Nr. 42

Die oue Welt

Illuftriertes Unterhaltungsblatt

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1918

Die Gerechtigkeit der Marianne Denier

Grzählung von Ernst Zabr

s war ein furzer Abschied; aber Boßhard und feinem Weibe wie Marianne wurde er nicht leicht. Sie machten wenig Borte. Ihre Gefichter zudten nur, und thre Hände lagen einen Augenblic heftig inein­ander geflammerit.

Marianne Denier hatte dann eine stille Hochzeitsreife. Sie und ihr Mann faßen einander gegenüber in dem Dritteklasse. wagen Denier tätscheite einmal ihre Hand mit einer Art väterlicher Freundlichkeit. Jegt geht es in eine neue Heimat," sagte er lächelnd.

Sie sah ihn gerade und fest an. Ja," gab sie mit frischer und starter Stimme zurüd.

Je näher sie dem Vierwaldstätter See tamen, um so einfilbiger, murden sie. De­nier, weil er es Don Natur aus mar, Mas rianne, meil die Landschaft, burd) bie fe fuhren, ihre Aufmerkjamfelt in Anspruch nahm. Ihr Herz flopste. Das Land baute sich immer gewaltiger

por ihren Bliden auf. Sie war an das lieb. liche Bild der Heimat gemöhnt, und wie bel ihrem ersten Besuche wurde thr der Atem eng, nun fte Dieles neue, herbe Land bes trachtete Dabel war

ihr, als ginge von der Gegend, die sie durch. fuhren, eine geheime, auf den Menschen wir tende Kraft aus. Ihre Bruft begann sich zu dehnen, und sie empfand eine frohe Unge­duld nach der Arbeit, die ihrer am Reiseziel

wartete.

Der anfänglich helle Himmel überzog fich dann. Bold brach ein schwerer Regen nieder, der noch anhielt, als der Zug in Flüelen hielt.

Denier blickte aus dem Wagenfenster Ich habe den Bostwirt von Flüelen an­spannen heißen für uns," sagte er mit einer fröhlichen Wichtigkeit.

Im Aussteigen bemerkte Marianne einen Einspänner, der neben dem Stationsgebäude hielt. Er fiel ihr auf, weil das Pferd, ein startes, schweres Tier, vom Zuge erschreckt,

fich bäume und von mehreren Männern mit Mühe festgehalten wurde, während an dere Leute das Zuhrwert neugierig um­standen.

Er hat ein nagelneues Gespann ge­schickt, der Postwirt," fogte Denier und lächelte befriedigt. Dann schritten fie auf den Wagen zu

Das Pferd trug bunte Schleifen am Ropf. Der Buhrknecht, ein junger, fräftiger Bursche, hatte einen Maien an den Hat und einen solchen an die Brüft gesteckt. Er grüßte lachend, als sie herantraten.

Denter reichte ihm die hand und be­grüßte auch einige der Umftehenden, die ihm befannt waren. Er unterhielt sich mit ihnen und nannte Marionne ihre Namen. Es ent­stand ein namhaftes Aufsehen, und Ma. rianne wurde überall weiblich angeftaunt. Das Pferd Icheint mir unruhig," wendete sich dann Denier zu dem Fuhrknecht, indem er das Lier musterte.

Ich werde ihn schon den Meister zei. gen, entgegnete mit lachendem Prahlen. der andere.

Marianne stand auf dem Trittbrett bes agens. Im gleichen Augenblicke zog das aufgeregte Tier an.

Der Knecht schimpfte und bändigte es mühsam.

Marianne trat in die Straße zurüd Sie fürchtete sich nicht, aber fe fagte: Gol­len mir nicht lieber den furzen Weg zu Fuß gehen? Das Pferd ist nicht zuverlässig."

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Bielleicht, daß Denier es nicht liebte, Auf­sehen zu erregen oder daß er der Gaffer überbrüssig mar. ,, Nein, nein," fagte er und schob sie in den Wagen, der Bursche versteht zu fahren. Aengstige Dich nicht."

Dann fuhren sie ab. Das Pferd lief

Sorterung)

ruhig, nur die Ohren warf es hin und her, und manchmal schnaubte es auf Ginmal erfdjrat es vor einem Stein im Wege und tat einen Seitensprung. Denier neigte sich per und beobachtete es, dann sprach er ein paar mahnende Worte zu dem Knechte und jab wieder ruhig. Sie famen wohlbehalten durch das Dorf. Die Leute blickten ihnen aus Türen und Fenstern nach.

Der Regen hörte auf, aber ein schwerer Rebel, von einem scharfen 23inde gejagt, fam hinter dem Fuhrwerk her und ver* hüllte die Berge.

Marianne legte den Hut ab. Der Wind rif the fleine Haarlocken an Stirn und Schläfe auf, daß sie mehten. Ihr heller Scheitel leuchtete, während sie die verdüsterte Straße fuhren

Run näherten sie sich wieder der Bahn­linie. Gin Bug steht bort, mahnte Denier den Knecht

in der gima, du gible terten

Emil trimming. J

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Wir kommen noch hinüber, antwortete der. Dann fuhren fie mit einem wilden Rud über das Geleije. Das Pferd erschraf über bas Boltern der der. Der Knecht teuchte und fluchte. Er hatte Mühe, das Tier zu halten. In bleient Augenblic pfiff drüben schrill und durch­dringend die Lokomotive des zur Ab. fahrt stehenden Buges. Das Pferd fuht zusammen, dann bäumte es sich, fchlug aus und zerschlug die linte Deichsel. Und als es die zersplitterte Stange fühlte, warf es fich wie rasend in die Stride und Schoß straßoorwärts. Ein Stoß schleuderte den Knecht vom Bode. Aber Denier suchte die Bügel zu erhaschen. Er raffte sich auf. 211s er jedoch die starken Lederriemen zu haften glaubte, sprang das Pferd zur Seite, und ein jäher Rud warf die beiden Wagen­infaffen über den Bod hinaus nach vorn. Marianne murde in einem Bogen in die neben der Straße liegende Matte geworfen, Denier vermidelte sich in die Zügel und schlug schwer auf die harte Straße. Und