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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Hm!" Dämel besaß eine gewisse Weichmüthig­feit jungen Frauen gegenüber. Er entsann sich, die fleine Langen hatte gut Klavier gespielt; es mußte nicht unangenehm sein, in den Privatstunden, in denen man unnmusikalische Misses drillte, auf diese schlanken Fingerchen zu blicken. Sie mochte dann an einigen Vormittagen begleiten; der bisherige Be­gleiter paßte ohnehin nicht mehr, er erlaubte sich in legzter Zeit eine eigene musikalische Meinung.

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zuweisen könnten! Wenn Sie doch die Güte hätten, selbst nicht, wie es fam, aber nun mehrten sich die Sorgen von Tag zu Tag Herr Professor!" oder sah er sie nur flarer? Merkwürdig, daß sie nie ausfamen, und sie sparten so! Lena war so anspruchslos, und er selbst? Er brauchte doch garnichts für sich. Abends mal eine Flasche Wein, das war ihm durchaus nöthig, sowohl zur Nachtruhe als zu der Anregung, ohne die er nichts schaffen konnte. Und wofür gaben sie denn sonst noch Geld aus? Ach, da waren so viele kleine Dinge, die neben den großen Ausgaben, wie Miethe, Steuer, Kleidung, Mädchenlohn, her­liefen. Den Doktor hatte man auch gebraucht; vier Wochen hatte sich der junge Ehemann mit der gar­stigen Erkältung von seinem Hochzeitstag her herum­geschlagen.

Ich will Ihnen einen Vorschlag machen," sagte der berühmte Mann. Lena horchte auf.

An drei Vormittagen der Woche gebe ich Privatstunden im Hause, von neun bis eins; wenn Sie wollen, können Sie die Begleitung übernehmen. Monatliches Honorar: Zweiundsiebzig, sagen wir rund siebzig Mark. Sind Sie damit einverstanden?"

Ob sie das war! Lena fühlte eine große Freude, dankbar ergriff sie die Hand des Professors. Gern, gern!" Der vergrämte Zug um ihre Mundwinkel war verschwunden, sie sah reizend aus mit dem zarten Roth auf den Wangen.

Der berühmte Mann tätschelte die kleine Hand und schmunzelte, da war er billig weggekommen!

Wie beschwingt eilte Lena über die Straße. Der Weg bis zu ihrer Wohnung war weit, sie be­achtete das garnicht. Was würde Richard sagen? Mußte er sich nicht freuen, wenn sie etwas zur Wirthschaft beisteuerte? Siebzig Mark, welch große Summe! Sie machte einen kleinen Sprung über den Rinnstein, und dann kaufte sie der Frau, die an der Ecke stand, einen Rosenstrauß ab. Die Blüthen waren schon welk vom Sonnenbrand, ihr dunkles Noth schwärzlich, aber sie dufteten noch. Lena drückte sie sorgfältig an sich, die sollte Richard haben; und dann eilte sie weiter, den Blick zu dem tiefblauen Sommerhimmel erhoben.

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Bredenhofer hatte gar keine Ahnung, daß seine Frau zu ihrem früheren Lehrer gegangen war; er hätte das nie gelitten. Man sollte Lena suchen, anbieten durfte sie sich nicht.

Er saß in seinem sogenannten Atelier vor der Staffelei und pinselte an einem Bildchen. Er bes mußte dazu eine Eifelsfizze, die er im vorigen Herbst fliichtig auf's Papier geworfen hatte, in Gerolstein  , einen Tag vor seiner Abreise, einen Tag vor dem verhängnißvollen Zusammentreffen nit Lena im Eisen­bahnzug. Er hatte die grotesken Felszinken der folossalen Basaltblöcke, die sich gegenüber von seinem Fenster, jenseits am Ufer der Styll erhoben, im Abendschein sich röthen sehen; ihr melancholisches Grau hatte sich mit Himmelsrosen geschmückt, ihre schroffe Nacktheit schien verklärt, von einer weichen Wehmuth übergossen. Der Anblick hatte ihn gepackt, begeistert; mit eiligen Fingern hatte er nach seinem Stizzenbuch gegriffen, Stift und Pinsel waren über's Papier geflogen. Aber es war schon spät, der Glanz erlosch; er mußte das Buch schließen.

Jezt saß er und quälte sich; er konnte die Farben nicht mehr finden. Wenn er die Augen schloß, sah er's ganz deutlich, dieses todte Grau, dieses lebens­volle Roth; er athmete den eigenthümlich herben Duft der Eifelluft und fühlte wieder die ganze Poesie, die ihn damals ergriffen. Deffnete er die Augen, so war Alles hin, verschwunden wie Zaubersput. Die Farben auf seiner Palette taugten alle nichts; das Grau war schmutzig und das Roth schrie. Er stöhnte, er schwißte.

