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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Manches davon notirte sich der Kommissar. Der Knecht bestätigte Wort für Wort die Erzählung Fellner's. Dann fragte der Kommissar Fellner, was er von dem Ganzen denke, und ob er glaube, daß Bittmann ein Unglück zugestoßen sei.
Fellner hatte sich jedes Wort zurecht gelegt. Er meinte, falls Bittmann wirklich in die Stadt gefahren sei, so wäre es nicht unmöglich, daß man ihn irgendwo in einer abgelegenen Gegend überfallen habe. Jedenfalls sei es gut, auch auf die Menschen ein Auge zu haben, die zuletzt mit ihm zusammengekommen seien. Zugleich fragte er Martha, ob denn ihr Mann Geld bei sich gehabt habe. Aber Martha fonnte keine Auskunft darüber geben.
Diese Unterredung mit dem Kommissar vermehrte Fellner's Zuversicht.
Zu derselben Zeit hatte man in der Wohnung der Leute, bei denen Fellner geschlafen hatte, Hausuntersuchung gehalten. Als Fellner am Abend kam, um seinen Koffer mit Kleidern und Wäsche abzuholen, erfuhr er davon.
Er erschrak heftig und fühlte, daß er einer großen Gefahr entgangen sei. Hätte er davon gewußt, so wäre er nicht im Stande gewesen, dem Kommissar so ruhig entgegen zu treten.
Man hatte also bereits Verdacht gegen ihn gefaßt, und er mußte doppelt auf der Hut sein.
Jetzt, nachdem diese erste Gefahr glücklich vorübergegangen war, faßte Fellner nene Hoffnung. Das Schlimmste war überstanden.
Alles den Holzhändler bestimmen konnte, länger auszubleiben und warum er keine Nachricht von sich gebe. zubleiben und warum er keine Nachricht von sich gebe.
Zulegt glaubte er Alles, was er sich aussann. Es gab Augenblicke, in denen er ernsthaft überlegte, wo sich Bittmann jezt aufhalten könne und wann er zurückzukehren gedenke.
Nur wenn plößlich die entsetzliche Szene im Walde in seiner Erinnerung auftauchte, fühlte er für Augenblicke das Blut in den Adern gerinnen.
Dann starrte sein Blick in's Leere und sah alle Momente jenes furchtbaren, unbegreiflichen Ereignisses. Gleich darauf aber kehrten seine Sinne sich wieder der Wirklichkeit zu.
In den darauffolgenden Tagen gab sich Fellner alle Mühe, sich im Hause der Schwester überall nüßlich zu machen.
Mit wahrer Gier stürzte er sich auf Beschäftigung, seit er fühlte, daß sie das einzige Mittel sei, alles Andere zu vergessen.
Da Bestellungen eingegangen waren, begab er sich mit den Knechten auf den ungeheuren Lagerplay, der sich hinter dem Hause bis zum Rande des Waldes erstreckte. Dort suchte er das Holz aus und überwachte die Verladung. Bald aber ließ er es nicht mehr beim Zusehen bewenden, sondern legte selbst mit Hand an. Wenn dann der Abend kam, war er todtmüde und schlief die ganze Nacht durch, ohne aufzuwachen.
Drei Wochen waren so vergangen, anfangs in ungeduldiger Spannung, später in allmäliger ReDiesen Abend brachte er bei seiner Schwester signation. Martha erwartete nicht mehr, ihren Mann zu und bemühte sich, sie zu trösten.
Er erging sich in tausend Vermuthungen, was
wiederzusehen. Unvermerkt hatte ihr Fellner Stück für Stück ihrer Hoffnung entrissen.
Eines Tages sagte er direkt heraus:„ Bild' Dir ja nichts ein! Bittmann kommt doch nicht mehr zurück. zuriick. Wer weiß, wo der schon moderk!"
Martha brach in heftiges Schluchzen aus. Fellner aber dachte bei diesen Worten wirklich an allerlei mögliche Unglücksfälle, die dem Holzhändler zugestoßen sein konnten.
Er hatte alle die Berichte in den Zeitungen gelesen, und die verschiedenen Vermuthungen und Befürchtungen hatten ein wunderliches Gemisch von verlogenen Vorstellungen und unwillkürlichen Einbildungen in ihm erzeugt. Seine eigene That war allmälig ganz in den Hintergrund getreten. Er sah sie blos fliichtig, wie aus weiter, nebelhafter Ferne. Sein Muth aber war mit jedem Tage gewachsen.
