378Die Aeue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.geschrieben. Ja, wie geht ihr's de»»? Ich Hab' sieso lang iiiminer g'seh'n."Sie reichte Btax die Hand.„Das ist der junge Herr, der bei der FrauNiederweyer gewohnt hat, Marie, weiht, wo derMann kurz verstorben ist."„Was," sagte das Mädchen,„der Herr Niedermeyer ist gestorben? O je, der arme Mann!"Max meinte noch nie eine Stimme, die denDialekt so lieb und weich sprach, gehört zu haben.„Na, freilich, dumm's Mädel," erwiderte FrauNoben,„'s hat ja in der Zeitung gestanden!"„Ach, der arme, arme Mann!" wiederholte dasMädchen.„Gott verdamm' mich!" schrie einer der Gästemit forcirtem norddeutschen! Dialekt,„macht Ihr einWesens, Marie. Der Mann ist todt, da ist weiternichts zu machen. Fertig!"„Ach Ihr," sagte das Mädchen unwillig,„seidruhig!"„Na ja," unterbrach sie der Mann,„det is neolle Jacke. Dem ist nun wohl, det Beste, wennGins todt ist!"„Ja, freilich," meinte das Mädchen, ein wenigmelancholisch mit dem Kopfe nickend.Dem Allen hörte Nlax aufmerksam zu. Er warmit dem Mädchen entrüstet gewesen und war mitihr wieder in das stille philosophische Fahrwasserder Erkenntniß eingelaufen, daß mit dem Tode dasirdische Jammerleben beendet, und schreckte schier auf,als er sich nun angeredet fühlte.„Nun hab'n S' aber Hunger!"„Freilich, freilich," sagte die Frau statt seiner,„gleich geh'«ch in die Küchel, Aber nachher bleib'nS' noch a bisse! und verzähl'n mir von dem Seligen.Hab' ihn ja so gut gekannt!"Bald darauf brachte ihm das Mädchen das Essen.„So," sagte sie dabei,„jetzt lassen's Ihnen abergut schmecken!" Sie setzte sich ihm gegenüber undsah ihm aufmerksam zu, wie er wacker in die auf-getragenen Speisen einhieb.„Sie," sagte sie dann,„wie lang hab'n's denneigentlich bei der Frau Niedernieyer gewohnt?"„Bier Jahre."„Ja, hab'n's mich denn da nie gesehen? Ichbin ja ein paar Mal in der Zeit draußen gewesen!..O je, da waren Sie am End' gar der Schüchterne,der nie keine Weibsleut sehen wollt'?"Sie lachte herzhast auf.Ihm dämmerte etwas, wie er ein paar Malhastig davongelaufen war, als er weiblichen Besuchbei seiner Hausfrau gesehen hatte.„Sind Sie so ein Schüchterner?"Er lachte verlegen und ward roth.„Am End', wer weiß," sagte sie wieder undlachte— es stand diesem stillernsten Gesicht Prächtig,und die Zähne hatten in dem Lampciischein hinterden dnnkelrothen Lippen einen milchigen Schimmer—„wer weiß, stille Wasser gründen tief."„Ntarie, zum Donnerwetter, Sie hören wohljnrnicht mehr!" rief der Sprecher von vorhin da-zivischen, daß sie heftig auffahren mußte.„Zahlen!"„Jawohl," sagte der Mann dann, als er seinemassige Figur, die in einen überfeinen, eleganten»eberzieher gezwängt war, durch die Thür schob,und drehte sich nach dem Mädchen um,„jawohl,"wiederholte er und hob dabei den dicken Zeigefinger,an deni es von Gold und Steinen glänzte.„Marie,Sie sind ein kleines..." Er vollendete den Satznicht und ging endlich häßlich lächelnd davon.„Das ist ein Giftnickel," sagte sie, als er draußenwar,„und Der will mich Heirathen."Max erschrak heftig, er wußte nicht warum.„Ach," sagte sie,„Sie wissen garnicht, wasUnsereins auszustehen hat! Grad', als ob man nurzum Abputzen da wär'! Der ist von Augsburg,"fuhr sie fort,„und hat dort ein großes Restaurant.Er ist oft herüben, und da spielt er immer denBerliner. Und wenn er sieht, daß ich mit jungenLeuten fidel bin, dann ist er immer so."„Der ist doch schon gang alt," wagt« Maxschüchtern dreinzureden.„Ach fteilich," sagte st«,„fast vierzig."Da ward Btax ganz beruhigt.Gleich darauf kam die Tante.