302

Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

wie mögen denn wohl erst jene sein, die noch weiter gegen Süden liegen? Wir müssen ja vernünftiger­weise voraussetzen, daß wir noch die besten, weil nördlichsten, gesehen haben. Sollte irgend Jemand den festen Willen und die Ausdauer dazu haben, diesen Punkt aufzuklären durch ein weiteres Vor­dringen nach Süden, als ich es gethan habe, so werde ich ihn nicht um den Ruhm der Entdeckung beneiden, aber ich bin so kühn, zu erklären, daß die Welt keinen Nußen davon haben wird."

Thatsächlich sind auch nach Cook's großer Reise mehrere Jahrzehnte vergangen, ehe die antarktischen Gewässer wieder aufgesucht wurden. Doch ist Cook's Meinung von der Nuglosigkeit des Aufsuchens höherer siidlicher Breiten jedenfalls irrig. Schon von rein geographischem Gesichtspunkte aus ist die nähere Kenntniß der Gegenden in der Nähe des Pols er­wünscht; dann aber ist auch eine rationelle Erforschung der Luft- und Meeresströmungen, die für die meteo­rologische Wissenschaft so außerordentlich wichtig ist, nur bei genauerer Kenntniß der antarktischen Regionen möglich. Sehr wichtig ist ferner nicht nur für die reine Forschung, sondern auch für die praktischen Bedürfnisse der Schifffahrt die Kenntniß des magne tischen Verhaltens in den verschiedenen Gegenden der Erde; hierfür sind aber in erster Linie die magnetischen Verhältnisse in den polaren Gegenden maßgebend, Verhältnisse, die für den Südpol   noch außerordentlich wenig erforscht sind. Wenn troßdem die Antarktis   nicht aufgesucht wurde, so war der Hauptgrund wohl der, daß zuerst die näher liegenden Aufgaben, die genauere Aufnahme der zahllosen, im Stillen Ozean verstreuten Inseln, sowie der Küsten von Australien   und Amerika   beendet sein mußten; auch waren die politischen Ereignisse und Verhältnisse Europas   zu Anfang unseres Jahrhunderts für die Aufwendung größerer Mittel zu wissenschaftlichen Expeditionen nicht geeignet.

Um 1820 wurde das Meer im Süden von Amerita wegen seines Reichthums an Robben von Robbenschlägern lebhafter besucht und bei dieser Ge­legenheit die dort gelegenen Inseln, der Dirt- Gerritsz­Archipel, näher erforscht, sowie die Küste eines Landes entdeckt, das sich vielleicht sehr weit nach Süden erstreckt, das sogenannte König Oskar   und Graham Land, an das sich noch das von der russischen Er­pedition unter Bellingshausen   1821 gesehene Aler­ander- Land anschließt. Im Osten dieser Gebiete drang im folgenden Jahre der Robbenschlägerkapitän Weddell in das nach ihm benannte Meer vor und erreichte im Februar 1823 die hohe Breite von 744 Grad, ohne auf Land zu stoßen. Nicht durch Eis, sondern durch den Zustand der Schiffe, die fiir eine Entdeckungsfahrt nicht ausgerüstet waren, sowie durch die Ermattung der Mannschaft wurde Weddell   zur Umkehr gezwungen. Die Schiffe hatten sich mit großer Gefahr durch dichtes Packeis und zahllose Eisberge hindurchgearbeitet und das weite, offene Meer gefunden; bei noch weiterem Vordringen gegen Süden hätte die Gefahr nahe gelegen, bei der Rückkehr das Packeis noch dichter zu finden und nicht mehr hindurch zu können. Thatsächlich war auch die Rückfahrt durch das Eis eine sehr schwierige.

Zu erwähnen ist ferner die Fahrt des von der Londoner   Firma Enderby ausgerüsteten Robben­schlägers Biscoe"( 1830-1832), der etwa unter dem Polarkreis und 50 Gr. östl. Länge von Greenwich Land erblickte, das er Enderby- Land   nannte; etwas weiter östlich erblickte 1833 der Robbenschlägerkapitän Kaup das nach ihm benannte Kaup- Land.

Dann trat wieder eine Periode rein wissenschaft­licher Fahrten nach der Antarktis   ein, von denen besonders erfolgreich die französische unter d'Urville ( 1837-1840), die amerikanische unter Wilkes ( 1838-1840) und namentlich die englische unter Roß( 1839-1843) waren. Durch diese Reisen hat das antarktische Gebiet auf den Karten im Wesentlichen die Gestaltung bekommen, die es gegen­wärtig aufzeigt. Zum großen Theil war der Um­stand, daß damals die Lehre vom Erdmagnetismus im Vordergrund des wissenschaftlichen Interesses stand, für diese Expeditionen mit bestimmend. Die Berechnungen des berühmten Mathematikers und Physikers Gauß   in Göttingen   hatten den magne­

