Die Tue Welt

Nr. 1

I.

Blluflrirle Unterhaltungsbeilage.

Dilettanten des Lebens.

Ich bin nicht überflüssig hier, Du kannst mich brauchen," sagte Lena langsam, das be­ruhigt mich!" Sie hob das bräunliche Gesicht und sah den Bruder sinnend an. Was Du für Falten auf der Stirn hast, Friz!" Sie fuhr leicht mit der Hand über seine Stirn. Mein Bruder, find es Sorgenfalten? Meinetwegen? Bist Du nicht glücklich?"

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, Glücklich?" Er lächelte, aber es war ein etwas bitteres Lächeln. Natürlich. Ich habe ja Alles, Ich habe ja Alles, was das Herz begehrt. Ich mache mir nur oft Sorge um Dich. Noch haben wir unsere gute Mutter; aber wie lange?! Ich kann Dich mir nicht allein in der Welt vorstellen, Du bist nicht die Person dazu. Es wäre mir direkt unangenehm, Dich in Pensionen und dergleichen zu wissen hm." Er räusperte sich. Sage doch nicht, Lena, daß Sage doch nicht, Lena, daß Du nicht mehr an's Heirathen denken willst; das ist Unsinn! Einmal gemachte bittere Erfahrungen mahnen nur zur Vorsicht, aber sie brauchen nicht für immer abzuschrecken!"

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Sie schüttelte den Kopf: Mir graut vor der Liebe, Friz. Ich mag nicht mehr. Die Freude ist so kurz und dann all die Thränen!" Ihr Gesicht wurde bleich. Hab' ich den- den sie stockte und zögerte den Namen auszusprechen, den nicht geliebt? ach, Du weißt schon! Schien er mich nicht zu lieben? Und doch war's nichts, wieder nichts! Er hat sich mit der Reichen berlobt, jetzt heirathen sie bald." Sie legte den Kopf auf den Tisch und weinte. Jezt promenirt er mit ihr über die Linden, oder sie schlendern durch den Thiergarten. Es ist nicht darum, aber" sie schluchzte heftig auf ,, es ist die Enttäuschung; ich kann keine mehr ertragen. Paß auf, noch eine, und ich sterbe dran. Ich will dann auch sterben!"

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,, Lena, Lena, Du bist kindisch heftig!" Sein schon ergrauender Kopf schmiegte sich an ihren dunklen Scheitel. Kleine Schwester, soll ich Dich mal wieder trösten, wie ich Dich so oft als Kind getröstet habe? Weißt Du noch, wie Du heultest, wenn Du nach sigen mußtest oder einen Tadel bekommen hattest oder ein schlechtes Zeugniß?"

Sie schluchzte noch immer.

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Nur fingen konntest Du gut, da bekamst Du immer Nummer eins. Weißt Du noch, wie ich Dich auf den Schoß nahm, wenn Du untröstlich warst? Hier auf diesem linken Knie hast Du oft gesessen, immer auf dem linken, Deinen zerzausten Stopf stecktest Du unter meinen Rock-"

" Ja," sie hob rasch das Gesicht vom Tisch, ,, ich konnte fühlen, wie Dein Herz schlug ja, und dann mußtest Du den Rock ganz über meinen

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Roman von Clara Viebig .

1899

Kopf ziehen; ich dachte, dann könnte mir garnichts will- nein, ich hielt's doch nicht aus in der kleinen Schlimmes passiren!"

" Und dann steckte ich Dir einen Groschen in die Hand und sagte: Lauf, hol' Dir Bonbons!"

, Ach," sie lachte auf, die sogenannten Klimp­chens! Von der alten Frau in dem kleinen Lädchen. So gut hat mir nie mehr was geschmeckt. Die rothen ich besonders gern."

Ja, und ich Unglücklicher"

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er lachte gut­müthig, bekam dann auch eins in den Mund gesteckt, eins, das Du schon vorher tüchtig beleckt hattest; Du trenntest Dich so ungern davon. Ja, ja, so war's, Lena!"

Sie lachten Beide, und dann blickte das Mädchen um sich, wie aus einem Traum erwachend.

Sie saßen im Garten hinter dem Haus; über ihnen eine Esche. Die zum Schirm gezogenen schlanken Zweige hingen fast nieder auf das runde Tischchen. Die untergehende, schon blasse Herbstsonne lugte schräg durch Blätterwerk und zog helle Streifen über die Tischplatte. Sie gab auch dem braunen Lockengekräusel über der Mädchenstirn einen goldenen Schimmer.

Lena!" sagte der Bruder plößlich und griff nach ihrer Hand. Er sagte nicht: Wie hübsch Du bist!"

aber er dachte es.

