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Die Aeue A)eit. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
waren auch bedrückt. Welche Blamage vor den Dienstboten! Lena fühlte, wie ihr das Blut immer heißer aufwallte und zu Kopf stieg; in ihren Ohren summte es halt! Das hörte sie doch, ein Rascheln draußen vor der Thür. Eine Hand drückte auf die Klinke, nun ein Pochen. Lena!" Sie horchte, aber sie rührte sich nicht. Es war des Bruders Stimme. Liebe Lena  ! Lena, hörst Du mich nicht?" Was willst Du?" Lena, es thut mir so leid, es ist mir so un- angenehm, ich bitte Dich" Weiß Amalie, daß Du hier bist?" unterbrach sie ihn rasch. N ein!" DasNein" klang zögernd. So geh!" Der Trotz stieg ihr zu Kops.Wenn Tu nicht den Muth hast, offen zu mir zu halten, vor Allen, dann" Lena, Lena, sei doch verständig! Wir haben Kinder sie liebt mich ich lebe mit ihr ich Du weißt nicht, was die Ehe ist!" Dann dann danke ich! Ich reise morgen ab." Tonlos klang's und doch deutlich vernehmbar. Lena hielt sich die Ohren zu, sie mochte nicht hören, was Der draußen sagen würde. Heiße Thränen liefen ihr über die Wangen. Alles still. Ob er noch vor der Thür stand? Sie nahm die Hände von den Ohren ja, er flüsterte:Lena, was wird die Mutter sagen? Amalie wird sich besinnen. Lena, Lena, thu mir's znlieb, reise nicht so Knall und Fall ab! Bleibe mir zulieb!" Wie schmerzlich dasmir zulieb" klang! Nein!" Lena preßte wieder die Hände an die Ohren und den Kopf zwischen Sophakissen und Lehne. Sie komite es nicht verhindern, daß sie draußen immer noch das Flüstern und Pochen hörte oder war's ihr nur so? Sie horchte. Nichts, garnichts mehr! Er war
gegangen.
II.
Der Morgen kam herauf. In dem kleinen Zimmer mit dem zerwühlten Bett und dem geöffneten Koffer war fahle Frühbelenchtung. Lena trat hin und her, schon in Hut und Mantel; jetzt sah sie sich um. In dem nüchternen Licht er- schien ihr Alles anders wie gestern. Im Dunkel der Nacht war sie sich wie eine Märtyrerin vorge­kommen; Hirngespinste, Träume hatten sie umwoben und jetzt?! Was würde die Mutter sagen? Zu Tode erschrecken mußte sie über ihre plötzliche Heimkehr. Und Fritz?!Bleibe mir zulieb", hatte er gesagt. Er würde böse sein. Sinnend blieb Lena stehen. Aber Amalie? Nein, ich reise ab!" Der eigensinnige Zug um Lena's Mundwinkel trat deutlicher hervor, mit einem Ruck warf sie den Kofferdeckel zu und setzte sich darauf; das Schloß schnappte ein. Nebenan in der Mägdekammer rührte sich's, jetzt klappte die Thür. Lena öffnete rasch die ihre: Marie, hören Sie! Wenn der Herr fragt, sagen Sie, ich wäre abgereist. Ich muß abreisen; sofort!" Sie vermied den Blick der Magd.Ich will Nie- wanden stören. Vom Bahnhof schicke ich einen Dienst- manu, geben Sie ihm meinen Koffer. Adien!" Schon war sie die Treppe hinunter und Marie sah ihr köpf- schüttelnd nach. Allzu verwundert war die Marie nicht. Draußen war's noch menschenleer; in der Allee, zwischen den Villen und Gärten begegnete der Eilenden Niemand. Ueberall waren die grünen Jalousien ge- schlössen; hinter den Eisengittern die Blumen thau- besprengt. Und drüben, jenseits der Mosel  , die Berge in wunderbarem Duft; um die Spitze der Marien- säule das erste Gleißen der hervorbrechenden Sonne. Lena sah nicht hin, sie rannte wie auf der Flucht; jetzt mäßigte sie ihren Schritt die ersten Menschen! Durch's alte römische Stadtthor, in die innere Stadt hinein, zogen die Marktleute, Wagen knarrten, Hunde bellten; Lena empfand das Quietschen der Räder schneidend bis in's Mark. Sie fröstelte; sie war übernächtig, die Augen brannten, der Kopf schmerzte. Jetzt war sie am Bahnhof. Wenige Kofferträger standen umher; einen derselben schickte sie ab, und