tischen Südpol   der Erde ungefähr unter 60 Grad nördlicher Breite und 146 Grad östlicher Länge von Greenwich   ergeben, und deswegen sollte Noß die Greenwich   ergeben, und deswegen sollte Noß die dort liegenden Gewässer aufsuchen. Auch d'Urville und Wilkes beschlossen, sich längere Zeit in diesen Gegenden aufzuhalten, und sie entdeckten hier eine weit ausgedehnte Küste, die sich ungefähr in der Breite des Polarkreises von 155 bis 105 Grad östlicher Länge erstreckte; ja darüber hinaus glaubte östlicher Länge erstreckte; ja darüber hinaus glaubte Wilkes noch bei 95 Grad Land feststellen zu können, das er Termination- Insel nannte. An der ganzen ausgedehnten Küste bot sich nirgend eine Stelle zum Landen; nur eine kleine Felseninsel, die mit mehreren anderen der Stifte vorgelagert war, betrat d'Urville anderen der Küste vorgelagert war, betrat d'Urville und entfaltete dort die Trikolore, um dieses Gebiet für Frankreich   in Besitz zu nehmen. Ueberall fiel das Land, von Eis bedeckt, schroff in das Meer ab, und vielfach segelte man überhaupt nur an einer starren Eismauer entlang; nur bei flarem und schönem Wetter konnte mit Sicherheit hinter der Eis­mauer Land festgestellt werden. Daher ist es nicht ganz unmöglich, wenn auch nicht wahrscheinlich, daß die Küste von Wilkes- Land   nicht die eines zusammen­hängenden Kontinents, sondern die Nordküste vieler hängenden Kontinents, sondern die Nordküste vieler kleinen Inseln ist.

-

-

Eine ziemlich ausgedehnte Küste, die des Viktoria­Landes, hat dagegen Noß in ganz unzweifelhafter Weise festgestellt. Weise festgestellt. Er hatte bereits die große Er­pedition seines Oheims, des älteren Noß, in den Jahren 1829-1833 nach dem Nordpol   mitgemacht, auf welcher der magnetische Nordpol   erreicht und seine Lage genau bestimmt worden war. Jezt hatte Roß den bestimmten Auftrag, durch magnetische Be­obachtungen an möglichst vielen Orten die Lage des magnetischen Südpols genau zu bestimmen, und wenn möglich, denselben mit seinen Schiffen die die Erpedition bestand aus den beiden Schiffen, Erebus" und Terror" oder zu Land zu erreichen. Er war am 30. September 1839 von England aus­gelaufen; unterwegs stellte er bereits zahlreiche mag­netische Messungen an, z. B. auf Madeira  , auf Trinidad  , auf St. Helena  , weiter richtete er am Rap der guten Hoffnung ein ständiges Observatorium ein, und daher gelangte er erst im August 1840 nach Hobart   auf Tasmanien  , wo ebenfalls ein ständiges Observatorium eingerichtet wurde. Hier erhielt er Mittheilung von d'Urville's und Wilkes' Entdeckungen, und Wiltes ließ ihm eine Karte zustellen, auf der er die von ihm gesehene Küste als Antarktischen Kontinent" eingetragen hatte. Roß beschloß daher, etwas weiter östlich nach Süden vorzustoßen, etwa unter dem 170. Längengrad östlich von Greenwich  , gerade im Süden von Neu- Seeland  . Er entdeckte dort auch eine ausgedehnte Küste, die sich etwa vom 71. Grad südlicher Breite im wesentlichen nach Süden zieht. Die Magnetnadel bildete mit dem Horizont bereits einen Winkel von 87 Grad und zeigte nach Westen, wo also der magnetische Pol liegen mußte. Deswegen hoffte Roß, das Land weiter südlich um­schiffen und sich nach Westen wenden zu können. Er konnte der Küste auch bis über 78 Grad hinaus folgen; dann aber bog sie nicht nach Westen, sondern folgen; dann aber bog sie nicht nach Westen, sondern nach Osten um, oder es schloß sich vielmehr nach Osten zu eine fast senkrecht abfallende 45-60 Meter hohe Eismauer an, hinter der in weiter Ferne, etwa bei 79 Grad, sich eine Kette hoher Berge zu er= strecken schien. Im nächsten Jahre, wo Roß der Eismauer nach Osten folgend, den bis jetzt südlichsten bekannten Punkt der Erde erreichte, 78° 10', war die Höhe der Eismauer dort beträchtlich kleiner als weiter westlich, sie betrug nur 32 Meter und stellen­weise nur 26 Meter. Nach Norden zurücksegelnd, untersuchte Roß die Kiste des Viktorialandes ge­nauer; sie erwies sich als bergig und stark vul­kanisch. Ein 3750 Meter hoher Berg, der den Namen von Roß' Schiff, Erebus  ", erhielt, zeigte sich in voller Thätigkeit, so daß sich in diesen hohen Breiten das ganz unerwartete Schauspiel eines thätigen Vulkans darbot. In der Nähe dieses Vulkans be­fand sich eine Bucht, die zur Ueberwinterung geeignet erschien; Noß versuchte daher, sich durch das zähe, von Billionen von Diatomeen rostbraun gefärbte Gis durchzuarbeiten. Doch wurde das Packeis in einer Entfernung von etwa zehn Seemeilen von der Kiiste

so dicht und schwer, daß die Erreichung der Küste unmöglich war und der Plan einer Ueberwinterung aufgegeben werden mußte. Noß fehrte daher nach Hobart   zurück, von wo er im nächsten Sommer einen erneuten Vorstoß nach Süden unternahm und dann um Kap Horn   im Süden Amerikas   nach den Falf­landinseln zur Ueberwinterung fuhr.

