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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

oft besuchten und daß es mit dem Lernen viel besser ginge. Er werde sofort nach Beendigung der Schul­zeit die Universität besuchen; zu Hause fänden oft Liebhaberaufführungen statt, und er nähme daran Theil. Er erzählte, daß der Vater ihm eine Uhr und die Mutter eine Kette dazu geschenkt habe, weil die Zensur sehr günstig ausgefallen sei. In mir wallte es bitter auf: Alles, Alles hast Du mir gestohlen, Alles gehört mir! Die Schule, die Be­kannten, die Liebhaberaufführungen, die Universität, dieses Zimmer, dieses Bett, die Pflege, diese Uhr und Kette, Alles ist mein!

Nach einer Stunde kam die Köchin, die mich hierher gebracht hatte, gab mir drei Rubel und befahl mir, nach Hause zu gehen.

" Wirst Du wiederkommen?" fragte mein Bruder. Nein," antwortete ich. Warum, gefällt es Dir nicht bei mir?"

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Ich lächelte, obgleich mir das Weinen näher war; ohne aufzusehen, ging ich aus dem Zimmer. Untent angekommen, warf ich die drei Rubel fort und ging nach Hause, den Tag verfluchend, der meine Wunden von Neuem aufgerissen. Bald darauf wurde ich wieder zu meinem Bruder gerufen, aber ich ging nicht hin. Mein Meister wollte mich schon schlagen; doch plötzlich sah er mich lange und gedankenvoll an, legte mir seine Hand auf den Kopf und sagte leise: Er hat ja Recht, er hat wirklich Recht. Endlich

tam mein Vater selbst, um sich zu erfundigen, warum ich denn nicht käme. Man sagte ihm, daß ich nicht gehorchen wolle. Was ist denn mit Dir los, Du Hund?" So fragte mich mein Vater!

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Der Hund aber stand mit gesenkten Blicken, ohne zu antworten, vor ihm." Bestrafen Sie diesen ohne zu antworten, vor ihm. Bestrafen Sie diesen Taugenichts," sagte er zu Herrn Friedrich; dieser nickte bejahend. Schlagen Sie den Schurken, schlagen Sie ihn tüchtig. Vielleicht wird dadurch ein Mensch aus ihm."

Mein Bruder genas bald. Selbverständlich, wie hätte er denn jetzt schon sterben können. Mein Maß des Uebels war ja noch nicht voll. Jezt hätte ich ja noch glücklich werden, noch vergessen fönnen. Dann hätte er ja seine Mission gegen mich nicht erfüllt.

So vergingen einige Jahre, ich hatte schon meine traurige Kinderzeit vergessen. Meine Lehrzeit war beendigt. Herr Friedrich war mit mir zufrieden, da ich ein tüchtiger Arbeiter war. Ich bekam festes Gehalt, ein eigenes Zimmerchen und einen Platz an seinem Tisch. Er war ein braver Kerl und verstand mich. Ueberhaupt habe ich ein braves Herz in meinem Leben nur bei den Arbeitern gefunden. Es ist, als ob das Herz bei den Reichen durch gutes Leben mit ob das Herz bei den Reichen durch gutes Leben mit Fett bedeckt und daher schwer zugänglich wäre.

In dieser Zeit war es auch, wo mir das Glück, obgleich nicht lange, hold war. Wie schon erwähnt,

las ich viel in der Zeit, wo meine Kameraden ihren Vergniigungen nachgingen. So kam es ganz von selbst, daß ich mich mehr und mehr der Familie meines Meisters anschloß und besonders dessen Tochter Emilie. Friedrich schien mit dieser Neigung einver­standen zu sein. Was es für ein Mädchen war? Ich denke, daß von dieser Sorte zwölf auf ein Dußend gehen. Reinlich, blauäugig, mit einer schmalen Stirn, rothen Arbeitshänden und naiv, wie nur Kinder sind. Ich las ihr oft vor, aber sie verstand davon wenig oder garnichts. Aber das Vorlesen an und für sich schien ihr angenehm zu sein. Sie setzt sich dazu in den Lehnsessel und schmiegt sich behaglich, in süßes Nichtsthun verloren, wie ein Käßchen in die Kissen. Neben ihr sigt ein junger Mann, bei dessen Vorlesen sich die Augen von selber schließen. Nur nicht so laut," bittet sie dann.

