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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Ernte.

Von Richard Dehmel .

In diesem Jahr verlor ich einen Freund. Hier unterm Nußbaum sprachen wir uns aus. Das Laub wird gelb; es wartet auf den Wind. Ist das der Schluß?

er alte Revolutionär erzählte: Zum ersten Male wurde ich nach dem Staatsstreich ver­haftet. Eines Morgens, ich lag noch im Bett, flingelte es bei mir. Meine Frau, die eben unser bescheidenes Frühstück zurecht machte, ging öffnen. Aber kaum hatte sie die Thür halb aufgemacht, als zwei Spigel sie mit Gewalt zurückdrängten, in die Wohnung drangen und mich im Bett packten. Hinter ihnen erschien ein dicker, rosiger, wohlwollender Herr, der einen Regenschirm in der einen und den Hut in der anderen Hand trug.. Es war der Polizei­kommissar, der den beiden Kerlen Einhalt gebot:

Na, na, nicht so hart! Sehen Sie denn nicht, daß der Herr nicht daran denkt, den geringsten Wider stand zu leisten, daß er im Gegentheil bereit ist, unsere Aufgabe, die ja an sich schon peinlich genug ist, zu erleichtern? Lassen Sie den Herrn nur ruhig sich ankleiden, und begnügen Sie sich damit, überall genau nachzusuchen; es ist ja eine sehr unangenehme, aber leider doch nothwendige Formalität."

Das sagte diese Persönlichkeit und setzte sich mit bekümmerter und matter Miene hin. Auf dem Tisch sah er die Kaffeetassen stehen, und er sagte zu meiner Frau:

" Ihr Gatte kann ruhig erst frühstücken, bevor wir ihn mitnehmen, wir haben ja Zeit, und es eilt nicht so!"

Die Dankesworte, die meine treue Gefährtin, blaß und aufgeregt, stotterte, ermuthigten den Polizei kommissar offenbar, denn er nahm eins unserer Kinder, einen fünfjährigen Jungen, zwischen seine Kniee, streichelte ihn und sagte:

Ist das Ihr Junge, liebe Frau? Wie heißt Du denn, mein Sohn? Peter? Ach was, er ist garnicht schen, und ich jage ihm keine Furcht ein. Ich liebe Kinder so sehr! Auch ich habe zwei Stick, der Eine ist zwar älter, aber lange nicht so kräftig wie Ihr Sohn. Wir haben im letzten Winter seinet­wegen sehr viel Sorgen gehabt, und doch, wer möchte ein Haus ohne Kinder haben? Können Sie sich das vorstellen? Ich nicht! Sagt doch auch unser großer Dichter Victor Hugo , daß ein Haus ohne Kinder wie ein Käfig ohne Vogel, wie ein Bienenstock ohne Bienen, wie der Sommer ohne Blumen ist. Wie schön sind diese Verse! Ich liebe die Dichtkunst; sie findet den Weg in das menschliche Herz!... Was giebt's denn da?"

Die Spigel hatten im Verlauf ihrer Haussuchung eine alte Flinte, etwas Munition und einen vers rosteten Säbel entdeckt.

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Gut, tragen Sie das in den Wagen," sagte der Polizeikommissar. Weiter nichts? Sie haben doch in allen Ecken, unter den Möbeln und zwischen den Matraßen auch nachgesehen? Wahrhaftig, es ist ja ganz unbedeutend, was wir gefunden haben, damit kann man keinen Hund vom Ofen locken. Ich war von vornherein davon überzeugt."

Mir war die Szene in ihrem weiteren Verlauf unerträglich. Ich türzte den Auftritt ab und gab dem Polizisten ein Zeichen, daß ich bereit sei, ihm

...

Hier unterm Nußbaum gab mir eine Frau

In diesem Jahr erröthend ihre Hand.

Still weht ein Blatt und tropft in's welke Gras. Ist das der Schluß?

Vor meine Füße fällt

In diesem Jahr Ein dumpfer Schlag zu Boden und zerplatt Und aus der Kapsel rollt die rauhe Frucht. Das ist der Schluß.

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Drei Berhaffungen. O

Von Lucien Descaves .

zu folgen. Er erhob sich, verbeugte sich vor meiner Frau, klopfte den Kindern auf die Backen, fragte mich höflich, ob ich auch nichts vergessen hätte, und ging dann mit mir hinab. Unten wartete eine Droschke, wir stiegen hinein, und er fuhr alsbald fort, mich mit seinem Vertrauen zu belästigen.

,, Wenn Sie glauben würden, daß die Rolle, die ich spielen muß, mir nicht zuwider ist, dann würden ich spielen muß, mir nicht zuwider ist, dann würden Sie sich sehr täuschen. Wirkliche Verbrecher auf zuſtöbern, das kann man sich ja noch gefallen lassen. Aber die Unterstigung der politischen Polizei sollte nicht zu unseren Aufgaben gehören. Ich, der ich hier mit Ihnen rede, habe auch Rothe" in meiner hier mit Ihnen rede, habe auch Rothe" in meiner Familie, und ich bin gewiß im Herzen ein ebenso guter Republikaner wie Sie. Ich weiß sehr wohl, daß das, was ich heute schüßen muß, nicht die Ge­sellschaft, sondern die neue Regierung ist. Ja, Sie werden einwerfen, warum ich nicht abgehe, wenn ich mein Amt so verachte. Lieber Gott, sehr einfach ,, weil ich Frau und Kinder und eine alte Mutter zu ernähren habe, das sind geheiligte Lasten, man darf sie nicht seiner Ueberzeugung opfern. Sie können sie nicht seiner Ueberzeugung opfern. Sie können garnicht glauben, wie ich mich jetzt nach meiner Pensionirung sehne; die Pension selber wird ja nur gering sein, aber ich werde in der Provinz von ihr leben; ich könnte mich dem Gartenbau widmen, und das ist mein innigster Wunsch. Ich liebe den Wald, die Blumen, den Fischfang. Die Jagd macht mir weniger Spaß; vergossenes Blut, selbst wenn es blos Thierblut ist, kann ich nicht vertragen. Ach ja, wenn man so am Morgen mit den Hühnern zu­gleich aufsteht, wenn man dann die Fenster öffnet und Einem die Sonne in's Gesicht scheint und die reine Luft anweht finden Sie das nicht auch überaus erstrebenswerth?"

