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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

gegen 159 Stimmen die Rechtsbeständigkeit der Reichsverfassung anerkannte und damit der Regierung die Pflicht auferlegte, den König zur Annahme der Reichsverfassung zu bestimmen. Die Regierung pfiff auf den Beschluß, jagte, um reinen Tisch zu machen, die Nationalversammlung auseinander, und richtete amt 29. April an die sogenannte Deutsche Zentral­gewalt" eine Note, worin sie, den Fußtritt des Königs noch verstärkend, erklärte, von einer Annahme der Reichsverfassung und der Reichstrone seitens des Königs von Preußen könne die Rede nicht sein; das Parlament müsse eine Reichsverfassung mit sämmtlichen( wohlgezählten 36) deutschen Regierungen vereinbaren, und falls das nicht geschehe, würden die Regierungen genöthigt sein, eine Reichsver= fassung zu oftroyiren, das heißt von oben herab dem deutschen Volf als Zwangsjoch auferlegen.

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Der Bruch mit der Revolution" war mit dieser Note nun auch formell auf's Gründlichste voll­zogen.

Die Bewegung im Volfe wuchs und die re­volutionären Elemente, sowie Alle, denen es mit der Freiheit und Einheit Deutschlands ernst war, gruppirten sich um die Reichsverfassung, die durch das Vorgehen der preußischen Regierung zur Fahne der Märzrevolution gemacht wurde. Wer für die Errungenschaften der Märzrevolution war und das souveräne Recht des Volkes über das Fürstenrecht setzte, wurde durch die Logik der Thatsachen unter das Banner der Reichsverfassung getrieben.

III.

Mit Entseßen sahen die Doktrinäre des Frank­ furter Parlaments, wie die Reichsverfassung, die sie als Damm gegen die Revolution errichtet zu haben glaubten, durch die Logik der Thatsachen zum Banner der Revolution wurde und wie der ,, monarchische Rechtsboden" sich in einen revo= Iutionären Rechtsboden verwandelte. Den Kaiser­machern" graute es nicht blos vor dem eigenen Werf, es wurde ihnen auch unheimlich in den Räumen der Paulskirche, in denen sie sich bisher so wohl­gefällig im stolzen Bewußtsein ihrer nationalen und professoralen Unfehlbarkeit gespreizt hatten.

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Zu Duzenden rissen sie aus. Die Mitglieder der Kaiserdeputation waren meistens garnicht mehr nach Frankfurt zurückgekehrt. Die Herren Patrioten und einzigen Staatsmänner" hatten noch nicht die eiserne Stirn, durch welche sie heute sich auszeichnen und ihre Wangen gegen die Röthe der Scham gefeit haben. Das Parlament wurde entvölkert, dermaßen, daß das Parteienverhältniß sich verschob, und die Majorität zur Minorität wurde. Und die Minder­heit, die Liufe, welche in Folge des Aus­reißens der Nechten" Majorität geworden war, setzte am 4. Mai, allerdings mit geringer Mehrheit, einen Beschluß durch zur Erlassung eines Aufrufs, der die gesammite Nation: Volk und Regierungen aufforderte, die von dem Parlament beschlossene Reichsverwaltung zur Geltung zu bringen.

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Mit diesem Aufruf, der allerdings nur den Ereignissen nachhinkte denn die Durchführung der Reichsverfassung war bereits das allgemeine Stichwort der Opposition und Demokratie war der Volks­bewegung, die sich gegen die reaktionären Regierungen, die preußische obenan, wandte, ein Rechtsboden gegeben, so fest wie ein Rechtsboden überhaupt sein fann.

Das Parlament-fagten wir hinkte den Ereignissen nach, was beiläufig das Schicksal so ziemlich aller Parlamente ist. Das Volk hatte nicht auf das Parlament gewartet. Es hatte begriffen, daß die Entscheidung gekommen, und die Revolution zu Ende war, wenn sie nicht die Reaktion unmittelbar überwinden konnte. Und zwar mit thatsächlichen Machtmitteln, nicht mit moralischen. Moralische Siege sind immer thatsächliche Niederlagen.

Anscheinend, äußerlich betrachtet waren für das Volt die Aussichten nicht ungünstig. Die Reichsver­fassung war zweifellos bei dem ganzen Bürgerthum sehr populär und außerdem war sie von 28 deutschen Regierungen angenommen worden. Das stellte immer­hin eine beträchtliche Macht dar und bot eine gute Operationsbasis gegen die Reaktion unter preußischer

Führung. Auf der anderen Seite war gerade der Auf der anderen Seite war gerade der Umstand, daß die revolutionären Elemente sich um die Reichsverfassung schaarten, geeignet, die eigentlichen Freunde der Reichsverfassung zu erschrecken. Der eben noch für die Reichsverfassung begeisterten Bürger bemächtigte sich eine ähnliche Stimmung wie des Berliner Philisterthums nach dem 18. März. Sie fingen an, sich vor dem eigenen Wort und vor sich selbst zu fürchten. Und so geschah das Seltsame: die Reichsverfassung wurde von ihren Feinden ver­theidigt und von ihren Freunden verrathen.

