Nr. 87, Berlin , Freitag den 27. April 1866. Diese Zeitung ersckeiut drei Mal wöchentlich und zwar: Dienstags, Donnerstag« und Sonnabends Abends. Organ der social-dcmolrntischcn Partci. Redigirt von I.». v. Hofstetten und I.«. v. Schweitzer. Zweiter Zahrgang. Redaction und Expedition: Berlin , Alte Jatobstrajje Nr. 67. SbonnementS- Preis für Berlin incl. Bringerlohn: vierteljährlich 15 Sgr., mv- natlich 5 Sgr., einzelne Nummern 1 Sgr.; bei den Königl. preußischen Post« ämlern 15 Sgr., bei den preußischen Postämtern im nubtpreußischen Deutsch - lanv 1272 Sgr., im übrigen Deutschland 20 Sgr.(st. 1. 10. slldd., st. 1. österr. Wäbr.) pro Quartal. Bestellungen werden auswärts auf allen Postämtern, in Berlin auf der Expedition, von jedem soliden Spediteur, von der Expreß-Lompagnie, Zimmerstraße 46a, sowie au4 unentgeltlich von jedemrolhen Dienstmann" entgegen genominen. Inserate(in der Expevition auszugeben) werden pro dreigespaltcne Petit-Zeile bei Arbeiter-Annoncen mit 1 Sgr., bei sonstigen Annoncen mit 3 Sgr. berechnet. Agentur sür England, die Colonieen und die überseeischen Länder: blr. Ij>mäer, 8. Linie New-Port-Street, Leicester-Sqnare W, C. London . Agentur sür Frankreich : G. A. Alexandre, Strassbonrg, 5. Eue Brulee; Paris , 2. Cour du Commerce Saint-Andrä-des-Arts. Herr Ziegler, e in altprcußlscber bürgerlicher Demokrat und Mitglied des preußischen Abgeord- netenhauses, hat, preußischen Blättern zufolge, am 19. April, im Breslauer Handwerkerverein die Erklärung abgegeben, er seiSo cialist von altem Datum." Welche Neuigkeit! In der Thal ist diese Erklärung eben so neu als merkwürdig. Neu muß sie genannt werde», weil nian bis zum 19. April im Jahre des Heils 1866 auch nicht ei» Sterbenswortchen von dem socialistiscben Standpunktc des Herrn Ziegler vernommen hat, und merkwürdig: theils eben deshalb, theilö wegen der Beschaffenheit deS Ziegler'sche» SocraliSmuS, von der wir uns leider nur durch die ZeitungS - berichte über die von Herrn Ziegler in jenem Arbeiter-Verein gemachtenMittheilungen aus seiner Erfahrung und seinem Leben"*) Kenntniß ver- schassen konnte». Jene Erklärung ist aber noch um so merkwürdiger, als Herr Ziegler zwei Tage vorher in einer an-' geblich von 4000 Personen besuchten Urwähler« Versammlung eine politische Wahlrede gehalten und dabei nur vergessen hat, seines socialistischcn Stand- Punktes zu erwähnen, der doch offenbar für seine Wähler ein Punkt von höchster Wichtigkeit sein mußte, den nicht zu verschweigen um so mehr eine Pflicht des Wahlredners war, als er ausdrücklich erklärte, ganz sagen zu wollen:So bin ich; so fühle ich; dies ist mein Verhältniß zu den od- schwebenden Fragen" u. s. w.**) Wir haben in jener Wahlrede Herrn Ziegler als altpreußischen constitutionellen De- mokraien, Anhänger der schleichenden An- nexion und wenn er diesen Punkt auch schlau zu umgehen bemüht war der allmählichen Borussificirung Deutschlands kennen gelernt und haben dagegen weiter nichts zu sagen, als daß dieses Programm wenig oder gar keine Aussicht auf Berwirklichnng hat, weil, so lange Hohenzollern auf preußischem Throne sitzen, der Consiittitiona- 1 liSmus nach englischem Muster eine Utopie bleiben wird, und weil ihm(jenem Programm) vor Alleni die Tympalhieen des weitaus größten TheileS des deutschen