Ob sie mich liebte, weiß ich nicht, ich aber betete sie an. Sie war ja die Erste, die mich liebenswürdig behandelte. Sie lächelte mir freundlich zu. Im Umgang mit ihr, in jedem Worte, ließ ich sie meine Liebe ahnen.

Sie schenkte mir Kravatten, nähte mir ein Hemd. Dagegen faufte ich ihr billiges Parfüm. Jezt wäre ich glücklich gewesen, doch gerade zu dieser Zeit kam mein Bruder von der Universität in unsere Stadt ( Fortsetzung folgt.) zurück.

Ein Erfinder. So fizzt er wieder in seiner Boden­fammer und arbeitet an seiner neuen Erfindung". Seine ganze Hoffnung steht darauf. Zwar ist es ein Raum, der nichts weniger als einladend aussieht; die schräge Dachwand liegt ihm faft auf dem Kopfe und durch die halb geöffnete Dachluke dringen Licht und Luft nur in bescheidenem Maße herein. Nichts, was den Naum be­haglich machen könnte; nur eine Wanduhr mit schönem Schuiswerk erfüllt ihn mit ihrem gleichmäßigen Tik- Tak. Und doch weilt der Erfinder" hier am liebsten, hier ist er mit seinen Plänen allein, hier hat er all' die Werk­zeuge zur Hand, die er zu seiner Arbeit braucht. Alles Mögliche kommt da zusammen, die Werkzeuge des Tisch­lers wie die galvanische Batterie des Elektrotechnifers. Man sieht nicht recht, was aus dem Dinge werden soll, das er da in seinen Schraubstock gespannt hat; aber das ist bei Erfindern öfter so, in ihrer Vorstellung lebt die Idee dessen, was da werden soll, sie sehen Alles ganz deutlich nur ein kleiner Handgriff noch, und die Welt wird staunen. Ja, aber dieser Handgriff! Es dauert oft sehr, sehr lange, bis er gefunden wird, und in den meisten Fällen kommt es garnicht so weit.... Der Mann auf unserem Bilde hat die Geduld, die zu solch einem Werke nöthig ist; es brennt ihm wohl auch nicht so auf den Nägeln, wie sonst Denen, die auf Erfindungen ausgehen. In dem sauberen Hemd, durch ein Schurzfell geschützt, fitt er auf seinem niedrigen Schemel; nicht einen Blick wendet er von seiner Arbeit; ein nachdenklicher Ausdruck liegt auf seinem Gesicht. Ein feiner Kopf mit festen Linien, wie gemeißelt! Schon wird ihm das Haar licht und dünn und tritt immer weiter von der Stirn zurück. Ein wenig Sonderling ist er wohl, ganz vernarrt in seine Idee. Aber ihm ist doch wohl dabei, und die Be­friedigung über sein Thun kommt auch auf seinem Gesicht zum Ausdruck. So mag er sein ganzes Leben verbracht, als Junge schon den Stolz der Eltern und den Neid der Kameraden durch die schönen Schiffe, die Wagen, die Spielzeuge, die er gebaut, erregt haben.... Ein langes und trauriges Kapitel ließe sich von den Erfindern" schreiben. Tausende von neuen Erfindungen werden jähr= lich auf den Markt geworfen; zu den meisten war so viel Sinnen und Arbeiten erforderlich. Und wie Wenige finden dann den erhofften Lohn, eine auch nur gewöhn= liche Bezahlung für die ungezählten Stunden des Probirens! Aber Einigen gelingt es, fie verdienen Geld, viel Geld, und ihr Beispiel verwirrt den Anderen dann die Sinne. Jeder von ihnen hofft, einer der Auserwählten zu sein und setzt seine beste Straft an dieses Ziel. Ist wirklich einmal eine aussichtsvolle Erfindung von so einem armen Teufel gemacht, wie oft fann er sie dann nicht ausbeuten oder wird auf andere Weise um den Gewinn betrogen! Eine kleine Verbesserung etwa, die von einem Geschäfts­fundigen angebracht wird, genügt, um diesem den Erfolg zuzuführen.

