8

Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

nahm langsam seinen Shawl ab und schlang ihn plößlich um die Arme des Kindes.

Keine Furcht, Kleiner.... Du wirst gleich sehen!"

Das Kind, dessen Arme gefesselt waren, richtete seine sanften Augen auf den Großvater. Und dieser zog es unter liebkosenden Worten mit sich. Plöglich, ganz am Rande des Pfuhles beugte er sich vor, und sein fahles Gesicht nahm einen wilden Ausdruck an. Seine schrecklichen Fäuste packten die zarten Schultern des Kindes. Und nun verstand ihn mit einem Mal auch der arme Kleine und flammerte sich an seine Kniee, mit der Todesangst eines be­siegten Hirsches, und richtete sein angstverzerrtes Gesicht nach oben. Dicke Thränen liefen an seinen Wangen herab.

"

Großvater!.. Ach Großväterchen!"

Der Alte hob ihn empor. Aber das Kind preßte in seinem ungeheueren Schrecken sich an den Groß­

Nur ein Hund.*

Ja, dir wird's schwer, mich zu verlassen; Dein Huge bricht, als ob du weinst, Mein alter Hans in allen Haffen. Ja, früher ahnt' ich nicht, daß einft Als lehter Freund ein Hund mir bliebe; Da sucht ich noch bei Menschen Liebe.

Mein Hund, in deinen dunkeln Augen Liegt mancher Blick von mir versenkt, Für den nicht Menschenblicke taugen, No man ein Thier braucht, das nicht denkt; Die Ohnmacht auch in ihm zu sehen, Mit der wir selbst durch's Leben gehen.

Qu haft mir nie ein Leid bereitet; Das kann kein Mensch, der liebste nicht! Mun liegt dein Leib vom Tod gebreitet, Mun lischt dein treues Hugenlicht. Was will mir denn so menschlich scheinen? Mein Hund, mein Freund: o könnt' ich weinen!

Richard Dehmel .

Neujahr in der Stadt. Viele modernen Künstler gehen in dem Bestreben, rein durch die Mittel ihrer Kunst zu wirken, so weit, daß sie jede Beihülfe durch stoffliche Reize als unwürdig verschmähen. Sie wählen abfichtlich Motive, die an sich für Niemand Interesse bieten können. Neben vielem Anderen kann man ihnen vor allen Dingen entgegenhalten, daß diese Bemühung unnöthig ist. Wenn ihre fünstlerische Straft groß genug ist, wird sie auch, wenn der Inhalt des Dargestellten durchaus reizvoll ist, den Beschauer so stark gefangen nehmen, daß das Stoff­liche fast ganz aus dem Bewußtsein verschwindet. Wer denkt vor einem Werke Böcklins viel an die geschichtlichen oder fachlichen Hintergründe, auf denen sich seine Motive erheben! So ist es auch bei unserem heutigen Bilde: man muß sich zwingen, inhaltliche Betrachtungen anzu­fnüpfen, so werthvoll diese auch erscheinen. Alles versinkt vor dem machtvollen Eindruck des tief unter dem Beschauer liegenden Häusermeeres. Man fönnte an den Titel an­knüpfen: Neujahr in der Stadt!" Und auch die beiden Thürmerskinder das kleine Mädel mit dem schmalen, bleichen Gesichtchen gäben wohl Stoff genug: Der Blick schweift aber immer ab, über die schneebedeckten Dächer hin, zu jenem gewaltigen Bau hinüber, der mit seinen beiden Thürmen weit über sie emporsteigt. Es sind die Frauenthürme Münchens , und wir befinden uns wohl auf dem Petersthurm. Ein Münchener wollte mir freilich beweisen, daß es dann mit der Topographie nicht ganz stimmte. Das ist nicht so wichtig, und die Münchener mögen es unter sich ausmachen eine Stadt ist es, eine heutige Großstadt mit allem Dunst und Qualm, die über einer solchen lagern. Ein schwieriges Problem ist dem Künstler da gelungen, für unsere Empfindung wirklich den Eindruck hervorzurufen, daß wir hoch oben stehen, daß große Steinmassen tief unter uns lagern. Und eine echte Großstadtstimmung ist es: wie die Häuser

-

* Aus Erlösungen", 2. Auflage. Berlin , Schufter& Loeffler.

vater und füßte ihn mit seinen zitternden Lippen, taucht. Allmälig kam das Wasser zur Ruhe, die wo es hintraf, um ihn zu rühren:

Ich habe ja nichts gethan, Großväterchen... Ich habe ja nichts gethan!"

Aber schon hatte der Alte einen Fuß im Schilf, während das Kind immer zärtlicher wurde, seinen kleinen Mund zärtlich und jammernd auf die rauhe Bluse drückte und unzusammenhängende bittende Laute murmelte.