Die Wände des Ateliers, mit seinen Studien und Entwürfen behangen, grinsten ihn langweilig an; durch das halbgeöffnete Fenster kam eine schwüle, trockene Sommerluft und raschelte in den unbeschrie­benen Blättern auf dem Schreibtisch.

Der junge Mann faßte nach seinem Kopf, der Schädel brannte ihm; gleich über der Wohnung war der Bodenraum. Da stach die Sonne ungehindert durch die Luken, und das Schieferdach prallte vor Gluth. Ja, es war nicht Alles schön!

Bredenhofer seufzte, ließ den Pinsel aus der Hand sinken und lehnte sich müde zurück.

Im Frühjahr war's besser gewesen; er wußte

Es muß wohl sein, daß man alle Mißstände nicht so empfindet, wenn man im ersten Taumel der Liebe ist. Bredenhofer und Lena hatten gelacht, weil Onkel Hermann hartnäckig schwieg, und ihn einen alten eigensinnigen Junggesellen genannt, der schon klein beigeben würde. Mit Leichtsinn hatten schon klein beigeben würde. Mit Leichtsinn hatten sie sich über Langen's kühler und kühler werdende Briefe hinweggetäuscht; zuletzt schrieb er garnicht mehr an Lena, nur durch die Mutter hörten sie noch von ihm.

Und Allensteins? Die junge Frau hatte sich gegen jede Bevormundung entschieden gewehrt und der Gatte ihr beigestanden. Susanne war verlegt, und als sie sich vergebens bemüht hatte, dem Bruder Lena's Fehler Klarzulegen, zog sie sich zurück. Das war immerhin schmerzlich für Bredenhofer und auf­reibend dazu. Er hatte Szenen mit der Schwester seiner Frau wegen und doch von dieser keinen Dank; und Szenen mit Lena, Susanne's wegen, und von der auch keinen Dank.

Die Einzige, mit der sie sich standen, war die Mutter. Aber diese konnte es auch nie lassen, ihren Besorgnissen Ausdruck zu geben und um die Ent­fremdung zwischen ihren Kindern zu jammern. Das war auf die Dauer zum Nervöswerden. Der junge Mann konnte es nicht ertragen; er war sehr artig gegen die Schwiegermutter, aber er ging meist fort oder zog sich in sein Atelier zurück, wenn Frau Langen zu Besuch fam. Als ob die das nicht gemerkt und sich bei Lena empfindlich darüber geäußert hätte!

Und dazu die pekuniären Sorgen, all' dies klein­liche Rechnen und Inerwägungziehen! Als Inng­geselle war Bredenhofer so flink in die Tasche ge­fahren, was machte es, wenn er da auch' mal ein Bischen zu viel verbrauchte? Es hatten sich immer hilfreiche Beutel gefunden, Onkel Hermann war besonders generös; jezt stand ihm kein Mensch mehr bei, jegt, wo er es viel nöthiger gehabt hätte!

Der junge Mann fuhr sich mit einem tiefen Aufſeufzen über die Stirn. Er sah blaß und ab­gespannt aus, seine Augen waren müde, und das Haar klebte ihm in feuchten Ringeln an den Schläfen. Mit Unlust griff er wieder zum Pinsel, er gähnte dabei. In dieser gewitterigen Sommerluft hatte er eine Schwere in den Gliedern, eine bleierne Miidig­keit, die ihn lähmte. Er überlegte sich's, ob er ausgehen sollte oder nicht; er mußte dann die vier Treppen doch wieder herauf. Appetit hatte er gar­nicht mehr, er eigentlich nur, weil Lena's große Augen immer so flehentlich auf seinen Teller sahen. Diese Blicke konnten direkt eine Qual sein, er fühlte dann eine nicht zu unterdrückende Gereiztheit gegen seine Frau in sich aufsteigen. Und er liebte sie doch! Ja, sicherlich! War sie nicht bei ihm, hatte er eine Unruhe, bis sie da war wo blieb sie, was trieb sie? Saß sie bei ihm, so tam es ihn mitunter an, er mußte sie tadeln, reizen, von Dingen mit ihr sprechen, die ihr unangenehm waren. Sie brausten Beide auf, sie bekamen rothe Köpfe und dann, wie süß war die Versöhnung! Langweilig, wer sich immer vertrug! Sensationen, Emotionen braucht die Künstlernatur!

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" Ah!" Bredenhofer schöpfte tief Athem und dann legte er das Gesicht in die Hände; eine unge­heure Schlaffheit überfam ihn.

So saß er und überhörte das Klopfen an der Thür; was er dachte, wußte er selbst nicht, grau und schwer, in unerquicklichem Durcheinander wogte ihm Alles im Kopf.