Volkes fehlen, und ferner, daß wir Herrn Ziegler den Vorwurf machen müssen, sich nicht hinlänglich klar und unzweideutig über seinen Standpunkt in der deutsch -nationalen Frage aus- gesprochen zu haben. Offen Visir thul aber in diesem Augenblicke mehr noth als jemals und ist gerade jetzt doppelte Pflicht der Demokratie, die nicht, wie dies die Staats- *) S.BreSl. Ztg." Beilage, zu Nr. 184 vom 21. April d. I. **) S.BreSl. Ztg." Nr. 180, Hanptblatt der! Morgen-AuSgabe vom 19. April. männer können, welche die Gewalt in Händen haben, mit Hintergedanken operiren darf. Demokratische Agitationen mit Hintergedanken verwirren nur das Volk und machen es untauglich, im entscheidenden Augenblick einheitlich den richtigen Schlag zu führen. Wirke vielmehr nur Jeder offen und klar in seinem Kreise, damit man erkenne, mit Wem und womit nian es zu thun hat, und scheue er sich nicht, selbst tief eingewurzelten Vorurtheilen rücksichtslos entgegenzutreten; denn nur durch Entschiedenheit kann man sie zu besiegen hoffen. Nach dieser kleinen,.den Politiker Ziegler be- treffenden Abschweifung kehren wir zum Socia- listen Ziegler zurück, niit welchem allein wir eS heute hauptsächlich zu lhun haben. Die BreSlauerMorgen-Zeitung" berichtet über die fragliche Vercins-Versammlung unter Anderem, daß Herr Z. erklärt habe,er werte weder eine Rede noch einen Vortrag halten, denn er habe eben nur zugesagt, zu kommen und zu sprechen. Es liege ihm daran, dieser Körperschaft seine Ach- lung zu beweisen, denn er wisse wohl, daß ihm der Arbeiterstand sei» Vertrauen geschenkt, daß er es zum großen Theile gewesen, der seine Wahl mir durchgesetzt habe. Zu einer politischen Rede habe ihm die Urwähler-Versammlung Gelegenheit ge­boten, einen Vortrag wolle er nicht halten, weil er die Bedürfnisse deS Vereins nicht kenne. Er werde also wohl weit hinter den Erwartungen der Versanimelten zurückbleiben, wenn er eben nur über sein Verhältniß zu den Arbeitern spreche." Sodann heißt es in dem Bericht wörtlich: Er sei ein Nationalökonom und Socialist von altem Datum. Um dies nachzuweisen, führte er einige seiner Broschüren an. Dann ging er auf sein Verhältniß zu Lassatle ein. Er werde dwsen großen Geist, der sein Freund gewesen, nie verleugnen. Er habe sich nur in letzter Zeil von ihm getrennt, weil Lassalle mit seinen Ideen zur Unzeit eine politische Agi- talion hervorgerufen habe, aus der ein Riß zwischen den Arbeitern und den Arbeitgebern entstehen mußte. Ebenso wenig wolle er leugnen, daß iye Statuten von ihm herrühren, auf denen der deutsche Arbeiter. Berein jetzt noch besteht. Lassalle habe ihn, wegen seiner reicheren Lebensersahrnna, gern zu seinem Genossen machenwollen. Lassalleselbst sei mehrTheore- tiker und Philosoph gewesen; sein Fehler habe darin gelegen, daß er selbst erst die Rational- ökonomie lernte, während er unterrichtete. Im Uebrigen wären Lassalles Ideen dieselben, welche die französischen Socialisten bereit« vor 30 Jahren ausgesprochen, und Ziegler selbst hatte bereit« vor 12 Jahren in seiner Vaterstadl eine solche(!) Produktiv- Genossenschäst der Tuchmacher zu gründen versucht, wurde aber von anderer Seite darin gestört. Lassalle� Ideen seien keineswegs unausführbar und die verlangteStaalShülfe" nicht so schlimm, wie man sie hingestellt habe. Es