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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

fanntschaft zu machen," sagte sie und reichte ihm so lange sie lebte, hatte auch ein Druck auf dem die Hand.

Törres fonnte nur lächeln und biicklingen."

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Komm hierher, Julie! Laß mich Dich vorstellen; ich habe mir Herrn Wall's Bekanntschaft erzwungen."

Julie Krüger näherte sich, schmucker als er ihr zugetraut hatte, mit frischen Farben und einem ver­gnügten Lächeln über dem sonst so trockenen Gesicht. Auch Jolla Blum kam hinzu, und Törres befand sich auf einmal zwischen den begehrtesten Damen des Balles: Tulla Arenz, Dalla With, Assen, Bassen und Trutte Maribo sammt Dada und Didi Brun. Frau Steiner stellte ihn immer wieder vor: Meine Entdeckung Herr Wall".

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Die Musik spielte die ersten Takte zur Française, und die Herren liefen nach ihren Damen.

,, Haben Sie eine Dame, Herr Wall? Nicht? Ausgezeichnet! Sieh hier, Julie! Ersatz für Deinen verunglückten Lieutenant!" Und im Nu hatte Frau Steiner sie Arm in Arm, während sie selbst vis- à- vis mit ihrem Kavalier Lieutenant Fildvedt Plaz nahm. Dessen unzertrennlicher Freund und Kriegskamerad, Lieutenant Tuftemo, war eben beordert worden, den Kriegskommissär heimzubegleiten, was immer die Aufgabe des jüngsten Lieutenants war.

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Als sie aufgestellt waren, sagte Törres sehr ver­legen: Sie müssen entschuldigen, Fräulein Krüger; ich hätte nie den Muth gehabt, Sie zu engagiren." " Oh, bin ich so fürchterlich?" antwortete Julie. ,, Nein, aber ich bin solch ein Tölpel," sagte Törres.

" Nun, wir werden ja sehen," antwortete sie lächelnd, und die Tour begann.

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Es geht ja gut," sagte Julie freundlich; es wollte ihr nicht gefallen, daß ihre Freundin Herrn Wall so von oben herab behandelte, so wie sie jetzt stand und sich mit ihrem Lieutenant über ihn lustig machte.

" Scheint sie Ihnen nicht auch wunderschön?" fragte Julie kurz darauf.

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Wer?" fragte Törres, seinen Blick konzentrirend. " Ich glaubte, Sie sähen sie an, meine Freundin, Frau Steiner. Alle Herren sind ja in sie verliebt," sagte Julie.

Aber Törres war ein zu gerissener Kavalier unter seinen Weibern, als daß er auf diese Schlinge hineingefallen wäre; er antwortete wegwerfend:

Ach, Jeder nach seinem Geschmack! Ich kenne ebenso schöne Damen."

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Julie bewunderte selbst ihre Freundin, so daß sie es im Allgemeinen erlaubte ja, sie forderte es fast daß die Herren, welche sich näherten, von der jungen Frau eingenommen wurden. Troßdem war es ihr nicht zuwider, daß dieser junge, nette Mensch, den Lulli so überlegen ihre Entdeckung nannte, doch nicht mehr von ihr eingenommen war.

Sie gab sich darum in den folgenden Touren mehr mit ihm ab, brachte ihn zum Reden und Er­zählen, und als sie sich nach dem Tanze trennten, waren sie gute Freunde.

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Du wirst mir noch meine Entdeckung wegnehmen; aber nimm Dich in Acht!" sagte Lulli lachend.

Aber Törres ging Nachts heim in einem Rausch, weniger von dem, was er getrunken, als von dem, was er erlebt hatte. Frau Steiner war ihm ein Wunder; es war das Glänzendste, was er sich von einem Frauenmensch denken konnte.

Aber er hatte doch noch Verstand genug, nicht so hoch zu denken. Julie Kriger war schon eine schwindelnde Höhe. Alles war ihm bis dahin geglückt; überall fand er gute Hülfe. Vielleicht sollte das die Nache an Krüger werden.

X.

Krüger's Ball zwischen Weihnachten   und Neujahr war so alt, daß er noch Brandt's Weihnachtsball hieß. In alter Zeit war die Stadt lustig gewesen und in Brandt's wohlhabendem Hause hatten Beamte und gute Bürger die alten Lieder gesungen und die ausgeschnittenen Damen geschwungen, zierlich, aber lustig und ohne Scheu.

Julie's Mutter war eigentlich die erste in der Familie gewesen, welche sich ganz der sauren Frömmigkeit hingab, die in den letzten Jahren hereinbrach; und

alten Familienball gelegen.

