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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Manchmal nickte er ein: dann schrak er nach einem Weilchen immer wieder in jähem Entseßen auf, das noch lange in ihm nachzitterte, bis ihn eine Müdig= feit übermannte für Augenblicke. So verging der Rest der Nacht. In der ersten, bangen Frühe erhob er sich. Sein Weib hörte ihn im Zimmer herumrumoren, dann einen Stuhl an den Tisch rücken. Er wollte also arbeiten, und sie war längst gewöhnt, sich dabei ganz still zu verhalten; auch konnte sie sich vor Uebermüdung kaum regen. Dann fühlte sie einen Stuß auf ihrer Stirn und hörte die Thür gehen. Es schien ihr, als bleibe er zu lange fort, der sonst niemals vor dem Frühstück ausgegangen war, und sie erhob sich und sah sich um. Auf dem Tische fanden sich einige Briefe, schon in ihren Umschlägen und mit der Aufschrift versehen. Sie sprang auf, Verstörung im Blick und in der Seele. Da sah sie seine Uhr, von der er sich noch nie getrennt, auf ihrem Plaze hängen. Ihr Herzschlag sezte aus; sie stieß einen gellenden Schrei aus und stürzte in Ohnmacht zu Boden
Es war um die zweite Stunde nach Mittag. Dr. Wortmann hatte eben seine Arbeit für das Abendblatt vollendet und freute sich nun der hellen Sonne, die über dem Ring lag und die einen angenehmen Spaziergang vor Tische verhieß. Da brachte ihm einer der Diener einen Brief. Eine fremde Frau, die sehr verweint, aber sonst noch jung und hübsch aussehe, habe ihn abgegeben. Er öffnete ihn mißtrauisch, ein loses Blatt fiel heraus. Und nun las er:
,, Hochverehrter Herr Doktor!
Es ist meine Absicht nicht bei Weitem, Euer Wohlgeboren Zeit lange und in unnüglicher Weise in Anspruch zu nehmen. Es ist nur mein Wille, Ihnen meinen besten und ehrlichsten Dank für den großen Dienst, den Sie mir gestern zu Nacht erwiesen, geziemend abzutragen. Ich war ein ver zagter Mensch geworden; so sehr, daß ich nicht einmal den Muth mehr aufzubringen vermochte, den Kelch der Leiden mit einem kräftigen Zug zu leeren, sondern ihn Tropfen um Tropfen leerte. Nun und durch verschiedene Umstände fand ich ihn; ich klammere mich nicht mehr an ein trauriges, man fönnte fast sagen, an ein gänzlich zerstörtes Leben, nicht mehr an einen Beruf, fiir den ich keinerlei Begabung zu besißen fürchten muß. Heute schließe ich ab, und zur Stunde, wenn dies vor Ihre Augen kommt, bin ich nicht mehr, und mein Weib ist eine gänzlich verlassene und aller Mittel entblößte Waise. Ich habe, wie Sie in Ihrem Scharfsinn, obzwar ich meinen Ehering, als ver fauft, nicht mehr trug, dennoch richtig erkannten, ein Solches besessen. Ich habe das Vertrauen, sie werde sich allein leichter in der Welt fortbringen, als mit mir, und hoffe nun von Guer Wohlgeboren Güte, daß Sie ihr entweder durch Ihre vielvermögende Empfehlung bei der Konfordia, oder vielleicht im Wege einer Sammlung unter Euer Wohlgeboren Kollegen und durch Ueberweisung dessen, was mir noch an Honorar zu= steht, einigermaßen dazu behilflich sein werden,
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Feuilleton.
daß sie sich das Nothwendigste, etwa nur die Noth durft des Lebens erwerben zu können hofft. Wer streng ist, ist auch gut. Dies ist meine Hoffnung und mit diesem Troste verharrt und stirbt Ihr unglücklich gewesener
Josef Bernhofer."
In starker Bewegung hatte Dr. Wortmann diese Zeilen gelesen. Nun nahm er die zweite Zuſchrift auf. In aller Form einer Notiz stand darauf:
"( Selbstmord.) Heute Morgen wurde im Prater nächst der Krieau der Leichnam eines etwa vierzig jährigen Mannes gefunden. Der Unglückliche, der sich durch einen Revolverschuß in die rechte Schläfe getödtet hatte, wurde durch die bei ihm vorgefundenen Papiere als der Dr. phil . Josef Bernhofer, der zulet ab und zu als Berichterstatter bei hiesigen Journalen Verwendung gefunden hatte, agnoszirt. Nahrungs sorgen und die Furcht vor der Zukunft mögen den verheiratheten Mann in den Tod getrieben haben."
