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Die Neue A)elt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Angst mUtcii über, daß nur ein schauriges Winseln noch zu vernehmen war. Seine£miide krallten sich an der Wand entlang, an der er langsam zu Boden glitt. Dort lag er eine Weile, ohne zu denken, in einer wohlthuenden Betäubung. Dann vernahm er jählings eine Stimme. So sollst Du elend werden," klang es an sein Ohr,deshalb, weil Du meine Gebote befolgtest? Soll ich, der Herr, mich den Menschen fugen, oder habe ich ihnen meine Gebote gegeben, auf daß sie nach ihnen leben?" Nun stand er auf in einer erhabenen Ruhe, wie er sie noch nie gekannt hatte. Seines Bruders Phantasien beunruhigten ihn nicht mehr. Ter Herr hatte seine Gebote gegeben, daß man sie befolgte. Und er hatte sie befolgt, wie er für Recht gehalten, mit Bezähmung aller eigenen Triebe und Wunsche, und deshalb hatte er sein Haupt vor den Menschen gerade halten dürfen und hatte sich nicht zu bücken brauchen. Wenn er aber diese Gebote nicht mehr befolgte, wo nahm er dann seinen Halt her? Dann konnte Jeder seinen Stein nach ihm werfen und er hatte keinen Schild, sich zu schützen. Als Mar stöhnte, erneuerte sein Bruder die kalten Kompressen der Stirne. Nicht ich," sprach er leise und feierlich vor sich hin,bin schuld an Deinem Tode, mein Bruder, wenn Du stirbst. Ich that nur meine Pflicht, Dich allein trifft die Schuld, weil Du zu schwach warst, des Herrn Gebote lebendig in Deinem Geiste zu er- halten und nach ihnen zu leben." vm. In sechs langen Wochen kämpfte Ludwig dem Tode, der seinen Stempel schon in bleierner Farbe auf das Antlitz des Kranken gedrückt hatte, mit kalt- blütiger Ruhe seinen Bruder ab. Seine Stelle bei dem geistlichen Rath hatte er aufgegeben, um sich ganz der Pflege des Kranken, die er, jede Hülfe hartnäckig zurückweisend, ganz allein ausübte, tvidmen zu können. Keinen Augenblick vergaß er des übernommenen Dienstes. Er hatte seine Lagerstätte in dem Zimmer des Kranken aufgeschlagen, und dort, ohne jeden anderen Verkehr als sein Gebetbuch und den Rosen- kränz, verbrachte er seine Tage, weder zum Spazier- gange, noch zum Kirchenbesuche ausgehend. In langen Stunden der Einsamkeit, wenn sein Bruder schlief oder bewußtlos phantasirte, dachte er über sich und seine Pflichten gegen die Menschheit, den Himmel und seinen Bruder nach, und mit der zähen, hartnäckigen Starrheit seines Charakters hielt er fest und erweiterte, was er früher geglaubt hatte. Die Ereignisse der letzten Wochen drängten ihm mit Macht die Erfahrung auf, wie werthvoll das Fest- halten von gewonnenen lleberzengungen und die Durchführung einer Idee waren, und immer fester ward der enge Ring seiner Gedanken, nach denen er leben und wirken wollte. Mit solcher Zähigkeit hielt er das flackernde Lebenslicht seines Bruders in dessen Körper fest, mit solcher Starrheit scheuchte er den geschmeidigen, beweglichen Geist seines ehemaligen Vorgesetzten von sich, daß dieser die Versuche aufgab, ihn zu seiner klugen, praktischen Lebensauffassung herüber zu ziehen; mit solcher Zähigkeit errang er sich die Bewunderung des Arztes und die Achtung der Hausleute seines Bruders, und wiederum mit derselben Zähigkeit hielt er an dem Gedanken fest, seinen Bruder nach seinen Ansichten zu leiten. Die sinnlichen Vorstellungen des Fleisches, wie er die Auswüchse seiner geknechteten Phantasie nannte, die ihn früher von Zeit zu Zeit immer heimgesucht und ihm Kämpfe verursacht hatten, verloren sich bei der aufopfernden Krankenpflege, und in seinem Denken und Fühlen verdichtete sich Alles so, daß sogar seine Gesichtszüge dadurch eine edlere Form anzunehmen begannen. Die plumpe Nase schien sich zu schärfen, die Ueberfülle der Wangen machte einem größeren Ebenmaße Platz, die wulstigen Lippen schlössen sich fester und schienen Schwung zu bekommen, und selbst das Auge machte einen geistvolleren Eindruck denn