Jezt aber nahm Gustav Krüger   Revanche für dieses und vieles Andere, und die Feste der letzten Jahre hatten in hohem Maße Trauer und Aerger erweckt bei all' Denen, welche nicht dabei waren. Die Lustigkeit dauerte bis spät in die Nacht, ein Beelzebubsfest für die Besorgten.

Schon die Vorbereitungen zum Balle interessirten Krüger. Es lag gerade in seinem Geschmack, die Traditionen aufrecht zu erhalten. So lange seine Frau lebte, hatte sie sich jedem einzigen Dinge wider­setzt, zu dem er Lust hatte, und überall das Festliche zu beschneiden und zu verringern gesucht. Jezt genoß er in seiner Unabhängigkeit die Freude, es wirklich groß und galant zu geben, mit einem auserlesenen Souper und Wein im Ueberflusse der alten Zeit.

Das war eine der wenigen Gelegenheiten, welche auf Gustav Krüger   immer so wirkten, daß er voll ständig vergaß, was er sonst in einer mißmuthigen Stunde sein verspieltes Leben nennen konnte. Wenn das alte, vornehme Haus voll von Licht und Gästen war, hatte er die Vorstellung, daß er selbst und alles Andere an seinem rechten Plage wäre; er bildete sich ein, daß die Damen in Toilette und Haltung comme il faut wären, daß die Kavaliere geistreich und die alten Herren an den Kartentischen bedeutende Männer wären, welche sich in geistvoller Geselligkeit erholten.

Er selbst ging in dieser erlesenen Gesellschaft als der freundliche Wirth herum. Und jetzt, da er sicher war, nirgends, weder in den Sälen noch in der Küche das saure Gesicht seiner Frau zu treffen, fühlte er sich glücklich als Der, der alle diese prächtigen Menschen froh und vergnügt machte.

Aber er wollte es gern fein haben. An diesem Abend liebte er nicht, die Bemerkungen seines Freundes, des Oberlehrers, zu hören. Und er that, als be­merkte er nicht die schrecklichen jungen Eingeborenen, welche man mitzunehmen genöthigt war, um Tänzer zu schaffen. Als er das erste Mal auf Törres Wall aufmerksam wurde, den er nicht hatte umgehen können, wandte er sich widerwillig ab; aber dieses Mal war es zumeist darum, weil er sich ärgerte, daß der widerwärtige Bursche sich nicht schlechter ausnahm.

Nachdem er den Tanz in Gang gebracht, indem er feierlich mit der Frau Amtmann die Polonaise ging, fam Kriiger nicht mehr viel in den Ballsaal. Das Ding ging von selbst, wenn nur nicht die Musik vom Durst schlapp wurde oder vom Trinken über­wältigt dieses Gleichgewicht war auch eine seiner Aufgaben.

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Er wanderte beständig herum, wie eine Vorsehung für Alle. Er fing an draußen in der Küche, wo er mit der strahlenden Kochfrau zusammen alten Port­wein trank, während sie ihm beständig versicherte, daß er der Einzige in der Stadt wäre, der sich auf Essen   verstünde. Darauf machte er die Runde durch alle Zimmer überall mit einem Auge für heruntergebrannte Lichter oder leere Flaschen; bald sandte er ein Mädchen in den Keller, bald trank er ein Glas Wein mit Einem, der ihm einer Auf­munterung bedürftig schien, oder er lupfte einen Becher auf das allgemeine Wohl unter den Karten­spielern, die sich erhoben und an ihren Toddygläsern nippten.

So ging der Ball warm und wohlgeschmiert, wie Gustav Krüger   wollte, daß er ginge, so daß alle diese Menschen, was für Leichenbitter sie auch am Alltage waren, einmal aufwachen und sich mit gutem Gewissen amüsiren konnten.

Aber gleichzeitig sah er ängstlich darauf, daß die Lustigkeit nicht zu weit ginge. Seine Feststimmung fonnte auf einmal vernichtet werden, wenn etwas Dummes passirte, wenn zum Beispiel ein junger Mensch, von des Wirthes eigener überströmender Gastfreiheit angeregt, zu viel trank, oder lange Reden hielt, oder im Ballsaale Skandal machte. Dann war Krüger ganz unglücklich, bis das Aergerniß entfernt war. Er vertrug es nicht, aus dem Traume gerissen zu werden, daß das Ganze eine erlesene Gesellschaft sicherer, gebildeter Menschen wäre, die es verstanden, sich vollauf, aber mit Anstand zu amüsiren.

