Die Neue Welt

Nr. 38

( ortsetzung.)

Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

e. Celestyne.

༤O.

Novelle von Jan Lier. Autorisirte Uebersetzung aus dem Böhmischen von Franta Hájek.

eruhigt verließ der Ingenieur die Station und schlug den Waldweg ein, der gegen Pribis­lawiz führt. Lange blieb er jedoch nicht. Der Neiz des duftgeschwängerten Abends eines heißen Junitages vermochte ihn nicht gänzlich zu fesseln, und bevor noch die Finsterniß eintrat und das einsame Gebäude auf dem Plaße der künftigen Bahnstation bon Stalig von der übrigen Welt abschloß, saß der junge Mann schon wieder über seiner Arbeit.

Aus langen, freuz und quer zusammen gestellten Bifferreihen suchte er die Durchschnittszahlen zu ge­winnen, rechnete nach und verglich, und es war be­reits nahe an Mitternacht, als er endlich sein ein­faches Zimmer betrat.

Er trat an das Fenster und schaute zu dem Sternentlaren Himmel empor, und sein Blick blieb auf dem zackigen Rande einer auf dem nördlichen Horizont sich aufthürmenden Wolfe haften. Es " wetterleuchtete", das heißt, hinter den schwarzen Wolken in der weiten Ferne wütheten die entfesselten Elemente und peitschten mit hundertfachen Ruthen die bebende und ächzende Erde, und ein Donner­schlag nach dem anderen verbreitete Angst und Ent­sezen in den Herzen von Tausenden. Und hier sah es doch so spaßhaft aus, als wäre das weite Fir­mament besät mit kleinen Pulverhäufchen, die von muthwilligen Knaben angezündet werden. Rechts und links erglühte und leuchtete es, bald bliẞte es oben, bald in der Tiefe, und bald erschien nur der Saum der schweren herabhängenden Wolfe wie in flüssiges Gold getaucht...

So findlich und so amisant erscheint also ein berderbenbringendes Gewitter aus der Entfernung bon zwanzig, dreißig Meilen. Und ebenso kleinlich und matt verlöschen auch am Firmament der Mensch­heit nach zwanzig, dreißig Generationen alle Ge­witter, alle Regungen und Strebungen unseres Zeit­

alters.

Die Katastrophen in der Weltgeschichte sind wie Protuberanzen der Sonne. Die Menschheit rafft sich auf und erhebt sich bis zu den Höhen ihres Olymps, und nach Jahrhunderten firirt irgend ein Forscher mit seinem Telestop unsere gewaltige Erplo­fion wie eine flüchtige Episode und- regiſtrirt sie; er hat ein paar Zeilen mehr zu jener und jener Beit erhob sich eine Protuberanz zu der und der Höhe underlosch wieder. Mit der Zeit fressen bie Motten die paar Zeilen auf, und die ganze Ge­schichte ist aus.

Troß dem gewichtigen Ernste seines Monologs blieb der Ingenieur von dem Pessimismus unan­getränkelt, als er sein Lager aufsuchte. Sein geistiges Auge schweifte von den Himmelshöhen wieder auf die trümmerbefäeten Felder des Stalizer Bahnhofes

herab, und sein Geist kehrte von dem Zentralstern unseres Weltalls" wieder zuriick zu seinen prosai­schen Rechnungen. In Gedanken ging er wieder einzelne Linien und Striche seiner Pläne durch, ließ nochmals die langen Reihen seiner winzigen Zifferchen Revue passiren und schlief ein mit dem zufriedensten Revue passiren und schlief ein mit dem zufriedensten Lächeln auf den Lippen, glücklich, als hätte ihn aus seinen Papieren der süße Duft des Jasmin ange­weht, die krißelnde Feder ihm das frohe Gezwitscher junger Vögel oder das Zirpen der Grille vorge­gaufelt.

II.

