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In der Dachstube. Es geht zum Abend. Drüben hinter den hohen Dächern ist die Sonne hinabgesunken; aber der Himmel strahlt noch in hellem Glanze. Der Widerschein füllt auch das kleine Gemach, und es wäre gerade die richtige Stimmung, Schummerstunde zu halten. Jest wäre es gemüthlich in der Dachkammer, in der am Tage alles so grau und eng und drückend erscheint. Das Elend hier drinnen würde in den Schatten des Abends versinken und der Blick hinausgezogen zu dem herrlichen Farbenspiel, das sich draußen entfaltet. Leise, fast unmerklich kriechen die blauen Schatten aus der Tiefe der engen Höfe herauf gegen das purpurne Licht des Himmels, tiefer und tiefer wird ihre Farbe, bis unten alles in dunkelblaue Finsterniß gehüllt ist. Und auch droben am Himmel verbleichen die Farben, das purpurne Noth geht über in ein mattes Gelbroth, und vom Zenith herab zieht sich ein faltes lichtes Grün, das die warmen Töne des Abendlichtes mehr und mehr zurück­drängt. Und dann wird das Grün zum Blau, die Sterne treten hervor, und das machtvolle Bild des Nachthimmels entfaltet sich... Das wäre die Stunde, in der die Zunge sich lösen und das gepreßte Herz sich erleichtern fönnte. Es ist hier keine Zeit zu träumen. Sobald das Tageslicht nicht mehr taugt, die feine Näharbeit auszu­führen, muß die Lampe angezündet und das Fenster verhängt werden; es darf keine kostbare Minute verloren gehen. Arbeit füllte den ganzen Tag, der Arbeit muß auch der Abend und ein Theil der Nacht geopfert werden. Es ist eine alltägliche Großstadtgeschichte, die in dem Bilde erzählt wird. Dem alten Mütterchen mit dem ver­härmten Gesicht ist es wohl einmal besser gegangen; die altfränkischen Möbel, der Großvaterstuhl, der geschnitte Mahagonistuhl, der riesige Schrank sehen so aus, als hätten sie ehemals in der Wohnung eines Handwerks­meisters gestanden. Als der Mann dann starb, war seiner Frau nichts geblieben; nur von den Möbeln, von denen sie sich nicht trennen konnte, war das Nothwendigste mit hinauf gewandert in die Dachstube. Und dann kam noch das Unglück der Tochter, die, jung und lebenslustig, fich hatte bethören lassen. Es war eine schwere Zeit gewesen, als der Geliebte sie verließ und das Kind geboren wurde. Jezt freilich möchten beide, Mutter und Großmutter, um feinen Preis mehr den Buben missen, der da so gravi­tätisch auf Großvaters Sorgenstuhl fist und verständniß­voll der Großmutter zusieht, wie sie sich mit zitternder Hand abplagen muß, den Faden in das Nadelör zu bringen. Durch sein drolliges Geplauder und sein fröhliches Lachen haben sie wenigstens eine Freude in ihrem ein­tönigen Leben.

Die Tischlerei und Holzschnißerei im alten Egypten. Egypten, so führt Steindorff in seiner Arbeit über das Kunstgewerbe im alten Egypten aus, ist noch heute ein ziemlich baumarmes Land, und seine Baumbestände werden auch im Alterthum nicht größer gewesen sein. Dazu kommt, daß die auf egyptischem Boden gewachsenen Hölzer, Palme, Sykomore und Tamariske, kein besonderes gutes und brauch­bares Holz liefern. Diesem Mangel, der sich namentlich bei der Verfertigung von Särgen schwer fühlbar machte, hat man nun schon sehr frühzeitig dadurch abzuhelfen gesucht, daß man aus den waldreichen, asiatischen Nachbar­ländern Hölzer in das Nilthal einführte. Vor Allem war es wohl Palästina und Syrien  , besonders die Libanon­gegend, die von ihrem Neichthum an Nadelhölzern, be­sonders den großen Gedern  , an das bedürftige Egypten abgaben. Außerdem lieferte Nubien   und noch südlicher gelegene Gegenden Mittelafrikas das sehr geschätzte Eben­holz, das namentlich zu feineren Arbeiten viel verwendet wurde.

