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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

als die Römer das Land betraten, vollzog sich von da ab eine gewaltige Umwandelung. Gallien   ward ohne Frage am schnellsten und gründlichsten romani­sirt. Flachs- und Ackerbau, von altersher betrieben, wurden verbessert, Reben- und Obstkultur eingeführt, die Wälder nußbar gemacht: die Sägemühlen wurden in Gallien   erfunden. Auch die Viehzucht( Rinder, Pferde, Schafe, Schweine, Hunde, Gänse usw.) nahm größeren Aufschwung. In den Städten erblühte das Gewerbe, das römische Straßennez hob Handel, Aus- und Einfuhr mächtig. Neben dem Großgrund­besiz gedieh auch der mittlere und kleine. Für die gallischen Bauern war ja die römische Herrschaft anfangs eine Erlösung vom Druck des eingeborenen Adels. Ein neuerer österreichischer Historiker* erklärt: Frankreich   ward schon damals das Land der kleinen Propriétaires und deshalb eine einträgliche Steuer­quelle."

Unter zweihundertjähriger Römerherrschaft ver­doppelte sich die Einwohnerzahl. Diese Epoche des Aufschwunges gerieth aber in's Stocken, als die An­bahnung neuer Verkehrswege, die Einführung neuer Erwerbsarten, die Bodenverbesserungen durch Rodung, Bewässerung und Entsumpfung, und vor Allem der Friedenszustand aufhörten.

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Wie in allen Provinzen des Römerreiches am Ende des dritten und im Anfang des vierten Jahr­hunderts organisirten" die am meisten bedrückten Kleinbauern ihren Bundschuh und nahmen statt des Pfluges das Schwert in die Hand".( Jung.) In Gallien   nannten sich die Nevolutionäre Bagauden oder Bacauden, mit einem Worte, das als Eigen­name von Personen( Bacauda) öfter in den Ge­schichtsquellen vorkommt, aber von manchen Forschern als: Notten, Banden gedeutet wird.

Schwer lasteten die seit Julius Cäsar   von jähr­lich 40 Millionen Sesterzen( 7016400 Mark) immer mehr, schon unter Augustus auf 12 500 Talente ( 3a. 56 000 000 Mark) gestiegenen, unter Konstantin etwa das Fünffache betragenden Steuern auf Gallien  . Die Stagnation der sozialpolitischen Fortschritte, die Ausbeutung und Bedrückung des Landes durch die Großen, außerdem die Barbareneinfälle in das gallisch­römische Gebiet thaten das Uebrige. Entlaufene Sklaven, zahlungsunfähige Schuldner, verzweifelte Colonen thaten sich zu Feinden der bestehenden Ge­sellschaftsordnung zusammen.

Hatten sich schon oft meuternde römische Heere in den Provinzen der Zentralgewalt entzogen und aus ihren Führern einen Herrn der Welt, einen Kaiser aufgestellt, so griff auch die Bagaudrie im Jahre 285 dazu, zwei ihrer Führer, Aelianus und Amandus in gleicher Weise zu erhöhen. Es haben sich Münzen dieser Bauerntaiser erhalten, deren eine die bezeichnende Inschrift Hoffnung" trägt.

Zunächst trug die Erhebung alle Kennzeichen eines durch empörenden Druck hervorgerufenen Rache­durftes, welcher die wilden( besser wild gemachten) Massen zu Raub, Mord und Brandlegung gegen die Flecken und offenen Städte des Landes führte. Troßdem war die Empörung national, voltsbeliebt; die Bagauden galten als Vertheidiger und Nächer der Unglücklichen und Bedrückten.

Kaiser Diocletian   sandte seinen Mitregenten Maximianus   nach Gallien  , wo die Bagauden da, wo Marne   und Seine zusammenfließen, ihr Haupt­quartier hatten, nach welchem sie die Beute ihrer Raubzüge zusammenschleppten.

Dem erfahrenen und rücksichtslosen Haudegen gelang es, die Bagauden, deren Schaaren schlechte Waffen und wenig Mannszucht hatten, in wenigen Wochen zu Paaren zu treiben.

Zwei Jahrhunderte lang hörte man nichts wieder von der Bagaudrie, dieser Jacquerie des gallisch römischen Alterthums. Im fünften Jahrhundert trafen wieder äußere Bedrängnisse der Reichsregierung mit unerträglichen Wirthschaftszuständen unter der Kleinbauernschaft, hervorgerufen durch den Egoismus der herrschenden Stände, zusammen, so daß die Bauern in Schaaren zu den Barbaren entwichen oder, wenn und weil sie ihre Habe nicht mitnehmen

* Jung, die romanischen Landschaften des römischen

Reiches, 1881.

konnten und doch ihren Besitz erhalten wollten, Ba­gauden, Rebellen wurden.