ehedem, und das ganze durch die Stubenlnft ge- bleichte Antlitz hatte nicht mehr jenen früher fast brutalen, gewaltthätigen Ausdruck, sondern drückte mehr höhere Energie aus. Sein Gesichtskreis jedoch war immer noch be- schränkt mit seinem nur auf seines Bruders Um- Wandlung gerichteten Wollen. Ohne daß Ludwig es sich je eingestanden hätte, ging sein ganzes Dichten und Trachten doch nur darauf hinaus, durch die Bekehrung seines Bruders die Richtigkeit seiner An- sichten bestätigt zu finden. Dasselbe drängende, unkünstlerische Wollen, dem das weiche, verständnißoolle Erfassen der Gegenstände fehlte, glaubte er unbedingt seinem Bruder zur Ans- Übung einer wahren Kunst nach seiner Anschauung beibringen zu müssen. Denn in diesem Wollen, das ihn etwas lehrte, schien ihm allein die Möglichkeit gegeben, sich Gott zu nähern, und mit einem solchen Wollen sollte sein Bruder nach dem Reich Gottes streben. Während sich die Ansichten seines Bruders auf diese Weise immer berechtigter fühlten, kam Max langsam und allmälig wieder zu körperlichen Kräften. Jedoch, war es die Gegenwart seines Bruders, oder waren es die vor seiner Krankheit vorgefallenen Ereig- nisse oder diese selbst, während der Körper wieder kräftiger aus die Einflüsse der Außenwelt reagirte, schien die Seele immer noch zu schlafen. Nachdem die wilden Fieberphantasien aufgehört hatten, lag er oft stundenlang mit gefalteten Händen, starren Auges vor sich hinblickend, im Bette; höchstens daß einmal ein müdes Lächeln die matten Züge belebte. Er hatte keine Lust weder zum Ausstehen, noch zu sonst etwas, und wenn sein Bruder sich über ihn beugte, dann schloß er in einem ängstlichen, ergebenen Schmerz die Augen, und wenn dieser gar leise versuchte, ihn an die Zukunft zu gemahnen, dann faltete er wie ein Kind bittend die Hände und bat:Ach nicht, nein, nein, ich bin ja so müde," und sein Gesicht war anzuschauen, als graue ihm vor der Zukunft. Ter Arzt rieth, so bald wie möglich mit ihm an die frische Luft zu gehen, ja, wenn möglich, in diesen vorgeschrittenen.Herbsttagen noch zu längerem Aufenthalt sich auf's Land zu verfügen. Max hatte nur das trübe Lächeln dafür, wie für alles Andere, wie selbst für die Nachricht, daß Marie mit dem Augsblll�er Restanratenr verlobt sei und bald heirathen werde. Tann kam die Zeit, wo er doch das erste Mal ausgehen mußte. Die Leute blickten ihm nach, wie er, bleich wie ein vom Tode Auferstandener, liehen der schwarzen Gestalt seines Bruders dahin schritt. Tie Luft, die ihm früher so wohl gethan hatte, machte ihn frösteln, das raschelnde rothbranne Laub, das jetzt an der Erde trieb und an den Bäumen flatterte, fand seinen Blick nicht, und die grünen Rasenflächen, auf denen die Herbstzeitlosen farbig prangten, vermochten keinen Augenblick die entschlafene müde Seele zu erwecken. Darin brachte auch die Folge keine Aenderung. Nur einmal, als die beiden Brüder die Isar entlang gingen und plötzlich vor dem kochenden Wasserkessel eines kleinen Gefälles, das hier Felsen bildeten, standen, da lief es dem armen Kranken durch den Leib wie eine heiße, gierige Sehnsucht, daß ihm Thränen die Augen netzten. Er konnte sich nicht von dem weißen Gischt trennen, der immer und immer wieder kam und ging, in wildem Anprall, als wollte er die Felsen mit grünem Strahl zer- schmettern, gegen den Widerstand anstürmend, dann in Millionen Fetzen zerplatzend, die sich wieder ge- heimnißvoll brodelnd und wallend sammelten, um thalab zu eilen in lustigem Lauf, nur hier und da auf dem grünen Rücken des eilenden Stromes noch einen perlenden Schaum werfend, der vom Winde getragen zu sein schien. Es kam ihm, er wollte seinen Bruder etwas fragen, er wußte nicht was, nur um zu sprechen. Da sah er dessen Blick kalt über das herrliche Bild hinweggleiten, seine alte Angst kam fröstelnd, und das keimende Leben ward wieder erstickt. Doch so konnte das nicht weitergehen. Hier mußte eine Aenderung geschaffen werden; das fühlte Ludmig's vorwärts, seinein Ziel zustrebender Geist, und er faßte einen Plan: Er wollte heim in den Spessart, und Ntax sollte mit ihm.

