Die Frene Welt
Nr. 37
I.
Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
ཝ©. Celestyne.
Novelle von Jan Lier. Autorisirte Uebersetzung aus dem Böhmischen von
ine italienische Szenerie breitet sich vor uns aus. Unter Lem azurnen Himmel von blen= dender Klarheit ein schönes Thal, dessen ippig bewaldete Lehnen von der Sonnengluth übergossen sind. Helios neigt sich bereits dem Horizonte u, streut über den westlichen hiigeligen Theil des Thales ganze Garben glühender Strahlen und umfäumt mit goldenem Scheine jede Blume und alles Laub der grinen Wildniß.
Eine schwere, schwiile, durch Ueberhitung vibrirende Luft liegt auf der Niederung, deren saftiges Griin und satte Farben in den dichteren und tieferen Partien burch purpurviolette und schwarzbläuliche Schatten durchbrochen erscheinen. In der Mitte des Thales Schimmert in kilometerlanger Ausdehnung und in der Breite von etwa zweihundert Schritten ein Chaos on weißen Steinen, Sand und aufgewühlter Erde, große zerrissene und zerfurchte Aufhäufung von
eine
Erdmassen, wie sie der apenninische Torrento mit seinen Frühlingswassern in den italienischen Thälern anzu
Jammeln pflegt.
Im Sommer find solche Torrenti flein, klar und hill und auch in unserem Thale windet sich solch' in flares, stilles Bächlein, eingezwängt zwischen die westliche Thalwand und die Erdhaufen.
Dieser Bach heißt Wyslowka oder auch kurzweg Jewvaner Bach, und jener Theil des Thales, in welchem wir uns befinden, breitet sich zwischen der Silbernen Stalit nnd der Einöde Nowna aus. Wyslowta ist kein Torrento, und nur ein überSchwengliches, unerfahrenes und durch eine dichteriSche Brille in das Skalizer Thal blickendes Gemiith fönnte den böhmischen Bach beschuldigen, den in tropischer Gluth versunkenen Wiesengrund durch angehäufte Steinmassen verwelscht zu haben. Die biiften Steinhaufen sind durch kein Zusammenwirten der Naturkräfte hier aufgethirmt worden, sie find das Produkt und Verdienst des nimmer rastenden, schaffenden Menschengeistes.
Die wellenförmige Oberfläche der Steinwiiſte leht aus, als wäre hier ein Wolkenbruch von Schubfarren, fleinen Handwagen, Spaten, Hacken und ähn= lichen Geräthschaften niedergegangen, alles Werkzeuge,
it welchen der Mensch zu seinem Nußen oder zu feiner Kurzweil das Antlig der Mutter Erde ver biiftet. Bei näherer Betrachtung können wir jedoch bahrnehmen, daß in diese anscheinende Wirrniß dennoch eine Art von Ordnung und Symmetrie gebracht wurde; zwischen den Gruben und Sandhaufen binden sich, wie ein eisernes Aderncz, eine Menge ichmaler, auf einem Gerippe von hölzernen Schwellen efestigter Doppelgeleise.
Seitwärts, dem nahen Stalit zugewendet, steht
inmitten des hier aufgehäuften Schotters ein primitives Gebäude, dessen mittlerer, einstöckiger Theil sich über die beiden ebenerdigen Seitenfliigel erhebt. Auf dem Giebel des Gebäudes glänzt, oder besser gesagt, drückt sich eine unansehnliche Inschrift:
Böhmisch Mährische Transversalbahn. Baufeftion III.
Unternehmer Gabriel Chladek. Diese umfangreiche Schotterwüste ist der Bauplaz des Stalizer Bahnhofes.
Es war bereits nach Feierabend, trozdem wimmelte es unter den Steinhaufen von Arbeitern. Aus der Vogelschau hätten sie für große Ameisenhaufen angesehen werden können, die die Farbe der Masse, in welcher sie wühlten, angenommen haben. Sonnenverbrannt, abgerissen, bestäubt und schweißtriefend wälzten sie sich zu der Bauhütte des Unternehmers, von der sie sich dann, wie eine an dem Felsen zerschellende Brandung in kleineren Willen zurückströmt, einzeln oder auch in Gruppen vereint, wieder entfernten, um dem nahen Städtchen oder den umliegenden Dörfern zuzusteuern.
Um die Hütte herum konzentrirte sich der ganze Lärm einer brüllenden, lachenden, mehrere Hundert Köpfe zählenden Menge. Den meisten Lärm verursachten Diejenigen, die am e: frigsten zur Ruhe mahnten und„ Stille" schrien.