An diesem zweiten Aft der gallischen Bauern­revolution ist besonders bemerkenswerth die Antheil­revolution ist besonders bemerkenswerth die Antheil­nahme und moralische Unterſtüßung der Bewegung durch wissenschaftlich gebildete Männer. Ein Arzt Eudorius spielte eine große Rolle, mußte freilich am Ende zu den Barbaren entfliehen.

Wichtiger noch war es, daß Salvianus  , der sozialreformatorisch gesinnte Presbyter von Massilia  sozialreformatorisch gesinnte Presbyter von Massilia  ( Marseille  ) geradezu für die Bagauden eintrat. Gegen das historische Recht der römischen Advokaten verwies er auf das allgemeine Menschenrecht. Jenes habe die armen Leute zur Verzweiflung gebracht und zu Reichsfeinden und Räubern gemacht. Nachdem man sie ruinirt und abgemeiert habe, blieb ihnen nichts weiter übrig, als Bagauden zu werden.

Die eigentlichen Bagaudenkämpfe sind schwer zu trennen von den Einfällen der Germanen, und deren Abwehr durch das Reich ist schwer voneinander zu halten, da ja die den Germanen zufallenden Gallier auch Baganden, Reichsfeinde waren. Die Reichs­treue" der Großgrundbesizer, die entweder Römer waren, große Macht und Besitzungen, oder doch Senatoren- und andere Würden erlangt hatten, be­ruhte auf der Gewährleistung ihrer Macht- und Besitzstellung durch das Neich. Diesen Römern" gegenüber hofften die armen Leute und Kleinbauern ihr Interesse besser gewahrt durch Losreißung Galliens  von Rom  .

Eine Regierung wird eben allzeit genau so lange geschätzt, wie sie nüßlich, und von Denen geschäßt, denen sie niißlich ist. Da man sich unter den ger­manischen Eindringlingen( Gothen u. A.) freier fühlte manischen Eindringlingen( Gothen u. A.) freier fühlte als unter dem Reich, erschien dies als überwundener Standpunkt, und ebenso sehr infolge der inneren wirthschaftlichen Zerseßung als unter der Wucht des Anpralls barbarischer Völker krachte endlich das römische Weltreich zusammen.

Nicht unbemerkt bleibe, daß in einzelnen Gegenden Galliens   der Reichsgedanke gerade in den letzten schwierigsten Zeiten von den Eingeborenen hoch­schwierigsten Zeiten von den Eingeborenen hoch gehalten; wo sie nämlich nicht ganz verelendet und ausgebeutet waren, und, der Segnungen römischer Kultur eingedent, treuer zum Reiche standen als selbst die römischen Beamten, welche zum Theil gegen gutes Barbarengeld das Land an die Barbaren ver­riethen, wie der 469 hingerichtete Seronatus, den ein alter Geschichtsschreiber den Catilina   seiner Zeit" genannt hat, und der das Avernerland an die Gothen verrieth, während die Averner selbst das Reich schiiz­ten, schließlich aber doch von Kaiser Nepos als Preis für den Frieden den Gothen geopfert wurden ( 475 1. Chr.).

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Die Technik des Webens.

Von S. Strahl.

ie Weberei verdient eine ganz besondere Be­achtung, schon deshalb, weil sie zur frühesten Bethätigung menschlichen Scharfsinnes und künstlerischer Gestaltungskraft gehört. Als das ur­sprünglichste und einfachste Erzeugniß der Textilkunst bezeichnet Gottfried Semper   den aus ineinander geflochtenen Zweigen gebildeten Zaun, als die nächste Stufe die aus Rohr oder Binsen geflochtene Matte; und schon in dieser machen sich, den damaligen Er­zeugern ganz unbewußt, durch Verwendung verschiede ner Materialien und dadurch bedingter Musterungen Anfänge einer tertilen Kunst bemerkbar. Das Wohl­gefallen, welches die Menschen an einer reicher ent­falteten Blume, an einem schöneren Menschen und an der Ordnung und Zweckmäßigkeit seiner Um­gebung fanden, führten begabtere und sinnigere In­dividuen dahin, auch in ihrem Materiale die Geseze der Ordnung, der Raumtheilung und der Farben harmonie zu verwirklichen. Unsere heutigen Natur­völker zeigen in ihren Produkten noch jetzt ganz deutlich diese Momente; die Bastmüßen der afrika  nischen Neger weisen häufig überraschend sinnige Effekte auf, die lediglich durch verschiedene Materialien

und Verflechtungsweisen entstanden sind. Diese Neger haben sicher keine Webschulen besucht und Bindungslehre studirt, und trotzdem brauchte sich mancher Weber nicht zu schämes, aus der einfachen Bindung solche Variationen zusammengestellt zu haben. Es mag indessen nicht ganz in Abrede ge­stellt werden, daß diese Produkte zum Theil aus dem Umgang mit Kulturmenschen resultiren.

