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Die Neue Welt. Jüustrirte Unterhaltungsbeilage.
Gnaden anetheilten, wenn sie Dich überhaupt einen Kreuzer verdienen lassen, und driicken und zwacken Dich, daß Du schreien möchtest. Und anfangs war ich noch stolz und hatte so mein Gefühl, daß ich immer noch besser sei als Die, welche so an mir herumhudelten. Aber man wird irr' an Allem, man wird froh mit Allem, was sich nur findet, man duckt sich in Alles, mur damit Einem nicht das Stückchen Brot wieder aus der Hand fällt, das man kaum gefunden hat. Oh! Sie bekommen Einen schon klein, man wehre sich, so start man nur immer will, und wann sie das erst haben, was sie wollten, dann lassen sie's Einen schon spüren. Duck' unter, arme Seele, duck' unter und gieb das letzte Bischen Selbstvertrauen auf und leist' Besseres als früher, oder laß Dich schuhriegeln, wenn Du was von uns willst," immer schlug das Erinnern an die Kränkung durch, die er kaum erduldet ,,, und vergiß, was war und was Du wolltest. Aber vielleicht, wenn ich erst todt bin, wird man doch einsehen, ich hätte es besser verdient und leicht Höheres leisten fönnen, als die Alle, welche so auf mich herak gesehen haben. Vielleicht, vielleicht! Und das drückt auf mich und macht mich so vergessen und frank, wie ich bin, und wenn ich nichts tauge, ich bin nicht mehr schuld daran."
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Es war unbehaglich für Friz Gräßer, so neben dem verstörten Menschen zu stehen, der unablässig in das Drängen und Treiben der Schollen hinab
sah, und er wandte sich ab und schritt schneller. Bernhofer aber ging neben ihm und sprach weiter, Hülle nach Hülle von seiner zerritteten Seele reißend, im dunkeln, doch übermächtigen Gefühl, Einem, und sei es auch dem theilnahmlosesten Menschen, müsse er die tiefen und ungezählten Wunden zeigen, aus denen sein Leben Tropfen um Tropfen, sickernd, doch ungehemmt, verrieselte:
" Ohnedies, es geht mir so immer im Kopfe herum: mit einem Selbstmorde habe ich meine Thätigfeit als Journalist eingeleitet. Das hat etwas zu bedeuten. Das war nicht umsonst so. Aber mein Weib! Und ich weiß bestimmt: sie ist noch wach und stickt noch fort, bis ich nach Hause komme, damit sie doch nach ihren Kräften etwas verdient. Und dann liigt sie mir vor: sie fann nicht schlafen, ehe sie mich nicht zu Hause weiß; und sie flagt nicht und sie weint nicht und sie spricht nichts über unser Elend. Und das halt' ich nicht aus und das vertrag' ich nicht; denn das geht gegen die Natur. Obendrein sie ist noch stolz auf mich; und wie das sein kann, bei so viel Herzeleid, in das ich sie gebracht hab' und wie sie immer noch Acht geben mag auf mich, daß ich nicht gar zu heruntergekommen ausschau', das ist mir wieder ein Räthsel. Und wie das Alles endigen wird und was dann wird, das beschäftigt mich immer.
beschäftigt mich immer. Dann sollen mir meine Notizen gerathen! Und dann soll ich nicht immer
irgend etwas vergessen! Zuviel im Kopf und zuviel im Herzen; und nicht einmal den Muth zu einer Aussprache, wenn Die, welche eigentlich noch mehr leidet, als ich, nicht einmal murit! That's sie nur einmal und ich wüßte, was geschehen muß. Wär ich nur fromm! Sie ist's, und ich glaube, tas hilft ihr in Vielem. Aber ich bin's nicht; ich war's nie und wie könnt' ich's jetzt sein?"
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Sie machten Halt. Friz Grüßer zog die Glocke am Hausthor. Gute Nacht; man muß nicht gleich verzagen," sprach er mit seiner wohlgeölten und etwas näselnden Stimme und verschwand. hastig im Flur. Drinnen mäßigte er seine Schritte und stieg langsam die breiten und bequemen Stufen empor, die in's zweite Stockwerk und zu seiner Wohnung führten. Halbwegs oben blieb er stehen und schwankte sogar eine kurze Weile, ob er doch nicht unikehren solle. Ein Gedanke zog ihm durch die Brust: so wie Bernhofer eben zu ihm gesprochen, so redet nur ein Verzweifelnder, Einer, der mit dem Leben abgeschlossen hat und es noch einmal überschaut. Aber
er schlug sich das aus dem Sinn. Was fonnte er denn selbst im schlimmsten Falle noch thun? Wer weiß, wo der schon war, und endlich: in wenigen Stunden mußte man ja Näheres erfahren haben. Wozu sich also unnüz aufregen und in Auslagen stürzen? Und so sezte er seinen Weg gemächlich fort.
