Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
die zwei Kinder in ihren langen weißen Nachtfitteln knieend, die Hände wie anbetende Engel gefaltet.
Zwischen den Betten kniete Amalie; sie wandte nur einen Augenblick den Kopf, als die Geschwister leise herein kamen. Sie betete vor, viel zu hohe, unverständliche Worte. Aber die Kinder falteten die Hände wie die Mutter, sie bewegten die Lippen wie die Mutter; der Junge war ganz bei der Sache, das kleine Mädchen jedoch drehte blizschnell den Kopf, als die Thür knarrte:„ Papa, Papa!"
,, Bora, bete," Klang die strenge Stimme der Mutter.
Sie beteten weiter, nun waren sie am Schluß. " So nun seid Ihr gute Kinder! Gute Nacht!" Ein leichter Kuß auf die beiden reinen Stirnen, dann wandte sich Frau Langen zu ihrem Mann: " Du hättest wohl auch eher
"
Der helle Kinderjubel schnitt ihr das Wort ab: " Papa, Papa!" Der Junge machte Miene, aus dem Bett zu springen, Lora richtete sich ferzengerade in den Kissen auf. Jetzt glitt ein seliges Lächeln über ihr süßes Gesicht, sie hatte Lena erblickt, die im Halbdunkel an der Thiir lehnte." Tante Lena," jauchzte sie und streckte die Arme aus.
,, Ruhe," gebot die Mutter; ihre große Gestalt schob sich wie eine Wand vor die Betten. Friz, ich wünsche nicht, daß die Kinder Abends nach ihrem Gebet noch abgelenkt werden. Du hättest eher kommen sollen. Gut' Nacht. Seid still!"
Ohne Wort verließ Langen hinter seiner Frau die Stube. Zögernd sah sich Lena an der Thür noch einmal um; Walter hatte den Kopf in's Kissen gedrückt, aber Lora saß aufrecht.
Der Laden vor'm Fenster war angelehnt, durch den Spalt fiel ein matter Schimmer scheidenden Tageslichts mitten auf das schöne Kindergesicht. Die Augen waren groß, mit einem merkwürdig sehnsüchtigen Ausdruck emporgerichtet.
Es durchschauerte Lena eigenthümlich; sie lief rasch auf das Bett zu und schlang, niederknieend, die Arme um den zarten Körper. Ihr Kopf ruhte an der warmen kleinen Brust, sie flüsterte: Hast Du Tante Lena lieb, Lora? Und den Papa auch? Sehr lieb, ja?"
"
Das Kind nickte mehrmals hintereinander, dann lehnte es sich zuriick in die Kissen und sagte schläfrig: " Tante Lena, fingen!"
" Zwei Englein, die mich wecken, Zwei Englein
"
Lena schüttelte verneinend den Kopf:" Nicht das Lied, Lora!" Ihr wurde bange vor den großen, sehnsüchtigen Kinderaugen. Ich will Dir etwas singen vom, Marienkäfer oder vom, Sandmann', von dem, schwarzen und dem weißen Schaf.""
" Nein!" Lora stieß mit den Beinen die Decke tiefer herunter.„ Zwei Englein! Zwei Englein!" Lena sang:
" Zwei Englein, die mich wecken, Zwei Englein, die mich decken, Zwei Englein, die mich weisen, Zum himmlischen Paradeise!"
Weich flangen die halblauten Töne durch das stille Zimmer.
Da auf der Veranda heftiges Stuhlrücken, man hörte es bis hierher. Lena sprang hastig auf jezt drang auch die Stimme der Schwägerin durch; sie klang erregt! Nun gedämpfte Worte des Mannes und nun die Frauenstimme noch einmal, noch erregter!
" Hier, Lena, nimm Du auch," ſagte Langen standen die ersten Anfänge des Dramas. und hielt der Schwester die Schüssel.
Schweigend langte Lena zu; sie hätte lieber nichts gegessen, die Art und Weise der Schwägerin schnürte ihr die Kehle zu.
Draußen hatte sich der Nachtwind aufgemacht und wisperte in den Bäumen; eine der Glasscheiben war geöffnet, ein wunderbar erquickender Duft nach Grün und nächtlicher Frische kam herein. Ein Falter, vom Lampenlicht gelockt, taumelte über den Tisch und verfing sich in Amalies blondem Haar.
" Aeh, das garstige Thier!" Sie riß ihn herab und trat ihn auf dem Boden todt." Pfui, was giebt das für einen etligen Fleck- Friz, mach das Fenster zu, es zieht unerträglich!"