Jetzt flopfte es wieder. " Herein!"

Doftor Reuter's liebenswürdiges Gesicht schaute in's Atelier." Ah, mein junger Freund, dachte schon, Sie wären auch nicht zu Hause; habe vier-, fünfmal geklopft!"

" Verzeihen Sie!" Bredenhofer sprang auf, ziemlich verwirrt, er tauchte wie aus einer anderen Welt auf; oder hatte er geschlafen?

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So fleißig?" Reuter trat an die Staffelei und betrachtete das Bild. Er ging dicht heran und dann wieder zurück, hielt die hohle Hand vor's Auge und prüfte mit Kennermiene. Wo haben Sie denn das her? Garnicht übel!"

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Der Künstlerstolz regte sich in Bredenhofer, er glaubte entschiedene Bewunderung aus Reuter's Worten herauszuhören. Sein müdes Gesicht belebte sich." Die Felsen von Gerolstein   bei Sonnens untergang," erklärte er. Sie wissen, ich war ver gangenen Herbst dort, um Studien zu machen; die Eifel   ist noch nicht überfluthet von lästigen Touristen, ich liebe nur das Aparte. Jezt denke ich über den Titel des Bildes nach, es muß etwas Sinnvolles darunter; diese grauen vorsintfluthlichen Blöcke mit dem verklärenden Schein sind gewissermaßen sym­bolisch aufzufassen."

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Doktor Neuter spizte die Ohren das konnte eine geistreiche Idee werden! Sind Sie bald mit dem Bild fertig?" fragte er.

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Fertig? Onein!" Bredenhofer trat zurüc und legte den Kopf betrachtend auf die Seite. Hätte ich nur Farben, Farben!" Im Eifer kam er heran und tupfte auf die frische Malerei. Sehen Sie hier dies Roth, das muß ganz anders wirken und glühen! Und in den Felsspalten gefangene Sonnenstrahlen, die das gähnende Dunkel der Klüfte magisch durchleuchten! Hierher müssen ein paar wundervolle Neflerlichter, und hier, hier- tiefer

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sehen Sie wohl? Da ist es schon ganz licht­los, das graue Gestein wirkt vollständig abgestorben, während sich noch am Himmel ein leuchtendes Farben­spiel entfaltet."

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Ein sehr schönes Bild," sagte Neuter, in der That, außerordentlich wirkungsvoll!"

" Ja!" Bredenhofer sah mit begeisterten Augen auf sein Wert, er hatte rothe Backen bekommen und lächelte. Ich male vielleicht noch einen einsamen Vogel, der aus gähnend dunkler Felsenspalte sich emporschwingt und sich gleich der suchenden Seele im Flammenschein des Himmels verliert; seine aus gebreiteten Schwingen sind von einer Glorie um säumt. Denken Sie sich, wie das wirken wird!" Er streckte den Arm aus und wies nach der Decke. " Oben, ganz oben verliert er sich sehen Sie­oh, ich muß das malen!" Er endete mit einem Seufzer. ,, Wundervoll, wundervoll!" Doftor Neuter war ganz enthusiasmirt. Sie sind ein Poet!" umarmte den jungen Mann. umarmte den jungen Mann. Wissen Sie was, lieber Freund? Dies Bild müssen Sie ausstellen, unzweifelhaft, unbedingt; Sie haben Ruhm und Ehre davon!"

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ja aus " Das sagen Sie so ausstellen stellen," meinte Bredenhofer, das wäre wohl das Richtige. Aber bei den Kunsthändlern ist so schwer anzukommen, ich mag es nicht wieder umsonst ver­suchen. Sie nehmen nur berühmte Namen," setzte er mit Bitterfeit hinzu.

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" Oho, das wäre!" Reuter strahlte vor Wohl wollen, er schlug sich auf die Brust. Wofür wäre denn Unsereiner da mit seinen Konnerionen? Noch schöner! Man hat sein Lebenlang den Mäcen ge spielt, und da sollte Einem nicht einmal ein Urtheil zugetraut werden? Ich sage, das Bild ist gut, sehr gut" gut" er trat wieder vor der Staffelei hin und her und äugelte- es ist sogar wundervoll, herrlich! Diese Stimmung, diese Beleuchtung! Jeder Kunsthändler nimmt's, und Käufer werden sich finden fich findenna, ich sage Ihnen, mehr als einer!" Er legte dem Beglückten bedeutungsvoll die Hand auf die Schulter: Sie werden sich dieser Stunde noch erinnern und der Worte, die ich zu Ihnen gesprochen habe. Passen Sie auf, mit diesem Bilde betreten Sie die Leiter, die immer höher und höher führt! Ja, mein lieber, junger Freund!"