86

Die Neue Welt. Illustrirte llnterhalwngsbeilage.

aller Völker finden sich Beispiele für die gleiche Anschauung. Jeder kennt wohl das Märchen vom Rumpelstilzchen. Die Königin mußte ihm zur Be- lohnnng für geleistete Dienste ihr Kind geben; der Böse aber bewilligt ihr drei Tage, fände sie inner- halb dieser Frist den Namen ihres Gläubigers, so dürfe sie das Kind behalten. Die Königin ist rathlos; sie sagt alle möglichen Namen auf, aber keiner trifft zu. Da sendet sie Boten ans, die im ganzen Reich nach unerhörten Nanien forschen sollen; endlich, am dritten Tage, als die Frist fast schon abgelaufen, belauscht ein Bote im Walde ein kleines Männchen, wie es um ein Feuer tanzt und singt: Heute back' ich, morgen brau' ich, llebermorgen hol' ich der Königin ihr Kind; Ach, wie gut ist, daß Niemand weiß, Daß ich Rumpelstilzchen heiß'I" Mit dieser Botschaft ist die Königin gerettet; als der Böse seinen Namen hört, packt er voll Wuth sein linkes Bein und reißt sich selbst mitten entzwei. Ganz dasselbe Märchen findet sich auch im Fran- zösischen, entsprechende Märchen in zahlreichen Varianten im Skandinavischen; ja selbst das Mon- golische besitzt ein Märchen, in dem ein Mangusch, ein böser Geist, auf ähnliche Weise unschädlich ge- macht wird. In diesem mongolischen Märchen ist die Namensnennung garnicht in den Pakt mit dem bösen Geist aufgenommen; es genügt eben der bloße Name, um ihn seiner Macht zu berauben. Ganz ebenso zeigt sich dies in der nordischen Sage vom König Olaf. Dieser wollte eine Kirche bauen, die schöner und größer werden sollte, als irgend eine, aber er besaß nicht die Mittel dazu. Da hörte ein Riese von seiner Roth und machte sich erbötig, die Kirche zu erbauen, wenn ihm der König als Lohn Sonne und Mond oder den heiligen Olaf selbst geben wollte. Der König willigte ein; aber je weiter der Bau vorrückte, desto größer wurde sein Bangen. Es fehlte nur noch Dach und Spitze, da wandelte König Olaf voll Sorge durch das Land; da hörte er in einem Berge ein Kind weinen, die Mutter aber es mit den Worten beschwichtigen: Ziß, ziß, morgen kommt Dein Vater Wind und Wetter und bringt Mond und Sonne oder den heiligen Olaf selbst." Da ward der König iiber die Maßen froh und eilte nach Hause, denn jetzt wußte er, wie er dein Riesen entkommen könnte. Gerade hatte der die Spitze angebracht, da rief Olaf: Wind und Wetter, Du hast die Spitze schief gesetzt!" Da fiel der Riese mit entsetzlichem Krach herab und zerbrach in Stücke. Aus ähnlichen Gründen spielt der Name bei Verzauberungen und Beschwörungen eine große Rolle. In der älteren Edda wird erzählt, daß Sigurd den: Niesen Faftnr das Schwert in das Herz stieß und der tödtlich Getroffene ihn fragte, wie er heiße; aber Sigurd verhehlte seinen Namen, denn er fürchtete die Verwünschung des Sterbenden. Manche Indianer- stämme Nordamerikas zeigen den Brauch, daß die Mitglieder des Stammes ihren wahren Namen sorg- fältig vor einander verbergen und ini Verkehr sich

