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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Die Stimmen aber schwollen an und wilde, wirre Töne zischten durch das Getöse.
Erschreckt starrte Konrad in den Hintergrund. Eine dunkle Masse hatte sich dort zusammengeballt, und plößlich wurde es leichenstill. Angstvoll hielt Konrad den Athem an, und es war ihm, als drohe ein Unheil. Da stob der Knäuel auseinander und gellende Rufe wurden laut:„ Hilfe! Hilfe!"
Zitternd hielt Frank den Arm des Freundes fest, der hinüberstürzen wollte in den dunklen, drohenden Hintergrund.
So lauschten sie eine Weile. Gestalten huschten an ihnen vorbei, auf die Straße hinaus und von der Straße herein. Unter den Hereineilenden sahen fie Einige mit blißenden Knöpfen und funkelnden Helmen. Dann wieder Stille.
Es war, als ringe dort hinten ein Mensch auf Tod und Leben. Dann drängte sich der Knäuel wieder zur Thüre, und in der Mitte sah Konrad einen jungen Menschen, der sich verzweifelt wand unter den Händen Derer, die ihn hinausschleppten.
Aber im Hintergrund war es still geworden. Auf der Bank längs der Wand lag eine Gestalt; die Leute standen umher. Konrad hörte ein leises, verhallendes Röcheln.
→ Zwei Bilder.
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iefblauer Himmel, schimmernd wie Opal, Mur hie und da glasweiße Wolkenflocken; And träumerisch im gelben Sonnenstrahl Da wiegt das Horn die weichen, wirren Locken. Hui! fliegt's daher, rasch wie der Hamum weht, Die Ketten klirren und die Räder sausen, Ein'n Mädchenschwarm auf dem Helociped' Sieht wie die Windsbraut du vorüberbraufen. And Lachen, Plaudern, Glück und Die Rose Jugend blüht auf weißen Wangen, And wie der Morgen klar die Zukunft ruht, Dem Frühling gleich, wenn tausend Blüthen
ebermuth,
prangen...
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Ein weiter Raum, ftaubdunkel wie der arg So d' und troftlos ift die Hölle nimmer! Qurch schwarze Fenster tropfet kalt und karg Das Sonnenlicht, starrweiß wie Mondenschimmer Der Pfen keucht und ächzt aus fiefer Bruff, Die Hetten klirren und die Räder sausen, Ein'n Mädchenschwarm, verblaßt und überrußt, Siehst du in diesem Moderkerker hausen. Nicht Lachen, Plaudern, Glück noch Webermuth, Die Rose Jugend ist hier bald vergangen, And wie die Nacht so kalt die Zukunft ruht, Dem Winter gleich, wenn Eisesblüthen prangen
H. E. Jahn.
Schmugglers Ende. In dem fleinen Gebirgsdorf ist Alles still. Kein Laut von Menschen wird hörbar, dicht verschlossen sind die Läden der niedrigen Fenster. Schweres Gewölf jagt am Himmel dahin; bald überdeckt es den Vollmond, und die ganze Natur liegt in tiefstem Schatten, und dann tritt er in einem Wolfenriß wieder heraus, und die Szene liegt im hellsten, fast blendenden Licht; scharf zeichnen sich die Häuser ab, jeder Stein, jeder Pfosten ist deutlich zu unterscheiden. Es ist nur scheinbar Ruhe in den Häusern. Hinter den geschlossenen Läden harren in banger Erwartung Frauen auf die Rückkehr der Männer, denen das heranziehende Unwetter gerade recht zu ihrem gefährlichen Handwerk, dem Schmuggel, war. Es war ihnen selber nicht gut zu Muthe, als sie heute hinauszogen. So lange war Alles glatt abgegangen, aber in den letzten Tagen hatte es Anzeichen gegeben, daß die Grenzwächter ihnen auf der Spur waren. Was sollten sie aber thun! Sie waren arme Leute und dem reichen Kaufmann jenseits der
Rasselnd fuhr draußen ein Wagen vor, und mehrere Männer mit weißen Binden und rothen Kreuzen am Arm eilten herein. Bald darauf trugen sie die leblose Gestalt hinaus, und wieder rasselte der Wagen fort, die Straße hinab.
Konrad war in seine Ecke zurückgesunken. Wirre Bilder von Noth und Elend und grausamem, unerbittlichem Schicksal glitten wie höhnend durch seine Seele. Dann hörte er hart neben sich die hohe Stimme des Kellners, der mit Frank sprach: ,, Niedergestochen hat er ihn. Der überlebt die Der überlebt die Nacht nicht." Und dann:
,, So war er immer. Der war für's Zuchthaus geboren. Ganz wie sein Vater. Der hat auch dort geendet."
