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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Pfeffer und Opium in großen Mengen; wie sollte er nicht echt sein! Bischof Compton wurde von Psal manazar mit einer formosanischen Uebersetzung des Katechismus der englischen Kirche erfreut und sorgte dafür, daß Psalmanazar die nöthigen Mittel bekam, um in Orford seine Studien zu vollenden. Er sollte hier auch Engländer in seiner Sprache unterrichten, damit sie nachher mit ihm zur Bekehrung seiner Landsleute nach Formosa gehen konnten. 1704 er= schien Psalmanazar's Buch:" Historische und geographische Beschreibung von Formosa, einer Insel, die dem Kaiser von Japan unterworfen ist, illustrirt mit mehreren Stichen." Man sieht schon aus dem Titel, daß Psalmanazar der Geschichte um hundertneunzig Jahre vorgegriffen hat, indem er Formosa zu Japan , anstatt zu China rechnet. Der ganze Inhalt des Buches ist bis auf wenige Notizen, die auf ein Geographiebuch zurückgehen, Psalmanazar's freie Erfindung: es schildert seine persönlichen Erlebnisse, wobei er zur Erbauung der Protestanten beständig über die Jesuiten herfällt, in großer Breite und beschreibt dann eingehend die Insel Formosa , ihre Bewohner, deren Religion, Sitten und Einrichtungen, giebt Proben ihrer Sprache und auf einer Tafel ihre Schrift; die Stiche stellen Kleidung, Wohnhäuser usw. dar. Das Buch fand großen Absatz, erlebte eine zweite Auflage und Uebersetzungen in's Französische und in's Deutsche .
Bei alledem enthielten Psalmanazar's Angaben so viel unwahrscheinliches und Unmögliches, daß Bedenken laut werden mußten. Daß Formosa zu Japan gehören sollte, war ein wunder Punkt. Dann mußte man sich wundern, wie er bei dem jugendlichen Alter, in dem er seine Heimath verließ, schon über all' die Dinge informirt sein konnte, von denen er sprach. Ferner rechnete man aus, daß, wenn, wie er sagte, in Formosa jährlich 18 000 Kinder geopfert wurden, die Bevölkerung der Insel längst ausgestorben sein müsse, und was dergleichen mehr war.
Aber Psalmanazar war nicht zu verblüffen. Sein Grundsatz war, nie etwas zurückzunehmen, was er einmal gesagt, sondern es stets plausibel zu machen suchen; dazu vereinigte er mit einer eisernen Stirn viel Phantasie und Rednergabe. So erklärt es sich, daß er, als ihm in einer Sigung der Londoner Akademie, der„ Royal Society ", am 2. Februar 1704 der Jesuitenpater Fountenay, der wirklich in Formosa gewesen war, entgegentrat, Pfalmanazar als Sieger hervorging, der unglückliche Jesuit für den Schwindler galt.
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Man bekommt die beste Vorstellung, wie schwierig die Nolle war, die Psalmanazar spielte, und wie gewandt er sich ihrer entledigte, aus einem Brief aus dem Juni 1704, dessen Schreiber über eine Gesellschaft in Orford berichtet, bei der der For mosaner anwesend war. Da heißt es unter Anderem: Er gab einen Bericht über die teuflischen Opfer, viel ausführlicher als in seinem Buch; denn wenn es au Knaben fehlt, so nehmen sie Mädchen unter dem Alter von neun Jahren, die sie mit vielen Zeremonien reinigen, das heißt zwölfmal durch jedes der vier Elemente ziehen, bevor sie zum Opfer für geeignet gelten. Ich fragte, ob die Eltern willig wären, ihre Kinder herzugeben. Er sagte: Nein, aber wenn sie sich weigerten, so seien sie nach dem Gesetz des Todes schuldig und retteten ihre Kinder doch nicht... Ich fragte, ob sie der Abschlachtung ihrer Kinder zusähen. Er sagte: Nein, der Tempel werde zugeschlossen, während sie das Opfer darbrächten. Der Oberpriester schneide ihnen den Kopf ab, der Opferpriester schlize den Bauch auf, und die Körper wiirden in ein Loch in dem Heiligthum ges worfen, wo sie getödtet würden. Ich war ungewöhn lich neugierig, zu wissen, was aus den Leichnamen würde. Er sagte, die Priester möchten sie wohl effen. Ich sagte, eine so große Anzahl jedes Jahr geschlachtet, sei genügend, um ein Land zu entvölkern. Er antwortete, in unserem Lande sei das wohl möglich, aber in seinem Lande hätten die Aermisten zwei bis drei und die Vornehmen zwölf bis fiinf zehn Weiber. Denn angenommen, sagte er, Giner von der gewöhnlichen Klasse hätte mit zwei oder drei Weibern vier Söhne und von diesen vier würden drei genommen, könnte nicht der überlebende Knabe
mit der gleichen Anzahl Weiber den Verlust ergänzen? Er sagte auch, sie hätten eine unumschränkte Gewalt über ihre Weiber, und wenn sie ihrer überdrüssig wären, so brauchten sie blos zu sagen, sie hätten sie im Verdacht des Ehebruchs, und ohne weitere Umstände schnitten sie ihnen den Kopf ab und äßen sie. Eine anwesende Dame war empört und rief: barbarisch! Ich muß zugeben, sagte er, es ist bar barisch, sie ungerecht anzuklagen, und ich wünsche, der Gebrauch wäre aufgehoben... Ich halte es für. keine Sünde, Menschenfleisch zu essen, aber ich gebe zu, es ist etwas ungesittet... Er wurde gefragt, wie lange die Menschen in Formosa gewöhnlich lebten. Er sagte, manchmal bis 120, aber 100 Jahre werde für sehr mäßig gehalten. Sein Großvater, sagte er, war 117 Jahre und so frisch, sehnig und fräftig wie ein junger Mann, weil er jeden Morgen das Blut einer Viper tranf."
