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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
spielkunst, auf den sogenannten Berliner „ realistischen Stil". Wer sich der Anzengruber'schen Anfänge noch erinnert, der weiß auch, wie durch die Bauern komödie in Wien sowohl, wie in München plößlich überraschende schauspielerische Ergebnisse entstanden. Lente, die man als extravagante Operettensänger kennen gelernt hatte, erkannte man nicht wieder. Mit der Empfindung, die im Dialekt ausgedrückt war, war man selbst wieder zur Bescheidenheit der Natur" zurückgekehrt. Falsche Töne, llebertreibungen blieben gewiß nicht ans. Allein im Großen verbot sich gespreizte Pathetik, hohler rhetorischer Schwung von selber. Selbst in den sentimental verlogenen Bauernkomödien mit Alpenglihen und Zitherschlagen wurden die Schauspieler doch zu einer gewissen zurückhaltung disziplinirt. Das steifleinene Gehaben, in dem sich der Schauspieler wie ein Tenorist der alten Schule beim schönrednerischen Epigonendrama ergehen durfte, war nicht so leicht möglich.
Man war denn auch in Berlin überrascht, wie mit der intimeren dramatischen Kunst auch förmlich über Nacht ein neues schauspielerisches Geschlecht emporwuchs. Die Schauspieler sind schlechte Propheten, wo es sich um Erfolg oder Mißerfolg einer Dichtung handelt. Aber sie haben einen trefflichen Instinkt für das Neue, das sich vorbereitet, und sie sind unvergleichlich dankbar, wenn sie erst erkennen, daß der Dichter ihnen veränderte Aufgaben, eine neue künstlerische Selbstständigkeit schafft. Das intimere Drama, das den großen Prunk der Sprache verschmähte, in dem oft nur angedeutet war, was der Schauspieler ausführen sollte, brachte in der That der verflachten mimischen Kunst eine vergrößerte Selbstständigkeit. Schlichtere Ausdrucksmittel, gedämpftere Töne mußten gefunden werden. Unarten der Virtuosenbühne, das Heraustreten des Einzelnen aus dem Ensemble, das gewaltsame Spielen in's Publikum hinein mußten aufhören oder stark eingeschränkt werden. So kam man zu dem realistischen Ensemble, wie es sich in nahezu vollendet geprägter Schärfe im Fuhrmann Henschel" im Deutschen Theater darstellt.
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Freilich darf nicht vergessen werden, daß die Schauspieler, die das junge Genre so trefflich begriffen hatten, zu versagen pflegen, wo es sich um wuchtigen monumentalen Stil handelt.( Einzelne geniale Schauspieler beweisen nichts gegen die Regel.)
Die Sehschärfe war also in der kurzathmigen literar- künstlerischen Rebellion verfeinert worden. Das ist ein bleibender Gewinn auch für den schauspielerischen Stil. Man wurde empfindlicher gegen die Unnatur. Selbst Dramatifer, die mit aus schweifendem Pathos noch einen ganz anderen Zeitgeschmack verbanden, wie Wildenbruch, der preußische Trompeter, der nationalistische Draufgänger, sagten für eine Weile der renommistischen Historie Lebewohl und versuchten, modern soziales Genre zu gestalten. So kam Wildenbruch zu seiner „ Haubenlerche", zu seinem„ Uhrmacher Balzer". Allerdings gab Wildenbruch, der Nationalist aus den siebziger Jahren, diese Versuche bald auf und kehrte mit den Heinrich- Tragödien, den prunkenden, rhetorischen, zu seinent eigentlichen Gebiete zuriick. Wildenbruch's brausend nationalistische Dramen stehen trog ihrer Naivetäten, troß ihrer flachen Charakter zeichnung übrigens immer noch weit höher, als die rein höfischen Arbeiten seiner Nachahmer. Arbeiten, wie die preußischen Festspiele des Hauptmanns Lauff, sind völlig erstarrte Kraft, die in keiner Hinsicht mehr mit dem lebendigen Theater des letzten Jahr zehnts etwas gemein hat.
