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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

im Gesicht und der ganze Körper bebte. Aber schnell nahm er sich zusammen und wandte sich nach dem Bruder um: Ruder' zu, Junge, und hilf mir wir sind Zwei gegen Ginen!" Und während der Vater überwältigt dasaß und zusah, wandten sie das Boot um und ruderten nach dem Ufer hin.

Bei den ersten Stein, der einen sicheren Halt für den Fuß bot, sprang Simon an's Land.

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Nun dank' ich Dir!" sagte er zu dem Bruder, und sie wechselten einen liebevollen Blick miteinander. " Bist Du rein von, Sinnen und Verstand, Junge?!" schrie der Vater ihm nach. Was soll Deine Mutter dazu sagen?!"

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Das Wort traf den Burschen, und er blieb rathlos stehen. Die Mutter hatte er von Herzen lieb und wollte ihr ungern Kummer bereiten denn nun mußte er thun, was recht war. Da ging er ein paar Schritte zurück: Sage meiner Mutter," bat er mild, daß dort in der Finnenkirche ein armes Mädchen liegt, das seit fünf Jahren um meinetwillen Böses erlitten hat, sie ist heimlos und

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elend, und Viele denken, sie ist auch schamlos; aber nun soll sie meine Frau werden und dann mag es gehen, wie es will."

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Als er das gesagt hatte, wandte er dem Boot den Rücken und achtete nicht weiter auf Das, was dort gesprochen wurde. Eine Weile später stand er in der Finnenkirche. Hier sah er einen leblosen Menschen vor sich, ein armes, frankes und ver= hungertes Weib, mit Todesfälte in jedem Zuge. Gleichwohl erkannte er sie wieder. Er setzte sich neben ihren gegen den Altar gelehnten todten Körper, und er wurde bei der Erinnerung an ihr früheres Beisammensein an dieser Stelle so weich gestimmt, und bei dem Gedanken an Alles, was sie gelitten haben mußte, daß er weinte. Da war es ihm, als wenn ein Zucken sie durchfuhr, er drückte sie an sich; er hauchte ihr Gesicht an und lehnte seine Wange an die ihrige. Ach, er hatte solches Mitleid

mit ihr.

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, Erkennst Du mich wieder, Maja?" fragte er.

Ihr Blick bekam einen seltsam schenen Schimmer. Als sie ihn aber ein wenig angeblickt hatte, ver­breitete sich ein Lächeln über ihr ganzes Gesicht und sie fliisterte: Mein Schaß!"

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" Ja, Dein Schatz und Dein Mann, und was Du sonst willst!" rief er und lachte mit Weinen im Halse.

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Gegen Abend kam ein Boot in den Fjord hinein gesteuert und richtete den Kurs gerade auf die Finnenkirche zu. Simon paßte auf. Das ist mein Bruder!" rief er und war mit einem Sprung unten beim Boot.

" Ich sollte Dir vom Vater sagen," rief der Bruder ihm entgegen, wenn Du willst, könntest Dit um seinetwillen gut den Hof beziehen und Dich mit dem Geriimpel abplagen!"

" Hurrah!" rief Simon froh." Ja, dann steht Nichts im Wege, Maja! Dann sollst Du Bäuerin

Da kehrte das Leben zurück und sie blickte ihn auf dem Dedhof werden." wie im Traum an.

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Feuilleton.

Im Schwarzen Lande". Machtgeister kauern

Im Gras umber, Von Thränen schwer Die Lüfte schauern.

as feß ich dort? Bahnhallen dröhnen, Es sucht mein Sehnen Den alten Ort.

Die Halme schwirren Im Windesbauch; Durch Dorn und Strauch fadloses Irren.

Giffschwang'rer Dampf

Steigt nachtgeboren; Es sprengt die Ohren All dies Geftampf.

Hier weilt kein Frieden, Nur Qual und Noth, Es flammen roth Anzählige Schmieden.

Du Thal der

lagen,

So dumpf und heiß, Voll Menschenschweiß... Die Hämmer schlagen.

Nachtgeister kauern Im Gras umher, Von Thränen schwer Die Lüfte schauern.

Nach Paul Verlaine .