In diesem Stile geht es unentwegt weiter. Interessant ist noch die Abfertigung des zweifelnden Bischofs Burnet:" Als Bischof Burnet ihn um Beweise bat, daß er von Formosa komme, antwortete er, wenn der Zufall den Bischof nach Formosa brächte, so würde er sich in einem seltsamen Dilemma finden, wenn er sich als Engländer ausgebe und gebeten würde, seine Angabe zu beweisen. Du sagst, gebeten würde, seine Angabe zu beweisen. Du sagst, Du seist ein Engländer, würden die Formosaner Psalmanazar zufolge erwidern; Du siehst so sehr wie ein Holländer aus, wie nur Einer, der je in Formosa Handel trieb."
Psalmanazar's Helfershelfer Innes wurde für seine Verdienste um die Bekehrung des Formosaners zum Generalfaplan der englischen Truppen in Por tugal befördert. Psalmanazar scheint den Beistand des wiirdigen Vertreters schwer entbehrt zu haben; wenigstens beginnt von da ab sein Niedergang. Das Interesse seiner aristokratischen Gönner an ihm erfaltete. Die Zweifel an der Wahrheit seiner Angaben mehrten sich immer mehr. Die Zeitungen Die Zeitungen machten sich über ihn luftig. Schließlich gerieth er, der einst der Löwe des Tages gewesen war, in totale Vergessenheit und schlug sich mühsam durch als Mitarbeiter an Unternehmungen wie die Weltgeschichte". Auf seine alten Tage ging er unter die Frommen, fand sich aber nicht bemissigt, bei Lebzeiten ein öffentliches Eingeständniß seines Betrugs von sich zu geben. Vierundachtzig Jahre alt starb er am 3. Mai 1763 in Ironmonger Row in der Londoner City. Aus seinem Nachlaß erschienen 1764 die Memoiren von ††† gemeinhin bekannt unter dem Namen Georg Psalmanazar", die das Geständniß des auf die Bahn des Verbrechens gerathenen hochbegabten Mannes enthalten.
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Reise in den Weltenraum.
Von Camille Flammarion . Deutsch von Gertrud David . ( Fortsetzung.)
Eine halbe Milliarde Meilen von der Erde.
Oren den Tiefen des Himmels, dreißig Mal weiter
entfernt von der Soune als unsere Erde, rollt der Planet Neptun seine Bahn. Nur den 900. Theil des Lichtes und der Wärme, die wir von der Mutter Sonne erhalten, spendet sie diesem, ihrem fernsten Stinde, dessen Lebensbedingungen so gänzlich von den unserigen verschieden sind. Die kurzsichtigen Naturforscher, die bis vor noch nicht zu langer Zeit mit wahrhaft hohenpriesterlicher Würde der Ueberzeugung versicherten, daß die Tiefen des Ozeans zu ewiger Unfruchtbarkeit verdammit seien, da der ungeheure Druck und das Fehlen des Lichtes dort so ganz andere Lebensbedingungen schaffe, als die auf der Oberfläche vorhandenen, haben von der Natur selbst ein Dementi erhalten, wie es schärfer diesen angeblich Unfehlbaren nicht zu Theil werden konnte. Diese so vollständige Niederlage hat sie aber durchaus nicht gebessert. Es giebt Deren immer noch genug, die behaupten, daß das Leben nur auf Welten eristiren behaupten, daß das Leben nur auf Welten eristiren könne, die gleiche Beschaffenheit mit der unserigen haben. Immer die Schlußfolgerung des Tisches,
der, übrigens vollständig aufrichtig, versichert, daß es unmöglich ist, außerhalb des Wassers zu leben.