„Soderle," sagtesie und setzte einen großen Ärng schänmeuden Bieresans den Tisch,„nun wollen wir uns ein Bissel er-zählen."Sie ruhte nicht eher, bis Max, der sonst nichtrauchte, sich eine der Zigarren angesteckt hatte, vondenen sie versicherte, daß sie nur für die ganz feineKundschaft seien, und an dem Faden der gemeinsambekannten Familie Niedermeyer lief dann das lustigeRädchen der Unterhaltung heiter dahin, bis manmit Schrecken bemerkte, daß es schon elf Uhrdurch war.„Kreuztürken," fluchte die Tante lachend,„ge-schwind in's Bett, morgen früh ist die Nacht'nini.Marie, sperr' dem Herrn Breitenbach die Thür auf."Das Mädchen half dem jungen Menschen, dersich verlegen sträubte, in den Ueberzieher, nahm dasLämpchen, das im Flur stand und ging die weißenTreppen voran in den Hausflur.Als sie die Hausthür aufgesperrt hatte, gab sieihm herzhaft die Hand und sah ihm dabei bittendin die Augen.„GeltSie," sagte sie,„Sie kommen fein wieder!"Er wußte nicht, was ihn so selig machte, alser die Straßen entlang ging und vor sich hin mar-melle:„Gelt Sie, Sie kommen fein wieder!"Bevor er nach Hanse ging, lief er erst noch einganzes Stück durch durch den Englischen Garten. BonZeit zu Zeit blieb er stehen und lauschte an einemBusche, und wenn es dann so seltsam leise rauschte, dannlief ihm ein schauerndes Gefühl der Wonne durchden Leib, und er machte lustige Sprünge und kichertein sich hinein. Dabei war es ihm stets, als vernehmeer deutlich eine tveiche Stimme:„Gelt Sie, Siekommen fein wieder!" So voll war er von diesembeglückenden Gefühl, daß er nicht einmal in eingrößeres Staunen gcrieth, als er, nach Hause kom-inend, ein Packet auf seinem Tische liegen fand, dasvon seines Bruders Hand mit einer Adresse ver-sehen war.Als er es aufmachte, enthielt es ein Kruzifix.Es interessirte ihn garuich'. Halb verhüllt, stellteer es in einen Winkel, und beim Scheine einer Kerzelas er das Schreiben, das der Sendung beigefügt war.Sein Bruder hatte die Priesterweihe empfangen:Jubel herrschte in dem Hause, dem ein Gottgetveihterentsprossen war, selbst die Mutter hatte ihren Namenunter eine Erklärung geschrieben, daß sie nie ge-ahnte Wonnen gefühlt habe, als ihr Sohn ihr seineHände segnend auf's Haupt gelegt.Das schlug wie Töne einer fremden Welt ausden Zeilen zu ihm auf, und er legte, einen Augen-blick sinnend, den Brief in die Schublade seinesTisches und schlief dann gähnend ein.——Zweimal des Tages war er von jetzt an beiFrau Urban. Des Mittags und des Abends nahmer seine Mahlzeiten dort zu sich, und an schönenSonntagen ging er mit den Beiden spazieren, als gehöresich das von selbst; so rasch hatte er sich an d'ebeiden Frauen angeschlossen. Des Sonntags wares am schönsten, da machten sie meist einen Ans-flug. Die alte Tante mit ihrer schwarzseidenenMantille, auf der die Glasperlen glänzten, demschwarzen Hänbchenhnt, aus dem eine rothe, zerzausteBlume nickte, und dem mächtigen Ridikule, der denProviant barg, zog niit einer Freundin voraus, undhinterdrein marschirten die beiden jungen Leute.Da ging es denn nach Nymphenburg, in denHirschgarten, in den Englischen Garten zum Anmeister,nach Holzapfelsgerent und am. Ende gar an de»Starnbergcrsee. Manchmal kam man dabei auch anirgend ein Tanzlokal, wo das Mädchen Bekannteans der Tanzstmide traf, mit denen ein Tänzchengemacht werden mußte. Dabei stand denn Max, dernicht tanzen konnte, ganz traurig, und sah zu, wieein Anderer sie in den Arm nahm, und es schnürteihm die Kehle zu. Wenn sie dann zurückkam undihn so traurig sah, dann pflegte sie wohl zu spgen:„Ach, das war ein langweiliger Kerl, wissen'» was'Herr Breitenbach, die Tant', die plauscht doch nocheine Weile, wie gehen ein Bissel'naus!" Dadurchward er wieder heiterer gestimmt, und Arm in Armschritte« sie im Dunkeln auf und ad und