Nr. 43
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(Fortsetzung)
Kerestyne. Novelle von Jan Licr. Autorisirte Uebersetzung aus dem Böhmischen von Franta HSjek.
) �ch spreche mit Ihnen aufrichtig, Herr Znnl," bemerkte Celestyne, die die Erregung des In- genieurs wahrgenommen hatte.Es wird Ihnen gewiß nicht unbekannt sein, daß die Mädchen in Alchen   Instituten viel früher in allerlei zärtliche Ilm« lriebe und Liebesabenteuer verwickelt lverden, als die Töchter, die in geordneten Familienverhältnissen auf- wachsen. In der Regel sind es nur harmlose Kin- dereien, die freilich auch manchmal der Gefahr nicht entbehren. Auch unsere Anstalt barg Julien, deren Romeos die Hauszucht dasselbe Hindernißgewesen, was den Montecchi und Capuletti ihr Familienzwist. Auch ich war wenn auch nur als Nebenperson in einigen solchen Romanen thätig, die in den höheren Jahrgängen keine Seltenheit waren und ohne Mühe fortgespouuen werden konnten. Die Heranwachsenden durften das Theater besuchen, man führte uns in den ersten Familien der Stadt ein, erlaubte uns, Besuche zu empfangen und aus Bällen und Kränzchen zu tanzen, die nur durch die BezeichnungHaus- bälle" sich von den öffentlichen Lustbarkeiten unter- schieden. Wir führten auf diese Art ein recht an- genehmes Leben, und der Geoanke an die Zukunft benuruhigte mich niemals. Ich kannte ja keine ge- sellschaftliche Unterordnung, denn es gab unter uns Keine, die mich in irgend ivelcher Hinsicht in unserer Gesellschaft überragt hätte. Ich war überall beliebt, die jungen Männer huldigten mir, und so träunite ich nur vom Glück, buntem Gewirr glänzender Kutschen, schöner Menschen, Schmucksachen, Lakaien und Villen..." Mit leichtem Aufathmen hielt Celestyne ein Weilchen inne. Daun   fuhr sie fort: Bolle zehn Jahre verblieben wir in der Pension und zählten sechzehn Jahre, als uns Walburga's Vater abholte. Lauge fuhren wir mit der Eisenbahn bis zu einer Station, wo unser ein Wagen wartete. Wir fuhren durch eine reizlose, flache Gegend, über der sich eine schwere, durch Nebel getrübte und mit Rauch geschwängerte Luft dahinwälzte. lieber elenden Baracken in der Ferne, die ich für die Höhlen wilder Thiere halten mochte, erhoben sich aus allen Seiten hohe Schornsteine und Feueröfen, zwischen denen lange Wagenreihen auf den Geleisen geschoben wurden. Auf einem schwarzen Plan, inmitten mehrerer großer Kohlenhaufen, blieb die Kutsche vor einem häßlichen, rauchgeschwärzten, großen Gebäude stehen. Wir waren zu Hause. Der Vater meiner Genossin führte mich in seine Häuslichkeit ein, und ein elegantes Zimmercheu, dicht neben dem Boudoir meiner Freundin, wurde mir angewiesen. Unter wiederholten lim- armungen freute sich Walburga   schwärmerisch, wie schwesterlich wir hier leben würden. Mir wurde es jedoch bange, und in meiner Angst rief ich nach
meinen Eltern. Je mehr man mir wehrte, desto heftiger verlangte ich nach ihnen. Endlich gaben sie mir nach und ließen mich von einem Diener in das Dorf führen. Auf dem halben Wege schickte ich den Mann zurück und ging allein auf dem schwarzen Wege vorwärts. Doch vergebens suchten meine Augen nach dem weißen Häuschen, das ich in meiner Phantasie aufgebaut hatte, und zögernden Fußes betrat ich einige der elenden Baracken, die mir auf der Fahrt von der Station fo viel Widerwillen eingeflößt hatten.- Ich fand nirgends eine Seele zu Haufe, und keine Schwelle, die ich, ohne Ekel zu empfinden, hätte betreten können. Endlich trat mir ein alter Rtann, ein Krüppel, in den Weg und musterte mich mißtrauisch/ Ich nannte ihm den Namen meines Vaters und frug, ob ich auf dem richtigen Wege sei. Erst auf meine wieder- holt gestellte Frage sagte er mir, daß in dem zweit- letzten Hause rechts nieine Eltern wohnen. Die Hütte, die er mir bezeichnete, war eine von den schlechtesten. Ich zitterte am ganzen Körper, als ich vor ihr stand. Was war meine erträumte Geburtsstätte gegen diese Höhle! Schief, aus Lehm und verfaultem Holze elend zusammengefügt, erhob sie sich kaum aus der Erde. Taumelnd betrat ich den unverschlossenen