Die Neue Welt. Illustriertes Unterhaltungsblatt.
Weifung des alten Thurnheer doch noch folgen, vorzeitig auf Broterwerb ausgehen. Als Ausläufer eines Handelshauses fing ich an, gewann aber bald das Vertrauen meiner Herren, und mit 17 Jahren war ich der Selbsterhaltung schon in bescheidenem Umfang mächtig. Im Grunde durfte ich also mit meiner Laufbahn zufrieden Jein. Niemand war es mehr als meine Mutter, niemand weniger als Maria Thurnheer. Das fühlte ich, lange bevor sie es mir zu verstehen gab.( Fortsetzung folgt.)
Von Adolf Werner.
Die jüngsten Ereignisse im fernen Often lenken wieder die Aufmerksamkeit auf das Reich der aufgehenden Sonne, das nach militärisch nebensächlichen Expeditionen gegen Riautschou und die deutschen Südseefolonien eine fast neutrale Haltung eingenommen hatte jedenfalls eine Haltung die nicht feindseliger gegen Deutschland war als die der Vereinigten Staaten , das sich aber jetzt zu einer aktiveren Beteiligung am Weltkrieg entschlossen hat. Japan gedenkt im Einverständnis mit der Washingtoner Regierung und in Berbindung mit China Die Gegner der bolschewistischen Regierung in Sibirien zu unterstützen, um die Mög lichkeit zu verhindern, daß Deutschland über bas jetzt neutrale Rußland seinen Einfluß in Mittel- und Ostasien geltend macht. Es bleibe dahingestellt, ob sich hinter diesen offiziell angegebenen Motiven nicht mindestens auf Seite der Verbündeten Japans der Wunsch versteckt, durch eine wenigstens teilweise Wiederaufrichtung der Ostfront deutsche Truppen von der Westfront abzuziehen.
Japan ist sehr verschieden beurteilt, bald maßlos überschäßt, bald als unbeachtlich verschrien worden zu Kriegsbeginn wurden Japaner in den Straßen Berlins von der friegsbegeisterten Menge auf die Schultern gehoben und als Verbündete gegen Ruß land gefeiert. Kaum vierzehn Tage später lief die japanische Kriegserklärung ein und begann die Belagerung Riautschous. Die Bierstrategen lassen es sich mit diesem brillanten Hereinfall noch nicht genug fein. Sie fabeln von einem Gegensatz zwischen Japan und den Vereinigten Staaten . Auch die Hoffnung ist, wenigstens für die in jezzigen Beiten allein bedeutsame Gegenwart, ein holder Irrwahn. Ein Blick auf die japanische Volkswirtschaft mag die Grenzen japanischer Macht zeigen und die dadurch gegebene Bestimmtheit seiner Politik ver. deutlichen.
Die Annahme eines baldigen Krieges zwischen Japan und den Bereinigten Staaten geht von der Uebervölkerung des ostasiatischen Infelreiches aus. Tatsächlich ist der Spielraum dem sich rasch vermehrenden japanischen Volk bedenklich eng geworden. Japan hatte mit seinen 53 Millionen Einwohnern weniger Seelen", um in der Sprache der Bevölkerungsstatistiker zu reden, als Rußland , die Vereinigten Staaten und Deutschland , dagegen mehr als Defterreich- Ungarn , Großbritannien , Frantreich. Diese abfolute Sahl sagt aber noch nicht genug. Wichtiger ist, daß auf den Quadratkilometer 139 Einwohner kommen gegen 144 in England, 125 in Italien und 124 in Deutschland , um nur die dichtestbevölkerten Großmächte herauszugreifen. Und die Bevölkerung steigt rapid. Nirgends, außer in Rußland , ist der Geburtenüberschuß größer als in Japan . Das Mißverhältnis zwischen Bevölkerungszahl und Bodenfläche wird dadurch krasser, daß der gebirgige Charakter des Landes den fulturfähigen Boden weiter verringert. So hat fich eine Zwergbauernwirtschaft entwickelt.
Mit unermüdlichem Fleiß wird aus dem Lande herausgeholt, was irgendwie zu gewinnen ist; eine sprichwörtliche Be scheidenheit in der Lebensführung erlaubt mit Reis und Safe( dem japanischen, aus Reis gewonnenen Nationalgetränk) das Leben zu fristen. Aber die Kehrseite der Medaille zeigt zwei Bilder: einmal ist die Sparfähigkeit sehr gering, ein gewichtiger Umstand, der in die internationale Politit hineinspielt, und dann drängen jährlich Laufende nach neuem Siedlungsland.