Die Werkzeuge, deren sich die egyptischen Tischler und Zimmerleute bedienten, sind überaus primitiv ge= wesen. Sie hantieren mit der Säge, deren Blatt aus Kupfer hergestellt ist; dann kommt die Art, das Stemm­eisen, das mit einem hölzernen Hammer geschlagen wird, ferner ein Art Dächsel, der gleichfalls ein fupfernes Blatt hat; endlich ist noch der Drillbohrer zu nennen, der oben einen halbrunden Knopf hat und mittelst eines Fidel­bogens gedreht wird, ein Instrument, das auch bei uns noch bis vor kurzem gebraucht wurde. Dagegen war den Egyptern ein Werkzeug, das bei uns gerade als das Nothwendigste der Tischler gilt, in älterer Zeit völlig unbekannt, der Hobel  ; erst in römischer Zeit scheint er aufgekommen zu sein. Die Arbeit, die er verrichtete, er­setzte man theils durch den Dächsel, theils durch das Reiben mit glatten Steinen, durch die das Brett abge= schliffen und so eine gute, ebene Fläche gewonnen wurde. Auch Leim scheinen die Egypter nicht gekannt zu haben; sie bedienten sich vielmehr als Bindemittel einer hell­rothen, gipsartigen Masse, deren Spuren wir noch viel­fach an Holzgegenständen verfolgen können. Galt es z. B. bei der Anfertigung von Kästen oder Laden, zwei Bretter rechtwinklig aneinander zu fügen, so that man dies in der Weise, daß man sie, wie dies unsere Tischler nennen, auf Gehrung" schnitt, gegeneinander leimte und sie dann noch mit Holznägeln und Bindfaden oder Saiten festmachte. Die Verzinkung, mit der z. B. unsere Tisch­fäften gearbeitet sind, ist den Egyptern auch vertraut ge= wesen, aber erst in verhältnißmäßig später Zeit zur An­wendung gekommen. Wollte man Gegenständen, die des billigen Preises halber aus gewöhnlichen Holzarten ge=

Feuilleton.

arbeitet waren, das Ansehen geben, als ob sie aus besserem Material gearbeitet seien, so belegte man sie mit dünneren Blättern von feinerem Holz. Man bediente sich also derselben Methode, die man in der heutigen Möbelfabri­fation Fournieren" nennt, und hat diese gewiß schon im zweiten Jahrtausend v. Chr. angewendet.

Unter den zahlreichen Aufgaben, die dem allegypti­schen Tischler erwuchsen, ist in erster Reihe die Herstellung der im Wohnhause gebrauchten Möbel zu nennen. Freilich ist ein solches altegyptisches Mobiliar nicht allzu umfang= reich gewesen. Ein paar Stühle und Bänke, Betten zur Nachtruhe, Kopfstüßen, auf die man statt auf das Stopf­fissen das Haupt legte, und an Stelle der Kleiderschränke viereckige Käften oder Truhen, in die man die Gewänder und Stoffe packte. Diese Möbel waren nun meist ziemlich einfach geschnitzt oder man gab ihnen auch gern die Ge­stalt von Kuh- oder Löwenfüßen; an Ornamenten ver­wendete man auch hier wieder mit Vorliebe Blumen und Blätter, die eingeschnitten und mit bunter Farbe aus­gefüllt waren. So haben wir an Stühlen einen einfachen, weißgetünchten Stuhl mit geflochtenem Sizz, oder einen eleganten Lehnstuhl, der auf vier Löwenfüßen ruht und dessen Nückenlehne ein mit weißem Elfenbein eingelegtes Ornament zeigt. Daneben finden sich kleinere Sessel: vierbeinige mit runden Beinen, die mit einem, wohl auch aus Elfenbein eingelegten Kranze von lanzettförmigen Blättern verziert sind, und merkwürdige Klappsessel, die genau wie unsere Feldstühle gearbeitet sind, und deren Beine in Ententöpfe ausgehen. Auch Bettgestelle sind uns erhalten geblieben; sie ruhen auf vier als Kuhfüße gestalteten Beinen; der Bettrahmen war mit Ledergurten überspannt, auf die dann die weichen Polster und Decken gelegt wurden. Eine weit größere Mannigfaltigkeit als diese großen Möbel bieten nun die kleinen hölzernen Kästchen und Schälchen, die hölzernen Haarnadeln und Löffelchen, die zu dem nothwendigen Toilettenbedarf der altegyptischen Damen- und, ich glaube auch, Herrenwelt gehörten. Hier verließ man den Boden des Handwerks und wandte die reiche Phantasie des Künstlers an, um wohlgefällige, reiche Formen zn gewinnen. Das Gebiet, dem die Stoffe zu den hier ausgeführten Formen ent­nommen waren, lag nicht weit; es war die den Egypter umgebende Natur und das menschliche Leben, das sich in ihr abspielte.