Eingang. Ich mußte meine ganze Kraft zusammennehmen, un: in der ver- pesteten Lust, die mir entgegenschlug, nicht ohn- mächtig zu lverden. Nachdem sich meine Augen an die hier herrschende Dämmerung gewöhnt, konnte ich allmälig die vorhandenen Gegenstände unter- scheiden. Ich befand mich in einer ich kann nicht einmal sagen Stube. In der einen Ecke wühlte irgend ein Hausthier in der Erde, während in der anderen sich ein großes Lager befand, ein Haufen schwarzen Strohes auf der Erde. Einige elende Stühle, ein großes Brett, dessen Füße i» die Erde eingelassen waren, als Tisch, und ein paar große Steine unter einer Oeffnung in der Decke als Herd, das war der ganze Hausrath. An dem Herde kauerte ein altes, in Lumpen gehülltes Mütterchen. Derselbe mißtrauische Blick, dasselbe Schweigen und dieselben zögernden Antworten, wie vor einer Weile von dem alten Manne, wurden mir zu Theil. Brummend theilte sie mir mit, daß Vater und Mutter in dem Armida-Schacht arbeiten. Außerdem verstand ich noch etwas von der unpassenden Zeit, von der Schicht und einem gerade» Wege aus dem Dorfe neben dem Geleise. Dann trat ich aus der Hütte. Das Fräulein scheute sich, einen Schritt auf dem schmutzigen Wege weiter zu gehen, und die Tochter trieb es in rasender Eile in die Arme der Eltern! Bald stand ich vor einem Gebäude, ähnlich Ihrer Bauhütte, lieber ihm ragte ein hoher Schorn-
stein. Durch die offene Vorderseite sah ich in dem Innern große Maschinen, um welche herum sich mehrere geschwärzte Gestalten, Männer und Frauen, belvegten. Sie halfen die Kohlen aufladen, welche die Maschine aus der Tiefe der Erde heraufschaffte, und füllten mit ihnen die vor dem Hause bereit stehenden Wagen. Das Gebäude trug die Inschrift: Armida-Schacht". So beschaffen war also das Reich der Armida, in dem meine Eltern an den schwarzen Diamanten arbeiteten. Ich trat ein und gab mich zu erkennen. Die Leute im Gebäude staunten' mich an und musterten mich mit unfreund- lichen Blicke». Aus jedem Auge blitzte der Neid und der Wunsch, Alles von mir herunter reißen zu können, wodurch ich mich von ihnen unterschied. Dann fingen sie an, über mich Bemerkungen aus- zutauschen und regalirten mich mit Scherzen und Witzen, die auf mich wie ein Giftbad wirkten und wie Schwefel brannten. Auf mein Geschrei kam irgend ein Steiger oder Schichtmeister, der jedoch meine Bitte rundweg abschlug. Ich wollte, daß er meine Eltern rufen möchte. Man erlaubte mir nicht einmal, daß ich selbst zu ihnen ginge. Ich glaubte den Tag, der mich aus den rosigen Träumen meiner Kindheit so rauher Weise gerissen, nicht überleben zu können. Es zerriß mir das Herz, meine Seele und alle Fasern mit nie geahnten Schrecken. Doch vorher mußte ich doch meine Eltern erblicken, und so gab man endlich meinen flehentlichen Bitten nach. Mau band um mich so eine Art Sack und ließ mich in einem geleerte» Kohlenhund in den Schacht hinab. Die Augen gingen mir über. In der stickigen, nach brennendem Oel, Dampf und Schweiß riechenden Luft glommen zahllose müde Lichter, durch niedrige Stollen krochen, vor die gefüllten Hunde gespannt, menschliche Wesen, halbnackt, geschwärzt und schweiß- triefend, und unter ihnen zeigte man mir zwei solche, meinen Vater, meine Mutter!" Die Stimme der Erzieherin zitterte, sank all- mälig und klang aus in einem, zum Schlüsse kaum noch vernehmbaren Flüstern. Das Bewußtsei» kehrte mir erst auf dem Heim- wege zurück," fuhr sie nach einer Weile fort.Ich befand mich auf der Flucht in das Haus meines Wohlthäters. Ein plötzlicher Gedanke zwang meinen Fuß, zu stehen:Das ist ja das Werk Deines Wohl- thäters, sein Bergwerk, all' die Sklaven, zum Durch- wühlen der Erde wie die Würmer verbannt, seine Sklaven!" Ein plötzlicher, wahnsinniger Haß, so gewaltig und gräßlich wie meine Erkenntniß, ließ mich umkehren zu der Höhle meiner Eltern. Dieser Haß hatte meine Liebe zu ihnen zum Leben ge- bracht und zu ihr gesellte sich die Kraft eines trotzigen Willens. Weinend und jeden Augenblick vom Ekel
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