ständniß, mit Lust und Liebe angefertigt worden ist. Galt es damals, ein Stück in hundert Tagen herzustellen, so sollen heute hundert Stück in einem Tage herausgebracht werden; damals war der Weber ein Künstler, heute ist er zum Diener der Maschine herabgesunken, der in jedem Augenblick zu erseßen ist. Unsere heutigen Maschinen vermögen nicht das zu leisten, wozu früher jahrelange Erfahrung und Uebung des Einzelnen nöthig gewesen. Man will das augenscheinlich auch garnicht. Man bemüht sich vielmehr von Jahr zu Jahr immer mehr nur solche Muster auf den Markt zu bringen, die mit Gewinn mechanisch herzustellen sind, während Sachen, die individuelle Fähigkeiten des Arbeiters erheischen, fast gänzlich zurückgedrängt werden. Das tünstlerische Moment wird dadurch gewiß nicht besonders günstig beeinflußt, vielmehr wird eine Verflachung hervorgerufen, die sich jedenfalls dereinst bitter rächen wird. Mit stillem Neid durch/ stöbert man bei solchen Aussichten die Reste früherer Weberkunst, jene Zeugen einer leuchtenden Pracht, die uns das finstere Mittelalter hinterlassen hat.
Die räumlich größten und farbenreichsten Gewebestücke früheren Kunstfleißes sind die Gobelins. Der Teppich der Bayeuse, den die Königin Mathilde, die Gattin Wilhelms des Eroberers, stickte, war auf Canevas mit einer luterlage von grobem Leinen in einer Länge von 70 Meter und 50 Centimeter Höhe ausgeführt. Derselbe stellte in 530 Figuren die Thaten ihres Mannes bei der Ueberfahrt und Eroberung Englands dar und wurde an Festtagen zum Bekleiden der Wände des Chors und des Schiffes der Kirche verwendet. Obwohl dieser Teppich eigentlich nicht gewebt, sondern gestickt ist, so verdient derselbe doch genannt zu werden, da er wichtige fulturgeschichtliche Aufschlüsse giebt; es haben aber im 11. Jahrhundert, wie Friedrich Fischbach angiebt, schon die Teppichwebereien zu Beauvais , Arras und Troyes mit Haute- lisse- Stühlen bestanden. Die nächsten Jahrhunderte weisen in dieser Fabrikationsmethode ein schnelles Empor blühen und auch einen hohen Grad der Kunst auf. Die berühmtesten Meister, wie die van Eycks, Memling , sowie ein Raphaël und seine Schüler verschmähten es nicht, fiir die Teppich Manufaktur Kartons zu liefern. Eine in der Kathedrale zu Angers aufbewahrte Arbeit eines berühmten Tapissiers Namens Nicolas Bataille besteht aus 7 Teppichen von je 5 Meter Höhe und 24 Meter Länge; dieselben wurden 1376 be= gonnen und erst 1490 vollendet. Der flämische Künstler Michel Bernard fertigte für Philipp dem Kühnen eine bedeutende Haute- lisse - Arbeit; dieselbe stellte auf einer Fläche von 285 Quadratmetern die Schlacht von Rosebecque dar und kostete die für die damalige Zeit ungehenere Summe von 2600 Franken in Gold.
Der Farbenreichthum, welcher all' diesen alten Gobelins eigen ist, läßt sich mit mechanischen Hülfsmitteln nicht erreichen; nur die Stickerei oder die Haute- lisse - Technik läßt die Verwendung so vieler Farben zu. Unsere moderne Weberei ist immer sehr bald an der Grenze der Möglichkeit angekommen; 30 bis 40 Farben sind schon Ausnahmen, wenn man nur durchgehenden Schuß zu Hülfe nimmt. Mit Stechund Broché - Figuren läßt sich die Zahl
Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Eine Gemeinderathssihung. Nach dem Gemälde von Richard Scholz.
Nach einer Photographie aus C. T. Wiskott's Kunstverlag in Breslau .
Pond Scholz
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