( Schluß folgt.)
Feuilleton.
C
I
ie Sturmglocken hört, aus Erz! aus Erz! Wie zittert dabei das Menschenherz. Von eisernen Häuflen gepackt, Saufen sie aufwärts, Icheuen
Wie wilde Rosse und schreien, Und schreien und schreien und schreien Einen gellenden Chor Der Dacht in's Dhr
Dhne Takt.
Ihr eig'nes, gespenstisches Grausen Beulen sie aus und brausen Im Klageruf an das Feuer, Das wahnsinn'ge Ungeheuer, Und wälzen sich höher und höher, Dem Monde näher und näher, Dom hölzernen, morschen Gerüffe Treibt sie ein kolles Gelüfte,
Sie klirren zusammen und schwirren In's Blaue und irren und irren, Und sollen und kollen und kollen, Und rollen und rollen und rollen Ruf den zuckenden Busen der Nachk Ein bleiches, starres Entsehen Und werken die Schläfer und heken Sie aus der nächtlichen Ruh. Die Pürzen blindlings hinzu, Mit flockendem Rihem zu lauschen Dem fluthenden, ebbenden Rauschen Der graufen Gefahr,
Aus dem ebbenden, fluthenden Läufen Den Grimm des Feuers zu denken, Mit fliegenden Pulsen zu hören, Aus der Glocken Schallen und Gellen, Aus dem raffelnden, klirrenden Schellen Das furchtbare Wallen und Gähren
Der Feuersgefahr
Und es jammerk die zitternde Schaar In der Woth, die so fürchterlich dräuk, Weilhin, weit, weit, weit, weit, weit Mit gellendem, zerschellendem Geläut.
* 213 , Ausgewählte Gedichte". Uebertragen von Hedwig Lachmann . Berlin , Bibliographisches Institut .
Ein sonniger Oktobertag. Die Septemberſtürme sind heulend über das Land gefahren, haben in den Blättern der hohen Pappeln ani Feldrain gewühlt, bis kaum eins noch an dem dünnen Geäft geblieben; nur drüben in den niedrigeren Büschen steht noch dichter das Laub, dort boten die Kronen einander Schuß, und allein die Bäume, die sich über ihre Nachbarn emporwagten, haben des Sturmies Macht an sich erfahren müssen. Jest hat das Wetter sich ausgetobt, das schwarze Gewölk, das rastlos am Himmel vorüberjagte, hat sich zerstreut. Aber die Sonne, die nun wieder scheint, ist nicht mehr die alte, ihre Wirkung nicht die gleiche. Schwere Wasserdünste, in denen die einfallenden Strahlen sich zerstreuen, ihre Kraft verlieren, erfüllen die Luft. Es ist ein matter, milchiger Schein, der um die Schafe und die Bäume und in den zarten Zweigen der Pappeln spielt. Der Schein ist hell, aber kalt, und die Schatten sind schwer und von schwärzlichem Ton... Der Charakter dieses sonnigen Oktobertages ist ganz prächtig auf unserem Bilde herausgekommen. Es liegt in ihm etwas von der Mattigkeit, aber auch von der stillen Schönheit der Tage, da auch ohne die Mithülfe des Sturmes Blatt um Blatt, schwerfeucht und in allen Farben von Gelb und Roth, fich löst und langsam zur Erde sinkt.
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Verfälschungen von Nahrungs- und Genußmitteln. Unter den ganzen" Pfefferkörnern( ob schwarzen oder weißen) finden sich Früchte vom giftigen Kellerhals ( Seidelbastbeeren) und Kokkelkörnern, einem Gifte, mit dem leider öfter Fische gefangen werden. Man verfertigt die Waare sogar künstlich aus Mehl und Gummi. Der gepulverte Pfeffer ist im Kleinhandel noch nie unverfälscht gefunden worden, insbesondere konnte fast jederzeit Gerstenmehl darin nachgewiesen werden. Andere Zusätze waren: Brot, Mehl von Hülsenfrüchten, Olivenfernpulver, Eichelmehl, Leinölkuchen, Sägespähne, Baumrinde, Sand, Gips, Schwerspat.