Die Ergebnisse von Roß' Fahrten sind für die Wissenschaft unschäzbar. Zwar hat er den mag­netischen Pol nicht erreichen können, weil dies nur während der Ueberwinterung vom Lande aus mög­lich gewesen wäre; aber auf seinen zahlreichen Mes­sungen, durch die er die Lage des magnetischen Pols ( 73° 39' südl. Breite, 146° 15' östl. Länge von Greenwich  ) genau feststellen konnte, beruht überhaupt auch heute noch unsere ganze Kenntniß über die magnetischen Verhältnisse in den höheren südlichen Breiten. Auch seine meteorologischen Beobachtungen sind heute noch von großem Werth; wenn für seine Beobachtungen in den Meerestiefen nicht dasselbe gilt, so liegt das daran, daß die damaligen Instrumente den heutigen Ansprüchen nicht mehr genügen. Be­merkenswerth ist der von ihm erbrachte Nachweis, daß im höchsten Süden in den Tiefen des Eis­meeres noch lebende Korallen eristiren. Auch fand er im hohen Süden zahlreiche Massen von Walen, sowie mit dem Guano von Pinguinen bedeckte Inseln, deren Ausbeute vielleicht noch einmal lohnend wird.

In besonders hervorragender Weise ist unsere Kenntniß von der Antarktis   nach Roß nicht mehr bereichert worden. bereichert worden. In unserem Jahrzehnt haben mehrfach Walfischfänger das südliche Eismeer auf­gesucht, weil im nördlichen Eismeer der Fang durch die geradezu finnlose Vernichtung sehr zurückgegangen ist; doch haben sie bis jetzt keine erhebliche Ausbeute gehabt. Wissenschaftlich am bedeutendsten war die berühmte Challenger- Expedition" unter dem Kom­mando von Nares, die von 1872-1876 die Tiefen­verhältnisse verschiedener Ozeane erforschte und im Südsommer 1873/74 auch einen kurzen Vorstoß in die antarktische Region unternahm. Das Schiff ging in dem noch unerforschten Gebiet zwischen Kemp­Land und Wilkes- Land   nach Süden bis über den Polarkreis, ohne Land zu erblicken; da es für eine Eisfahrt nicht ausgerüstet war, so wandte es sich troß schönen Wetters bald wieder nordöstlich Mel­ bourne   zu. Trotz des kurzen Aufenthaltes beruhen unsere Kenntnisse über Temperatur, Salzgehalt, Tiefe und Tiefenſedimente des Meeres, sowie über die fleinen Lebewesen in den Tiefen der südlichen Meere im Wesentlichen auf jenen, auf der Challenger" gemachten Beobachtungen; auch über die Natur und Größe der Eisberge sind infolge der verbesserten Beobachtungsmethoden werthvollere Untersuchungen angestellt worden, als vorher.

Der von dem österreichischen   Forscher Weyprecht  stammende Plan, die beiden Pole der Erde mit einem System von festen Stationen zu umgeben, ist in den Jahren 1882 und 1883 wesentlich für den Nordpol   zur Ausführung gekommen; im Süden wurden nur zwei Stationen, eine französische in Feuerland und eine deutsche in Südgeorgien, errichtet. Beide waren noch 10 resp. 12 Breitengrade vom Polarkreis entfernt und lagen zu nahe aneinander, um auf die magnetischen Verhältnisse in den höheren Breiten weitgehende Schlüsse zu gestatten. Ihre meteorologischen Resultate waren wichtig und über­raschend, so daß die Bedeutung der antarktischen Forschung wieder deutlich hervortrat. Der deutsche Geographentag hat sich auf Anregung des Leiters der Hamburger Seewarte, Georg Neumayer  , mehr­fach mit dieser Frage beschäftigt und beschlossen, für eine Forschungsreise im Süden der Gegend, die von der Challenger- Expedition untersucht ist, thätig zu sein. Diese Erpedition soll eine Ueberwinterung in jenen Gebieten versuchen. Ob dieser Plan zur Aus­führung gelangen wird, ist zweifelhaft; bisher ist das nöthige Geld dazu, etwa eine Million Mark, nicht vorhanden. Dagegen ist eine belgische Expedition im legten Südsommer nach den Gewässern im Süd­osten von Amerika   aufgebrochen, und von Australien  ist eine Walfischfänger- Expedition nach dem von Noß entdeckten Viktoria- Land abgegangen. Die Resultate dieser Neisen stehen noch aus.