Das Glück der letzten Zeit hatte Törres Wall einen Muth und ein Selbstvertrauen gegeben, welche gut für Sicherheit gelten konnten. Troßdem fehlte viel, daß er sich innerlich sicher fühlte, als er in Gesellschaft einiger anderer Handlungsgehülfen in diese alten Räume hineinfam, vor denen in der Stadt solch großer Respekt herrschte.

Er wagte sich nicht in den Ballsaal, sondern schlug sich in eines der inneren Gemächer, wo er zusammen mit einem Theil der jüngeren Herren, die ebenso muthig waren, sich durch verschiedene Ge­tränke stärkte.

Aber als er mit seiner Zigarre mitten in einem Kreise stand und über das Bankwesen der Stadt sprach mit der Autorität, die ihm zukam als Dem, der schon etwas besaß, und auf den die Großen schon eine gewisse Rücksicht nahmen, zeigte sich plöß­lich vor ihm durch den Tabakrauch Frau Steiner, ausgeschnitten, blendend weiß, mit vom Tauze ge­rötheten Wangen und funkelnden Augen. Sie trug eine glatte Taille von weißem Atlas, blaẞrothe Nosen auf den Schultern und Korallen um den Hals; ihr Rock war sehr kurz und mit Bouquets von den selben Rosen besteckt, weiße seidene Schuhe mit rothen Hacken. Sie hatte sich ganz nach einer Hirtin von Sèvres  - Porzellan gekleidet, welche sie in Julie's Zimmer gefunden hatte. Aber sie hatte einen kleinen Rosenzweig in das Haar genommen, anstatt des Schäferhutes.

,, Sieh, da steht das lange Mannsbild und qualmt wie eine Lampe!" rief Frau Steiner und fächelte sich im Rauch mit ihrem Taschentuche; haben Sie gar fein Gewissen? Die Française soll anfangen."

Törres stierte sie nur an, bis sie sich mit einem Winke umdrehte; er stürzte nach, während seine Kameraden einander mit einstimmiger Mißgunst an­sahen.

Es erregte allgemeine Aufmerksamkeit im Saale, daß dieser junge Mensch, bei welchem man jeden Tag für zwanzig Dere Zwirn kaufen konnte, hier, wo die Elite der ganzen Stadt da war, so von der ersten Dame des Balles ausgezeichnet wurde. Die Mißgunst ergriff die Lieutenants und Studenten; aber eine gewisse Achtung für diesen Herrn Wall setzte sich bei Denen fest, welche ein bischen Ver­stand und Vorausblick hatten. Selbst drinnen bei den alten Herren wurde er erwähnt, während man Karten gab, und Bankpräsident Christensen sagte laut, daß T. Wall eine der hervorragendsten unter den, jüngeren Krrräften" der Stadt wäre.

Törres selbst schien es, daß es jetzt gut ginge. Er kam auf einmal in das volle Licht des Ballsaales, gestärkt von dem starken Bunsch und zu einem Zeit­punkte, als die erste Steifheit durchbrochen war und die Ballſtimmung mehr für das Amisiren, als das Kritisiren war. Kritisiren war. Von Frau Steiner beschützt, griff er unverdrossen zu und tummelte sich bald so zwanglos, als hätte er niemals andere Weiber angerührt, als diese feinen halbbekleideten Gestalten, welche von Arm zu Arm flogen.

Niemand wußte von der großen Bertha und den Anderen. Selbst Fräulein Thorsen's, die nicht eingeladen war, begann er sich etwas zu schämen. Er sollte ja so viel höher hinauf.

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Seit dem Balle im Klub war Julie Kriger nicht aus seinen Gedanken gewichen. Wenn er die Tochter gewann, dem Alten zum Troze! Dann wiirde er Brandt" heraufbringen, Frau Knudsen sollte schnell ruinirt sein; Gustav Krüger   sollte kommen und sich beugen; dann würde er ein hübsches Alten­theil bekommen wie die Alten auf dem Lande-; er sah schon im Geiste T. Wall" in großen goldenen Buchstaben über den beiden Konkurrenzgeschäften.

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Zu oberst von allen Frauenzimmern, die er in seinem Leben gesehen, stand Frau Steiner. Ihre herausfordernde Schönheit, ihre wechselnde Art, sich zu geben, bald fern und unzugänglich wie etwas ungeheuer Feines, Ausländisches, bald ganz wie ein Kamerad; und dann, daß diese, welche alle Männer bezauberte und allen Weibern imponirte, eine von den Geschiedenen war; sie war eine unbestimmte Art Wittwe, die einen lebendigen Mann hatte, der wieder ging; sie hatte ihn und war doch ungebunden, wenn auch nicht recht; sie war gleichsam nach dem Worte