Eines Abends, als die beiden Brüder des ein- getretenen Regens wegen erst bei eingebrochener Dunkelheit von ihrem Spaziergang heimkehrten, unter dem Maxiinilianeum, durch dessen Bogen hindurch man die treibenden Wolken des Himmels sah, blieb Ludwig plötzlich stehen. Laß uns einen Augenblick hier um den Bau gehen," sagte er zu seinem Bruder. Wie," begann er dann, als Max, widerstandslos seinem Willen folgend, die Hände ans dem Rücken, die Augen zu Boden gesenkt, neben ihm unter dem hoch aufsteigenden Bau schritt,hast Du Dir jetzt eigentlich Deine Zukunft gedacht?" Max sah schwach erstaunt, aber theilnahmlos auf. Ich," sagte er,ich weiß nichts, gar nichts!" Ich habe Dir absichtlich," fuhr Ludwig fort, nie davon gesprochen, das Vorgefallene habe ich uue. wähnt gelassen, da ich Deinen kranken Zustand berücksichtigte. Aber jetzt, wo Du von Tag zu Tag gesünder wirst, aber trotzdem ohne jede Energie und Haltung, in völliger Erschlaffung die Tinge ihren Lauf gehen läßt, muß ich Dich nothgedrungen daran erinnern; denn, Max, Du hast auch zu büßen und zu bereuen." Max kniff die Augen halb zu.Ach Gott, " wälzte es sich langsam durch sein müdes Hirn, nun fängt es wieder an!" Was soll ich denn?" fragte er. Was soll ich?" eiferte Ludwig.Du selbst mußt das wissen. Tu selbst mußt das Streben haben, gut zu machen, was Du gethan hast, und Du mußt arbeiten." Ja, da will ich arbeiten," sagte Max,»ich > will, aber..." er mußte sich hier über die Stirn fahren, wo es so dumpf war und er ein Gefühl hatte, als seien die Massen des Gehirns weit aus- einander gezerrt und fänden keinen Zusammenhang mehr,aber ich kann ja gar nicht mehr malen, ich kann nicht mehr, Ludwig, ich bin ja so müde!" Ich werde Dich wieder stark machen," sagte Ludwig,vertraue nur niir, denn ich kann es.' Er reckte sich straff auf. Max lächelte trübe und bitter, ihn faßte ein heimlicher Groll gegen diesen starren Kopf, es bäumte sich etwas in ihm auf gegen die Gewalt, die ihn unterdrückte, ohne nach seinen Wünschen zu fragen, die ihn so unglücklich gemacht hatte und ihn noch verurtheilte obendrein. Wir werden zusamnien nach Hause gehen," begann Ludwig wieder,ich werde Dich lehren, Gott zu verstehen, und dann wirst Du wieder malen können." Max blieb stehen und lachte grell auf dann schwieg er selbst betroffen. Weshalb hatte er nur gelacht? Oh," sagte er und wußte nicht, was er sagen sollte. Ich will nicht!" sagte er dann,ich will nicht!" Max!" rief sein Bruder, verweisend ernst. Da faßte den jüngeren Bruder plötzlich eine furchtbare Wnth, die sich bäumend gegen eine u»- bezwingliche Macht erhebt, wie ein Sklave, der in Ketten gepeitscht wird. Du, Du,, Du Hund!" Und dann erschrak er vor sich selbst und haste doch eine Art Genugthuung, und wandte sich um und lief fort. Max!" rief sein Bruder ihm nach,Max st , Du Hund," dachte er,rufe. Du Hund, und rannte die Brücke entlang, die hier über die Isar führt. Plötzlich konnte er nicht weiter. Einer neu 3" legenden Linie der Straßenbahn zu Liebe hatte man das Pflaster hier aufgerissen. Das lag nun aller- orts in Hansen geschichtet umher, und düster bren- nende Oellaternen standen darauf und leuchteten der Dunkelheit. Da stand er vor einer Stange, die als Barriere über zwei in den Boden gerammten Psäh� lag, und konnte nicht weiter. Ach, was nützt es, was nützt es," sprach es in matter Kraftlosigkeit in seinem Jnnern,er wird wiederkommen und das alte Lied-- das alte Lied wird von Neuem beginnen." Er stöhnte winselnd, und Thränen der Haltlosigkeit kamen ihm in die Augen.