sei eben«inStaatskredit" der auch sonst zu andere» Unternehmungen gegeben werde. Freilich sei die Sache schwer auszuführen und Lassalle hätte keine politische Agitation damit ver- binden sollen. Nach derBrest . Ztg." lauten die bezüglichen Stellen: Er sei Lassalle'S Freund und Arbeitsgenosse gewesen, den er wegen seiner großen Kenntnisse und seiner bedeutenden Anlagen hochgeschätzt habe, obwohl ihn Mangel an Erfahrung auf falsche Bahn geführt und von ihm getrennt habe. Sein Hauptmangel sei der gewesen, daß Lassalle seldst erst beim Unterriditen gelernt habe, und ihm die praktischen Kenntnisse abgegangen seien, die zur glücklichen Durchführung solcher gesellschasilichen Resoriuen nothwendig sind. Redner ging hieraus näher auf die Erfahrungen ein. die er auf diesem Gebiet, z. B. bei Gründung einer Tuchmacher- Association gemacht habe, und der Mittel, die er angewendet, um dem Produ- zenten selbst die Vortheile zu verschaffen, die der Kauf- mann sonst genieße. Er wie» aus die von Lassalle nicht erkannte Schwierigkeit hin, geeignete Männer zu finden, welche die Millionen, die der Staat der Arbeit nach dessen Ansicht dienst- bar machen solle, richtig verwenden. Nach demNeuen Allg. VolkSbl.", welches allem Anscheine nach auch aus einein Breslauer Blatte geschöpft hat, sagte Herr Ziegler unter Andcrm Folgendes: Ich bin ein Freund Lassalle'S gewesen; allein ich habe mich von ihm im letzten Monate getrennt, weil er sein Prinzip an ein politische« System knüpfte, zu welchem c« nicht an der Zeit, und da« wohl geeignet war, einen Riß unter den Liberalen bervorzurusen. Noch sind die Grundbedingungen wirthsibastlichen LebenS: Gewerbefreiheit, Freizügigkeit uns nicht gegeben Sic zu erringen, mußte die nächste Aufgabe sein. Von mir rührt da« Statut des allgemeinen Arbeiter-Vereine« her. Lassalle nahm Interesse daran, mich zum Mitarbeiter �zu gewinnen, weil ich praktisch auszuführen geeignet, was als Idee in ihm lebte. Dies ist mein Verhältniß zu Lassalle . Ich mußte desselben gedenken, da es bei meiner Wahl auch zur Sprache ge- kommen. Lassalle hatte den Fehler, daß er bei aller Genialität erst lernte, währender unter- richtete. Uebrigen« sind seine Ideen keineswegs neue gewesen. In ToussenelSfeodalite " ist seine ganze Theorie bereits niedergelegt. Lassalle glaubte, es sei damit gethan, wenn der Staat 100 bis 200 Millionen dazu hergäbe, den Handwerker in den Stand zu setzen, selbst ständig für sich zu arbeiten. In den 50er Jabre» machte ich in meiner Vaterstadt den Versuch, eine solche Produktionsgenossen­schaft zusammenzubringen. Die Lage ver Tuchmacher an jenem One war der Art, daß sie die Tuche halb fertig machten, da« Uebrige den Kausleutcn überließen. Dabei konnten die Tuchmacher noihdürftig leben, während die Kaufleute reich wurde». Ich gewann einen Banquier, welcher Geld vorschoß. Redner setzt nun auseinander wie er die Produktionsgenossenschaft geordnet, die schließ- lich au« andern Gründen nicht zu Stande gekommen si>- Er setzt ferner auseinander, daß eine solche PrvduktionSge- nossenschaft nur von einem ganz in die Sache eingeweihffu Organisator ausgehen kann, und daß also jede« Geschält besondere Männer von Specialkenntniß erfordert.Lassalle meinte: Dergleichen Männer werden sich'U Menge finden. Ich glaube e« nicht. Ja,