In aller Frühe trat der Ingenieur an's Fenster. Der föstlichste Sommermorgen lachte ihm entgegen, strahlend, duftend, bunt und frisch. Die Gegend durchwehte ein leichter, fühlender Hauch, eine über­aus angenehme Folge des gestrigen fernen Gewitters, welches nach glaubwürdigem Befund mehrerer Kom­missionen eine Fläche von 3000 Quadratkilometern verheerte und einen Schaden von 1384 726 Gulden 59 Kreuzern anrichtete. Das fühlende Zephyrchen war somit qut bezahlt. Von dem klaren Morgen­himmel hoben sich die Silhouetten zahllosen Land­voltes wirksam ab. Von allen Seiten zogen sie herbei, auf allen Wegen und Stegen, durch die Felder um das Thal herum, alle in der Richtung gegen Nowna zur Kirche. Ein Mann hinter dem anderen, eine Bäuerin folgte der anderen. Es war unter­haltend, sie einzeln zu beobachten, wie sie daher schritten, langsam und gemessen, und wie sie von Zeit zu Zeit stehen blieben, um die Fortschritte des Bahnbaues zu mustern und zu begutachten. Nach längerem Beschauen hob dann Einer seinen Stock und deutete in das Thal hinab und sprach etwas. Der Andere gab zuerst keine Antwort, und nach einer Weile erst nahm er die Pfeife aus dem Munde und machte auch seine Bemerkung. Dann nichten sie einander zu und gingen weiter. Aehnlich thaten die Weiber, die jedoch nur mit den Köpfen gestifu­lirten, denn in den Händen, die in gehäkelten Hand­schuhen ſtaken, trugen sie in gestickte Taschentücher eingewickelte Gebetbücher.

Der Kutscher Wenzel stand mit dem Wagen schon bereit. Er streichelte seine Pferde und musterte zufrieden die vorüber ziehenden Landleute und es gewährte ihm besondere Genugthuung, zu sehen, wie sein feuriges Gespann bewundert wurde.

Wenzel, fahren Sie zu, es wird Zeit!" mahnte der Ingenieur.

Guten Morgen, gnädiger Herr," lachte der Kutscher zu ihm herauf." Seien Sie unbesorgt, ich kenne meine Zeit, wenn ich fahren muß. Ich warte nur noch auf den Fuhrmann Filip. Ich konnte sonst nichts Anderes auftreiben als seine Britschka.

1899

Ich sagte ihm, daß er sie wenigstens abwaschen möchte. Der Kerl liegt jahraus, jahrein in dem Koth auf der Landstraße und gäbe es nicht eine Kirchweih', würde er sein Fuhrwerk niemals reinigen.

Im gleichen Augenblick kam auch schon aus einem der letzten Vorstadthäuschen ein wackeliges, unansehnliches Gefährt zum Vorschein.

" Filip kommt schon, ich muß ihm entgegen," meldete der Kutscher und zog seine Pferde an.

Der Ingenieur schaute den beiden Fuhrwerken, die in raschem Tempo dem Bahnhof zueilten, ein Weilchen nach. Dann begann er sich langsam an­zukleiden. Inzwischen kam sein Assistent von der Erpositur in Jewan und brachte auch den Zeichner mit. Alle Drei frühstückten gemeinschaftlich und be­sprachen die zum Zwecke der Bewirthung der Herr­schaften getroffenen Vorbereitungen und gingen dann hinunter.

Hier wartete ihrer bereits Galat und mit ihm achtzehn ausgewählte Arbeiter im Sonntagsstaat, eine Dräfine und drei Geleisewagen, Alles gepuẞt und ausgeschmückt. Die Fuhrwerke waren mit aller­hand Decken ausgelegt und zum Schuße gegen den Sonnenbrand war mit Hülfe von Stangen und Tüchern eine Art von Baldachin über ihnen her­gestellt.

Um die elfte Stunde brachte Wenzel den Unter­nehmer in den Kreis seiner Unterthanen. Herr Chladeck füllte wie ein Ballon den ganzen Fond des Wagens, während seine Gattin in eine Ecke sich so bequem drückte, als es eben nur ging. Sie war erstaunlich mager, aber um so länger, vermuth­lich um den vollendeten Gegensatz zu ihrem Gatten zu bilden, was angeblich zur Erreichung der ehelichen Harmonie unbedingt nothwendig sein soll.

Hätte man Vergleiche anstellen wollen, so wäre Herr Chladek als ein umfangreicher, in allen Farben des Sanguinismus schillernder Glasballon erschienen, während Frau Chladek mehr einer schlanken, durch Melancholie getrübten Phiole glich, die mit der fonzentrirten Säure des Cholerismus angefüllt war. Auf dem Vordersize war das Nesthäkchen der beiden Eheleute plazirt, ein etwa achtjähriges Mädchen, und aus dem lauten Wesen, das die Frau mit ihrem Kinde trieb, erfuhren die wartenden Männer, daß die Perle der herrschaftlichen Familie Sophie hieß. Gott sei Dant, daß wir die Reise überstanden haben," pustete Herr Chladek und wischte mit einem bunten Tuche an seinem fahlen Schädel.

"

So eine Familie verursacht mehr Sorgen und Umstände, als hundert von Ihren Arbeitern. Und da sind wir nur sieben- ich, meine Frau, Sophie, und dort kommt er eben, der zukünftige Doktor der Rechte und gegenwärtige Quartaner Emil, dann