Das Falkennest. Sechzig Schuh über dem Erdboden, mitten in der Krone einer mächtigen Tanne, hatten sie den Platz gefunden, der ihnen zur Anlage eines Nestes tauglich erschien. Im spizen Winkel zu einem abgestorbenen Aft und in gleicher Höhe mit ihm griff ein grünender Ast schier wie ein gebogener Arm aus; dürres Reisig über beide gelegt, etwas Moos und einige Flechten, der Horst war fertig; überhängende Zweige gaben das schönste Schutzdach. Und schnell begann das Weibchen mit dem Lege- und Brutgeschäft. Bald begann es sich in dem Nest zu rühren. Ein Junges nach dem anderen kroch aus, schließlich waren es vier Stück, sie füllten die ganze innere Rundung des Horftes. Eine ganz komische Ge­sellschaft, diese jungen Räuber! Feiner, wolliger Flaum deckt ihre knolligen Körper, großköpfig, großäugig hockt einer neben, über dem anderen, und ganz rhythmisch flingt ihr ewiges Gih- Gih- Gih, das vom Hunger erzählt. Der weite Schlund ist nicht zu stopfen. Die Alten magern ab. Immer weiter dehnen sie ihre Jagd­flüge. Jm Bergwald ist um diese Zeit nicht viel zu holen. So geht's denn zu den Ansiedlungen der Menschen hinaus,

oft stundenweit. Manche dumme Taube, versprengte Hühner und junge Gänse werden erstoßen und nach dem Horst geschleppt. Die Falkenmutter versteht das Geschäft ganz besonders. Sie fliegt mit ihrer Beute in die Nähe des Nestes und rupft sie vor den Augen ihrer Freßsäcke. Das steigert die Gier der Jungen derart, daß sie am liebsten gleich aus dem Neste sprängen. Diesen Moment hat unser Künstler im Bilde festgehalten. B. Liljefors zählt zu den ersten Vogelmalern der Jeztzeit.

Sind dann die Jungen ausgeflogen, dann erscheint. der ganze Horst wie gespickt mit Vogelknochen, und unten zwischen den Wurzeln der Tanne liegen Federbüschel und Vogelgerippe in ganzen Haufen.

Eine Mondscheinnacht 6300 Meter über dem Meere schildert der schwedische Reisende Sven Hedin in seinem Buche Durch Asiens Wüsten"( Leipzig , F. A. Brockhaus). Auf seinen umfangreichen dreijährigen Reisen auf vorher nie von Europäern betretenen Wegen in Zentral- Asien , Tibet und China gelangte er im Sommer des Jahres 1894 zu dem Vater der Eisberge", dem Mus- tag- ata im Osten des Pamir - Plateaus, den er zweimal bestieg. Wie er beim zweiten Male eine Nacht in der Höhe von mehr als 6300 Metern zugebracht, schildert er in folgender Weise:

Einen großartigeren Lagerplay habe ich nie gehabt: auf dem schneebedeckten Abhange eines der höchsten Berge der Welt, an dessen Fuß Gletscherzungen, Bäche und Seen in den Schleier der Nacht gehüllt lagen, und am Rande eines der phantastischsten Gletscher, den die Gebirgswelt aufweisen kann. Nur ein paar Schritte nach Süden, und wir wären in einen 400 Meter tiefen Abgrund auf stahlblankes, blauglänzendes Eis gefallen.

Ich hatte einen malerischen Sonnenuntergang er­wartet, er war aber nicht besonders ungewöhnlich. Die Sonne versant hinter gelbroth schimmernden Wolfen, die noch lange nach Sonnenuntergang leuchteten und auf denen die Gebirge von Pamir sich als scharfe Silhouetten abzeichneten. Das ganze Sarik- to- Thal lag schon eine gute Weile im Schatten, als die Sonne noch ihre letzten Strahlen über den Mus- tag- ata ergoß. Doch bald wurde auch unser Lager von dunklen, kalten Schatten umhüllt; der Gipfel des Berges erglänzte einen Augenblick wie ein scharlachrother Vulkankegel, um gleich darauf ebenfalls in Dunkel gehüllt zu werden.

Ich trat in die Nacht hinaus, um den Vollmond aufgehen zu sehen. Wir hatten nicht weit nach dem unendlichen Weltenraume, daher trat der Herrscher der Nacht hier in so blendendem Glanze auf, daß man ihn nur mit Anstrengung betrachten konnte. In stiller Majestät stieg er hinter der dunklen, jäh abfallenden Felswand an der gegenüberliegenden Seite des Gletschers empor. Tief unten im Abgrunde lag der Gletscher im Schatten. Manchmal hörte man einen dumpfen Knall, wenn eine neue Spalte entstand, oder das Gepolter eines Blockes, der vom Panzer­eise herunterstürzte.