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Sie sah ihn zärtlich an, und dann schweiften ihre Augen über den Garten, über die Mauer nach den Bergen, die sich dort, gebadet in Glanz, erhoben. Nosige Abendwolken standen hinter ihnen. Man hatte eine schöne Aussicht von der kleinen Erhöhung an der Gartenmauer. Die blaue Mosel sah man nicht, die lag zu tief, aber jenseits der Berge mit ihren rothen Felswänden, ihrem dunklen Grüin und den angeflerten weißen Häuschen.

" Komm hin!" sagte Lena.

Sie standen Beide auf; Hand in Hand gingen sie über den berasten Weg die paar Stufen hinan. sie über den berasten Weg die paar Stufen hinan. Nun lehnten sie an der bröckligen Mauer und starrten schweigend in den farbenglühenden Himmel. Sie ließen sich nicht los, sie standen noch immer Hand in Hand. Ein Lüftchen kam und wehte dem Manne die seidenen Mädchenhaare um's Gesicht. Er zog die Schwester noch enger an sich. Jezt sah man's erst, wie sie sich glichen; dieselben Augen, dieselben Nasen, auch den gleichen volllippigen Mund mit tiefen, eigensinnigen Winkeln. Selbst die Gestalten Selbst die Gestalten waren von einer Größe, der Mann kaum einen Fingerbreit höher als das schlanke Mädchen.

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Wie schön die Berge sind und der Himmel ah, das thut gut!" Der Luftzug war stärker ge­worden. Mit einem Seufzer lehnte Lena den Kopf an die Schulter des Bruders. Wenn ich hier so mit Dir stehe, begreife ich nicht, daß ich wieder fort

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Stadt, immer mit denselben Menschen und immer das gleiche Gerede! Freilich, wenn der Sommer kommt und man in der großen Stadt so eingesperrt ist, dann mag ich da auch nicht sein. Dann be­greife ich nicht, wie man in Berlin leben kann," setzte sie kleinlaut hinzu. Friß, warum ich nur immer so unruhig in mir bin? Da ist immer ein Sehnen, ein Auf und Nieder hätt' ich doch endlich Ruh'! Verstehst Du mich?"

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Er sah besorgt auf sie, dann zog es wie Aerger über sein Gesicht. Du bist aus den sentimentalen Backfischjahren mit ihren eingebildeten Empfindungen längst heraus, Lena. Nimm Dich ein Bischen zu­sammen, dann vergehen die Duseleien. Ich habe Dich wahrhaftig lieb, aber schon als Du noch Kind warst, mochte ich das an Dir nicht leiden; Du schwankst umher, Du irrst von Einem zum Anderen. ich wünsche Man spricht von, Riinstlernaturen, Dir gewiß, daß Du eine Künstlerin wirst, aber die betreffende Natur wünsche ich Dir nicht dazu." Ich mir auch nicht," sagte sie leise.

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Meiner Ansicht nach kann ein wahrer Künstler auch garnicht solche Natur gebrauchen. Da giebt's fein Schwanken, kein Auf und Nieder von Stim­mungen; unentwegt auf ein Ziel los, nur so kann er etwas erreichen.

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Mei- nst Du?" Sie zog das, Meinst Du' ganz lang und schüttelte den Kopf. Du verstehst mich nicht." Ihre Stimme klang traurig. Du weißt nicht, wie das hier drinnen zugeht-" fie klopfte sich mit der geballten Hand auf die Brust ,, man möchte, und man kann nicht. Man fühlt, daß man auffliegen könnte, und doch kriegt man immer wieder einen Schlag auf den Kopf. Man tappt überall herum und sucht Hülfe."

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, Und verliebt sich darum so leicht," warf er halb neckend, halb vorwurfsvoll ein. Lena, Lena, wie froh wiirden die Mutter und ich sein, Dich in einem ruhigen Geleise zu sehen. Mir wär's ja am liebsten, Dich einmal später für immer bei mir im Haus zu haben, aber

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,, Nein, nein, nein!" Ein Schauder ging ihr über den Leib und dann, als fürchtete sie, ihn be­leidigt zu haben, schnellte sie von seiner Schulter auf und warf ihm beide Arme um den Hals. Mein lieber Bruder!"

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Ich weiß," murmelte er, Du und Amalie, ihr seid zu verschiedene Naturen, ihr versteht euch nicht."

Sei nicht böse! Mein Bruder!" Sie hielt ihm den Mund entgegen.

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Meine Schwester!" Er küßte sie auf die Lippen und dann flüsterte er, kaum seinen Mund von den