Bei dem sogenannten Streuzucker, besonders den billigen Sorten, finden sich, um ihn schwerer zu machen, Zusäße von Schwerspat, Gips, Kreide, Mehl, Dertrin.
Wer so arm ist, daß er nicht ein einfaches Mittags= mahl sich bereiten kann, der will wenigstens etwas Warnics genießen, trinkt Kaffee, jene braune Bohnenbrühe, und ißt Brot dazu. Wie nun zum Hinaufschrauben der Preise des Kaffees sich„ Ringe" bilden, bei denen Gewinn und Verlust nach Millionen von Mark sich beziffern, so werden im Kleinhandel alle möglichen Verfälschungen vorgenommen. Man vermischt die gebrannten Kaffeebohnen mit künstlichen aus Wiener und Prager Fabriken. Durch Nässe schimmelig gewordene Bohnen werden gefärbt mit Ocker, Berlinerblau, Chromgelb, Kupfervitriol und anderen giftigen Farbstoffen. Die Verfälschungen in den KaffeeSurrogaten find unzählige: Dattelferne, Hagebutten, Lupinensamen, Eicheln, Getreide, Spargelsamen, Nunfelrüben, Butterblumenwurzeln, Zichorienwurzeln; der Bichorien- Kaffee wird noch vermischt mit Braunkohle und Torf. Im Eichelfaffee wird der größte Theil der Stärkeförner in formlose Kleisterballen umgewandelt. So etwas muß die ärmere Bevölkerung als„ Kaffee" hinunterschlucken.
Von Essig ist die geringste Sorte der Obst- oder
die
Bei
beste der nur in Weinländern bereitete Weinessig. der jezigen Schnellessigfabrikation wird fast nur Essigsprit, d. h. derjenige Branntweinessig, welcher die größte Menge Essigsäure enthält, gema.ht und aus ihm durch Verd innen mit Wasser der gewöhnliche Tafelessig. Zur Verfälschung nimmt man andere Säuren. Man entblödet sich nicht, Schwefelsäure, Salzsäure, Salpetersäure, Oralsäure beis zufügen, und wie angreifend solche Stoffe auf den Magen des Käufers wirken müssen, brauche ich hier nicht zu
erörtern.
Die gewöhnlichste Verfälschung des Schmalzes besteht in Beimischung von Wasser. Damit dies aber nicht so schnell sich vom Schmalz absondert, setzt man Stärkemehl( oft bis zu 20 pẞt.), Soda, Pottasche, Kochsalz, Kreide, weißen Thon, auch Alann hinzu.
Bei dem Petroleum handelt es sich besonders darum, die Feuergefährlichkeit dieses Oeles möglichst zu vermeiden. Ist es wasserhell, bläulich schimmernd( so genanntes Kaiseröl), so ist die Gefahr des Explodirens, wenn man vorsichtig mit ihm umgeht, eine geringe, und bis zum Jahre 1876 kamen die Klagen über deſſen Feuergefährlichkeit überhaupt nicht vor. Tann aber bildeten sich„ Petroleumringe". Um viel Profit zu machen, vermischte man das Brennpetroleum mit einem Theil leichter siedender Essenzen, die schon bei gewöhnlicher Temperatur brennbare Gase ausstoßen. Nach den Unters suchungen Chandler's sind durch solch' gemi chtes Petroleum schon Tausende von Menschenleben und Millionen an Vermögen verloren gegangen.
In bestimmten Stunden des Tages füllen sich die Verkaufsstellen, in denen obige Stoffe käuflich find, mit Kindern, die statt der Eltern die Einkäufe besorgen. Vertrauensvoll giebt man ihnen die fleinen Geldsorten mit auf den Weg; was sie dafür heimtragen, das bringt, ohne daß die Verkäufer es ahnen, statt zwe.fdienlicher Nahrung häufig die Veranlassung zu neuen Erkrankungen schwergeprüfter Familien in den kümmerlichen Hausstand.
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~ Schnißel.
B. L.
Jeder Schlag eines Lehrers, der ein wehrloses Kind trifft, ertödtet ein Stück Menschenliebe und Ehrgefühl.
Das Haus der Zivilisation, in dem wir wohnen, hat sich nicht vom Dache, sondern vom Fundament aus gebaut.
G. v. Buchwald.
Alle für die Redaktion der Nenen Welt" bestimmten Sendungen sind nach Berlin , SW 19, Beuthstraße 2, zu richten.
Nachdruck des Juhalts verboten!
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Berlag: Camburger Buchbruceret und Verlagsanstalt Auer& Co. in Hamburg . Druck: Mar Babing in Berlin .
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