Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

lieber als Fleisch, jedenfalls lieber als ihre fade ganze Bild war freilich diister, tribe, nebelhaft und Polenta.

An eine lange Rast war auch hier nicht zu denken; Santner und der Löwenhansl trieben zum Aufbruch, denn es lag wie Schneesturm in der Luft, und von einem solchen wollten sich dieselben im Grasleiten­fejjel und während des Anstiegs zur Jochhöhe auf feinen Fall überfallen lassen. Ob wir freilich so weit kommen wiirden, erschien sehr bald äußerst fraglich, dem gleich hinter der Hütte hatte es der= maßen geweht und der weiche Schnee lag so massen haft, daß Santner, der mit dem Pickel sondirend, vorausging, wiederholt bis an die Schultern ein sant. Seine Tochter und der zweite Leipziger Herr waren geneigt, umzukehren und das aussichtslose Unternehmen aufzugeben, der Hüttenwart aber blieb unbengjam. Santner und Hansl hatten guten Muth, und da ich mich ebenfalls schwer zum Umfehren ent­schließe, so wurde der Vorwärtsmarsch fortgesetzt, langsam zwar, aber unaufhaltsam. Als wir uns glück­lich bis zum Grasleitenfessel durchgekämpft hatten, was allerdings ein faures Stück Arbeit war, besserten sich die Schneeverhältnisse bedeutend, aber dafür trieb der Sturm von links her Nebel- und Wolfenfeßen in den Kessel und spornte unsere Führer zu mög­lichster Gile, denn damit riickte die Gefahr, in einen Schneesturm zu gerathen, in bedrohlichste Nähe, wenn uns auch der sonst so gefährliche Nebel nichts an­haben konnte; hat man erst den Anstieg zum Paß erreicht, so kann man sich nicht mehr verirren. Der Paß wird hiiben und drüben von himmelhohen Wänden flankirt und zwischen ihnen muß man eben bleiben, man mag wollen oder nicht. Dafür ist der Anstieg so steil und so langwierig, daß er manchen Schweißtropfen kostete, und hatten wir erst das Auf hören des Schnees freudig begrüßt, so wünschten wir uns denselben bald zurück, denn das Aufsteigen über gefrorenes Geröll, das dennoch unter dem Fuß nach giebt, ist auch kein Kinderspiel. Man muß, um einen festen Half zu bekommen, den vorschreitenden Fuß quer stellen; versäumt man das, so rutscht man wieder zurück. Und das Aufsteigen will fein Ende nehmen; man hat einen mächtigen Felsblock dicht unterhalb der Paßhöhe, der gewissermaßen das Ziel der An­strengungen bildet, fort und fort vor Augen und meint zuletzt, man müsse in einer knappen Viertel­stunde oben sein, aber aus diesem Viertelstündchen entwickelt sich eine scharfe Stunde. Ich war bei dem laugen, hageren Leipziger Herrn, der für Um­lehren gestimmt hatte, zurückgeblieben, weil er am langsamsten vorwärts fam und am unsichersten war, mid weil es möglich schien, daß er der Unterstützung bedurfte. Dieser Fall trat freilich nicht ein und der Herr hielt sich ganz tapfer, doch blieben wir immer weiter zuriick und Hausl mahute, von seinem Mantel umflattert, unausgesezt zur Eile und schrie uns durch den heulenden Sturm, der sich zwischen den Fels­wänden verfangen hatte, seine Direktiven zu. Als er von der Paẞhöhe aus gewahrte, daß er sich um uns nicht mehr zu befiimmern brauchte, überschritt er dieselbe und eilte der Santner'schen Gruppe nach, und er war schon nicht mehr sichtbar, als wir end­lich tief aufathmend auf der Paßhöhe standen, und hatte uns nur seine Fußspuren als Wegweiser zuriick gelassen. Jenseits des Passes, das ganze Vajolettthal hinunter, lag nämlich wieder tiefer Schnee

vom Paß hatte es ihn über die Steile hinunter in den Grasleitenfessel geweht. Nun, das Schwerste war überstanden, selbst ein Schneesturm hätte uns nun nichts mehr anhaben können und unten in der Hütte erwartete uns ein behaglich warmes Zimmer und ein dampfender Thee. So gingen wir denn seelenruhig wieder an's Schnee­treten und erweiterten, in die Stapfen unserer Vor­gänger fallend, dieselben zu wahren Elephanten spuren, die sich schön blau von der weißen Fläche abhoben. Im Vertrauen auf meine verhältnißmäßige Leichtigkeit lief ich wohl auch einmal, meine Last nach Kräften verringernd, zehn, zwölf Schritte neben den Spuren über den an der Oberfläche gefrorenen Schnee, um plöglich beim dreizehnten ganz unerwartet tief einzubrechen; tann hatte ich wieder dem Gefährten aus einer besonders tiefen Grube herauszuhelfen, furz, es fehlte nicht an allerlei Abwechselung. Das