Das geistige Leben der Indogermanen behandelt Weber in seinen Vedischen Studien". Die Indogermanen hatten bereits feste Sitten und Gebräuche, die im Ge­dächtniß hafteten und ebenso geordnete rechtliche Ver­bindungen. Den Göttern wurde geopfert, Skalden sangen Lieder zu ihrem Preis. Formelhafte Wendungen und

Feuilleton.

Sprüche für die Darbietungen an sie bestanden. Die Götter galten ihnen als leuchtende, lichte Wesen, und eine ganze Anzahl von Sagen erzählte man sich von Liebschaften, die sie mit Menschen hatten. In der Natur­symbolik nehmen die Mächte, die über Licht und Dunkel, Tag und Nacht, gutes Wetter und Ungewitter gebieten, eine hervorragende Stelle ein. Ueber Allen steht natürlich die Sonne, die mit ihrer wärmenden, belebenden, zeugenden Kraft geradezu als der Mittelpunkt alles göttlichen Wirkens für die Erde gilt. Sie fämpft mit den bösen Mächten, die die Segnungen des Sonnenlichts oder des Regens den Menschen mißgönnen. Den nomadischen Verhält nissen entsprechend sind die Gewittererscheinungen sym­bolisirt: die Rinder werden geraubt und gefangen ge= halten, bis der Befreier naht. Neben der Sonne hat der Anbruch des Morgens eine große Rolle in ihren Mythen gespielt; in den alten vedischen Liedern ist die Morgenröthe eine Lieblingsgestalt. Ihre reine, jung­fräuliche Schönheit bleibt sich ewig gleich. Auch das Morgengrauen und der Morgennebel sind damals schon dichterisch behandelt worden. Für den Nebel hatte man das Bild geronnener Milch oder von Milchflocken. Der Himmel ordnet sich nach den Anschauungen der Indo­germanen in drei Stufen. Den höchsten britten Himmel Sachte man sich wohl zugleich als fluthendes Licht und fluthendes Wasser. Die zweite Stufe ist das deckende, besonders das nächtliche Himmelsgewölbe. Die der Erde nächste Stufe wird durch den Leuchtenden"( Zeus , Indra) repräsentirt. Der zwischen Erde und Himmel liegende Luftraum ist der Schauplatz der Kämpfe, die Zeus ( Indra) und seine Kampfgenossen, die Winde, gegen die sich auf­thürmenden Wolfkenriesen( die Titanen) und die Schlangen­ungethüme führten. Dort haben diese ihre Höhlen und Burgen, in denen der goldene Schaz des Lichts und das fruchtbringende Naß des Negens geborgen und gehütet wird. Die Wolfen erscheinen aber auch als eine Heerde von Kühen auf der Weide personifizirt, deren herab­hängende Euter von den Winden, ihren Kälbern, gemolfen werden. Die Winde sind die treibende Kraft im Luft­raum; sie werden bezeichnet als eine Heerde oder als ein wüthendes Heer, das unter einem besonderen Führer steht. Auch ein eigentlicher Regengott kommt in den Sagen vor. Das Wasser gilt schon in alter Zeit als Unsterblichkeitstrank der Götter. Der Wind nimmt auch die ausgehauchten Seelen der Sterbenden in sich auf und geleitet sie zum Jenseits, wo man aller irdischen Mängel ledig wird und das Wiedersehen mit den Vorangegangenen feiert. Es ist bemerkenswerth, daß auch diese Vor­stellungen schon in die indogermanische Zeit gehören. Auch die Vorstellung von einem Todtenfluß, über den man in einem Kahn sezzen muß, war schon vorhanden; gemeint ist die Luft selbst. Der weitere Weg zum Jen­seits führte, wie es scheint, über die Milchstraße. Man fannte ebenso die Sage von einer Unterwelt, die unter der Erde lag. Die Erde und was zu ihr gehört, war Gegenstand mythischer Anschauung; fie wurde als Mutter gedacht, welche die Todten freundlich in sich aufnimmt und, wie eine Mutter ihr Kind, sorglich deckt. Auch auf der Erde ist Alles belebt und steht, ob freundlich, ob feindlich, in gegenseitiger Beziehung. Haus und Hof,

Verantwortlicher Redakteur: Oscar Kühl in Charlottenburg .