daß

Der durch die gesammte Natur gehende Zug des Schmückens, des Verschönerns der äußeren Formen, welche Darwin   an so eklatanten Beispielen nach­gewiesen hat, mußte auch an dem Naturmenschen hervortreten; es ist sogar anzunehmen, dieser Zug der Kräftigere. war, der dem Trieb des Sich- Schüßens vorangegangen ist. Infolge dessen mögen auch die ersten tertilen Erzeugnisse dem Schönheitssinn gedient haben. Dem Bedürfniß, sich gegen äußere Unbilden zu schüßen, entsprachen wohl zuerst die Thierfelle, und erst später löste die Weberei das Zubinden und Zusammenschnüren der Felle durch Niemen oder dergleichen ab. Es lassen sich viele interessante Hypothesen aufstellen, wie in den Jahr­tausenden, welche vor der uns bekannten Zeit liegen, die primitivsten Anfänge des Flechtens, Knüpfens und Webens auf einander folgen. Die ältesten Funde bestätigen, daß Hanf, Flachs, Baumwolle und Nessel mit solchem Scharfsinn schon in der Urzeit als die zweckentsprechendsten Materialien ent­deckt und kultivirt sind, daß wir wesentliche Be­reicherungen in der geschichtlichen Zeit nicht kennen.

Die Herstellung eines Gewebes, d. h. eines größeren Stückes, wie solches zur Bekleidung gebraucht wird, setzt schon gewisse Hülfswerkzeuge voraus und seien dieselben auch noch so primitiv, während Flechten und Knipfen ohne solche ausführbar sind. Schon aus diesem Grunde kann man die Weberei im heutigen Sinne wohl als die letzte Stufe der textilen Entwickelung ansehen.

Betrachtet man ein Gewebe genauer, so findet man, daß dasselbe aus rechtwinklich sich kreuzenden Fäden zusammengesezt ist, die der Richtung ent­sprechend meist auch in Qualität verschieden sind. Bei größeren Stücken, an denen die Webfante ge­blieben ist, läßt sich sehr leicht Kette und Schuß

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so heißen die beiden Qualitäten feststellen; die an der Webfante sich anschlingenden Fäden heißen Schußfäden und sind meist aus schlechterem Material als die Kette; bald einen oder mehrere Kettfäden über sich lassend, bald über dieselben hinweg steigend, nehmen sie ihren Weg von der einen Seite zur anderen, kehren dann um und nehmen ihren Weg zum Ausgangspunkt zurück. So reiht sich Schuß an Schuß, bis das Gewebe die gewünschte Länge erreicht hat.

Die primitivste Form des Webens ist das Stopfen, wie es häufig zur Ausbesserung schadhaft gewordener Stellen in Kleidungsstücken und Strümpfen aus­geführt wird. Mit einer Nadel werden Fäden erst nach einer Nichtung parallel nebeneinander straff an­gereiht und in senkrechter Kreuzung zu dieſen andere Fäden so durchgezogen, daß beim ersten Mal der erste, dritte usw. Faden unter die Nadel genommen wird, beim zweiten Mal die übrigen, also die zweite Hälfte. Das auf diese Weise gewonnene Gewebe­stück zeigt genau die Merkmale in der Fadenkreuzung wie Leinwand, weshalb man jedes Gewebe, in dem je die Hälfte Fäden über, die andere Hälfte unter dem Schußfaden liegt, einfach Leinwand oder auch lein­wand- bindig nennt; wenn man die Kreuzungsweise für sich betrachtet, spricht man von Leinwandbindung. Jedoch nicht alle Gewebe, welche diese Kreuzung der Fäden zeigen, nennt man Leinwand; baum­wollenes Gewebe in dieser Herstellungsweise heißt Kattun  ( Cotton  ), Leinwandgewebe aus Wolle( Schaf= wolle) heißt Flanell, aus Kammigarn Mousselin und aus Seide Taffet.

Bleiben wir bei unserem primitiven Beispiel und führen eine andere Kreuzungsweise aus: Faden eins, zwei über die Nadel, drei, vier unter dieselbe usw. bis zu Ende. Der Nachbarfaden( Schuß) mit derselben Fadenfolge ausgeführt, jedoch bei zwei anstatt bei eins angefangen, den dritten ebenso wieder um eins weiter gerückt, ergiebt im Gewebe zwei deutlich erkennbare, gleich breite Diagonallinien, die