Nr. 119. Berlin , Donnerstag den 17. August 18«S. SocilllDkinokrat. Diese Zeitung erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn« und Festtage. Organ des Allgemeinen deutschen Arbeiter-Vereins. Redigirt von I. 8. v. Hofstettri» und I. B. v. Schweitzer. Redaction und Expedition: Berlin , DrcSdnerstraße Nr. 85. Abonnements-Preis siir Berlin incl. Bringerlobn: vierteljährlich 13 Sgr., mo- natlich ö Sgr., einzelne Nummern 1 Sgr.; bei den Königl. preußischen Postämtern 22t/z Sgr., bei den preußischen Postämtern im nichtpreußischen Deutsch- land IM/« Sgr., im übrigen Deutschland 1 Thlr.(st. 1. 45. slldd., st. 1. 50. österr. Währ.) pro Quartal. Bestellungen werden auswärt « auf allen Postämtern, in Berlin auf der Expedition, von jedem soliden Spediteur, von der Expreß«Compagnie, Scharrenstr. 1, sow« auch unentgeltlich von jedem„rothen Dienstmann" entgegen genommen. 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Ihr vornehmstes Organ aber, ihren geisti« gen Ausdruck, fand die Bourgeoisie, so weit sie dem Protestautismus angehört, in der National-Zeitung. Die Volkszeitung kannegießerte von jeher einem Weißbierphilister gleich, dessen momentane politische Anschauung von der Stimmung abhängig»st, die das Weißbier gerade in ihm erzeugt. Die National- Zeitung dagegen war bemüht, System in ihre Po- litik zu bringen. Auch sie war einmal— und hoffentlich empfindet sie darüber keine Reue— jung. Das passirt nicht jedem Blatt, so wenig wie jedem Menschen. Sie trat mit einer gewissen Jugendsrisck« und Lebendigkeit auf den Kampfplatz. Voll Freude. und noch ungewohnt der errungenen Machtstellung, tummelte sie sich, kein Menscti kann zwar sagen kampfesmulhig, aber doch kampfeslllstern umher. Doch diese Jugendfrische konnte nicht von langer Dauer sein. Sie konnte nur so lange wahren, als die National-Zeitung nickt zum Bewußtsein ihrer selbst gekommen war. Im Rausche des„Völker- frühlings" mochte auch sie sich dem Glauben hin- gegeben haben, daß sie Ausdruck und Stimme des Volkes sei. Allein eS war unmöglich, daß sie sich dies gute Gewisien lange bewahrte. Denn das neue Staatsrecht, welches sich aus der Revolution des JahrcS 1848 herausrang, war nur ein Recht der Bourgeoisie, und zur vornehmsten Vertreterin dieses Rechtes inachte sich die National-Zeitung. DaS natürliche Staatsrecht ist leicht verständlich und dem gewöhnlichsten Verstände begreiflich. Es ist eben das Recht, welches sich offenbart und sich setzt durch den Willen des Volkes. DaS Reckt der Bourgeoisie dagegen, weil anerlo- gen, verlangte ein wohldurchdachtes Trugsystem. Es mußte ja eben bewiesen werden, das dies Recht das einzig wahre und natürlichste sei, und es läßt sich nicht leugnen, daß die. National-Zeitung mir eben so viel Fleiß als Neigung dies Trugsystem *) Ben befreundeter und geschätzter Seite gehen uns unter dieser Ueberschrist zwei Artikel zn, welche wir unfern Lesern nicht vorenthalten zu sollen glauben und deren ersten wir ihnen gleich heute bringen. auszubilden bemüht gewesen ist. So entstand jener lügenhafte doktrinäre Schematismus, der in ihren Spalten seine langweilig grämlichen MohnknoSpen treibt und mir nicht geringerer Aengftlichkeit als Virtuosität alles zu vermeiden weiß, was das Blut frischer Pulsiren läßt und Leben und Bewegung in das Parteileben bringen kann. Man hat den Arbeitern viel vorgeschwatzt von der Solidarität zwischen Kapital und Arbeit, und in der That eine solche Solidarität ist vorhanden, aber sie zu verwirklichen, muß erst die Selbstsucht der Bourgeoisie gebrochen werden. Das ist aber eine jener perfiden Lügen, mit denen man die Arbeiter zu täuschen sucht und getäuscht hat, indem man die Begriffe des Kapitals und der Bourgeoisie geschickt vertauschte. Kapital und Arbeit haben allerdings gleiche Interessen, aber die Bourgeoisie und die Arbeiterpartei sind naturgemäße Gegner wie Feuer und Wasser, und es ist zwischen ihnen nur ein Kampf bis aufs Messer denkbar. Es ist von vornherein unmöglich, daß in einem Blatt, wie die Nat.