Einige Male war er selbst auf die Polizei gegangen; theils, um nachzufragen oder weil er vorgeladen worden war, theils, um ein Gerücht zu hinterbringen, das noch irgendwo aufgetaucht war.
Dann sprach er lange Zeit mit dem Kommissar und wunderte sich, daß er dessen forschenden, lauernden Blick so ruhig aushalten konnte.
Er hatte aber auch bemerkt, wie sich das Benehmen des Kommissars ihm gegenüber mit jeder neuen Begegnung änderte. Der Mann wurde zusehends höflicher. Vielleicht lag es aber auch daran, daß Fellner jezt besser gekleidet ging als früher, und daß sich sein ganzes Wesen mit der neuen Stellung, die er einnahm, geändert hatte. Jedenfalls aber hatte man keinen Verdacht mehr gegen ihn, sagte er sich frohlockend. Denn er hatte nichts so sehr gefürchtet, als die lauernden Augen des Kommissars. ( Fortsetzung folgt.)
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Winter.
Weg und Biese zugedeckt
And der Himmel selbst verhangen, Alle Berge sind versteckt, Alle Beiten eingegangen.
Bft wie eine graue Nacht, Die sich vor den Tag geschoben, Die der Sonne glühe Pracht Schleierdicht mit Qunft umwoben.
Oder seid ihr Alle todt: Sonne, Mond und lichte Sterne? Ruht das wirkende Gebot, Das euch trieb durch Näh' und Ferne?
Leben, lebst du noch ringsum? Sind verschüttet alle Wege? Grau und eng die Welt und stumm. Doch mein Herz schlägt seine Schläge.
Wintertag im Hochmoor. Vor ein paar Tagen ist auf der Hochebene der erste Schnee gefallen. Im Hochmoor ist es jetzt noch einsamer und stiller als sonst. Die Torfftecher haben längst ihre Arbeit eingestellt, einige um Pfähle aufgebaute Streuhaufen zeigen, daß im Herbste noch Menschen hier gewesen. Wie eine matte Scheibe hängt die Sonne hinter einem Wolfenvorhang, der selbst die nächsten Berge nur undeutlich hervortreten läßt. Es riecht nach Schnee. Nicht nach dem Schnee, der sich in breiten, flaumigen Ballen über die vertrockneten Schöpfe des Sumpfgrases und den dunklen Torf gelegt hat: nach dem Schnee, der die Luft erfüllt, und der schon im nächsten Augenblick lautlos herabsinken kann in dichten Massen und großen Flocken. Kaum, daß ein Laut sich rührt. Stumm und in hohem Bogen überfliegen einzelne Krähen ab und zu das Moor; es bietet ihnen nicht Baum noch Strauch zur furzen Rast. Plößlich erscheint über der höchsten Torfwand das Geweih und der Kopf eines fichernden Hirsches, jenseits des Moortümpels verfolgen einige Mutterthiere aufmerksam seine Bewegungen. Droben
Feuilleton.
im Gebirge hat der Frost scharf eingesetzt, starker Schneefall das Futter verschüttet und das Wild zu Thal ge= trieben. Scharrend und äſend zieht es über das Hochmoor. Bald ist es vorüber. Unter der in Terrassen abgebauten Torfwand erscheint das Wasser des Tümpels tiefschwarz. Ein leises Glucksen läßt sich vernehmen von den in den Tiefen lebenden Wässern. Mit schmaßendem Geräusch plagt eine Gasblase. Und wieder ist es im Moor still, öd und todt.