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Mit dem Rothstift in der Hand durchflog er diesen Bericht, der so flar war, wie der Brief vers worren gewesen. Dann warf er ihn fast zornig hin: „ Es ist schrecklich jetzt, wo der Mensch schreiben fann, jetzt erschießt er sich," nahm einen Bogen Papier und schrieb überlegend: Für die Wittive des" er strich das„ des" für die Frau von" auch das gefiel ihm nicht- endlich:„ für die Wittwe unseres armen Kollegen Josef Bernhofer", und zeichnete sich als Erster und mit einem ansehn lichen Betrage ein.-
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Vorstadt.
Die Häuser ragen himmelwärks
Durch Kohlenstaub und Qualm und Dual, Aus jedem Fenster zuckt der Schmerz, Erfickter Tampen müder Strahl.
Im Schatten liegt der Schienengang, Die Riesengasometer droh'n, Mit rothen Flammen, unruhbang, Die Elfen der Fabriken loh'n.
Doch an der Bahngeleise Saum,
In Schollen grauen Mikerlandes, Rus Wüsten unfruchtbaren Sandes Weigt seine Blüthen ein Hollunderbaum. Der fräumt mit rußverhang'nem Duft, Den schwere Winde zu mir weh'n, In's Schweigen miffernächt'ger Luft, Wo meine Schriffe einsam geh'n.
Paul Nelving.
Hungrige Mäuler. Schon seit einer Stunde wollte das kleine Volt keine Nuhe mehr geben, bis die große Schüssel mit dem dampfenden Kartoffelbrei ihm aus= geliefert wurde. Ohne viel Federlesen stellt sie die Mutter auf die Dielen, und die vier Großen hocken sich im Kreise herum Stuhl oder Tisch für die Kinder giebt es in dem ärmlichen Raum nicht, der der Familie als Küche, Wohnstube und Alles in Einem dienen muß. Nur die Aelteste schöpft sich ihr Theil zunächst auf den Teller, die Anderen brauchen derlei Formalitäten nicht: den Löffel in der einen, einen Kanten Brot in der anderen Hand, so greifen sie die Riesenschüssel an. Daß sie sie überwältigen werden, scheint schier unmöglich und wird doch in wenigen Minuten durch die That bewiesen sein. Nesthäkchens Magen ist dem Kartoffelbrei noch nicht gewachsen, es bekommt seinen eigenen Brei; die Mutter hat es auf den Schooß genommen und löffelt ihm sorgsam die Suppe ein. Es ist nicht so leicht, die fünf hungrigen Mäuler zu stopfen, für die Mutter nicht, der die Fünfe biel Scheererei machen, und auch nicht für den Vater, der den ganzen Tag draußen ist, um das nöthige herbeizuschaffen. Wie die Orgelpfeifen, so regelmäßig abgestuft stehen sie beieinander wie sie so gut gedeihen, gewiß eine Freude für die Eltern, aber zugleich die Ursache schwerer Sorgen und Mühen. Da müssen freilich die Kartoffeln, die in dem Korbe auf dem Schemel wie ein Wahrzeichen thronen, den Haupttheil des Mahles her geben.-
Nachbilder. Tritt man aus dem Hause oder gar aus einem Keller heraus auf die von der Sonne be= schienene Straße, so sieht man zuerst fast alle Gegenstände in blendender Helligkeit. Allmälig läßt dieser Eindruck nach, die Dinge werden sichtlich minder hell, und nach einer Weile findet man selbst die hellsten unter ihnen, weiße Wolfen, weiße Kleider u. dgl. ganz erträglich. Die gleiche Veobachtung macht man bekanntlich auch in umgekehrter Richtung. Verläßt man des Abends gut beleuchtete Räume, um den Weg nach Hause anzutreten, so erscheint die Landschaft oft von einer undurchdringlichen Schwärze; man begreift nicht, wie man da seinen Weg finden soll. Ist man aber eine Zeit lang draußen, so zeigt sich, daß Alles besser geht, als man gedacht, und man konstatirt oft mit Verwunderung, daß die Nacht im Grunde garnicht einmal besonders dunkel ist.