dann setzte sie sich i» den Wartesaal. Es war so lange Zeit, über eine Stunde noch. Sie bestellte sich Kaffee und mochte ihn doch nicht trinken, ein übles Gefühl saß ihr in der Kehle; es war ihr Alles zuwider. S'e fühlte sich grenzenlos elend. Ab und zu klappte die Thür; übermodern ge- kleidete HandluNgsreiseude mit Musterkofferii stürmten herein und riefen gähnend nach einer Tasse Kaffee. Endlos dehnten sich die Minuten. Lena stützte den schmerzenden Kopf in die Hand. Nie im Leben glaubte sie unglücklicher gewesen zu sein, nie nn- glücklicher sein zu können; der öde Bahnhof, die herbe Morgenfrühe, hier ihr einsamer Winkel, die nüchterne Leere in ihrem eigenen Innern, Alles stimmte zu einander. Kein Btcusch kümmerte sich um sie. Und er ließ sie ungehindert aus seinem Hause gehen. Wie Eine, die etwas verbrochen, hatte sie fliehen müssen! Sie stöhnte und biß sich dann auf die Lippen; sie hätte in heiße Thränen ausbrechen mögen, aber nein, nicht weinen! Der Stolz verbot es ihr. Sie versuchte nun doch den Kaffee, langsam, Löffelchen um Löffelchen, und dazwischen blickte sie nach der Thür; ob der Kofferträger bald kam? Auf der Uhr dort über dem Büffet rückten die Zeiger allmälig vor. Da sie ließ den Löffel aus der Hand fallen, daß er auf die Untertasse klirrte. Die Thür hatte sich geöffnet; vor dem Dienstmann   her drängte sich eine wohlbekannte Gestalt, den Ueberzieher nicht zu- geknöpft, den Schlips ungebunden, lose herunter- hängend. Lena sah's in einem Augenblick und mußte lächeln in aller Betrübniß ihr ordentlicher Bruder, dem konnte das passiren? Ja, er liebte sie doch! Lena, Lena!" Landgerichtsrath Langen trat athemlos an den Tisch.Was thust Du mir an? Marie sagte mir eben. Du seiest fort, und gerade kommt auch der Dieustmann und will Deinen Koffer holen. Ich bitte Dich, Lena, mach' keinen Eklat! Bleib, Lena!" Er suchte ihren Blick. Eine heimliche Freude durchzuckte sie, aber sie bezwang sich.Haben Sie den Koffer?" fragte sie den Träger. Jawohl, Madam!" Kommen Sie mit an den Schalter, ich habe noch kein Billet." Und sich flüchtig zum Bruder wendend:Ich bin gleich wieder hier." Lena, Lena!" Sie zögerte. Sein Ton dnrchschauerte sie; blaß und roth flog es über ihr Gesicht, unschlüssig senkte sie den Kopf. Lena, wenn ich Dich nun bitte?! Amalie hat mir versprochen, liebenswürdig zu sein, sie läßt Dich grüßen und bittet Dich, zurückzukommen, sie zucke nicht so mit dem Mund! sie ist wirklich ver- ständiger als Du!" So?" Lena zuckte zusammen, es traf sie wie ein Schlag in's Gesicht.Ich ich kommen Sie," sagte sie hart zu dem Dienstmann  . Lena, Du bist eigensinnig, trotzig!" Sie hörte ihn nicht mehr, sie war schon hinaus. O, dieses Mädchen! Unwirsch, mit raschen Schritten ging Langen vor dem Tisch hin und her. Er kannte diese Falte zwischen ihren Brauen, diesen Zug um den aufgeworfenen Mund. Eine ttefe Bekümmerniß stieg in seiner Seele auf; wie würde sie im Leben noch anlaufen! Die Mutter war viel zu schwach, er selbst konnte nicht immer bei ihr sein und wenn auch, folgte sie denn? Sie war liebevoll und schmiegsam, aber nur bis zu einer gewissen Grenze; da stand ihr eigner Wille, machte sich breit und ließ nichts Anderes passiren. Sängerin werden! Sie hatten's ihr Alle gesagt, ihr Körper sei nicht stark, ihre Stimme schwach vergebens! Die Mutter mußte nach Berlin   ziehen, pekuniäre Opfer wurden gebracht, seit Jahren wurde nun studirt; sie mußte eben mit dem Kopf durch die Wand. Aergerlich riß Langen an seinem Schnurrbart. Da trat sie wieder in den Saal, schlank und schmächtig im langen Reisemantel, den Schleier zurückgeschlagen von dem blassen aufgeregten Gesicht; ihre großen Augen blickten trüb. Nein, er konnte ihr nicht böse sein! Eine große Zärtlichkeit wallte in ihm auf. Lena," sagte er weich,meine Schwester!"