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Im letzten Jahrzehnt geschah es auch, daß das deutsche Theater seit Jahren wiederum für die Bühne des Auslandes im ernsthaften Sinne Bedeutung gewann. Hier ist nicht vom großen Lebenswerk Richard Wagner's die Rede, das in romanischen Landen, in Paris wie in Madrid , zu Ausgang des Jahrhunderts einen grandiosen Erobererzug antrat. Außerhalb dieser feiertäglichen Kunst drang das deutsche Drama vor; und eine bequemere Kompromißnatur war es, deren Name zunächst internationale Geltung erlangte: Hermann Suder= mann. Als Sudermann's Ehre" im Lessingtheater aufgeführt wurde, waren die Neuerer der Menge
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noch lange nicht geläufig. An der schmiegsamen Begabung Sudermann's erkannte dieselbe Menge das Neue, selbst den sozialen Anklageton bereitwillig an; blieben doch noch genug theatralische Posen, Bühnengestalten, wie der echte, alte Theaterheld Graf Trast übrig, an die das Auge des Publikums Graf Trast übrig, an die das Auge des Publikums von früher her gewöhnt war. Die Ehre" mit ihren Gegensäßen von Vorder- und Hinterhaus war denn das erste deutsche Theaterstück der Gegenwart, das rasch in die fremden Kultursprachen übersetzt wurde. Ein anderes Werk Sudermann's , in dem das Theatralische noch mehr überwiegt, Die Heimath", ist vielleicht selbst weiter verbreitet worden als die„ Ehre", und ist beinahe wie die Stameliendame" von Dumas ein Lieblingsstück aller reisenden Künstlerinnen geworden, der Italienerin Duse sowohl, wie der französischen und russischen Heroinen. So wurde Sudermann vor dem ungleich eindringlicheren Poeten Gerhart Hauptmann bekannt; erst später wagte Antoine, der Grinder der Pariser Freien Bühne", eine Aufführung der Weber" in Paris Bühne", eine Aufführung der Weber" in Paris und in den letzten Jahren nahm der bedeutende naturalistische Schauspieler Zacconi in Italien Werke Hauptmann's in sein Repertoire auf.
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Sudermann , der Kompromißtünstler, war es auch, der nach dem aufbegehrlichen Trotz der jungen Nevolte bald in die Töne der melancholischen Entsagung und Bänglichkeit umschlug.
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" Es ist mächtiger als ich," das ist der Wehruf des Malers Willi Janikow in Sodoms Ende", vielleicht dem persönlichsten Drama Hermann Suder mann's . Aus wunder, zerstörter Brust ringt es sich los. In der fäulnißgeschwängerten Luft von Berlin W., im Villenviertel der Berliner Großfinanz, verkommt ein schwächlicher Künstler, der sich über seine Kraft vermaß. Leise schon melden sich Sudermann's beengenden Ideale. Greife nicht zu ,, Greife nicht zu hoch aus, spann' deine Bedürfnisse nicht zu weit, suche das Glück im Winkel." suche das Glück im Winkel." Der Einschlag phili= ströser Genügsamkeit wird bemerkbar.
Der Wehruf Janikow's könnte für die bürgerlichen, elegischen Stimmungen unserer jüngsten Periode typisch sein. Ein Aufflackern, ein Aufleuchten, man möchte Höhenkunst mit kühner Faust ergreifen; und bald wieder erklingen melancholische Gesänge oder man flüchtet vor rauher Wirklichkeit in Märchenfernen und zu Traumgesichtern. Das Bängliche war mächtiger, als die Energie unserer jungen Dramatifer. mächtiger, als die Energie unserer jungen Dramatiker. Wo immer man aus naturalistischer Enge, selbst aus heimathlichen oder familiären Banden nach stolzen Aussichtspunkten strebte, versagte das Vermögen, so schöne, ja prächtige Besonderheiten man im Einzelnen fand. So erging es Hauptmann mit seinem Zeitgemälde aus dem Bauernkrieg," Florian Geyer ", und mit seinen elegischen, sehnsüchtigen Märchenmelodien in der Versunkenen Glocke", und dennoch ist Hauptmann die stärkste Bürgschaft und weitere Hoffnung unseres Theaters.
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Eine frühe Witterung für den Unischwung und das romantische Geliste verrieth der formgewandte, in vielen Sätteln gerechte Ludwig Fulda , der zu Anfang seiner Laufbahn das spießbiirgerliche BeAnfang seiner Laufbahn das spießbürgerliche Behagen und die Beschaulichkeit pries, dann mit den Revoltirenden mitzufechten schien, als Erster aber mit großem Glück die Märchenform in seinem„ Talisman" auf die Bühne brachte. Die Märchenform, nicht das naive Märchen. Ein Wigspiel im Märchennicht das naive Märchen. Ein Wizspiel im Märchengewand, einen Fürstenspiegel, in dem über absoluten Königswahn gespöttelt wird. Nicht allzutief greift die Satire.
Die Märchendichtungen häuften sich immer mehr. Sie wurden der Niederschlag persönlicher Meinungen und Erfahrungen. Sie hatten viel mehr sentimentalempfindsamen, als ursprünglich naiven Charakter; der Zweifelsfrage, die in den Alterswerken Ibsens so manchmal aufgeworfen wird:" War ich Prophet, war ich Erfiiller, reicht meine Straft zur Höhe, reicht sie ich Erfiiller, reicht meine Kraft zur Höhe, reicht sie nicht?" begegnet man öfter wieder. In Sudermann's biblischem Drama vom Täufer Johannes, der den Größeren ahnt und doch nicht begreift, und im Meister Johannes in der„ Versunkenen Glocke" ebenfalls.