erzählteneinander. Kamen sie dann plötzlich an eine Stelledes Waides, Ivo der glitzernde Mondschein das Busch-werk der Bäume scharf umriß, oder lag gar derSee schier endlos ausgebreitet leise rauschend vorihren Füßen, dann wurden sie plötzlich Beide still,und die flüsternden Stimmen der Natur fanden einempfindsames Echo in ihrer jungen Brust, und schwei-gend, schier andächtig, kehrten sie mit glänzendenAugen wieder in den Tanzsaal zurück.Doch es war auch au den Wochentagen schön.Des Mittags blieb er gewöhnlich ein wenig längerda, bis die anderen Gäste gegangen waren, und auchdes Abends war er meist der Letzte.Er half ihr Geld zählen oder guckte ihr z»,wenn sie ihre Bestecke reinigte, und gab sich demGenuß hin, den ihm die Beobachtung des stillen,liebevollen Ernstes gab, mit dem sie Alles that.Und wenn sie dann seinen beobachtenden Blickfühlte und mit einem sanften Lächeln die großenAugen innig zu ihm aufschlug, erfaßte ihn ein un-endliches Gefühl der Zärtlichkeit, von dem er kaumwußte, wie er es an sich halten sollte.Die Freuden und Leiden ihres stillen, abwechs-lungslosen Lebens lebte er alle mit.„Ach," er-zählte sie da wohl,„die Tante, die ist halt manch-mal so gar wüst und garstig. Freilich," begütigtesie sich dann selbst gleich wieder schnell,„wenn sieauch einmal wegen der größten Kleinigkeit schimpft,sie hat auch ihre guten Seiten. Und überall giebt'swas auszusetzen, und jedes Ding hat seine zweiSeiten. Aber wenn sie nur nicht alleweil mit demRestanrateur käme..."Da horchte Max noch schärfer auf.„Was ist'sdamit?"„Sie hat ja eigentlich Recht, freilich, ein Glückist ja so was für ein arni's Mädel, er hat ihrnämlich schon gesagt, ich thät ihm ganz in sein Hotel'neinpassen, und's wär schon nett, auf einmal diegnädige Madam spielen zu können, wo man sei»Lebtag nur'rumgeschuppst worden ist. Aber, dulieber Gott, wenn man halt..."„Was?" fragte er athemlos dazwischen.„O, mein, wenn man halt Einen nicht leidenmag, das ist so'ne Sache."»Ja, ja," sagte er dann gepreßt, wie von einerLast befreit.Zu gern hätte er sie einmal gemalt, denn erhatte sie schon oft zu Hause skizzirt, ohne daß esetwas geworden wäre; und eines Abends faßte ersich ein Herz, sie zu fragen, ob sie ihm sitzen wolle.Sie merkte ihm gleich an, daß er etwas vonihr haben wolle, denn er konnte nichts verbergen.„Ja," sagte sie,„was möchten's denn heut'?"Er druckste herum.„Ach, Fräulein Marie, lassen Sie sich dochmalen!"„Aber, Herr Breitenbach, hören S' einmal, ichund ein Modell, das möcht' ich mir doch schönstensverbitten."Er wurde ganz kleinlaut, wie sie ihn so znrecht-wies; dachte aber den ganzen Abend noch über seinenWunsch nach, und beim Fortgehen, ehe sie ihm dieHausthür anfmachte, da bat er nochmals.Er erklärte, wie er das Bild nur für sich habenwollte, wie viele und vornehme Leute sich malenließen, und noch obendrein dafür Geld zahlten, daßsie am Ende doch neugierig wurde und ihm schließlichin's Ohr flüsterte:„Also, da ich will!"Dann öffnete sie rasch die Hansthür, daß derWind, der wehend durch die Nacht fuhr, das Lichtverlöschte.Er war in einen seltsamen Ueberzeugnngseifergerathen durch sein Sprechen von vorhin und tastetemit der Hand nach ihr, bis er sie hell auflachenhörte. Da griff er rasch mit beiden Händen zwund als er ihren Kopf fühlte, beugte er sich zu ihrhinüber und küßte sie rasch auf den Mund.Im selben Augenblicke rief es von oben zweimalscharf:„Marie, Alane!"„Sie!" sagte sie athemlos, fast drohend, aberdann drückte sie rasch seine Hand.„Gute Nacht!"und dräugte ihn zur Thür hinaus.„Ich komme gleich!" rief sie hinauf.Der Wind rast« ihm auf tiefdunkeln Fittichender Nacht entgegen, als er durch die Straßen eilte,