Sie war auf einen alldecen Ton gefaßt gewesen; überrascht sah sie ihn au. Es war, als wollte sie sich au ihn schmiegen; sie ergriff seine Hand.Es ist nett von Dir, daß Du noch gekommen bist; ich danke Dir!" Böses Mädchen!" Er versuchte zn lächeln, aber es war ihm nicht danach.Was wird die 'Mutter sagen? Und was Du für einen harten Kopf hast!" Krause Haare, krauser Sinn!" Sie lachte wirk- lich, hellauf. Es berührte ihn fast unangenehm; wie komite sie nur jetzt lachen?Lena, gestern sagtest Du noch, Du wüßtest, ich brauchte Dich heut' gehst Du von mir, und es thut Dir garuicht leid?" O doch, o doch!" Ihr Lachen war ver- schwunden, sie preßte seine Finger in ihren leiden Händen und dann, rasch sich umblickend, ob auch Niemand herschaue, drückte sie ihren Mund auf seine Hand.Grüß  ' Lora und auch Walter. Du mußt mir nicht böse sein. Ich kann, ich kann nicht anders! Sie hat mich beleidigt, ich kann nicht vergessen!" Aber vergeben!" Er sah sie ernsthast an.Du wirst es lernen müssen im Leben." Vergeben?" murmelte sie,nein, ich" sie stockte, der Portier riß die Thür auf. Einsteigen, in der Richtung nach Gerolstein  , Euskirchen  , Köln  !" Du mußt umsteigen in Köln,  " sagte Langen hastig,Du hast anderthalb Stunden Aufenthalt dort. Schreib mir eine Karte vom Bahnhof, wie es Dir geht." Ja, ja!" Ihre Stimme klang gepreßt, eine unnennbare Angst vor der langen einsamen Reise überfiel sie; und heute, gerade heute, hatte sie so das Bedürfniß, sich anzulehnen! Im Hinausgehen preßte sie des Bruders Arm.Fritz, lieber Fritz!" Sie weinte. Meine Schwester!" Er half ihr in das Coupe, kein anderer Reisender stieg ein, und dann schwang er sich noch einmal zu ihr hinauf.Leb' wohl, Lena!" Sie schluchzte laut und preßte ihren Kopf an seine Schulter. Lena, was machst Du uns für Kunimer, Dir und mir! Ich bin traurig." Es wallte in ihr auf, trotzig wollte sie erwidern: Ich? Nicht ich, Deine Frau macht Dir Kummer", aber sie sah sein Gesicht.Du hast ja Lora", sagte sie aus einer merkwürdigen Jdeenverbindung heraus. Fertig!" Der Schaffner warf die Thüren zu- Leb' wohl, Lena, komm gut nach Haus!" Noch ein hastiger Kuß. Langen sprang auf den Perron zurück. Lena's blasses verweintes Gesicht nickte zum Fenster heraus.
Station auf Station. Die Eifelberge guckten rechts und links in's Fenster. Lena sah nicht hinaus. Den wüsten Kopf an das Seitenpolster gedrückt, saß sie mit geschlossenen Augen. Sie fuhr wie aus einem Traum auf, wenn der Zug an einer Station hielt; dann duselte sie weiter. Der Wagen wurde hin und her geworfen, immer das gleiche Rrrrrr�, das eintönige Rattern der Räder. So saß ihr ein Rad ini Kopf, das drehte sich unaufhörlich um die gleiche knarrende Achse. Gekränkt! Eine Andere vorgezogen! So war's beim Bruder gegangen, er hatte sie lieb und hielt doch zu der Anderen; so war's bei Dem gegangen. um dessentwillen sie aus Berlin   geflohen war! Wie hatte er ihr die Cour gemacht im vergangeneu Winter! Sie hatten sich oft bei einer befreundeten Familie getroffen, zu oft; er hatte ihren Gesang bewundert, ihr glühend die Hand geküßt, dann kaw das Frühjahr aus! Er hatte auch eine Andere vorgezogen. Hatte sie ihn geliebt? Lena preßte die Augen fester zu, eine Röthe stieg ihr jäh in's Gesicht! wenn sie das nur wüßte! Sie hatte schon oft zu lieben geglaubt; immer war aus den Trümmer» einer alten Liebe das Morgenroth einer neuen g� stiegen.Das muß so sein," sagte der berühmte