Alles drängte sich um einige umgestülpte Karren, auf deren Boden die Münzen follerten oder auch in die Höhe sprangen, wenn der Eine oder der Andere erregt mit der Faust auf das Brett schlug.
Einige„ Partien" waren bereits abgelohnt. Mißtrauisch überzählten die Arbeiter das empfangene Geld, schimpften auf den Unternehmer, auf die schlechten Zeiten und auf ihre Partieführer, zahlten einander gegenseitig die gemachten Schulden, kauften und verkauften und verschwendeten dabei wie Kavaliere, während sie im Umdrehen mit ihren wartenden Frauen um jeden einzelnen Kreuzer feilschten.
Der Kantineur umschlang mit Blicken und Händen ſeine Schuldner, und wenn ihm einer mit dem Gelde in der Hand dennoch entkam, wurde er von seiner Frau sicherlich erwischt. Die gellende Stimme dieses schwachen, abgezehrten Weibes zischte unaufhörlich durch die Luft, wie der Lasso des Gaucho über der Heerde, traf die ausersehenen Opfer mit nie verfehlender Sicherheit, und brachte die gezähmten zu der Kasse des Kantineurs.
Der Zeichner, der Magazineur und der Kanzlist des Unternehmers zahlten gerade drei verschiedenen Partien aus, jeder nach einem revidirten Zahlbogen. Der Partieführer rief nach seinem Verzeichniß die Arbeiter vor. Der Angestellte des Unternehmers Fatte nur die Aufgabe, das Geld den Leuten aus
Franta Hájek.
1899
zuzahlen, denn die Lohnlisten wurden die ganze Woche hindurch von dem Partieführer geführt, der auch die Arbeiter in die verschiedenen Lohnfategorien einzureihen hatte, sie einstellte oder auch entließ, und ihnen auch die Strafen diftirte.
Infolge dieser nicht unbedeutenden Machtbefugnisse standen die Partieführer zu ihren Arbeitern stets in einem klaren, bestimmten Verhältnisse, entweder in entschiedener Kameradschaft oder in nicht minder entschiedener, ausgesprochener Feindschaft. Im lezteren Falle opferten sie ihre Popularität, um sich nach Oben einzuschmeicheln die armen Tröpfe!
" He, Ihr dort vorne!" rief Jemand aus dem Haufen, der den auszahlenden Magazineur umdrängte, " sagt doch unserem Alten in's Ohr, daß ich mir fiir die Kreuzer, um die er uns bestiehlt, eine Pistole kaufen werde...."
"
„ Wer war das?" schrie der betroffene Alte" wüthend in den Haufen und hob die Faust. ,, Her mit dem Kerl!" riefen die Vordersten nach rückwärts und lachten.
" Kommt und holt ihn! Faßt ihn!" antworteten fünfzig Stimmen im wilden Gelächter aus dem Hintergrunde, und über dem Kopf des Aeltesten flog ein Steinchen.
"
"
Wartet nur! Euch werde ich es schon heimzahlen," knirschte in ohnmächtiger Wuth der Aelteste. Ruhe!" mahnte der Magazineur, der sich an der Seite des unbeliebten Partieführers nicht recht wohl fühlte." Die Ungezogenheiten Ihrer Leute haben Sie selbst verschuldet, Balzar! Widersprechen Sie nicht!... Und nun weiter mit der Auszah= Josef Praschil! Sechs Tage zu neunzig lung.... Kreuzern, macht fünf Gulden und vierzig; Abzug für die Krankenkasse elf Kreuzer; Auszahlung: Fiinf Gulden und neunundzwanzig Kreuzer...
Das Geld wurde auf das Brett geworfen. Vincenz Tumler: Fünf und einen halben Tag zu achtzig Kreuzern, macht vier Gulden und vierzig; Strafabzug zwei Gulden...."
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Waaas Strafabzug? Ich?... Wofiir?" empörte sich der Arbeiter, der die Hand bereits nach dem Gelde ausgestreckt hatte. Partieführer, heraus mit der Sprache!"
" Für die Beschädigung des Handwagens. Und für Ihre Frechheit sind Sie auf der Stelle aus der Arbeit entlassen!"
" Jungens, habt Ihr es gehört?" wendete sich Tumler an seine Kameraden. Wüthend schlug er mit der Faust auf das Brett.
Das Toben der Menge wurde immer stärker, und unheilverkündende Ausrufe wurden laut. Die Hinteren drängten nach vorn, und über den Köpfen erhoben sich Fänste und Stöcke.