Die ferne Welt des Neptun, auf der jedes Jahr fast 165 Erdenjahren gleichkommt, zehn Jahre also den ganzen historischen Zeitraum darstellen, der uns von der letzten Epoche der Römerherrschaft trennt; diese Neptunwelt ist wohl dazu geeignet, unsere irdischen engen und persönlichen Vorstellungen etwas zu erweitern, was den Begriff der Zeit anbelangt. Der Kalender ist auf diesem Planeten ebenso genau, wie auf dem unserigen. Ein Neptunjahr ist für die langsamen und nachdentlichen Wesen, die auf dem sonnenfernsten Planeten ihren Aufenthalt haben, nicht länger als ein Erdenjahr für die flinken und eiligen Geschöpfe, die in unseren volksbelebten Städten dahinjagen. Trotzdem hat ein 20jähriger Neptun jüngling in Wirklichkeit 3300 Grdjahre gelebt, ohne zu merken, daß dies eine Zeit ist, die man auf der Erde für ziemlich lang hält, daß ein solcher Kreislauf von Jahren uns zu den Zeiten Homers und der Feſte der alten Griechen zurückführt.
Selbst für den eifrigsten Forscher wäre es un möglich, irgend eine Aehnlichkeit zwischen den Wesen, die die Welt des Neptun bevölkern, und denen, die unsere Erde hervorbringt, zu entdecken. Keiner Klasse, sei es des doch so weiten und vielgestaltigen Thier reiches, sei es des Pflanzenreiches, vermöchten wir diese Wesen einzureihen. Hier ist eben eine andere, Welt, die vollständig verschieden von der unserigen ist.
Tie Organismen, die die Oberfläche der Welten im Raume bewohnen, sind das Ergebniß der ver schiedenen Kräfte, die auf jeder dieser Welten in Wirksamkeit sind. Die Gestalt des irdischen Menschen ist hervorgegangen aus den Formen der langen Reihe seiner thierischen Vorfahren, in deren allmäligen Guts wickelung er den höchsten Platz einnimmt. Wir können diese Entwickelung von Stufe zu Stufe zurück verfolgen, bis wir in ununterbrochener Kette zu jenen einfachsten Urwesen gelangen, die aller Sinne, die den Stolz des Menschen bilden, beraubt und nur aus einer einzigen Zelle bestehen. Diese Rudimentär organismen, denen man den Namen Lebewesen beizulegen zögert, find weder Thier noch Pflanze. Als organisch belebte Substanz haben sie sich bereits von unorganischen Reiche getrennt, aber sie sind noch chemische Zusammensetzungen einfachster Art, die eine gewisse dunkle Lebenskraft in sich tragen, Urproto plasma, Keime aller zufünftigen Entwickelungen des irdischen Lebens, des thierischen wie des pflanzlichen. Die ersten organischen Wesen sind in den Tiefen der lauen Gewässer des Ozeans entstanden, der beim Beginn der geologischen Perioden noch die ganze Oberfläche der Erdkugel bedeckte. Ihre chemische Beschaffenheit, ihre Eigenschaften, ihre Fähigkeiten ivaren schon bedingt durch die chemische Zusammens setzung dieser Gewässer, und durch die Dichtigkeit und Temperatur des sie umgebenden Milieus. Ver änderungen dieser Umgebung und der sonstigen Da seinsbedingungen haben damit in enger Beziehung stehende Veränderungen dieses genealogischen Baumes hervorgebracht. Je nachdem die Organismen die tieferen, mittleren oder oberen Schichten der Gewässer bewohnten, je nachdem sie in Flüssen, auf tief ge legenen und feuchten Ebenen, auf sonnenbeschienenen Abhängen oder auf Bergen lebten, machten sie eine andere Entwickelung durch, infolge derer sie sich immer verschiedenartiger gestalteten. Die irdische Menschheit ist gegenwärtig die letzte Blume, die letzte Frucht an diesem Baume. Aber dieses ganze Lebell, von seinen Wurzeln bis in seine Strone, ist irdisch, und auf jeder Welt ist der Baum ein anderer. Das Leben ist neptunisch auf dem Neptun , uranisch auf dem Uranus , saturnisch auf dem Saturn, sirisch in dem System des Sirius, arfturisch in den des Art turus. Das heißt, es ist stets seinem Aufenthaltsort angepaßt, oder genauer gesagt, es ist hervorgegangen und hat sich entwickelt aus den physikalischen Bedingungen einer jeden Welt und nach einem Ur gesege, dem die ganze Natur gehorcht, dem Geseze des Fortschritts.
Diese große Symphonie des Lebens, die jeder Welt nach den Bedingungen, die auf ihr herrschen, angepaßt ist, wird für uns zu einem gewaltigen Welt chor, dessen einzelne Stimmen und Töne voneins