Der Strom der Auswanderer ging erst wahllos überall hin, wo billiger Boden oder hoher Arbeitslohn winkten. In neuerer Beit ist aber die japanische Regierung eifrig bemüht, mit Hilfe der Auswanderer die politische Durchdringung des ostasiatischen Festlandes zu fördern, das militärisch leicht zu beherrschen ist und dessen Boden gerade das birgt, was Japan am bittersten entbehrt: Eisen. Unzählige japanische Han delsleute gehen nach China , wo sie, der einheimischen Bevölkerung durch ihre Sitten nahe verwandt, rasch in den Kleinhandel eingedrungen find, Bindeglieder zwifchen den Europäern in den großen Handelsstätten und der Bevölkerung des flachen Landes werden und allmählich in die Sphäre des Großhandels eindringen, immer eifrig unter
stüßt von ihrer Regierung, die eingedent des alten Spruches, daß der Handel der Flagge folgt, mit der Subventionierung japanischer Schiffahrtslinien nicht knaufert und auch mit Befriedigung das rasche Wachsen der japanischen Handelsflotte feststellen fann. Hand in Hand damit geht eine eifrige Kulturpropaganda. Kaum sind die Japs der europäischen Schule entwachfen, fo gehen fie als Lehrmeister nach China . Der Verein für die Länder mit der gemeinsamen Kultur Ostasiens hat in mehreren chinesischen Städten Schulen für japanische Jünglinge gegründet, die hier nicht nur chinefisch lernen, sondern sich auch in chinefische Sitten und Denfart einleben und chinefische Kleider tragen müssen. Nach drei Jahren gehen die Absolventen in das Innere Chinas als Agenten des japanischen Handels und der japanischen Regierung, beauftragt, alles für die wirtschaftliche Durchdringung Chinas wertvolle Ma terial und alle für ihre Regierung wertvollen Informationen sorgfältig zu sammeln. Umgefehrt erfahren Hunderte junger Chinesen ihre militärische Ausbildung in Japan und die Zahl der zum großen Teil mit Stipendien unterstützten chinesischen Hochschüler in Japan zählt nach Tausenden. Welche große Rolle diese jungen Leute bei den
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Alter Venetianischer Drud
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( Illustration zum 97. Psalm) letten vom Süden Chinas ausgehenden Revolutionen gespielt haben, die zum Sturz der Mandschudynastie und zur Proflamie rung der Republik führten, ist wohl noch allgemein in Erinnerung. Doch läßt sich in legter Zeit eine merkliche Gegenströmung feststellen, an teren Spize die unter ameri tanischem Einfluß ausgebildete chinesische Jugend steht. Auch sind die Japs in China durchaus nicht beliebt und als„ rote Teufel" verschrien. Das ficht sie aber nicht sonder lich in ihren guten Geschäften an.
In der Beschränkung auf die politische und wirtschaftliche Durchdringung Ostasiens zeigen sich die Japaner als Meister, das be grenzte Biel bleibt noch immer riesengroß. Die Einschränkungen, die einzelne Staaten der nordamerikanischen Union , besonders Kalifornien , Australien und Kanada über die Einwanderung von Gelben, also auch von Japanern, verhängen, verlegen den nationalen Stolz, führen also sehr leicht zu erbitterten Zeitungsfehden, aber berühren tein Lebensinteresse. Wenn zwischen Japan und den Bereinigten Staaten einmal Krieg ausbrechen sollte, so dürfte der eigentliche Konflikt um die Beteiligung am chinesischen Geschäft gehen. Heute, da sich die Berei nigten Staaten ganz gegen den Atlantischen Ozean zu orientiert haben, ist das Gefühl zurückgedrängt, daß sie als größte Küstenmacht des Stillen Ozeans dort ihr eigentliches Tätigkeitsfeld haben. Aber es fommt wie. der und damit die Unbehaglichkeit über das junge asiatische Inselreich, das sie selbst aus dem Dornröschenschlaf geweckt haben und das heute als ihr Nebenbuhler auftritt. Aber dieser Gegensah darf nicht als Dogma behandelt werden; er fann, muß aber nicht zur friegerischen Auseinandersetzung führen. Die Vereinigten Staaten haben in Südamerika und im südlichen Ostasien , die Japaner im nördlichen Ostasien ein so weites Tätigkeitsfeld, daß es Generationen zu seiner Bestellung brauchen wird.
Der wichtigste Grund aber, daß in absehbarer Zukunft eine friegerische Ausein andersehung mehr als unwahrscheinlich, ja unmöglich ist, ist die Armut Japans . Der Japaner arbeitet und spart wie eine Biene, und die Einlagen bei den Banken und Sparkassen wachsen. Aber seine Entlohnung ist zu gering, um ihn mehr als einige Spargroschen zurücklegen zu lassen. große Menge der in Landwirtschaft und Fischerei tätigen Bevölkerung lebt natural wirtschaftlich, deckt mit ihrer Hände Arbeit den eigenen Bedarf, verkauft aber wenig und kann darum auch nur wenig Geld anhäufen. Bis vor kurzem war Japan durchaus von seinen ausländischen Geldgebern abhängig, der Kredit für Handel und Industrie sehr teuer. Durch den Weltkrieg ist es wesentlich besser geworden, die Auslandsschulden konnten zurückbezahlt werden, die Schiffahrt verdiente an den hohen Frachten, Handel und Industrie an großen Kriegslieferungen. Aber noch immer fällt ein Vergleich mit den Bereinigten Staaten fehr zuungunsten Japans aus, oder vielmehr: ein Vergleich ist überhaupt gar nicht zu ziehen. Die nordamerikanische Union mit ihrer Refordproduktion steht unendlich über Japan , das etwa mit dem Deutschland von 1885 zu vergleichen ist.