Ueber unseren Lagerplay gießt der Mond sein Silber in reichstem Maße und ruft zauberische Effekte hervor. Dunkel stehen die Yaks( Grunzochsen, die als Reit- und Lastthiere gebraucht wurden) auf dem Schnee da, scharf umrissen, mit hängendem Kopfe, still wie die Steine, an die sie festgebunden sind; mur bisweilen fnirschen sie mit den Zähnen. Die drei Kirgisen, die nicht in der Jurte Plaz gefunden, haben zwischen einigen größeren Blöcken ein Feuer angezündet und sich, nachdem es erloschen, in ihre Belze gehüllt, haben den Kopf auf die Erde gelegt und sich dicht aneinander gedrängt, um die ersterbende Gluth geauert, Fledermäusen im Winter vergleichbar. Trozz des Mondscheins ist es nicht leicht, sich in

Verantwortlicher Redakteur: Oscar Kühl in Charlottenburg .

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Sarik- to- Thal zu orientiren. Mit Mühe unterscheidet man die dunkleren Jeilaus von Kamper- fischlaf, Jam bulaf und Su- baschi, ihre von Gletscherbächen bewässerien Wiesen zwischen dem grauen Schutt und den kleinen Kara- kul. Im Uebrigen ist die Landschaft nach dieser Seite hin, bis zu den Gipfeln der Pamir - Berge hinauf, ein verschwommenes Chaos ohne Haltepunkte.

Am schönsten ist die Szenerie da, wo der Mond steht. Von diesem Anblick überwältigt, bleibe ich wie angewurzelt stehen. Es ist ein so großartiges, zauber­haftes Schauspiel, daß weder Feder noch Pinsel es auch nur annäherud veranschaulichen können. Schon die Architektur der Natur ist ein fühnes Meisterwerk! Hier dehnt sich der blaue Glescher aus, von seinen beiden, mit Eis- und Schneefeldern gepanzerten Felswänden eingefaßt; dort erhebt sich der fünf öpfige Bergriese hoch zum Himmel empor. Die Felswand uns gerade gegen über fällt in so tiefen Schatten, daß wir nur mühsam unterscheiden können, wo das durchsichtige Mantelcis auf ihrem Grate endet und das schwarze Gestein anfängt.

Links, einige hundert Meter über uns, sehen wir das Firngebiet des Gletschers, das sich im Mondschein badet. Auf dem dunklen Kamme im Südosten tanzen fleine, in weiße Schleier gehüllte Elen auf den Gletscher firnen entlang über den nördlichen Gipfel hinweg. Dieje leichten, von schwachem Süd.vind getriebenen Wölfchen bilden vor dem Monde konzentrische Ringe in den Farben des Regenbogens, Mondhöfe und andere, in schnellem Wechsel einander ablösende Figuren.

Die Phantasie braucht sich nicht anzuſtrengen, um diese Wölkchen in alles Mögliche zu verwandeln: ein ander jagende Gespenster in weißen Gewändern, tanzende Elfen, spielende Bergfobolde, den Bergkönig und seine Söhne auf der Brautfahrt oder die Seelen der Todtell, die von ihren Schußengeln nach glücklicheren Gefilden geführt werden. Wir glauben, das weiße Kameel zu sehen, das der Sage nach den Derwisch von Mus- tag- ata hinabtrug, die vierzig Ritter, die Chan Chodscha gegen die Chinesen beistanden, oder die Glücklichen in der Stadt Dichanaidar der firgisischen Legende, die auf dem Gipfel des Berges zu einer Zeit gebaut wurde, als noch alle Menschen auf Erden ohne Sorgen lebten. Troß der Kälte steht man wie festgebannt im Schnee und verfolgt mit Staunen und Bewunderung dieses bunte, phantastische Gewirr, das in tausend Gestalten vorbeihuscht.

Alles ist still; das Echo der Felswand dort auf der anderen Seite antwortet nicht. Die dünne Luft ist nicht zu fühlen und braucht eine Lawine, um in Vibration zu gerathen. Man sieht den Athem der Yaks, aber man hört die Athemzüge nicht. Still und regungslos stehen die Thiere da. Ein seltsames Gefühl ergreift die Sinne. Es wird uns schwer, zu begreifen, daß vier Welttheile unter unseren Füßen liegen und daß eine durch den Punkt, auf dem wir uns befinden, um die Erde gelegte konzentrische Kugel nur die Spigen einer leicht zu addirenden Zahl von asiatischen und südamerikanischen Bergen ab­schneiden würde. Man glaubt an der Grenze des schwei­genden, falten, grenzenlosen Weltrauues zu stehen.

Alle für die Redaktion der Nenen Welt, bestimmten Sendungen sind nach Berlin , SW 19, Beuthstraße 2, zu richten.

Nachdruck des Juhalts verboten!

Verlag: Hamburger Buchbruckeret und Verlagsanstalt Auer& Co. in Hamburg .

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Druck: Mar Bading in Berlin .