Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

niemals von dem Entfernten. Als er plöglich in­folge eines Schlagflusses verschied, erließ das Gericht einen Ausruf wegen der Hinterlassenschaft. Doch auch der blieb lange erfolglos; schon wollte man das Haupterbe, die Hälfte des Hauses, zum Aerger der Frau Lene versteigern lassen, als der vermißt Geglaubte eines Tages den lehmigen Hohlweg vom Walde herunterkam und von seinem Erbe Besiz er­griff. In dem Städtchen hatte ihn Niemand mehr erfannt; Frau Lene allein, die gerade am gegen­überliegenden Brunnen ihren Kübel scheuerte, war in die Höhe geschnellt, als Tobias die schmale, hohe Steintreppe in die Höhe gestiegen war, und hatte jeinen Namen gerufen. Im Grunde hatte er sich wenig verändert; die freundlichen Züge waren die gleichen geblieben, nur daß sie viele feine Falten bekommen hatten; aus dem übermüthigen, tollen Burschen war ein ruhiger Mann geworden. Früher hatte er immer behauptet, das ganze Städtchen solle noch einmal von ihm reden und stolz auf ihn sein, jezt aber segte er sich ganz gleichmüthig, ganz ge­lassen auf seinen alten Play. Weit war er ja herumgekommen, die halbe Welt hatte er durch wandert, das versicherte wenigstens der Polizeidiener, und der mußte es aus seinen Papieren wissen. Aber wenn man ihn fragte, gab er keine rechte Antwort und an's Erzählen dachte er nicht. Er hatte über­haupt so etwas Fremdes bekommen, daß man sich nicht mehr recht traute, ihn frisch von der Leber weg zu fragen. Er öffnete wieder die alte Werk­stätte, und anfangs brachten ihm Viele Arbeit, um ihn auszuhorchen. Als sie aber nichts erfuhren und Tobias nicht schnell arbeitete, blieb Giner nach dem andern weg, und bald war er zum Flickschuster ge­worden. Er schien sich aber nichts daraus zu machen; er arbeitete überhaupt nur, wenn ihm das Licht auf dem Nagel brannte. Sogar seinen Acker, welcher hinter dem Garten lag, hatte er zum Verdruß von Frau Lene verpachtet und zog sein bischen Gemüse dicht hinter dem Hause. Es konnte fein Zweifel walten, Meister Tobias überarbeitete sich nicht gerne, und Frau Lenie, deren Hände niemals ruhten, waren miißige Menschen ein Gräuel. Anfänglich suchte sie ihn aus seinem Schlendrian zu reißen und ersann alle mögliten Mittel, ihn zur Arbeit zu treiben. Nach und nach sah sie aber das Nuzloſe ihres Be­mühens ein und sie begnigte sich jetzt, auf seine Sachen ein scharfes Auge zu haben, um ihm bei jeder Gelegenheit sein bequemes Wesen vorzuwerfen, was sich Meister Tobias in unzerstörbarer Gut müthigkeit gefallen ließ.

Er hatte aus dem dickbäuchigen Eckschränkchen zwei Tassen geholt, deren goldener Rand viel von dem einstigen Glanze eingebüßt hatte, und sie auf den wurmstichigen runden Tisch gestellt.

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Ehe Meister Tobias ein Wort entgegnen konnte, war sie zur Thüre hinaus und kam gleich mit einem großen Stück Kuchen zurück.

Eigentlich solltet Ihr ihn erst morgen haben. Weil Ihr aber so ein Kindskopf mit dem Samstag Abend seid, könnt Ihr ihn auch heut' schon essen."

Das ist schön von Euch, Lene, ich danke," ant­wortete der Meister. Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und sah die Gegenübersißende an. Hübsch war Frau Lene ja gerade nicht mehr, ausgenommen die dunklen Augen, deren freundlicher Ausdruck nicht so recht zu den harten, strengen Zügen passen wollte. Aber ehrlich und sauber sah sie aus, von den glattgekämmten grauen Haaren bis zu den plumpen Schuhen. Und jetzt, als sie mit der hartgearbeiteten, sehnigen Hand die Tasse sorgsam zum Munde führte, einen prüfenden Schluck nahm und ihrem alten Nach­bar das Zeichen ihrer Anerkennung durch leichtes, bedeutsames Nicken fund gab, lagerte sich ein mütter­licher Zug um ihren Mund, der dem Gesicht alles Herbe nahm.

An langes Stillfißen war aber bei Frau Lene nicht zu denken, besonders wenn sie ihren Strick­strumpf nicht in der Tasche führte. Kaum hatte sie ihre halbe Tasse ausgetrunken, so wanderten die Augen unablässig im Zimmer umher, und sie jagte alle zwei Minuten vom Stuhle auf, um diesem oder jenem Gegenstand eine andere Stellung zu geben. An dem Schustertische blieb sie stehen und hob ein Paar über den Leisten geschlagene Stiefel das einzige Baar neue überhaupt in die Höhe. ,, Noch nicht weiter, Tobias?" fragte sie nach sorgfältiger Prüfung.