( Fortsetzung folgt.)
Bom altgriechischen Theater.
Von E. West.
er unvergängliche Zauber, der die Werke der alten griechischen Poesie umfließt, hängt mit dem naturgemäßen Bildungsgange zusammen, dessen sich die Kunst bei den Griechen wie bei keinem anderen Volke zu rühmen hatte. Und daß hinwiederum das Theater der Träger der Gesammtbildung Griechen lands werden und bleiben konnte, erklärt sich, so sonderbar es vielleicht auch für den ersten Augenblick erscheinen mag, aus seinem innigen Zusammenhang mit dem religiösen Kultus.
Die dramatischen Darstellungen im Theater waren ursprünglich nämlich nicht ein Gegenstand bloßer müßiger Unterhaltung, sie bildeten vielmehr einen wesentlichen Bestandtheil des Gottesdienstes, der vom Volke selbst zur Bethätigung seines Glaubens veranstaltet wurde. Auf den Dienst des Dionysos sind die Anfänge des griechischen Theaters zurückzuführen.
Der Dithyrambos, das Festlied, durch welches die großen Thaten und Leiden dieses Gottes verherrlicht wurden, enthält die Keime der tragischen Poesie, wie die ausgelassenen Gesänge festlichen Jubels, die Phallosgesänge, die der Komödie. Der Name Komödie hängt mit diesen muthwilligen Gesängen und Festzügen unmittelbar zusammen, während der der Tragödie auf den schädlichen Feind des Weinstocks, den Bock( payos, tragos), der unter Gesang dem Gotte geopfert wurde. Dionysos aber war nicht sowohl deshalb Gegenstand so hoher Verehrung, weil er den Menschen die Freuden des Weins gespendet, als vielmehr weil er durch Anbau und Pflege des Weinstocks, wie Demeter durch den Ackerbau, Kultur und Zivilisation auf die Erde und unter die Menschheit gebracht hat. Und so wurden ihm zu Ehren jährlich vier Feste begangen, die, sämmtlich Weinfeste, an die einzelnen Phasen der Entwickelung des Weinstockes bis zur Vollendung des gottgegebenen Trankes sich anschlossen: die großen oder städtischen Dionysien, das Fest der Rebenblüthe, um die Zeit der Frühlingsnacht gleiche, wo die Macht des Winters gebrochen war und der Segen des neuen Jahres sich vorbereitete; das zweite zur Zeit der Weinlese, die ländlichen Dionysien; das dritte, das Kelter fest, die Lenäen, um die Zeit der Wintersonnenwende, und viertens die Aethesterien, etwa im Februar, wo der erste junge Wein vom neuen Fasse getrunken wurde. Alle
Lena huschte zur Schlafzimmerthür hinaus, neben diese Feste, besonders die Lenäen und großen Dian im Dunkeln stieß sie auf den Bruder. " Komm", flüsterte er, Amalie wartet nicht Amalie wartet nicht
gern!"
"
Sie traten in die Veranda. Am gedeckten Tisch, obenan, saß Frau Langen, den Rücken nach dem Garten gefehrt. Die Gasampel brannte schon, ihr grelles Licht kämpfte mit der weichen Dämmerung draußen. Das Silber blinkte auf dem steif gestärkten Tischtuch, die Schüsseln dampften.
Barben mit frischer Butter und Petersilienfartoffeln. Iß, Friz!" Amalie reichte ihrem Manne die Schüsseln. Lena, die ihr gegenüber saß, schien sie nicht zu bemerken; als sei da leere Luft, so blickte Frau Langen über sie weg.
onysien, waren durch feierliche Auf- und Umzüge theils ernsten, theils heiteren Charakters ausgezeichnet.
Im Reigentanz um die rauchenden Altäre des Gottes ziehend, besang man die Thaten des Dionysos, seine Kämpfe und Siege. Ein Chorführer begann das Lied, der Chor stimmte ein. Allmälig begnügte man sich nicht mehr mit diesen einfachen Weisen. Die Rede sonderte sich mehr und mehr vom Gesang und gewann an Selbstständigkeit. Aus Rede und Gegenrede des Chorführers und der übrigen Chortänzer, der Choreuten, entwickelte sich innerhalb des Chores selbst, der die Rollen an seine einzelnen Mitglieder vertheilte und gewissermaßen ein Drama unter sich spielte, der Dialog, und mit ihm ent
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Aber
freilich das lyrische, d. h. das gesangliche Element und die orchestische Darstellung, d. h. die Darstellung durch den Tanz, blieben noch sehr überwiegend.