Feld und Flur stehen unter dem Einfluß von Kobolden, Elfen und Wichten. Waldgeister treiben ihr Wesen im Gebüsch, wiegen sich auf hohen Bäumen auf goldenen Schaukeln und tanzen zum Cymbelflange ihren Reigen. Das ganze Gebiet der indischen Magie, Liebeszauber, Verwünschungen, Beherungen usw., birgt zahlreiche in die Urzeit hineinreichende Stoffe. Ebenso gehen die Vor­stellungen vom Rheingold der Nibelungen und von der Achillesferse auf alte Naturfymbolik zurück.-

Die Brieftauben und die Kälte. Der 93 Jahre alte Führer Jean Payot in Chamouny, dem bekannten Ausgangspunkt für die Besteigung des Montblanc , ein noch rüstiger Greis, erzählt, daß vor 50 Jahren gewöhnlich Tauben mit auf den Montblanc genommen und dort frei gelassen wurden, um den glücklichen Aufstieg in Chamouny zu melden. Zwar waren es feine eigent= liche Brieftauben, sondern gewöhnliche Weibchen, welche Junge im Thale hatten. Bei der geringen Entfernung ist daher kaunt ein Verirren möglich; troßdem kamen die geflügelten Boten nur in den seltensten Fällen in Chamouny an, weswegen die Sitte wieder abkam. Man muß hieraus wohl schließen, daß die große Kälte die physische Kraft der Tauben außerordentlich erschöpft oder daß ihr wunderbares Orientirungsvermögen durch die tiefe Temperatur vollständig in Verwirrung geräth.

Diese alte Erfahrung mit den Tauben von Chamouny hat sich bei den von Andrée, dem Luftfahrer nach dem Nordpol , mitgenommenen Brieftauben durchaus bestätigt. Am 11. Juli 1897 stieg Andrée auf, und am 15. Juli setzte sich eine seiner Tauben ganz ermattet auf eine Segelstange des norwegischen Fangschiffes Alfen, wo sie sofort den Kopf unter einen Flügel steckte und in dieser Stellung getödtet wurde. Nach der Depesche, die sie trug, war sie unter 82° nördl. Br. und 15° öftl. L. am 13. Juli Mittags frei gelassen und zwar als die dritte Taube seit der zwei Tage vorher erfolgten Abfahrt. Geschossen wurde sie unter 803/4" nördl. Br. und 20° öftl. L., und zwar kam sie aus Süden fliegend von dem etwa vier Meilen entfernten Lande. Ihre Richtung hatte sie demnach total verloren und außerdem zeigte sie sich vollkommen erschöpft. Auch hat man weder von ihren beiden Vorgängern noch von den zahlreichen unzweifel­haft später noch aufgelassenen Tauben Andrée's je etwas gehört oder gesehen. In den kalten Regionen des hohen Nordens scheinen daher die Brieftauben zur Uebermittelung von Nachrichten wenig geeignet.

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Kein Heiliger, aber ein Märtyrer. Kurz nachdem der General der Kommune Duval erschossen worden war, fam ein Mann zum Standesbeamten, um die Geburt eines Knaben anzumelden, den ihm seine Frau geschenkt hatte. Welche Vornamen soll das Kind haben?" fragte der Beamte. Charles Duval," antwortete der Mann. Aber Duval ist doch kein Vorname," erwiderte der Be­amte." Der steht nicht im Kalender; das ist kein Name irgend eines Heiligen."" Allerdings nicht der eines Hei­ligen," versetzte der Vater, aber der eines Märtyrers.".

Nachdruck des Juhalts verboten!

Verlag: Hamburger Buchdruckeret und Verlagsanstalt Auer& Co. in Hamburg .- Druck: Mar Bading in Berlin .