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, Gut Ding will Weile haben," antwortete der Meister. Aber Ihr werdet Gure Freude an den Stiefeln haben, Lene. So was hat die Welt noch nicht gesehen."

Na, na, wollen's abwarten. Langsam genug geht es ja. Auf diese Weise könnt Ihr es natür lich nie zu Etwas bringen. Jetzt schafft Ihr schon vier Wochen an meinem Paar. Da seht lieber auf meinen Karl. Der ist ein fleißiger Mensch. An dem könnt Ihr Euch ein Muster nehmen, so alt Ihr seid."

Der Meister nahm rasch einen Schluck, um sein Schweigen zu bemänteln. Karl war das einzige Kind der Frau Lene, zu welchem sie mit abgöttischer Verehrung aufblickte. Er war in ihren Augen der schönste, beste Mensch, und alles was er that, ganz vorzüglich. Ihr Hauptkummer bestand darin, daß sie ihn trotz seiner trefflichen Anlagen nur Schreiner werden lassen konnte, und ihr Karl nun schon lange in großen Städten arbeitete. Tobias dachte freilich etwas Anderes; er sah in Karl einen verzogenen, frechen Strick, der ihn ärgerte und kränkte, wo er konnte, und nach dessen Weggang ihm sauer ersparte vierzehn Mark gefehlt hatten. Aber er hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als Lene nur ein Wort darüber angedentet; er wußte, daß Karl ihr höchster

Kommt her, Lene, sezt Euch zu mir und trinkt ' ne Tasse mit, sagte er zu seiner Nachbarin, die inzwischen an allen Ecken und Enden zurecht gestellt und gewischt hatte. ,, Staffee trinken in dem Schmuz? Was fällt Stolz war, daß sie nur für ihn arbeitete und darbte Euch ein?"

Sie ergriff einen alten Lappen und begann die mit Wasser gefüllte Glaskugel über dem dreibeinigen Schustert schchen einer gründlichen Reinigung zu unter­werfen. Allerdings hatte sich eine beträchtlich dicke Staubschicht über sie gelegt, war aber von dem biederen Meister nicht beachtet worden.

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Ach was, laßt doch," sagte er, das werde ich nachher schon besorgen!"

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und sparte.

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" Ihr sizzt ja da, als ob Euch die Hinkel das Brot gestohlen hätten," wendete sich Frau Lene wieder an den Nachdenklichen. Es paßt Euch wohl nicht in den Kram, daß ich wegen der Stiefel gemahnt habe? Nichts für ungut, Tobias; es eilt mir ja nicht."

Der Meister schüttelte begütigend den Kopf und fie fuhr fort: Daß Karl ein Ausbund von einem Menschen ist, wißt Ihr. Aber daß er viel schneller schafft als Ihr, ist nur in Ordnung; er ist ja auch

Es wäre gescheiter, Ihr arbeitetet noch etwas!" " Schwätzt doch nicht, Lene; heute, am Samstag Abend! Ihr wißt, da thue ich nie etwas. Das soviel jünger." ist mein altes Recht," lachte der Meister.

" Schlimm genug, daß Ihr immer einen Grund ausfindig macht, um faulenzen zu können!"

" Jezt ist's aber genug, Frau Lene! Wollt Ihr mir den Staffee mit Gewalt verderben? Hergesetzt und getrunken!"

Sie lächelte vergnügt in sich hinein, dann schoß sie an die Thüre. Aber jezt muß ich fort, ich hab' noch alle Hände voll zu thun. Guten Abend, Meister!"

Die letzten Worte wurden schon zwischen Thür und Angel gesprochen. Kurz darauf hörte man Frau Lene mit dem Besen auf der Treppe rumoren, als wenn das kleinste Stäubchen von den ausgetretenen Stiegen

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abwischen wollte. Freilich, genug war in das Zimmer gepfropft, um einer reinigungsbedürftigen Seele un­ablässig Arbeit zu geben. Alle Wände waren mit Holzschnitten, Lichtdrucken und Abbildungen aus Zeit­schriften und Kalendern beklebt; dazwischen hingen drei Kasten voll Schmetterlinge und Käfer, ein ans­gestopster staubiger Nabe stand auf dem Schrank, und eine Weihe mit ausgebreiteten Flügeln schwebte an der Decke. In der einen Ecke standen auf einem Brett Pfeifen mit bunten Köpfen der Meister rauchte zwar selber nicht gegenüber baumefte eine verrostete Spaßenflinte. Auf dem hölzernen Sofa lag ein schäbiges Fuchsfell, und der ungeheure schwarz­lederne Lehnsessel diente dem Mohrchen zum be­ständigen Ruheplay. Ein Rothfehlchen, welches frei umherflatterte, trug gerade nicht zur Vermehrung der Neinlichkeit bei.