verschleiert, denn der Himmel war grau und wolkig und die im Sonnenschein eines klaren Herbsttages entzückend bizarre und großartige Szenerie erschien eintönig und melancholisch. Zudem fehlte alle Fernsicht und die kleinen Menschlein, die sich zwischen den Felskolossen wie Ameisen abwärts ab­arbeiteten, empfanden auch nicht minutenlang die Versuchung, in einen jubelnden Juchzer auszubrechen und das Echo wachzurufen. Von alle den fabel­haften Farbenwundern, die ein herbstlicher Sonnen­untergang in dieser grandiosen Gebirgswelt auf der Palette hat, bekommen wir nichts zu sehen; nur er­zählen konnte ich meinem Gefährten, wie man mit offenem Munde dasteht, wenn das riesige Schneefeld der eisgepanzerten Marmolada , wie von Himbeerröthe übergossen, plöglich in's Gesichtsfeld tritt.

,, Chi va piano, va sano!"( Wer langsam geht, geht sicher!) pflegen die italienischen Führer zu sagen, und fügen wohl hinzu: ,, e lontano!"( und weit!). Auch für uns kam der Moment, in dem die Vajolett­hitte vor unseren schneegeblendeten Augen auftauchte, und aus dem Schornstein stieg blauer Ho zrauch in die dicke, neblige Abendluft. die dicke, neblige Abendluft. Santner's Tochter, obwohl gehörig durchnäßt, hatte hausfraulich ihres Amtes gewaltet; in dem vertäfelten Gastzimmer war es bereits behaglich warm und der Herr Hüttenwart streichelte mit frostblauen Fingern den Ofen, der so prächtig funktionirte. Die Frage der Beheizung hoch­gelegener Schutzhäuser ist eine der allerheitelsten; ist sie befriedigend gelöst, so hat der Hüttenwart gewonnen, und entsagt auch der Küchenherd allen Streifanwand­lungen und gestattet der Ofen, nicht blos zu kochen, sondern auch zu braten, so bedeutet das Sieg auf der ganzen Linie. Allen anderen Uebelständen läßt sich abhelfen; ein Herd aber, der unermüdlich im Qualmen ist, dessen Platte jedoch so kalt bleibt, daß ein Frosch es zur Noth fünf Minuten auf ihr aus­halten könnte, ist ein Kreuz für den Bewirthschafter und ein noch größeres für den unglücklichen Hütten­wart, der das unentbehrliche Möbel mit schweren Kosten erworben hat, womöglich als ein non plus ultra seiner Art, damit es, unter neuen beträchtlichen Transportkosten an Ort und Stelle gebracht, hart­näckig seinen Dienst versagte und der Anstrengungen aller zu Hülfe gerufenen Sachverständigen, Heizkünstler, Töpfer, Schornsteinfeger usw. gleichmüthig spotte. Ja, hätte man gute Steinkohlen für einen solchen lebelthäter, aber er soll sich ja mit dem zähen Geäst der Legsöhre heizen lassen, mit dem grinen sowohl wie mit dem dürren, auch dann, wenn der Sturm der Hochregionen heulend über die Hütte dahinbraust, als wolle er sie in ungestiimem Anprall hinab in die Tiefe schlendern.

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Die Hiirte, die uns gastlichen Schutz bot und ungeheure Mengen heißen, duftigen Thees, ist eine von den kleinen und bietet im äußersten Falle fünfzehn Touristen eine Lagerstatt; es sind nämlich sieben Betten und acht Matraßeulager vorhanden. Sie hat 4000 fl ö. W. gefoſtet, die Einrichtung za. 1100 fl, und man kann wohl sagen, daß alle auf dem Gebiete des Hiittenbaues gemachten Er­fahrungen hier mit sächsischer Grindlichkeit ver­werthet worden sind.

Die Lage zu Füßen der imposanten, furchtbar steilen Vajolettthürme, an die sich nur Dolomitkletterer ersten Ranges wagen dürfen, ist prachtvoll und die Besteiger der leichteren Rosen­gartenspize fürzen den Weg bis zum Einstieg in die Felsen beträchtlich ab, wenn sie in der Vajoletthiitte, statt in der Grasleitenhütte übernachten. Das hat seinen Werth, denn je frischer und ausgeruhter der Steiger ist, wenn seine eigentliche Arbeit beginnt, desto leichter wird er den Unfällen entgehen, die aus Ermiidung, aus dem Versagen der oft über­schätzten Kräfte entstehen. Auch Verlegungen durch Steinfall werden desto sicherer vermieden, in je früherer Morgenstunde das Klettern in den Rinnen beginnt; wenn die Sonne höher kommt und das Eis des Nachtfrostes weglect, kommen die vorher die kleinen feſtgefrorenen Steine in's Nutschen, die kleinen bringen die größeren, viele kleine( uh einen ganz großen in Bewegung, und urplößlich prasselt eine Steinsalve durch die schmale hinne herunter, der man nur durch einen glüdlichen Zufall zu entgehen