Endlich beugte der Mann sich herab und stieß das Kind, das furchtbar mit den Gliedern arbeitete, in das finstere Wasser. Blasen plaßten im Schaum des Schilfes. Einmal noch erschien das traurige Köpfchen mit den wenigen Haaren, schmugbesudelt, mit der schwarzen Mundhöhle über dem Wasser. Der Alte grinste; mit einer haßerfüllten Gebärde stieß er den kleinen Körper wieder hinab, bohrte ihn tief in den Morast hinein und hielt ihn nieder, wie man eine gefangene Maus in einen Stübel hinein­

*

Feuilleton.

so zusammengedrängt liegen, daß die Dachränder fast aneinanderstoßen, wie man es kaum begreifen kann, daß in dieser Enge Menschen, so viele Menschen leben können. Schwer lastet die düstere graue Schneewolke auf den Dächern, frächzend flattert ein Dohlenschwarm um die mit Schneehauben bedeckten Frauenthürme.

Ueber den Klee als Zauberblume bringt M. Kronfeld in der Wiener Medizinischen Wochenschrift" eine Zu­sammenstellung. Schon in heidnischer Zeit war der Klee ( unser gewöhnlicher Wiesenklee) eine heilige Pflanze. Im Zauberkessel der Druiden fehlte er niemals. Als die katholische Kirche den Kampf mit dem Heidenthum aufnahm, fonnte sie heidnische Gebräuche nur über­winden, indem sie sie für ihre Zwecke in Dienst nahm. Der Klee blüht zur Zeit des Fronleichnamstages; daher die weitverbreitete Sitte, ihn zum Kerzenschmuck an diesem Tage zu verwenden, was wohl nichts anderes, als die Umformung eines heidnischen Gebrauches ist. In Irland , wo sich noch zahlreiche kulturgeschichtliche Neste aus vor­christlicher Zeit erhalten haben, muß der Klee als Zauber­blume eine besonders hervorragende Rolle gespielt haben, wenn die Kirche ihn als das dem heiligen Patrick ge­weihte Nationalzeichen annahm. Auch die kirchliche Bau­funft benugt mit Vorliebe das Kleeblatt- Ornament. War der Klee ohnehin eine dem Volksbewußtsein sehr vertraute Blume, so konnten merkwürdige Abweichungen im Bau dieser Blume nicht ohne tiefen Eindruck bleiben. Daher auch der Glaube an den vierblättrigen Glücksflee, da die Regel nur drei Blätter kennt. Auch dieser Volksglaube geht auf sehr alte Zeiten zurück. In einem Grimm'schen Märchen erkennt ein Mädchen durch die Kraft des vier­blättrigen Klees, daß der schwere Balken, mit dem ein Zauberer den Hahn beladen hat, nur ein Strohhalm ist. Mit dem kirchlichen Glauben hat sich dieser Aberglaube zu vereinen gewußt. Wenn man vierblättrigen Klee am Sonntag im Gebetbuch in die Kirche nimmt, wird seine Zaubermacht kräftiger, und wenn man ihn an einem Sonntag vor Sonnenaufgang pflückt und in den Schuh steckt, erkennt man alle Heren. Hier ist besonders stark der dem volksthümlichen Denken eigenthümliche Zug aus­geprägt, daß absonderliche Hantirungen auch besondere Wirkungen hervorbringen müßten. Deshalb weiß der in neuester Zeit wieder dem Publikum bekannter gewordene Dichter und Abenteurer Cyrano von Bergerac vom vierblättrigen Klee zu erzählen, er wachse nur unter dem Galgen, entstehe aus dem Blute der Gehängten und müsse am ersten Tage, da der Mond sichtbar sei, um Mitter­nacht gepflückt werden, damit er im Spiele Glück bringe. Noch heutigentags hat sich dieser Glaube an den Glücks­flee auch in gebildeten" Kreisen erhalten; nur erspart man sich, dem praktischeren Zug der Zeit folgend, gern die umständliche Mühe des Suchens und kauft das Glück fir und fertig beim Blumenhändler. Das ist aber nicht mehr echter Klee, sondern Sauerklee, der regelmäßig vier Blätter hat: wahrscheinlich bleibt aus diesem Grunde auch manchmal die erhoffte Wirkung aus!

ch.

Eine große Eilgüterzuglokomotive in 66 Stunden montirt. Vor Kurzem hat die französische Westeisenbahn­gesellschaft in ihren Werkstätten zu Epernay einen bemerkens­werthen Versuch gemacht, in möglichst kurzer Zeit eine Loko­motive betriebsfertig zusammen zu setzen. Es handelte fich nach einer französischen Fachzeitschrift um eine mit Westinghouse- Bremse ausgestattete Gilgüterzuglokomotive, die in 66 Stunden oder 6/2 Arbeitstagen soweit zu­sammengebaut wurde, daß sofort die Probefahrten mit ihr begonnen werden konnten. Nahmen, Kessel, Führer­stand und alle Maschinentheile lagen fertig vor, und es waren feinerlei Nacharbeiten daran erforderlich. Bei dem Versuche waren elf Schlosser, vier Lehrlinge und ein Tagelöhner beschäftigt, zu denen sich zeitweise, wenn es

Glieder hörten auf, sich zu regen, die letzten Bläschen stiegen zur Oberfläche empor.

Aber der Alte stand, um Gewißheit zu haben, noch einige Minuten zu Boden geneigt und hielt den rechten Arm in den Schlamm hinab.