Der Tischler hatte aber nicht nur den Hausrath für die irdischen Wohnhäuser zu fertigen; ihm lag es auch ob, die ewigen Häuser", die Gräber der Todten, mit dem mannigfaltigen Mobiliar, das der egyptische Glaube zum Leben nach dem Tode für nöthig erachtete, auszu­statten. Vor Allem sind es die Särge, auf die die größte Sorgfalt verwendet wurde. In älterer Zeit haben fie die Form großer viereckiger Laden, die mit zahlreichen Inschriften und nicht selten auch mit Bildern bedeckt wurden. In späterer Zeit gab man ihnen die Gestalt einer Mumie", des mit Leinwandbinden umwickelten Leichnams, dessen Geficht mit einer Maske, die ungefähr die Züge des Verstorbenen wiedergiebt, bedeckt war. Auch hier wurden auf die Außen- und Innenseiten alle mög= lichen Sprüche, die sich auf das Leben im Jenseits be­ziehen und dem Todten allerlei Anweisungen geben, in der hübschen, dekorativ so wirksamen Bilderschrift der Egypter aufgeschrieben oder eingeschnitten oder auch in erhöhter Arbeit( im flachen Relief) geschnigt. Welche Sorgfalt man auf diese Schriften verwendete, zeigt am besten ein in der Leipziger   Universitätssammlung be­findlicher Holzsarg, der etwa aus dem sechsten Jahr­hundert v. Chr. stammt, und bei dem jedes Schriftzeichen bis in's Kleinste so genau ausgeführt worden ist, daß man z. B. bei den Männerchen deutlich die Tracht, bei den Vögeln die einzelnen Federn unterscheiden kann.

Von den sonstigen Beigaben, die der Tischler oder, sagen wir besser, der Holzbildhauer, für die Grab­einrichtung herzustellen hatte, verdienen vor Allem noch die kleinen Holzfiguren Erwähnung, die den Todten selbst oder auch seine Bediensteten darstellen. Hier ist er mit genauer Wiedergabe seiner Gesichtszüge, in der Kleidung, die er einst im Leben getragen, mit den Schmucksachen, mit denen er sich geputzt, abgebildet worden.

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Der Todesfall. Es war ganz still im Zimmer. Die Rouleaur waren herabgelassen, so daß ein mattes, gedämpftes Licht den ganzen Raum erfüllte. Auf den Stühlen, die an den Wänden und um den ovalen Maha­gonitisch standen, saßen die Angehörigen der Sterbenden, welche seit zwei Tagen völlig bewußtlos in dem großen, französischen Bett lag. Ab und zu röchelte die alte Frau und machte eine schwache Bewegung; dann begannen auch sofort, wie auf Kommando, die in der Stube Befind­lichen zu wimmern und zu schluchzen; die Frauen thaten es in einem monotonen, zitternden Zungenlaut, etwa dem Laufen einer nicht ganz geschlossenen Wasserleitung vergleichbar; die Männer dagegen stießen abgerissene, würgende Kehllaute aus, oder schneuzten sich laut und vernehmlich, was wiederum eine große Aehnlichkeit mit einem mißglückten Posaunenton hatte. Nach einer Weile war wieder Alles ganz still. Die Frauen saßen steif auf ihren Stühlen und hielten sich die weißen Battisttaschen­tücher vor die grötheten Augen; die Männer starrten mit unheimlichen Augen unaufhörlich auf ihre Stiefel­spizen oder spielten mechanisch mit den goldenen Berloques

Verantwortlicher Rebatteur: Dscar Kühl in Charlottenburg  .

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an ihren Uhrketten. Vei jedem Röcheln der sterbenden Alten erneuerte sich dieselbe Szene, es kam Leben in die stille Gesellschaft, und die Taschentücher arbeiteten. So ging es etwa drei bis vier Stunden lang. Die ver= schiedenen Magen begannen bereits laut und vernehmlich zu knurren. Aber Niemand wagte heute aus Rücksicht auf die Sterbende seinen körperlichen Bedürfnissen den Vorrang vor der obligaten Traurigkeit zu lassen.