Die Bewegung erstreckte sich über ganz Deutsch­ land . Ihr Kern und ihr Hauptherd waren aber im land. Ihr Kern und ihr Hauptherd waren aber im südwestlichen Deutschland . Von allen modernen Kultur­ländern ist Deutschland dasjenige, in welchem kulturell die wenigst gleichartige Bevölkerung lebt. Zwischen Nord- und Südfrankreich , zwischen Nord- Süd- und Mittelengland ist bei Weitem kein solcher Unterschied, wie zwischen dem südwestlichen und nordöstlichen Deutschland . Das alte, von der Sonne römischer Zivilisation durchwärmte und erhellte alte Kulturland im Siidwesten ist um Jahrhunderte voraus dem slavischen Land im Nordwesten, in dem das Deutsch­thum, so weit es sich nicht mit dem Slaventhum gemischt hat, mur Kolonien bildet. Dieser Unterschied, der sich heute noch so start bemerkbar macht welche Kluft zwischen unseren halbrussischen Ostelbiern und dem demokratischen Rheinland ! trat auch in trat auch in der Märzrevolution, an deren Ende wir jetzt stehen, lebendig und scharf zu Tage. Baden , Württemberg, Hessen , die preußische Rheinprovinz waren durch und durch mit revolutionären und demokratischen Ideen durchtränkt im Osten Deutschlands waren es nur die größeren Städte und die Großstädte: Berlin , Breslau , Königsberg , während die mehr slavische Landbevölkerung sich vergleichsweise gleichgültig ver­hielt.

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In Kaiserslautern fündigte eine Landesversamm lung der bayerischen Pfalz der Regierung( Bayern ) den Gehorsam auf, weil sie die Anerkennung der Reichsverfassung verweigerte, und setzte eine pros visorische Regierung ein. Dresden folgte nach. Sachsen war, nächst Baden und der bayerischen Pfalz , der Theil Deutschlands , wo die Bevölkerung am Allgemeinsten sich für die Revolution erklärt hatte. Die hohe industrielle Entwickelung dieses Landes, das schon zu Zeiten der Reformation in der vordersten Reihe war, hatte die politische Erziehung des ebenso fleißigen wie geistig regsamen Volfes gefördert. In keinem deutschen Staat waren so viele politische Vereine, war so viel politische Organisation. Keine Vereine, war so viel politische Organisation. Keine Stadt, fein Städtchen, ja beinahe kein Dorf ohne irgend einen Verein Vaterlandsverein( konstitutio­Vaterlandsverein( konstitutio­nell) oder Volksverein( demokratisch republikanisch). Die Kammer war die radikalste in Deutschland .

Der König Friedrich August liebte zwar Preußen nicht, aber er haßte die Demokratie mehr als Preußen und versicherte sich schon im Laufe des April preußi­scher Militärhilfe für den Fall eines Konfliktes mit der Kammer. Die Kammer beschloß mit großer Mehrheit, daß die Reichsverfassung sofort durch zuführen sei. Die Regierung antwortete, da Preußen die Reichsverfassung nicht anerkenne, habe es keinen Sinn, daß Sachsen dies thue. Der König ging weiter: er entließ das radiale Märzministerium und nahm sich reaktionäre Männer Beust und Rabenhorst. Das war die Kriegserklärung. Die Kammer, welche protestirte, wurde aufgelöst. Ge­waltige Aufregung bemächtigte sich der Massen in Dresden , der Hauptstadt, und in allen übrigen Theilen des Landes bis in die abgelegensten Dörfer. Am 4. April flüchtete der König mit seinen re= aktionären Ministern und den Schäßen des Grünen Gewölbes" auf den uneinnehmbaren Königstein . Das Volk blieb die Antwort nicht schuldig. Während die Straßen sich mit Barrikaden bedeckten, ward eine provisorische Regierung niedergesezt, bestehend aus den drei radikalen Führern: Tzschirner, Heubner und Todt. Die sächsischen Truppen waren nicht im Stande, den Aufstand zu bewältigen, dem aus Leipzig , Pirna , Zwickau , Plauen , Chemniß und dem ganzen Erzgebirge Kämpfer zuſtrömten. Die preußische Regierung, welche ihr dem Volke gegebenes Versprechen einer Verfassung dreiunddreißig