Die düsteren Weiden setten ihr nächtliches Klage­lied fort, eine unendliche feierliche Stille ruhte über der Erde.

Endlich richtete der Mann sich auf, zog den Leichnam heraus und rollte ihn aus dem Shawl. Mit grimmigem, aber zufriedenem Blick betrachtete er seinen Enkel, das bläuliche Gesicht, das träumende Lächeln, die in ewigem Frieden geschlossenen Augen, alles, was von dem armen Wesen übrig geblieben war, das in seiner Hütte ihm zuviel Roggenbrot gegessen.

Aber durch einen Wolfenriß spähten aus der Tiefe der Unendlichkeit drei kleine Sterne herab.

nöthig erschien, noch vier weitere Schlosser und vier Kesselschmiede gesellten. Zwei fahrbare elektrische Krahne von je 30 Tons Tragkraft dienten zum Verseßen der schweren Maschinentheile, und außerdem waren mehrere Bohr- und Lochmaschinen mit elektrischem Betriebe vor handen. Am ersten Tage wurden die Gleitbacken und die Querverbindungen an den Längsträgern des auf Böcken lagernden Rahmens verpaßt und in die vor­geschriebene Lage gebracht. Ferner wurden die Zylinder borläufig befestigt und der, im Gegensaze zu früheren Ausführungen aus Winkeleisen und Blechen gebildete Rahmen auf Winkelmaaß geprüft. Im Verlaufe des zweiten Tages wurden die Geradführungen der Kreuz­föpfe angebracht, ihre Stüßen für das Behobeln an gezeichnet, der Rahmen zum Bohren der Löcher für die Befestigung der Zylinder auseinander genommen, die Löcher gebohrt und ausgerieben und endlich die Zylinder am Rahmen befestigt. Dann wurde am dritten Tage die Steuerwelle eingelegt, ihre Lager verpaßt, der keffel probeweise auf den Nahmen gesezt und dann wieder ent­fernt, um die Auflagerflächen auf den Zylinderkörpern bearbeiten zu können. Nachdem dies geschehen, wurde am vierten Tage der Kessel endgültig auf dem Rahmen befestigt, der Parallelismus geprüft, der Führerstand aufgestellt und die Geradführungen sowie die Kreuzköpfe wieder angebracht. Die Kolben und die Steuerungstheile baute man am fünften Tage ein, verpaßte die Achslager in den Gleitbacken, brachte die Lager dann auf die Achs­schenkel, setzte die Lokomotive auf die Näder und be festigte die Ercenterstangen. Am sechsten Tage konnten die Schieberstangen und Federaufhängungen angebracht werden, die Triebstangen befestigt, die Steuerung geregelt und die Schieberstangen zum Aufteilen vorbereitet. Für den siebenten Tag verblieb die Prüfung der Steuerung, das Aufteilen der Schieberstangen, das Einstellen der Federn unter Berücksichtigung der Massenbertheilung und die Erprobung der Westinghouse- Bremse sowie der Ins jektoren; darauf konnte die Lokomotive die Werkstätten zur Probefahrt auf der Linie verlassen.

Der Zusammenbau der Lokomotive hätte vielleicht in einer fürzeren Zeit ausgeführt werden können, wenn man berücksichtigt, daß bei den beschränkten Raumverhält nissen, unter denen gearbeitet wurde, oft einer der Arbeiter dem anderen im Wege war, was auch die Kosten des Versuches nicht unwesentlich erhöht haben mag.

-

gr.

Zur Sittengeschichte des 18. Jahrhunderts findet man in den Memoiren des Herzogs von Richelieu interessante Beiträge. Als der König in Madame de Cha teauroux eine neue Maitresse gefunden hatte, meinte man allgemein, der Herzog hätte diese Bekanntschaft vermittelt. Er schreibt darauf: Ich würde mir kein großes Gewissen daraus machen, meinem Gebieter bei seinen Liebschaften behülflich zu sein. Man schenkt ein hübsches Gemälde, oder irgend eine Kostbarkeit, ich sehe also nicht ein, warum man einem Fürsten nicht auch die Gunst eines Weibes verschaffen soll. Man muß dem König, der Einem Befehle giebt, in allen Stücken gehorsam sein, und man fann ihm ebensogut ein Weib, als sonst etwas verschaffen. Nicht aus Gewissensbissen habe ich in diesem Fall nicht die erste Bekanntschaft vermittelt, es fehlte mir einfach die Gelegenheit dazu.

"

Nachdruck des Juhalts verboten!

Alle für die Redaktion der, Neuen Welt" bestimmten Sendungen sind nach Berlin , SW 19, Beuthstraße 2, zu richten.

Werantwortlicher Rebatteur: Oscar Kühl in Charlottenburg . Berlag: Hamburger Buchdruckeret und Berlagsanstalt luer& Co. in Hamburg . Trud: May Bading in Berlia

C

to

ge

fr

&

fe

δε

ſt

ge

bc

to di

br

$

31

fic

de ho

fte

fa

St

id

ho

ar

31

HE

m

er

di

in

ba

S

Ief

fc