nur Spitznamen bedienen. Sehr auffallend aber ist ein Beispiel aus unserer Zeit. Im bayerischen Gebirge hat jeder Kalenderheilige bestimmte Funk- tionen, jeder ist für genau umschriebene Fälle Schutz- Patron. Der heilige Valentin ist nun Schutzpatron gegen Epilepsie! Woher kommt das? Ganz einfach von seinem Namen. Das Volk brachte Valentin und Vallendeu-Siechthum(hinfallende Krankheit, Epilepsie) in Zusammenhang, daher der Glaube; im bayerischen Gebirge kann man oft Epileptische zu Valentinskapellen wallfahrten sehen. Ja, infolge einer ähnlichen sprachlichen Umdeutung hat der heilige Valentin einen Kollegen verdrängt: gegen den Veits- tanz galt der heilige Vitus(Veit) als Schutzpatron; da aber in vielen Gegenden für Valentin Valtl und Vaitl gesagt wird, ist an die Stelle von Vitus Valentin gerückt. Damit sind wir zu einer sehr wichtigen Er- scheinung in der Sprachbildung und im Bewußtsein gelangt. Diese Umdeutungen, die das Volk bei den verschiedensten Worten vornimmt, gehen auf einen Grund zurück. Der Name ist nicht nur mit der Person verbunden, auch die Dinge sind schon mit ihrem Namen gegeben. Das Volk hält daran fest, daß sich Keines ohne das Andere denken läßt. Und in diesem Zusammenhange werden wir wieder auf die Volksetymologien, wie man solche Umdeutungen nennt, zu sprechen kommen. Oft genug ist iiber die Häufigkeit der Namen Schulze, Müller und so fort gespottet worden. Diese Familiennanien, also Eigennamen, sind aus Gattungs- namen entstanden. War Jemand Schulze im Dorf, so hieß er zunächstder Schulze", dann aber ließ man den Artikel weg, und aus der Amtsbezeichnung wurde die Personbezeichnung. Es liegt also eigentlich eine Verwechselung zwischen Gattungs- und Eigen- namen vor. Ein Besitzer des GasthofesZur Klause" wird derKlausenwirth" genannt. Dieser Name bezeichnet das Individuum so vollkommen, daß der Eigenname, der Tauf- und Familienname, fast ganz in Vergessenheit geräth. In den Alpenländern macht man hier auch eine sehr feine Unterscheidung. Den Behörden kann mit solchen Namen, wieder Gelbhof- bauer",der Haidepeter" nicht gedient sein; deshalb macht die Bevölkerung einen Unterschied zwischen heißen und sich schreiben. Das Letztere giebt immer den amtlich festgestellten Namen. So untrennbar Eigenname von Person, so enge verbindet das Volksbcwußtsein Ding und Name, und deshalb entschließt man sich auch schwer, einen einmal gewählten Namen aufzugeben, selbst wenn er nicht mehr paßt. Bleiben wir zunächst bei der Untrennbarkeit von Ding und Namen. Das kleine Kind nennt jeden Mann Papa; wenn es auf die Frage:Wie heißt denn Deine Mutter?" zur Ant- wort giebt:Mutter ", so beruht dies auf der bereits erwähnten Umwandlung von Gattungsnamen in Eigennamen. Schwer wird ein Kind oder ein naiv denkender Mann aus dem Volke glauben wollen, daß man ganz willkürlich und nach Uebereinkuuft einen Tisch Tisch und einen Stuhl Stuhl nennt;

er wird es unbegreiflich finden, daß das polnische Wort stöl, das unserem Stuhl entspricht, Tisch be- deutet. Daher der gelungene Ausspruch:Im Deutschen heißt Brot Brot und ist auch Brot; im Französischen heißt es xain und ist auch weiter nichts als Brot!" Ja, im Kinderglauben, wohl auch im Glauben des gemeinen Mannes, haftet der Name der Person oder dem Ding nicht nur untrennbar, sondern auch von Ewigkeit her an. Die kleine Lisbeth i fragt, ob auch sie der Storch gebracht habe, und auf die bejahende Antwort der Mutter meint sie:Ja, aber woher wußtest Du, daß es die kleine Lisbeth ist?" Und von einem Bauer wird erzählt, daß er bei einem Gespräch über die Sternkunde die Kennt- nisse der Astronomen angezweifelt habe, indem er sagte:Wer steht uns dafür, daß Jupiter wirklich Jupiter ist?" Aus demselben Grunde halten ein- fache Menschen, die nie aus ihrem engen Kreise herausgekommen sind, oftmals fremde Sprachen nur für eine Verballhornung ihrer eigenen. Im Deutschen nennt man die französische Sprache:Papperlapapp", und wenn der Deutschtiroler seine welschen Lands- leute verspotten will, dann sagt er, sie sprächen Pitschelespatscheles". Wenn ein Fremdwort sich in der Muttersprache einbürgert, so wird es für ein Wort der elfteren gehalten. So konnte ein Soldat, der den dentsch-französischen Krieg mitgemacht hatte, erklären, das einzige deutsche Wort, das er in Frankreich gehört, sei Parapluie gewesen. In der- selben Meinung schnauzt ein Postbeamter einen Fremden an, er möge doch als Adresse nichtHier", sondern ordentlich deutsch loco" schreiben. Darauf beruhen auch die zahlreichen Umdeutungen und Um- deutschungen, mit einem Fremdwort Volksetymologien genannt, deren wir schon früher Erwähnung thun mußten. Das Sprachbewußtsein des Volkes sucht alle Worte, deren Bedeutung es kennt, die ihm aber fremd klingen, dem eigenen Sprachschatze anzupassen und sie durch Veränderungen in lautlich bekannte Worte überzuführen. Sündfluth kommt nicht von Sünde, sondern ursprünglich hieß es Sintfluth große Fluth. Die Redensartseine Schäfchen in's Trockene bringen" hat garnichts mit Schafen zn thun, sondern stammt aus dem Holländischen, wo der vorsichtige Kaufherr sein Schiffchen noch recht- zeitig vor dem Sturm auf's Land brachte. In Berlin giebt es Noch heute eine Rosmarienstraße, mit deutlicher Anlehnung an Marie; in Wirklichkeit aber stammt der Name vom lateinischen rosmarinns, Meeresthau. Nehmen wir beide Erscheinungen, das Nicht- anerkennen der freniden Sprache und die Volks- etymologien, zusammen, so werden wir es leicht be- greiflich finden, wenn Leute, um sich gebrochen Deutsch sprechenden Fremden besser verständlich zu niache», selbst gebrochen Deutsch reden. In einen ga»z ähn­lichen Fehler verfallen auch sehr gebildete Erwachsene, wenn sie mit kleinen Kindern ganz in der Sprache von Kindern, die noch nicht ordentlich sprechen können, reden.(Schluß folgt.)