Ja, man gelangte über das Märchenbild heraus zu Versuchen, die schon Traumvisionen und Schattenspielen glichen. Man kann nicht leugnen, daß
diese Spiele und Spielereien nicht bestimmte lyrischmusikalische Reize loslösten. Träumerisch versonnene Phantasien, wie die des Belgiers Maeterlinc mit ihren leise angedeuteten Empfindungen, ihrer stammelnden Lyrik üben ohne Zweifel auch von der Bühne her eine hypnotisirende Wirkung. Aber bei Nachahmern kann diese Weise leicht in falsche Naivetät, in widrig alterthiimelnde Form ausarten. Die völlige Weltflucht rächt sich. Man stellt irrthümliche Kunstprinzipien auf. Man möchte eine ertatische Kunst schaffen, eine geistige Kunst", losgelöst von allen Zeit- und Wirthschaftsbedingungen, wie's eine solche in Wahrheit niemals gab. Wie es Malergruppen giebt, die sich auf einem abgeschiedenen Stück Erde abschließen, so giebt es neuestens eine Gruppe von Lyrikern, die ein besonderes Programm für sich ausgeben, alles Staatliche und Gesellschaftliche ausscheiden und nur der„ absoluten Kunst" ernst und heilig nahen möchten. Sie behandeln ihre Träume wie das Leben und das Leben wie einen Traum. Diese Schule, die nunmehr auch das Theater zu erobern sucht, wäre zum entgegengesezten Ende vom naturalistischen Truß- Anfang gekommen. Ihre Weise wäre das konsequente, völlige Kehrbild der wuchtig einherschreitenden Gegenwart. Mit dem Wiener Poeten Hofmann v. Hofmannsthal sucht sie in jüngster Zeit die Bühne zu erobern.
Andererseits ringt man um das Ideendrama, das ein großes Symbol großen Lebens, gewaltiger Krafterscheinung sei. May Halbe, der mit seinem wehmüthigen Heimathsidyll" Jugend" als frische, bewegliche Dichternatur sich einführte, scheiterte im verflossenen Jahr an der Aufgabe, aus mächtiger Renaissancezeit sinnfällige, große Erscheinungen herauszureißen. Es versagten auch die faustisch gedachten Märchendramen, von den symbolischen„ Drei Neiherfedern" Sudermann's an bis etwa zu Wolfgang Kirchbach's " Traum vom letzten Menschenpaar".
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Immer wieder ist es die ,, künstlerische Spezialität", auf die man stößt und die unter uns gedeiht. Im " Fuhrmann Henschel " schuf Hauptmann, rein technisch genommen, die reinste Arbeit der naturalistischen Methode; aber die ideellen Perspektiven, die sich in dem Drama eröffnen, reichen nicht weit. Fiir Feinschmecker frischen, sauberen Stils veröffentlicht Otto Erich Hartleben seine novellistischen, knappgeführten Dramen. Manche sind erfüllt mit satirischen Spigen, aber es ist nicht grimmige Satire auf Tod und Leben.
Bezeichnend ist, daß selbst jene Schriftsteller, die den Bühnenboden als Grundlage eines profitablen Gewerbes ansehen, sich der Spezialität ergeben haben. So schöpft Blumenthal mit seinen verschiedenen Compagnons aus vorgeblichen Gegensäßen zwischen Süd und Nord und Philippi dramatisirt die Zeithistorie, wo sie nur irgend Anlaß zu durchsichtigen Zeitanspielungen und Sensationen giebt.
So ergiebt sich ein merkwürdiges Auf- und Niederwogen. Was daraus in der Zukunft werden soll, wer möchte das prophezeien? Mit mikroskopischer Schärfe und Treue möchte man das kleinste menschliche Lebewesen aufspüren und erkennen. Nie zuvor ist das Charakteristische im scheinbar Simpeln und Alltäglichen so energisch herausgearbeitet worden. Aber es reicht nicht zu bedeutsamen Sinnbildern des Daseins, und das unbefriedigte künstlerische Gewissen sucht Vergessen im Märchentraum, in der Lebensflucht, oder Selbsttrost in färglicher Entsagung.
In Uebergangsepochen weist die Kunstentwickelung öfter ähnliche Schauspiele auf. Lärmvolles Leben und nervöses Tasten und Sehnen in der Kunst! Bereit und reif muß der Boden sein, auf dem Höhenkunst gedeihen soll. Das darf nicht vergessen werden. Das war stets so. Das Haus muß in den Grunds ziigen aufgerichtet sein, wo starke Stunstübung sich heimisch niederläßt. Ob wir bereits so weit sind, das läßt sich billig bezweifeln; und aller Wahr scheinlichkeit nach dürften wir in der nächstkommenden Zeit auf dem Theater immer noch eher den Be sonderheiten, den blos geschickten wie den poetisch bewegten, als dem wuchtigen monumentalen Zeitund Ideendrama.