Me Neue Welt. Illustrirte Nnterhalwngsbeilage.
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loseste» zu spotten pflegten, wurden nachdenklich? die Weiber sahen ihre Männer von der Seite an und dachten:„So etwas bekomnist Du nie." Ja, sogar die kleinen Leute und die Ohnmächtigsten in der Gesellschaft, sie setzten sich— allein oder mehrere zusammen, Mann und Frau an den Betten der Kinder— sie setzten sich hin und staunten das an: daß ein Mann, von dem Alle wußten, daß er in seinem ganzen Leben nichts gethan, als Schlimmes für andere Leute, daß der für eine Auszeichnung herausgesucht wurde. Daß dieser abgelegene Haufen Geld— zusammen- gescharrt in lauter Schmutz und Unrecht— daß der schon bis Stockholm stinken konnte!— das packte sie, und sie fingen an nachzudenken. War es nicht im Grunde nnißig für sie selbst und ein Unrecht gegen ihre Kinder, sie zu dieser Ehrlichkeit zu er- ziehen, die am längsten währen sollte? Denn es war ja garnicht wahr. Und hieß es nicht den Kindern eine Chance zum Weiterkommen im Leben abschneiden, wenn man sie zwang zu lesen und zu lernen und ihnen Achtung vor der Wissenschaft einflößte, während nian ihnen verborgen hielt, daß der Weg von unten nach oben in der Gesellschaft geebnet war für die Habsucht, welche sich niemals schämte, für die Heuchelei, welche niemals blinzelte. Aber vor dem großen Manne selbst senkten sich alle Stacheln, und die Stadt lag ganz glatt und platt auf dem Bauch vor ihm, als er zum Sonimer aus der Kammer zurückkehrte. Alle Geschäftsleute, welche in dieser Zeit etwas zum Nagen gefunden hatten, verbargen sorgfältig ihre Knochen und er- schienen wedelnd zu dem großen Festmahl, welches im Klub zu Ehren des heimgekehrten Herrn Wall gegeben wurde. Auch Damen sollten an diesem Feste Theil nehmen, und hier sollte Törres die schöne Frau Steiner wiedersehen, welche vor einigen Monaten in die Stadt gekommen war. Während er sich ankleidete und an alle seine Antwortreden denken sollte, schlich sich der Gedanke an sie unwillkürlich zwischen seine Worte und ver- wirrte ihn. Er hatte gehört, sie wäre zur Stadt gekommen, um ihr Atelier zu räumen, das alle diese Jahre auf ihre Rechnung leer gestanden hatte, Alles zu verkaufen und wieder abzureisen. Und das hielt er für verständig, da er aus der Hauptstadt wußte, daß ihr Mann rninirt wäre und sie wahrscheinlich nicht länger erhalten könnte. Er fühlte, daß, wie sehr er sich auch bewaffnen wollte, Alles von der Art und Weise abhing, wie sie ihn aufnehmen würde. Noch in diesem Augen- blick, nachdem er Alles und Alle vor sich hergewälzt hatte, erkannte er, daß dieses Weib seine letzte Probe war. Sie hatte ihn zum Narren gehalten, ihn lachend bis hart zum Rande des Abgrunds geführt. Ob sie noch die Macht besaß?— oder war hier eine Möglichkeit zur Rache? Vor Tisch war ein solches Gedränge um den großen Mann, daß Törres nur einen Schimmer von ihr in einer Damengnippe zu sehen bekam. Aber er erkannte im gleichen Augenblick den warmen Stoß nach seinem Herzen, als ob sein Athem stocken wollte vor diesem Weibe, das ihn so früh überwältigt hatte, und dessen Macht noch die gleiche zu sein schien. Dann begannen die Reden, man bespeiste den großen Mann mit den fettesten Worten, auf die nian kommen konnte. Zuerst sprach Bankpräsident Christensen ans die jungen Kräfte, welche sie allmälig ablösen sollten nnd die Arbeit weiter führen usw. Daraus brachte Rechtsanwalt Dreher einen Gruß von den Kleinen in der Gesellschaft, für welche Herr Wall ein Vater und Wohlthäter wäre. Dann kam ein Deputirter vom Lande und sprach auf den selfinaclk man, aus der Wurzel des Volkes usw. Am besten aber sprach Prediger Opstad. Er wollte nicht, daß man zu stark den sslkmacks man, wie es hieß, betonte. Von sich selbst aus ver- möchte der Mensch nichts, und Niemand wüßte das