Der Herr Rittmeister.-2�

(Schluß.)

t�rau von Bärensprung-Plaut, die Gattin des Rittmeisters a. D. Wolf von Bärensprung- Plaut auf Berkewitz, war eine exotische Erbin und hieß mit ihrem Mädchennamen Anita Pujarniscle. Northmaun, der ein Dutzend Jahre lang darauf ver- wendet hatte, vieler Mensche» Städte zu sehen und Sitten zu lernen, hatte ihren Vater, den alten Pujarniscle, vor Jahren in Havana genau gekannt, als die kleine Anita noch ein Mädchen von sieben oder acht Jahren gewesen war. Der Alte hatte sich vom Laufburschen bis zum Großbankier hinauf gearbeitet. Wenn man sehr zarten Gewissens ist und viele Bedenken hat, macht man eine solche Laufbahn natürlich auch in den Tropen nicht. Ter ülustrissimo Tenor Don Jaime Pujarniscle" galt deshalb auch, wenn niau nicht im Amtsstil von ihm sprach, als ein ganz gefährlicher Gauner. Ehe die

Novelle von Theodor Duimchcn. Verhältnisse auf der Insel Kuba schwierig geworden waren, hatte er rechtzeitig liquidirt. Northmaun hatte ihn gelegentlich einer Amerikafahrt später in New-Iort wieder gefunden, wo er, und zwar auf sehr großem Fuße, aber nur noch wenige Jahre lebte. Als vierzehnjähriges Mädchen war Anita von ihrer Tante, einer Schwester ihrer verstorbenen Mutter, nach Europa , und zwar zunächst nach Paris , gebracht worden. Man hatte die vielfache Millionen- erbin begreiflicherweise arg umdrängt, als die Tante einen Salon aufgemacht hatte. Aber die Alte hatte nicht verstanden, gewisse Elemente fem zu halten, und dadurch ihr Haus in ein falsches Licht gestellt. Einige wahre Geschichten von dem alten Pujarniscle, die iiber Madrid ihren Weg nach Paris gefunden hatten, waren auch nicht sehr förderlich gewesen. Da war die Alte denn wenigstens schlau genug

gewesen, einzusehen, daß sie in Paris die stolz* Partie, auf die sie für ihre Nichte rechnete, wohl nicht zu Stande bringen würde. Sie hatte de» dortigen Haushalt im Einverständnisse mit ihre* Nichte aufgelöst. Dann hatten die Damen zuiiächö versuchsweise einige Monate in deutschen Seebäder» zugebracht und sich später in Dresden niedergelasse», der großen Karawauserai für alle möglichen Aus' länder. Northmaun war erst nach ihrer VerheirathuÄ und ganz zufällig bei ihr eingeführt worden. Bcid* waren sehr überrascht gewesen, als sie sich als alt* Bekannte erkannten. Die schöne junge Frau hatte den berühmt*" Mann sehr gut enipfangen und es einzurichten g*' wüßt, daß er sehr bald sozusagen zum Jnveuto* des Hauses zählte.