Die auf das Auge einwirkenden äußeren Reize, so führt Ebbinghaus, dessen Grundzügen der Psychologie" wir diese Darstellung entnehmen, aus, bleiben in diesen Fällen zwar nicht ganz dieselben, sind aber doch längere Zeit hindurch sehr gleichartig, und trotzdem verschieben sich die von ihnen hervorgerufenen Eindrücke allmälig; das anfänglich Helle wird allmälig dunkler, das Dunkle heller. Dabei geht aber noch eine andere Veränderung vor sich. Wenn Abends bei zunehmender Dämmerung die Lampen angezündet werden, sehen wir zunächst mit völliger Bestimmtheit, daß ihr Licht eine ausgeprägt gelbe Färbung befißt. Haben sie eine Weile gebrannt, so geht uns dieses Bewußtsein verloren. Ihr Licht sieht weiß aus, und Gegenstände, die uns bei Tage weiß erscheinen, machen jezt unzweifelhaft denselben Eindruck. So verhält es sich allgemein. Wenn das direkt durch die Pupille in's Auge fallende diffuse Himmelslicht als weiß betrachtet wird, so ist das, was wir gewöhnlich mit ungeschütztem Auge als Himmelslicht sehen, nothwendig etwas röthlich. Denn außer durch die Pupille bringt immer Licht seitlich durch das Weiße im Auge und ertheilt allen Nezhautbildern objektiv einen kleinen Zujaz rother Strahlen. Von dieser Färbung indeß nehmen wir direkt nichts wahr und können nur unter besonderen Umständen feststellen, daß sie in der That vorhanden ist. Auch bei viel satteren Farben ist die allmälige Verschiebung in's Neutrale noch leicht zu be= obachten. Wenn man ein buntes Glas, ant besten zwischen Gelb und Blaugrün, so vor die Augen nimmt, daß diese auch seitlich kein anderes Licht als durch das Glas hindurch empfangen, so ist es erstaunlich, wie schnell z. B. beim Betrachten des Himmels der Eindruck der Färbung zurückgeht. Schon nach wenigen Minuten ist nicht viel mehr als nur eine Spur von ihr zu erkennen, und nach längerem Tragen des Glases sind die Wolfen, kalfgetünchte Mauern usw. ganz wieder so weiß geworden wie vorher.
Man bezeichnet diese Erscheinungen als Gewöhnung, oder, da dieses Wort zu allgemein ist, als Adaptation.
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Gebrauch
Bedeutend besser noch als bei dem gewöhnlichen der Augen, mit seinem steten Wechsel der Netzhautbilder, treten die Adaptationserscheinungen hervor, wenn ma einen Punkt streng firirt, so daß also die einzelnen Nebhautstellen längere Zeit in genau derselben Weise gereizt werden, wie bei der sogenannten lokalen Adaptation. Legt man ein Stück schwarzen Sammets neben ein Blatt weißen Papiers und firirt fanhaltend einen Punkt der Grenzlinie beider, so überzieht sich bald die schwarze Fläche mit einem grauen Nebel, der langsam heller wird, die weiße dagegen, allerdings in etwas geringerer Deut lichkeit, mit einem grauen Schatten, der sich allmälig verdunkelt. Beide, der Nebel sowohl wie der Schatten, gehen aus von der Grenzlinie, wo sie auch dauernd am stärksten bleiben, und verbreiten sich von hier aus über die übrige Fläche. Ihr Fortschreiten geschieht dabei nicht ganz gleichförmig, sondern so, daß einzelne Strahlen oder Wolken, die namentlich aus der Grenzlinie immer wieder hervorzukommen scheinen, dem Uebrigen voraneilen, ähnlich wie wenn sich eine Rauchwolfe langjam
einer Eisdecke überzieht. Ab und zu blizt neben der
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als das anfänglich gesehene Weiß und oft gerade, blendend erscheint, oder auch ein schwarzer Saum, der dann seinerseits dunkler ist als das anfängliche Schwarz Beides rührt davon her, daß es kaum möglich ist, längere Zeit absolut genau zu firiren. Die Augen irren viel mehr bisweilen etwas nach rechts oder links ab, und dadurch fallen dann die äußeren Reize auf entgegengesetzt adaptirte Nezhauttheile. An und für sich sind die Säume hier nebensächlich, sie dienen aber dazu, im Moment ihres Auftretens den angrenzenden Schatten oder Nebel
vorgegangenen Veränderungen besonders deutlich hervor
zuheben.
Arabisches Sprüchwort. Vergessen wird überstandenes Leid, Auf kommendes ist man bedacht, Die Mutter des Ermordeten schläft, Wenn die des Bedrohten noch wacht. Maximilian Bern .
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Alle für die Redaktion der Neuen Welt" bestimmten Sendungen sind nach Berlin , SW 19,
Beuthstraße 2, zu richten.
Nachdruck des Jnhalts verboten!
Berlag: Hamburger Buchdruckeret und Verlagsanstalt Auer& Co. in Hamburg . Druck: Mar Babing in Berlin ..
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