Das Aufrecht"- Sehen. Es ist bekannt, daß die Bilder, die wir durch das Auge empfangen, auf der Netzhaut auf dem Kopf stehen". Man hat oft schon versucht, diese Thatsache zu erklären, ist aber bisher noch zu feinem völlig befriedigenden Resultat gelangt. Neuerdings hat nun ein englischer Psychologe, George Stratton , ein Erperiment gemacht, daß die ganze Frage in eine neue Beleuchtung rückt. Er fragte nicht, wie man es immer gethan: Wieso ist die verkehrte Stellung der Netzhautbilder die nothwendige Vorbedingung des Aufrechtsehens? sondern formulirte die Frage so: Ist überhaupt die verkehrte Stellung der Netzhautbilder nothwendige Vorbedingung des Aufrechtsehens? Und das Ergebniß seiner Untersuchung ist, daß er diese Frage mit einem runden Nein" beantworten kann. Das Erperiment bestand darin, daß er Tage lang das linke Auge verdeckt hielt und vor dem rechten eine Kombination von Linsen so anbrachte, daß die von außen kommenden Bilder umgekehrt wurden, nunmehr also auf der Netzhaut„ aufrecht" standen. Nur während des Schlafes wurde der Apparat abgelegt. Er hat zweimal das Experiment gemacht, das eine Mal drei, das andere Mal sogar acht Tage lang. Das Ergebniß, das er erzielte, war ein Weltbild, das genau dem normalen entgegengesett stand. Sehr interessant ist das Protokoll, das Stratton während der zweiten Versuchsreihe angefertigt hat. In den ersten Tagen erschien die ganze sichtbare Szenerie durchaus auf dem Kopfe stehend, nicht wie wirkliche Dinge, sondern wie ein Phantasma, in unlöslichem Widerspruch zu der optischen Vorstellung, die er von der Welt in der Erinnerung hatte, und zu den Eindrücken des Tastsinns. Alles Gesehene mußte erst umgedeutet, im Geiste umgedreht werden, um verständlich zu werden; Vieles wurde überhaupt nicht wiedererkannt. Wollte Stratton nach einem Dinge greifen oder einem Hinderniß entgehen, so machte er meist die entgegengesezte Bewegung und konnte sie nur mit großer Mühe verbessern. Bei kleinen Bewegungen des Kopfes schien das ganze Gesichtsfeld zu schwingen. Ebenso wie mit den Tasteindrücken ging es mit den Geräuschen, die von sichtbaren Gegenständen herrührten: Das Geräusch tam aus der ganz entgegengesetzten Richtung als die war, in welcher der Gegenstand zu stehen schien. In der ersten Zeit stellte sich auch Uebelkeit ein. Dieser
Gesammteindruck änderte sich aber mit überraschender Schnelligkeit. Das Gesichtsfeld verlor von Tag zu Tag feinen visionären Charakter mehr und erschien immer realer; die Versuchsperson begann, sich in der neuen Ordnung der Dinge heimisch zu fühlen. Auch die Erinnerungsbilder an die normale Ordnung traten mehr zurück. Allmälig gelang es, das neue Gesichtsfeld nach außen hin entsprechend zu lokalisiren. Die Bewegungen konnten mit den Gesichtseindrücken leichter in Ginklang gebracht werden, und häufiger geübte wurden schließlich auch mechanisch. Bemerkenswerth ist besonders, daß die Dinge, die niemals Gegenstand direkter Gesichtswahrnehmung sein können, der eigene Kopf und Hals, am zähesten der Einreihung in die neue Ordnung widerstanden, und daß die Anpassung sich am vollkommensten vollzog, wenn die Versuchsperson sich in einer energischen Thätigkeit befand, während im Zustand der Ruhe der Zwiespalt zwischen der alten und der neuen Anschauung nie ganz aufgehoben war. Doch hatte in den letzten Tagen die neue Ordnung die Oberhand: die Dinge erschienen nunmehr in ihr aufrecht und wirklich. Aus diesem Versuch geht hervor, daß das„ Aufrecht"-Sehen der Dinge nichts von vornherein Gegebenes ist. Vielmehr liegt die Sache so, daß wir unter„ Aufrecht" nichts Anderes verstehen, als das Bestehen einer festen Uebereinstimmung zwischen den Eindrücken des Gesichts- und des Tastsinnes. Operirte Blindgeborene sehen die neuen Gesichtseindrücke weder umgekehrt noch aufrecht, sie können vielmehr die Gesichtseindrücke noch garnicht zu bestimmten Tasteindrücken ordnen; erst wenn sie dies durch eine Reihe von Erfahrungen lernen, und sich ein fester Zusammenhang zwischen der Welt der Gesichts- und der Tasteindrücke herstellt, dann ist diese Harmonie beider eben Das, worin das Aufrechtstehen der Dinge besteht.
Ja, Bauer, das ist ganz was Anderes! Ein von Alexander dem Großen gefangener Seeräuber erklärte seinem Besieger stolz: Weil ich nur ein oder zwei Schiffe habe, bin ich ein elender Räuber; ich wäre ein berühmter Weltbezwinger, wenn ich, wie Du, eine zahlreiche und tüchtige Flotte befehligte.
Die Reichsversammlung der Krähen. Die Krähen hielten eine Reichsversammlung.„ Nun? Was habt ihr beschlossen?" fragte eine Elster eine der Heimfehrenden. Daß wir auf der nächsten Versammlung etwas beschließen werden!" war die Antwort.
Fay.
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