Mit einem Male wurde es in dem großen, französischen Bett lebendig, das nöcheln ging in ein dumpfes, qualvolles Stöhnen über, und die Gliedmaßen begannen krampfhaft zu zucken. Noch ein letzter, schwerer Seufzer, und die Alte war von allem Erdenleid erlöst. Wie elektrisirt waren Alle von ihren Stühlen aufgesprungen. Erft kam ein Augenblick athemloser Spannung, dann begann ein wahres Wettgeheul und Wehklagen. Wer von den Frauen in Ohnmachtsanfällen und Weinkrämpfen einige Uebung hatte, that das Seinige, um den gebräuchlichen und schick­lichen Anforderungen wahrer Traurigkeit gerecht zu werden; in den Männern aber erwachte so etwas, wie eine lang verborgen gehaltene Brutalität, sie suchten Tische und Stühle zu demoliren, Einer wagte es sogar, eine Fenster­scheibe zu zertrümmern, was man ihm als ganz besonders " gefühlvoll" anrechnete. Die Besonneneren aber fielen sich gegenseitig stumm oder laut schluchzend in die Arme, an die Todte wagte sich jedoch Niemand heran; das Dienst­mädchen wurde hereingerufen, welche das Bett in Ord­nung bringen und die Verstorbene umkleiden mußte. Nach dem Verlauf etwa einer halben Stunde hatten sich die trauernden Hinterbliebenen" merklich beruhigt. Der sentimentale Theil war vorüber und nun begann das Geschäft: Die Vertheilung der einzelnen Haus- und Wohnungsgegenstände. Jedes einzelne Stück wurde genau auf seinen Werth abgeschäßt, so daß dem Teppich mindestens sechs Stühle, dem Sopha mit den dazu ge= hörigen Sesseln eine Kommode, zwei Kleider- und drei andere Schränke gegenübergestellt werden mußten. Endlich waren alle Gegenstände an ihren Mann gekommen. Geld war ja leider nicht vorhanden, da die Alte von einer Pension und gelegentlichen Unterstüßungen ihrer Kinder gelebt hatte.

Die Rouleaux wurden hoch gezogen, die Fenster ein wenig geöffnet. Hin und wieder erlaubte sich schon einer der Männer einen kleinen, unschuldigen Wig, während bie Frauen in einiger Entfernung standen und eifrig über die vorschriftsmäßige Trauertoilette debattirten, ein Ge­spräch, dessen Verlauf hin und wieder durch Schwenken der weißen Battisttaschentücher bei gelegentlichen Thränen­ausbrüchen, die stets in schwesterlicher Einmüthigkeit bei Allen zugleich erfolgten, unterbrochen wurde. Gegen Abend trennte man sich. Bei der Todten die Nacht über zu wachen, konnte sich keiner entschließen; man mußte also dieses Geschäft der Wärterin und dem Dienstmädchen überlassen, denn die Frauen fürchteten sich, und die Männer hatten ganz außerordentlich nothwendige Sigungen, die auf feinen Fall versäumt werden durften. Kleinigkeiten, wie Nippessachen und Silberzeug nahm man sofort mit, dann wurden die Schränke sorgfältig verschlossen; man konnte ja trotz aller Ehrlichkeit der beiden Nachtwachenden doch nicht wissen.

Ein kleiner Streit erhob sich dann noch, wer eigentlich die Schlüssel in Aufbewahrung nehmen sollte. Die vom Weinen röthlich gefärbten Nasenspizen wippten unauf­hörlich auf und nieder. Von einem Mißtrauen könnte hier unter Geschwistern ja eigentlich keine Rede sein, aber die Ehre, die Ehre!" Endlich wurden die Schlüssel

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der ältesten Schwester unter vielen ermahnenden Worten und Seufzern anvertraut. Morgen früh um neun Uhr wollte man sich hier wieder treffen! Dann noch ein legter Thränenstrom, und vierzehn Paar mehr oder weniger zierliche Füße stiegen mit gemessenen Trauer­schritten die Treppe hinunter. Vor der Hausthür trennte man sich schnell. Jeder ging nach einer anderen Richtung. Die älteste Schwester, der man die Schlüssel zur Auf­bewahrung übergeben hatte, ging am schnellsten. In ihrem Kopfe reifte ein Plan: sie wollte am nächsten Morgen früh um sieben Uhr mit einem Möbelwagen vorfahren und so viel Sachen, wie nur irgend möglich, auf denselben aufladen. Die Anderen konnten es ihr ja schließlich doch nicht allzu sehr übelnehmen, sie war ja die Aermiste von ihnen.

Endlich war die Nacht vorüber. Punkt sieben Uhr stand der Wagen vor der Thür. Allein kein Schlüssel wollte recht schließen; sie klingelte. Die Wärterin öffnete. Die Wohnung sah kahl, leer und ausgeraubt aus, als ob die Vandalen darin gewirthschaftet hätten.

Uhr?"

Wie ist das nur möglich?... doch erst um neun

" Ja, Ihre jüngste Frau Schwester war bereits um fünf Uhr hier. Sie wird sich wohl den Korridorschlüssel behalten haben. Ich habe die Dame natürlich an nichts gehindert, da ich dachte, es wäre von den Hinterbliebenen so bestimmt worden.

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