-Ztg., als Vorkämpferin der Bourgeoisie. Sinn oder Gefühl für Freiheit und Volksrechte zu finden sein könnten. Wenn aber irgendwo, so zeigt sie dies in der Schleswig- Holstein 'schen Frage. Sie warnte seiner Zeit vor dem Provisorium in der Militär-Reorganisalion, weil dies, wie sie richtig erkannte, den Charakter des Definitivums an sich trug. Und wie hätte sie diese Warnung nicht aussprechen sollen? Steuern sind auch der Bourgeoisie fatal, uud die National-Zeitung be- kämpfte die Militär-Reorganisation deshalb so lange, bis die Situation sich dadurch änderte, daß die Schleswig-Holstein 'sche Frage an Preußen näher herantrat. Von da ab gerieih sie mit ihrem Kampfe gegen die Militär- Reorganisation in die Brüche; denn die Schleswig- Holstein 'sche Frage hat für Preußen nicht blos eine politische Bedeutung, sie hat auch eine merkantile, industrielle und gewerb- liche Bedeutung, und mit dieser letzteren mußte die politische Frage für die Bourgeoisie entschieden sein. Hier bürgerliche Freiheit, dort Profit! Welches ehrliche BourgcoiSherz könnte bei einer solchen Al- ternalive zweifelhaft sein! Aber nun galt es wie- der, diesen Profil der Bourgeoisie dem einsacken bürgerlichen Verstände als bürgerliche Freiheit plausibel zu machen, es galt in mehr oder min- �ver ausgesprochener Form das Blut des Volkes und seinen Sinn für Freiheit und Volksrecht mit Annexionsgedanken zu vergiften, ja die National- Zeitung entblödet sich nicht, mit gleißnerischer Schein- Heiligkeit dem Volke die Annexion als den noth- wendigen Weg� zur Freiheil zu bezeichnen und so ein schnödes>Lpicl mit dem Heil uud den Interessen der preußischen Staatsangehörigen und des deutschen Volkes zu treiben. Wie plump und ungeschickt sie aber dabei zu Werke geht, davon in der nächsten Nummer. Politischer Theil. Berlin , 16. August. Ueber Oesterreichs Militärbudget bringt die„Köln . Ztg." einen Leitartikel, den wir als sehr beachtenswcrth nachstehend fast vollständig wieder- geben. Derselbe lautet: Die neuen äfierreichischen Minister haben kein Pro- gramm ausgestellt; durch ihre Thatcn, sagten sie, wouien sie sprechen. Die erste dieser Thaten bringt jetzt die Wiener Zeitung vom 15. August. (Vgl. Nr. 117. deS „Soc.-Dem." unter Berlin .) Als That betrachten wir nicht etwa die Redensarten: Sparsamkeit, Herstellung einer dauernden Ordnung im Staatshaushalte u. s. w., die seit IL Jahren jede« der wechselnden Ministerien im Munde führte, besonders so oft e« eine neue Anleihe machen wollte.— Nein, die That, von der wir reden, besteht darin, daß der Kaiser angeordnet hat, da« Militär-Budget müsse auf achtzig Millionen herabgesetzt werden. Das heißt mit anderen Worten: der Kaiser erklärt, daß er die ganze Zeit hindurch, seit Besiegung der Auf- stände im Innern des Reiche« 1849 bis auf den heutigen Tag, im Unrechte und die Presse und die öffentliche Meinung sammt deren letztem Ausdrucke, dem Reichs- ralhe, im Rechte gewesen ist. Die öffentliche Meinung und die Volksvertretung m Oesterreich behaupteten beständig, die Ausgaben für da« Militär seien zu hoch, Oesterreich könne sie auf die Dauer nicht ertragen, der Staat ginge auf diese Weife dem Bankerotte entgegen. Die Regierung behauptete eben so beharrlich, da« müsse sie besser wissen, sie allein vermöge zu beurtheilen, eine wie große Streitmacht zur Ausrechterhaltung der Sicherheit und der Würde des Reiches erforderlich sei, Se. Majestät der Kaiser allem, als oberster Kriegsherr, dürfe bestimme», was seine Völker für da« Heer leisten könnten und leisten müßte». Unuuischränkte Regierungen halten sich immer für»n- sehlbar. Ja, selbst dann, al« 1861 in Oesterreich emc constilutionelle Regierung mit großem Pompe eingeführt war, sollte die« so fortdauern. Der erste und oberste Grundsatz einer oonstitutionellen Regierung ist, daß d" selbst durch seine Abgeordneten zu bestimmen d» Lasten e« aiis sich zu nehmen Willens und>m ..... M bitte® Volk welche Stande ist. Aber mit gänzlicher Benennung din"- Lebensnervs und Grundprincipe« jeder constitunonelleu Verfassung mahle in Oesterreich die Regierung sich i®dt und fort an, über die nothwendige Höbe de« Militär- Budgets zu entscheiden. DerReitsrath war zu schwach, sich ernstlich zu widersetzen, und die Folge war, daß der �taal mit jedem Jahre sich tiefer in Schulden stürzte, bis denn jetzt endlich die Verlegenheit und Roth so groß geworden ist, daß sie Eisen bricht, selbst den eisernen Willen des Kaiser« Franz Joseph . Die Re- gierung hatte ihr Budget, wie das immer uud jedes Mal von jeder Regierung geschieht, mit vielen Ber- sicherungen und Betheuerungeii eingebracht, die« sei das Äenßerste, wa« die Regierung an Sparsamkeit leiste» könne, wenn sie nickt die Interessen des Reiches gesähr- den oder beschädigen wollte. Unter dem DränßtN der Finanznoth erklärte sie»ach einiger Zeit, Zwanzig MiU- wolle sie sich abdingen lassen, das sei»ttn aber auch da Alleräußerste. Die österreichischen Abgeordneten liege sich nicht irre macken, sie bestanden auf größeren n strichen, und inzwischen waren die Enthüllungen uv
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1 (17.8.1865) 119
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