besser als sein Freund— T. Wall. In beständiger Erkenntniß dessen, daß der Segen von oben käme und ganz ohne unser Verdienst, hätte dieser Biann sich aus kleinen Verhältnissen heraufgearbeitet, und darum hätte Gott seine.Heerde fett gemacht nnd ihm viel von irdischem Gute gegeben. Und wie empfangen, würde er es auch verwalten— dessen war der Geist- liche gewiß. Törres hatte auf all dies mit vieler Würde geantwortet; er hatte so gute Vorstudien beim Bank- Präsidenten gemacht und sich später in der Kammer ausgebildet, daß er die leersten Worte und die glattesten Schmeicheleien heraus sagen konnte, wie ein ernster Manu, der von Herzen spricht. Frau Steiner saß weit unten am Tische neben einem ihrer alten Kavaliere; sie konnte den Ehren- gast sehen, imnier, wenn er sich zum Sprechen er- hob; sie hörte, was er sagte, und was die Anderen zu ihm sagten. Und das war jener Ladenjnnge, den sie einst zu ihrer Verfiigung gehabt und zum Narren gemacht hatte! Seit dieser Zeit hatte sie selbst viele Enttäu- schlingen erlebt. Die Hauptstadt hatte sich bereits verändert, als sie wieder dahin kam. Es war ge- rade so weit, daß die Leute sich ein bischen an einen Skandal oder eine Scheidung erinnerten, aber sonst beschäftigten sie ganz neue nnd viel schlimmere Ge- schichten. Sie fühlte, man betrachtete sie mit einem gewissen Interesse, aber doch als Eine, welche ihre Mission schon erfüllt hätte. Und da auch ihr Mann, der sich nicht im mindesten gebessert hatte, nicht weiter das bisherige Verhältnis; fortsetzen konnte, indem— wie er sich schamlos genug ausdrückte— sein Ge- schüft nicht eine Geschiedene und eine Illegitime zu- gleich aushalten konnte, war sie in die kleine Stadt zurückgekehrt, halb in Verzweiflung und ganz rath- los für die Zukunft. Schön war sie noch und gekleidet wie keine Andere hier im Saal. Und während das große Fest weiter ging und alle Anbetung an den Einen verschwendet wurde, begannen Frau Steiner's Augen Glanz anzunehmen, und sie fragte sich, ob hier nicht noch möglicherweise zu finden wäre, was sie brauchte: sorgloser Reichthum und ein Mann. Sie hatte noch eine gewisse Angst vor seiner Plumpheit behalten, aber alle Welt lag ihm ja zu Füßen, er konnte sich nicht geändert haben. Schlimmer war, ob er gemerkt hätte— und er hatte es ganz gewiß hinterher gemerkt— wie viel Schuld sie an jenem Abend hatte; ob er ihr vergeben hätte? Ob sie ihn zum Vergessen bringen könnte? Beide waren unsicher, als sie einander begegneten, nachdem er lange um sie gekreuzt hatte. Und wie nach Uebereinkunft nahm sie sofort seinen Arm, und sie gingen in eines der Nebenzimmer, wo Niemand war. Sein Herz schlug wie in seiner Jugend, als sie sich setzten; sie lachten Beide etwas und konnten keinen rechten Anfang finden. „Sie haben sich wahrhaftig sehr verändert, Herr Wall." „Das haben Sie aber garnicht, nicht im Ge- ringsten," sagte er nnd sah ihr in's Gesicht und hinunter über ihre weißen Schultern mit diesem gierigen Blick, den sie wieder erkannte und vor dem sie sich unwillkürlich zurückzog. „Wir trafen uns nie in Christiania, " sagte sie. „Ich fragte nach Ihnen in den feinsten Kreisen, aber keine Menschenseele kannte Sie." Er war doch derselbe; sie wechselte das Thema. „Wie ging es Ihnen in der Kammer?" „Ausgezeichnet," antwortete Törres. Sie kannte auch diesen Sanguinismus. „Aber— aber ist es nicht etwas schwierig— so hineinzukommen?" „Ach, ich genirte mich nicht, ich war ja reicher als die Alle zusammen!" sagte er und lachte sie mit seinen starken Zähnen an, so daß sie sich wieder etwas zurückzog. Indessen war er jetzt in's Geleise gekommen und erzählte ihr, wie einem vertrauten Freunde, all --