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bermag. Für viele von den Touristen, die das Rosengartengebiet, die Perle Südtyrols, queren, indem sie die in drei Tagen bequem zu Fuß ab­zuwickelnde Rundtour Eggenthal - Karrerseepaß­Grasleiten Blumau oder umgekehrt machen, wird die Hii.te freilich nur die Bedeutung einer Einkehr­und Erfrischungsstation haben; wer die Tour aller­dings in zwei Tagen machen will, der kommt von beiden Seiten wohl nur bis zur Vajoletthütte, fiir ihn ist sie daher auch als Uebernachtungsplatz von Wichtigkeit; Viele ziehen ja schon aus Neugierde die Schutzhütte dem nächsten Thalwirthshause vor; sie wollen auch einmal in einemt alpinen Schußhaus geschlafen haben, um daheim davon erzählen zu können.

Wäre es nach mir und den Leipziger Herren gegangen, so hätten wir unseren Stab an diesem Tage nicht weiter gesetzt, sondern in der peinlich sauberen, freundlichen und ordentlichen Hütte über­nachtet. Aber Santner und Hanst trauten dem Wetter noch immer nicht und meinten, das Sicherste sei, noch an diesem Abend Perra im Fassathal zu gewinnen, wenn auch das letzte Stück des Weges mit der Laterne werde gemacht werden müssen. So fügte man sich denn ihrer vorauszuseßenden besseren Einsicht und abwärts ging es nach den zahlreichen, verstreuten Sojalhiitten, wo im Sommer viel Vieh weidet, und in den Schatten der Dämmerung aus den Bereich der Felsen hinab auf die erste Thal­stufe und in's Bereich der Kultur. Santner stufe und leuchtete mit einer weißen Papierlaterne voran und im Gänsemarsch folgten wir ihm blindlings und urtheilslos auf allerlei abschneidenden Nichtwegen, über rauschende Bäche, durch finsteren Wald und an steilen Lehnen hinunter, nur das kleine Fleckchen erleuchteten Bodens vor uns im Auge, um feinen Fehltritt zu thun, der im Gebirge noch weit em­pfindlicher sich zu rächen pflegt, als im Flachland. Auch an vereinzelten Häusern, aus denen freund­licher Lichtschimuner uns grüßte oder eine halb­verwunderte Stimme einen Abendgruß ims zurief, sind wir so vorübergekommen, um dann wieder in tiefe Finsterniß und auf ganz schmale, steile Pfade 31 gerathen furz, man war von dem fortwährenden Wechsel und dem stumpfsinnigen Hinterbreintappen hinter der auf und ab pendelnden Papierlaterne förmlich wirr im Kopfe, als plötzlich eine breite Lichtfluth uns entgegenschlug und wir vor dem Gast hause des Antonio Nizzi in Perra standen. Es war zwischen sieben und acht Uhr Abends, und da wir um sechs Uhr früh aufgebrochen waren, so hatten wir, troß nur ganz kurzer Rasten, zu einer Tour, die sich unter günstigen Verhältnissen in sechs Stunden durchführen läßt, reichlich das Doppelte gebraucht; in fiirzerer Zeit wäre sie aber trotz aller Anstrengung fanm zu bewältigen gewesen, denn der Schnee verurtheilte uns zu einem Tempo, das gar­nicht in den Gewohnheiten und im Temperament der Betheiligten lag.

Man war nicht wenig erstaunt, so spät im Jahre und so spät am Tage noch eine so zahlreiche Gesell­schaft aus dem Rosengarten einrücken zu sehen, und lustig anzusehen war es, wie man von allen Seiten warme S.riimpfe und warme Hausschuhe herbei­brachte, damit wir unsere durchnäßten und förmlich durchweichten Bergschuhe von den Füßen brachten, die nun, um das Einschrumpfen zu verhiiten, sorg­fältig mit Heu ausgestopft und so an den warmen Stichenherd gebracht wurden. Dem Hüttenwart, den sie zum ersten Male in ihrem Leben erblickte, wollte des Wirthes zierliches Töchterlein Marietta, das im Sommer mit einer Magd die Bewirthschaftung der hitte besorgt, eine besondere Ehre erweisen und brachte ihm ein Paar ihrer e'genen Pantöffelchen, die sich freilich als für ein Paar deuts.he Infante­riften üße viel zu flein erwiesen und sich neben den massiven Bergschuhen des Geehrten wie Puppen­schuh verk ausnahmen.

Santner und Haust behielten mit ihrer Wetter­prognose nur zu Recht. Schon während wir beim Abendessen saßen, stöberte und reguete es wild durch­einanter, un so blieb cs die ganze Nacht, so daß wir früh den Anblick einer vollständigen Winterland­sch ft hatten. Es gehörte keine besonders lebhafte