Jahre lang vergessen hatte, erinnerte sich aber sehr wohl des dem König von Sachsen gegen das Volk gegebenen Versprechens. Den 5. Mai traf das erste preußische Regiment in Dresden ein, wo der Kampf auf das Heftigste entbrannt war, und weitere preußische Regimenter folgten in den nächsten Tagen. Die Aufständischen kämpften mit äußerster Zähigkeit und unter vortrefflicher militärischer Leitung. Nur der Uebermacht gelang es nach fünftägigem Kampf

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vom 5. bis 9. Mai des Aufstandes Herr zu werden. Es war ein Sieg der preußischen Truppen Truppen das herrliche Kriegsheer" hatte nun seine Revanche für den 18. März, wie sein Kriegs herr schon am 3. April sie gehabt hatte. Preußen, der Staat des deutschen Berufs", nach der Dichtung unserer nationalen Realpolitiker"- der Muster staat", der die Neugeburt Deutschlands " vollbringen sollte, hatte sich in der That und der Wahrheit als der Hort der deutschen Reaktion entpuppt Feind der Revolution, der mit bewaffneter Hand jedem Versuch, die Neugeburt Deutschlands zu be wirken, niederschlug. Vorläufig noch in offenem Kampf mit Kartätschen und der Flinte, die schießt und dem Säbel, der haut. Die Tage der Mezelei nach dem Kampf, der Abschlachtung vermittelst Pulver und Blei durch das staatsrettende Stands recht, waren noch nicht angebrochen. In Dresden , obgleich siegreich, hatte die preußische Regierung doch erfahren, daß die Verläßlichkeit des herrlichen Kriegs­heeres nicht ganz rein und zweifelsohne" war. Die Soldaten, so sorgfältig man sie auch ausgesucht hatte, gingen nicht mit der gewünschten Freudigkeit in den Kampf. Freilich als der Kampf einmal ernstlich entbrannt war, wurde auch die Bestie im Menschen" entfesselt. ( Fortsetzung folgt.)

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Willenschaftliche Betterprognosen.

Von Fr. Carlen.

avoisier, der Begründer der modernen Chemie, hatte schon im Jahre 1790 die Ansicht auss gesprochen, daß man aus stetiger Beobachtung des Luftdruckes mit Hülfe des Barometers Schlüsse auf das bevorstehende Wetter ziehen könne. Er hatte erkannt, daß bei hohem Barometerstande das Wetter in der Regel gut war, während ein niedriger Baro meterstand schlechtes Wetter brachte. Dieser Er kenntniß entsprang die noch heute übliche Eintheilung des Barometers mit den Merkpunkten für schön Wetter, Veränderlich und Sturm oder Regen. In dessen mußte man bald einsehen, daß man, so lange die Barometerablesungen nur an einem Orte vor genommen wurden, nur der Stand des Zeigers auf Veränderlich" einigermaßen das Richtige traf, daß also der praktische Nußen dieser Ablesungen fast gleich Null war. Als aber Gelegenheit geboten war, durch telegraphisch übermittelte Barometerangaben, Ver gleiche von mehreren entfernt liegenden Orten gleich­zeitig anzustellen, erkannte man, daß sich die Gebiete hohen und niedrigen Luftdruckes in mehr oder weniger regelmäßiger Weise fortpflanzten. Man gab den Wetterbeobachtungen eine bestimmte Organisation, sammielte die Meldungen an Zentralstellen und er zielte so sich fortschreitend günstiger gestaltende Er folge hinsichtlich der Vorhersagung des Wetters, insbesondere der Vorausbestimmung von Stürmen.

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Zuerst ward in den Vereinigten Staaten von Nordamerika ein wohlorganisirtes Sturmwarnungs wesen eingerichtet. Wir in Deutschland haben in der in Hamburg seit dem Jahre 1875 stationirten deutschen Seewarte ein Institut, dessen Vorher bestimmungen sich jetzt in 80 bis 90 Prozent aller Fälle als richtig erweisen gewiß ein schöner Triumph der wissenschaftlichen Meteorologie.

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Die Seewarte erhält täglich von etwa 100 ver schiedenen Beobachtungsstationen Meldungen über die Morgens 8 Uhr dort herrschenden Witterungs­verhältnisse, Angaben über Luftdruck, Temperatur, Windrichtung, Windstärke und Bewölkung. Gebiet dieser Stationen erstreckt sich in westöstlicher Richtung von der Irländischen Westküste bis nach

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