Mit einem Nude erwachte Konrad aus seinem dumpfen Träumen.
" Zuchthäusler! Zuchthäusler!" flang es schrill in seinen Ohren, und er fühlte sich von tausend höhnenden Stimmen umgeben, die schrieen und jubelten: " Zuchthäusler! Zuchthäusler!"
Konrad sprang auf.„ Komm!" sagte er zu Frank mit heiserer Stimme. Rasch eilten sie in die Nacht hinaus. Die kühle Nachtluft that ihren heißen Stirnen
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Feuilleton.
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Da
Grenze verpflichtet, da half kein Zögern: die Waare lag da und mußte hinübergeschafft werden. Und dann glaubten fie auch, daß die Grenzwächter so leicht ihre verborgenen Schleichwege doch nicht finden würden. So zogen sie aus, und die Frauen blieben in Angst zurück. kommen plötzlich vom oberen Ende des Dorfes her Schritte, eilig, aber doch gleichmäßig und schwer. Jezt hört man einen Mann schneller vorauslaufen bis zur letzten Hütte am anderen Ende des Dorfes. Er klopft an die Läden. Drinnen hat schon längst ein junges Weib gewartet, sie hatte keine Ruhe finden können und war inimer wieder zum Fenster geeilt, um hinauszuhorchen. Als sie jetzt den Mann zu ihrem Hause kommen hört; und er an ihr Fenster pocht da weiß sie, was ihr geschehen ist. Mit ein paar Schritten ist sie draußen: sie steht vor ihrem zu Tode verwundeten Manne... Eben wirft der Mond wieder sein bleiches Licht über die Szene. Auf der Büchse wird der Getroffene von zwei Freunden, deren Antlig noch geschwärzt und von der Maske halb berhüllt ist, herangetragen, frampfhaft flammern sich seine Armie um ihre Schultern, der Kopf sinkt schon zurück nicht lange mehr, und er hat ausgefämpft. Ernst und voll Mitleid richten sich die Blicke der beiden schwarzen Gesellen auf das unglückliche Weib, der Dritte naht sich ihr, um ihr Trost zuzusprechen, Nachbarn, die der Lärm an's Fenster gelockt, erkennen erschreckt, was vorgefallen ist das Weib sieht nur den Sterbenden, mit einem gellenden Weheruf, die Hände vor das Gesicht schlagend, stürzt sie zusammen..
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Volksjustiz im Bergischen. Die Rechtspflege des Volkes ist wesentlich anders geartet als die der rechtsfundigen Gelehrten. Sie ist vor Allem weit mannig= faltiger, und sie lehnt sich enger an die jeweilig gegebenen Umstände und Verhältnisse an. Aber ein gewisser Koder des Rechts hat sich auch hier gebildet. Interessant sind unter diesem Gesichtspunkt einige Beispiele, die Otto Schell in der Monatsschrift„ Der Urquell" zusammengestellt hat. Er hat sie aus dem Gebiet des ehemaligen Bergischen gesammelt. Bis in die sechziger Jahre unseres Jahrhunderts war es in der Umgegend von Mettmann üblich, einem Bauer, der gegen seine Knechte und Mägde streng und hart war, in der Nacht einen Wagen auseinanderzunehmen und dessen einzelne Theile auf das Dach des Hauses, der Scheune oder des Stalles zu praktiziren. Oft versammelten sich zu diesem mühsamen Aft der Justiz zwanzig bis dreißig und noch mehr junge Burschen. Es ging ganz lautlos und still dabei zu, und ein Verräther fand sich nie.
Am bekanntesten ist in jener Gegend das„ Thierjagen", auch„ Austrommeln" genannt. Selbst in den großen Industriestädten Elberfeld und Barmen hat sich dieser Brauch bis heute erhalten. Geübt wird er meistens gegen Männer, welche ihre Frauen geschlagen oder ihnen: nicht treu geblieben sind. Am Abend versammelt sich Groß und Klein vor der Wohnung des Uebelthäters und beginnt einen ohrenzerreißenden Lärm mit Pfeifen, Johlen und Bearbeiten der verschiedenartigsten Blechinstrumente. Der Lärm wird stundenlang fortgesetzt und wiederholt: sich an drei aufeinander folgenden Abenden. An eine bestimmte Jahreszeit oder an einzelne Wochentage ist dieser Brauch nicht gebunden. Früher wurden dem armen Sünder seine Verbrechen auch in derben Knittelversen. borgehalten. So lautet z. B. ein Vers:
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wohl. Bis zu Frank's Haus gingen sie mitsammen. Dann kehrte Konrad um: langsam, als wäre jeder Schritt ein Leben. Auf der Brücke, die über den Fluß in die Stadt zurückführt, blieb er stehen. Er sah in die dunklen Wellen hinab. Ihm war, als sei in seiner Seele eine Saite gesprungen. Und immer wieder hörte er die hohe Stimme, die sagte: Er war für's Zuchthaus geboren. Ganz wie sein Vater!"