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Der Meister hantirte an diesem Krimskrams eine erstaunlich furze Zeit herum und setzte sich dann in höchster Befriedigung über sein gelungenes Werk auf den mächtigen Lehnstuhl. Da der Alte die Wärme liebte, hob er das schlafende Mohrchen auf seinen Schooß; der wohlgenährte Kater diente Tobias als lebendige Wärmflasche und fühlte sich, nach seinem behaglichen Schnurren zu urtheilen, bei dieser niitz­lichen Verwendung äußerst wohl.

Das Feuer in dem kleinen Ofen knisterte, der zähe Wurzelstock zerfiel langsam in Gluth, ein leichter rother Schein zitterte durch das dämmerige Zimmer. Driben bei dem Zimmermann schaffte der Lehrbube die Spähne weg; Frauen und Kinder kehrten auf der Straße zu Ehren des morgigen Sonntags den gröbsten Schmuß zusammen; an dem gegenüberliegen­den Brunnen rieben die Mädchen die breiten Eisen­ringe an ihren schweren Stübeln blank, und hier und da polterte ein mit Rühen   bespannter Bretterwagen vom Felde heim.

Meister Tobias schmunzelte noch behaglicher als sonst vor sich hin; die Bilder des Samstag Abends waren die gleichen geblieben wie vor einem Menschen­alter. Nichts im Städtchen hatte sich geändert; nur seine ehemals braunen Haare hingen nun in schlichten weißen Strähnen nieder. Wie hatte ihn in seiner Ingend die Enge des Städtchens gedrückt, wie pein­lich waren ihm die kleinen Verhältnisse gewesen! Nur hinaus, weit fort, ins bewegteste Leben, in bunte Abwechslung. Er hatte nicht gezweifelt, daß er das Glück zwingen müsse, ihm dienstbar zu sein. Aber all' sein Wagen und Ringen war nußlos ge= blieben, zum Theil aus eigener, zum Theil aus fremder Schuld.

Und allmälig, wenn er die Hände müde sinken ließ, war in weiter Ferne leise Sehnsucht nach dem Samstag- Abendfrieden des weltvergessenen Städtchens in ihm aufgestiegen. Sie wurde mächtiger und mächtiger, je mehr seine Hoffnungen zerstoben; er dachte jetzt nur noch daran, wieder an dem Fenster in der engen Gasse zu sißen, aus welcher er um jeden Preis hatte fliehen wollen.

Es war dunkel geworden; hier und dort blizte aus den schmalen Fenstern ein Lichtfunken auf; der verglimmende Wurzelstock flackerte noch einmal zu hellerer Gluth empor, und schwache Lichter tanzten über den Schustertisch.

Unwillkürlich blickte der Meister nach den an­gefangenen Stiefeln; früher war ihm sein Hand­werf ein Gräntel gewesen; er hielt sich zu Besserent terufen. Und jetzt? Von allen seinen fühnsten Wünschen war nur einer geblieben: einen tüchtigen neuen Stiefel zu machen. Er hatte sich eine ganz treffliche Methode ausgedacht, nach welcher das besie Sißen der Stiefel garnicht mehr zu verfehlen war. Und schön würden sie aussehen, ungewöhnlich schön. Es war recht dumm, daß kein Mensch mehr Ver­trauen zu dem alten Flickschuster hatte! Lange Zeit verschloß er diesen Kummer in tiefster Brust un hoffte, es würde irgend Jemand sich ein Paar nene bestellen. bestellen. Doch keiner kam; da sprach er einmal seinen Mißmuth gegen Frau Lene aus, und da sie behauptete, Stiefel nöthig zu haben, wurde die Prote Meister Tobias maß auf höchst neue, wunderbare Art, dann machte er eine Zeichnung des

" Na ja, na ja," erwiderte die Gefragte. Sie wußte, daß es jetzt Zeit sei, einzulenken; wenn der Meister Frau Lene" sagte, war er auf dem Punfte, weggefegt werden müsse. Diese Töne weckten plößlich gemacht. ärgerlich zu werden. Sie trat deshalb an den Tisch, den Ehrgeiz des Meisters; er knöpfte sein grau­

log den

Kaffeegeruch ein und meinte: Gut riecht wollenes Wamus zu, nahm den liegen gebliebenen Fußes und stellte eine kleine Berechnung an. Auch der Leisten wide ganz anders wie sonst hergerichtet,

er wirklich: aber wartet noch einen Auge:: blick."

Lappen und that, als ob er gleichfalls den Stans