Endlich führte Thespis um 500 v. Chr. einen nicht zum Chore gehörenden besonderen Schauspieler ein, und damit war die Entwickelung des Dramas als einer besonderen Dichtgattung entschieden. Zwischen dem Schauspieler und dem Chorführer wechselte nun die Nede, der Chor fiel seltener mit seinen Gesängen ein. Mit diesem Schritte war aber auch in Bezug auf die Wahl des Stoffes eine freiere Bahn geöffnet. Die Gegenstände des Gesanges und der Darstellung wurden mannigfaltiger. Man beschränkte sich nicht mehr auf Dionysos und seine Verherrlichung, man feierte, zuerst zum Verdruß und nicht ohne Widerstreben der Festgenossen, auch andere Gottheiten und Heroen. So behandelte man beispielsweise mit besonderer Vorliebe den trojanischen und thebanischen Sagenkreis und zog zulegt auch die Geschichte der Gegenwart, wie z. B. Aeschylos in den„ Persern", in den Kreis der Darſtellung. Nur das Satyrdrama erhielt die alten Beziehungen zu Dionysos im Chor aufrecht. Die Satyren, die Begleiter des Dionysos , machten darin den Chor aus, und diese Gattung trennte sich jetzt von der eigentlichen Tragödie ab und trat als selbstständiges Festspiel auf. Jezt begann auch die allmälige Gestaltung und Gliederung des für die Darstellung erforderlichen Festlokals, des Theaters, dessen Name von dem zuschauenden Theile der Festtheilnehmer entnommen ist.
Ursprünglich war nämlich bei den Reigentänzen und Gesängen zu Ehren des Dionysos die gesammte, aus dem ganzen Volke bestehende Festgemeinschaft zugleich schauend, tanzend und singend betheiligt, etwa wie heutzutage bei kirchlichen Prozessionen, nur daß diesen der Tanz fehlt. Wo die versammelte Gemeinde ihren festlichen Umzug hielt, da sang und tanzte sie. Erst als die Menge des Volkes immer mehr zunahm, sonderten sich in natürlicher Weise von der großen Masse die geübteren Sänger und Tänzer aus, so daß die Einen gewissermaßen im Namen und als Vertreter den Festreigen führten, die Anderen zuschauten und zuhörten, dann und wann wohl auch noch in den Chorgesang mit einstimmten. Allmälig aber schied sich das„ Theater " im engeren Sinne, d. h. der Raum der zuschauenden Festgenossen von dem Naum, in welchem der Chor seine Reigentänze und Gesänge um den Altar des Gottes aufführte.
Was nun das große Publikum besonders interessiren dürfte, das ist die Frage nach dem Grade der Kunstvollendung der griechischen Schauspielkunst, denn sicher dürfte man im Allgemeinen geneigt sein, dieselbe für ziemlich primitiv zu halten. Vielfach wird man überhaupt lächeln, von Schauspiel kunst bei den alten Griechen zu hören. Die Griechen hatten ja unter Anderem kein Mienenspiel( wegen des in dem ungeheueren Schauspielraum nöthigen Schallrohres in der Maske), das zu wunderbarer, Feinheit ausgebildet sein kann und bei vielen modernen Schauspielern unleugbar ist, wodurch der darzustellende dramatische Dichter geradezu wesentlich interpretirt werden kann; es fehlte das magische Licht der Lampen mit seinen nicht selten wunderbaren Effekten; es fehlte vor Allem das weibliche Element: bei den Griechen gab es keine einzige Schauspielerin! Wie armselig, wie nüchtern muß eine solche Schauspielkunst erscheinen da haben wir doch ungeheuere Fortschritte gemacht, wir dürfen wohl mit berechtigtem Stolze auf die antiken Hellenen in dieser Beziehung herabsehen, so unerreicht sie auch sonst dastehen mögen!
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Wir wollen sehen. Einstweilen glauben wir mit der Behauptung nicht zu viel zu wagen, daß die antike, speziell althellenische Schauspiel kunst auf einer Höhe stand, von der sich unsere meisten modernen Schauspieler in ihrem Dinkel nichts träumen lassen. Ja, mehr als das: die antike schauspielerische Darstellung nahm den ganzen Menschen in Anspruch, stellte Anforderungen an ihn, verlangte Entsagungen, die zu erfüllen ein moderner Schauspieler wohl meistens nicht gesonnen wäre.