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,, Nein, nein!" schrie Konrad plöglich in tödtlicher Angst auf.„ Nur das nicht! Nur das nicht!" Ihm war, als kämen von allen Seiten Menschen zusammen, die ihn umringten und schrieen:
Zuchthäusler! Zuchthäusler!"
Mit einem Ruck schwang er sich über das Brückengeländer.
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Einige Tage später warfen die Wellen den Leichnam eines Knaben an's Ufer. Man erfuhr, daß es eine Waise sei. Niemand ahnte, wie er den Tod gefunden. Wer hätte es auch ahnen können! Selbst Frank, als er die Nachricht erhielt, glaubte, Konrad sei durch Unvorsichtigkeit in's Wasser gefallen.
Im Waisenhaus aber erzählten sich die Kinder: Nr. 109 ist ertrunken."
Hört, Ihr Leute! ich will Euch was sagen, Der Spaß- Pitter hat das Fraumensch vernagelt, He het et em Ferkestall verneit. Bewahret das Feuer und das Licht, Daß dem Spaß- Bitter fein Unglück geschicht.
In dem vorliegenden Falle hatte sich der„ Spaß Pitter" mit der Frau seines Nachbarn im Schweineftall vergangen. Eine andere Strophe lautet:
Der N. N. hat seine Frau geschlagen, Das wollen wir dem Richter flagen.
Der Nichter dacht' in seinem Sinn:
In der Frau, da steckt der Teufel drin.
Eine Mittheilung aus den sechziger Jahren erzählt über die Art und Weise des Tierjagens im Amt Stein bach, nachdem der Höllenlärm geschildert ist, weiter Fol gendes:„ Nachdem sich der Lärm gelegt, wurden die erschreckten und bestürzten Uebelthäter aufgefordert, her aus zu kommen; wurde keine Folge geleistet, so fing man an, Schlagladen und Thüren, Fenster und Wände ein zuschlagen. Mittels Rauch und Gewalt wurden sie aus dem Haus getrieben und nun gejagt, gestoßen und ge schleift, bis man sie in einer Mistiauche oder in einem Weiher hatte; es ging aber nicht um's Leben."
Am weitesten entwickelt ist dieselbe Art der Volks juftiz in dem allgemein bekannten„ Haberfeldtreiben Oberbayerns , mit dem es viele gemeinsame Züge auf weist. Das Thierjagen ist aber viel weiter verbreitet; ist beispielsweise auch in der Eifel bekannt. Wenn die Haberer ihren Brauch auf Karl den Großen zurückführen. so läßt sich dieses Volksgericht bis in's 6. und 7. Jahr hundert zurück verfolgen. Aus jener Zeit sind Bußordnungen erhalten, die wiederholt eindringlich gegen einen Braud eifern, bei dem man sich in Thierfelle hüllte und Thier häupter auffezte. Aus dem 13. Jahrhundert stammt eine Nachricht von einem ähnlichen Brauch. Beim Thierjagen am Niederrhein wurden noch in unsererer Zeit die Stimmen verschiedener Thiere nachgeahnt. Damit scheint die Gr klärung des Namens gegeben. Der Brauch scheint ehe mals unter allen deutschen Volksstämmen im Schwange gewesen zu sein. Und Shakespeare hat in seinen„ Lustigen Weibern von Windsor" das Thiericgen auf die Bühn
gebracht.
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Sinbanddecke für Neue Welt 1898
mit Inhaltsverzeichniß
liefert( auch für frühere Jahrgänge) zum Preise von Mark 1.
Buchhandlung Vorwärts
Berlin SW., Beuthstraße 2.
Nachdruck des Jnhalts verboten!
Berlag: Hamburger Buchbruckerei und Berlagsanstalt' auer& Co. in Hamburg . Drud: Mar Babing in Berlin .
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