das, was er in den letzten Jahren ausgerichtet hatte. So viel sah er sofort, daß nicht weiter die Rede davon war, ihn zum Narren zu machen; es galt vorläufig, die Vergangenheit vergessen sein zu lassen und sie warm zu nehmen, schnell, während er in seinem Glänze und sie ohne Stütze war. lind eine Macht kam über ihn bei dem Ge- danken, daß er dem allerunmöglichsten Traum seiner Jugend nahe war; dieses Weib, das für ihn das blendendste gewesen war und noch war, das so schwindelnd hoch gestanden, hatte er jetzt die Mög' lichkeit, in seine Gewalt zu bekommen. Er würde diesen weißen Nacken küssen— und ihn beugen: die Liebe brannte in ihm zugleich mit etivas von Rache, so wie er die Weiber lieben niußte. Sie hatte ihre Berechnungen vergessen und fühlte sich entwaffnet. Die Stärke, welche sie schon in gewissem Maße an dem Bauernburschen bewundert hatte, überwältigte sie. Sie wurde immer bleicher, während er noch sprach. Zuerst hatte sie überlegt, ob sie ihn nehmen sollte, aber jetzt fühlte sie, daß zum Schlüsse er sie nahm. Mehrmals hatten besorgte Herren vom Festcomite nach dem Ehrengaste gespäht und sich diskret znrllch gezogen. Törres ergriff ihre Hand und sagte:„Jetzt habe ich Alles, außer dem Höchsten. Gestatten Sie mir, Sie in die Räume hineinzuführen, aus denen Sie mich einst vertrieben, dann werden wir quitt sein— und doppelt glücklich." Ein Schauer durchfuhr sie, aber gleichzeitig näherte sich vorsichtig Bankpräsident Christensen. „Es ist wohl schwierig, sich zu einigen?" fragte er fein. „Nein, wir sind jetzt einig," rief Törres Wall strahlend.„Nicht wahr, Frau Steiner?" Sie erhob sich, sie standen Hand in Hand vor dem lächelnden Bankpräsidenten. Sie wandte ihren Kopf zu Törres Wall's starker Schulter und flüsterte:„Ja, wir wollen einig sein."-- Als er spät in der Nacht von seinem Fest, das sich zu einem stürmischen Verlobungsgelage ent- wickelt hatte, nach Hanse ging, machte Törres einen Umweg, um seine Verlobte nach ihrem Hause ZU begleiten. In der warmen hellen Sommernacht strich der Duft von den Feldern nnd den Haidekrauthügeln in die Stadt hinüber. Törres blieb an einer Elke stehen und sog die Luft in langen Zügen ein. Und mit der bekannten Landluft stiegen Kindheit und Jugend wieder in seinen Sinnen auf— Zeiten- an die er sonst in diesen geschäftigen Jahren niast gedacht hatte. Auch seiner Familie hatte er niast viel gedacht; kam Einer von ihnen zur Stadt, l" war seine erste Sorge, ihn wieder los zu werden� Aber in der Nacht legten sich auch die Erinne« rnngen über seine Stimmung, die so weich u»d glückgesättigt war, wie nie vorher; nnd er glaubte, daß er wahrgesprochcn, Gott hatte seinen Segen Arbeit gegeben. War es nicht mit ihm in Allem so gegangen wie mit Jakob?— und bekam er niast jetzt— am Ende der sieben Jahre— seine Rahe� — die herrlichste Rahel, welche je ein Mann gewönne»- Vor seinem Hause blieb er stehen und betrachtete die großen goldenen Buchstaben in seinem selfma»® Namen; aber oben in den Zimmern und im Schlaff zimmer gingen seine Gedanken weiter vorwärts — zu der schönen Frau in seinen Salons, de» bewundernden Gästen, und seiner Macht über Alle- Und als er sich entkleidet hatte und zu Bett ging, dachte er an die Kinder, und er fing an 3� studireu, wie er wohl seinen erstgeborenen Sah» nennen sollte., Plötzlich— wie durch eine Offenbarung sta» der Name vor ihm, und er nannte ihn halblaut'»' Dunkeln, wie aus Dankbarkeit. „Jakob" war der Name!„Jakob" war de� Name, den sein Sohn führen sollte, und er selbst würde ihn lehren, ihn zu führen.— Ende.