Wir waren angekommen. Zuerst sprang der Polizeikommissar aus dem Wagen und trag wie eine Trophäe selber die Waffe, die er in meiner eine Trophäe selber die Waffe, die er in meiner Behausung beschlagnahmt hatte, und die auch meine Verurtheilung herbeiführte...

Meine zweite Verhaftung war die Folge der Revolte am 30. Oftober 1870. Einige Tage später erhielt ich am frühen Morgen den Besuch der Agenten und des Polizeikommissars, der dem Quidam von 1851 wie ein Bruder glich. Er hatte dieselbe Taille, dasselbe Embonpoint, dieselbe fast speichelleckerische Höflichkeit. Er beruhigte meine Frau und unterhielt sich vertraulich mit uns, während seine Untergebenen die Haussuchung mit Eifer vornahmen. Sie ver­zweifelten schon, da sie nichts fanden, aber schließlich beschlagnahmten sie den Entwurf eines Aufrufs an die Pariser , den ich geschrieben hatte.

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Ein ganz bedeutungsloses Dokument," sagte der Polizeikommissar, bemächtigte sich aber trotzdem desselben.

Na, weshalb nehmen Sie es denn dann mit?" fragte ich. Oh, blos um zu sagen, daß ich doch wenigstens etwas bringe," erwiderte er lächelnd.

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Im Wagen schlug er etwas andere Töne an und öffnete mir sein Herz.

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,, Nein, was ist das für eine Zeit, in der wir leben! Haben wir denn überhaupt noch eine Ne­gierung? Wem sollen wir denn eigentlich gehorchen? Wenn ich blos eine Ahnung davon hätte! Es ist doch ganz merkwürdig um solche politische Nacheakte. Ich brauche mir blos vorzustellen, Sie wären die Stärkeren gewesen, dann hätte ich mich gewiß heute Morgen bei Ihren Feinden einfinden müssen, um sie zu verhaften. Na, aufgeschoben ist nicht auf­gehoben; was morgen wird, weiß Niemand. Wun­dern muß man sich aber doch, daß alte Republikaner wie Sie, die Sie das Kaiserthum gestürzt haben... ja, ja, Sie haben es gestürzt... Dabei bleibe ich, Republikaner wie Sie von den Männern der National­vertheidigung verfolgt werden, die sich gleichfalls auf ihre oppositionelle Vergangenheit und ihre Opfer für die Sache berufen! Wer soll eigentlich getäuscht werden? Sie haben die volle Wahrheit gesagt, lieber Herr, Unfähige und Schwindler führen unsere Armee; denken wir doch blos an die Uebergabe von Mez, erst leugnet man sie, dann muß man sie ein­räumen; an den Trochu'schen Plan, an den Waffen­stillstand, von dem, die Rede ist. Ach, in solchen Händen ruhen unsere Geschicke! Armes Frankreich , arme Republik ! So jung und schon verrathen! Ein wahres Glück, daß ich in drei Jahren pen­sionirt werde. In Paris werde ich nicht bleiben; ich kaufe mir ein kleines Haus auf dem Lande und werde Kohl pflanzen. Welches Glück ist es, das Gemüse und die Früchte zu essen, die man wachsen und reifen gesehen hat! Auf dem Lande so friedlich und gesund, wie ein Bauer zu leben andere Winsche habe ich nicht!"

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Am Abend schlief ich im Untersuchungsgefängniß, und ich wäre in einigen Tagen in Freiheit gesetzt worden, wenn der Aufruf an die Pariser , den man bei mir gefunden hatte, nicht ein Verbrechen gewesen wäre, das meine Untersuchungshaft verlängert hätte...

Am Abend vor einem 1. Mai wurde ich zum dritten Mal verhaftet. Es war eine einfache Vor­sichtsmaßregel. Wie konnte ich nur zweifeln bei der Haltung des Polizeikommissars, der voller Höflichkeit war und mir den Verhaftungsbefehl mit der er= muthigenden Handbewegung eines Geldbriefträgers vorwies! Ich glaube, er entschuldigte sich sogar bei meiner Frau wegen der Störung, die er verursache und wegen der Unruhe, die die gebräuchliche Haus­suchung in einem so sauberen und wohlgeordneten Haushalte hervorrufen würde. Ich muß aber sagen, daß meine Frau diese Affereien satt hatte, sich sehr unzugänglich zeigte und daß ihr berechtigtes Miß­trauen wuchs, als sie sah, wie der Herr. oh, nur zur Beruhigung seines Gewissens!... ein Pack Broschüren von Reclus und Krapotkin mit fort­nahm. Die Droschke, die zu einem Tête- à- tête und zu Herzensergießungen so geeignet ist, stand wieder vor der Thür. Ich entging weder dem einen noch dem anderen. Ich werfe Sie gewiß nicht mit den gefährlichen Verbrechern in einen Topf," sagte der Polizeikommissar zu mir, die die Gesellschaft bedrohen.

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