. und die Inseln von Neu-Seeland   bis zum 47. Grad. Etwas weiter nach Süden reicht Amerika  , dessen südlichste Insel, das 1520 entdeckte Feuerland, von etwa achttausend Menschen bewohnt wird; doch reicht auch sein süd- lichster Punkt unter 56 Grad nicht entfernt an die Breiten nördlicher Orte heran. Riga  , Petersburg, Stockholm  , Christiania   und viele andere große Städte liegen in höheren Breiten. Diese merkwürdige Verschiedenheit der nördlichen und südlichen Halbkugel der Erde hat ihren Haupt- grund wohl in der verschiedenen Stellung, welche diese beiden Hälften gegenüber der Sonne haben. Weil die Erdaxe auf der Bahnebene der Erde nicht senkrecht, sondern geneigt steht, haben wir zu ver- schiedenen Zeiten des Jahres eine verschiedene Daner von Tag und Nacht zugleich mit dem Wechsel der Witterung. Ist das Nordende der Axe der Sonne zugekehrt, so wird die Nordhälfte der Erde stark erwärmt, hier herrscht Sommer mit langen Tagen und kurzen Nächten, und am Pol geht die Sonne überhaupt nicht unter. Zu gleicher Zeit herrscht auf der von der Sonne abgekehrten Slldhälfte strenge Winterkälte bei kurzen Tagen und langen Nächten, und am Südpol   selbst ist die Sonne überhaupt nicht sichtbar. Nach einem halben Jahr ist die Nordseite der Erde von der Sonne ab-, die Südseite ihr zu- gekehrt, und die Witterungsverhältnisse haben sich umgekehrt. Würde nun die Bahn der Erde um die Sonne kreisförmig sein, so würde hierin ein beträchtlicher Unterschied zwischen Süden und Norden nicht hervortreten können. Die Erde geht aber in einer Ellipse um die Sonne herum, und die Sonne steht nicht im Mittelpunkt, sondem in einem Brenn- Punkt dieser Ellipse. Infolgedessen steht die Erde einmal in Sonnennähe, nach einem halben Jahre in Sonnenferne, und die größere Nähe oder Ent- fernung ist natürlich auf die Wirkung der Sonnen- strahlen von Einfluß. Am 21. Dezember befindet sich die Erde in ihrer Sonnennähe, am 21. Juni in ihrer Sonnenferne; in dieser letzteren Stellung haben wir Sommer, und die Entfernung mäßigt ein wenig die Gluth der Sonnenstrahlen. Ebenso verhindert die Nähe der Sonne während des Winters eine zu starke Kälte. Auf der Südhälste ist das anders; der Winter fällt hier mit der Sonnenferne zusammen, der Sommer mit der Sonnennähe. Daher ist es im Sommer heißer, im Winter kälter, als auf der nördlichen Halbkugel. Dazu kommt noch, daß bei uns das Sommerhalbjahr um eine Woche länger ist, als das Winterhalbjahr, auf der süd- lichen Halbkugel ist dagegen das Winterhalbjahr das längere, so daß die Eismassen am Südpol   eine be- deutend größere Mächtigkeit und Ausdehnung er- langen, als am Nordpol  . Freilich ist das nicht stets so gewesen und wird auch nicht immer so bleiben. Die Erdaxe behält ihre Richtung im Räume nicht unverändert bei, und eine Folge ihrer Richttingsänderung wird sein, daß in etwa 13 000 Jahren die Sonnennähe in den Juni, die Sonnenferne in den Dezember fallen wird. Dann wird man im Norden kältere Winter haben, als im Süden; möglicher Weise wird sich dann die vom Pol ausgehende Vereisung bis tief in die skan- dinavische Halbinsel und noch weiter erstrecken, wäh- rend sich auf der südlichen Halbkugel vielleicht un- bekannte Kontinente aus dem Meere erheben und der Schauplatz nienschlicher Thätigkeit werden. Darüber läßt sich jedoch nichts Bestimmtes aussagen,>vie sich ebenfalls nichts darüber entscheiden läßt, ob dereinst in vergangenen Zeiten auf jetzt versunkenen Ländern ein reiches Leben geherrscht hat. So lange wir irgend welche Nachrichten iiber die Gestaltung der Erdoberfläche haben, erkennen wir im Großen und Ganzen diejenige Vertheilung von Wasser und Land, die auch heute vorhanden ist, und die Beschreibung der älteren Geographen und der Alten von einem großen Südland, einer unbekannten Terra Australis, beruhen nicht auf irgend welchen sicheren Ueber- lieferungen, sondern lediglich auf der Phantasie. Kein Geringerer als Claudius Ptolemäus  , der be- rühmte Astronom, dessen Anschauungen 1'/- Jahr- tausende hindurch maßgebend waren, hatte im An- schluß an die früheren Geographen im Süden unseres Erdballes einen großen Konttnent angenommen, der den südöstlichen Theil von Asien   mit dem südlichen Theil von Afrika   verband, so daß der Indische Ozean  gleich dem Mittelmeer   ein geschlossenes Meeresbecken bildete. Von Afrika   nach Westen ziehend, grenzte dieses unbekannte Südland auch den Atlantischen Ozean   ab. Als durch die Umsegelung Afrikas   und die Ent- deckung des Seeweges nach Ostindien das Irrige dieser Vorstellung erkannt war, verschwand das große Südland keineswegs von den Globen und Karten; man gewann von den Dimensionen der Erde rich- tigere Vorstellungen und erkannte, daß die südliche Halbkugel noch Raum genug biete. So wurde der nördliche Theil nur weiter nach Süden verlegt. 1520 hatte der erste Weltumsegler, Magalhäes, im Süden von Amerika   das vom Festland durch die Magalhäesstraße getrennte Feuerland entdeckt, und alsbald erschien dasselbe auf den Karten als eine Halbinsel der Terra Australis, deren Küste in will- kürlicher Weise nach Osten und Westen um die Erde herum gezeichnet wurde. Auch als Francis Drake  1578 die Südspitze von Amerika   erblickt und die Jnselnatur des Feuerlandes festgestellt hatte, ver- schwand die falsche Darstellung trotz des Wider- spruches mancher erfahrenen Seeleute durchaus nicht von den Karten. Erst achttmddreißig Jahre später gelang es zwei Holländern, Schonten und Le Maire, in den Vorstellungen der Geographen das Fenerland vom Australkontinent loszulösen. Die holländisch- ostindische Kompagnie besaß das Monopol, als einzige