Frankreich ( auf dessen materielle Unterstützung hauptsächlich ge­rechnet wird) ausdrücklich und ganz geschäftsmäßig die strate gischen Vortheile anzupreisen, welche diesem der schweize rische Simplon im Fall eines Krieges biete! Das Charat­teristischste aber ist, daß diejenigen, welche sonst den Bestrebungen des weltbürgerlichen Sozialismus gegenüber mit dem Vorwurf der Vaterlandslosigkeit" so schnell bei der Hand sind, gegen die landesverrätherische Kundgebung der Simplondirektion keines­wegs den Ton der Entrüstung finden, sondern dieselben voll­tommen gleichgiltig oder, soweit ihre Intereffen es bedingen, sogar beifällig aufnehmen. Edle, Patrioten"!

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Die französische Regierung hat soeben eine vernehmliche Antwort auf das, selbst von dem größten Theil der Bourgeoispresse berurtheilte, Zirkularschreiben des Justizministers und auf das jeden Rechtlichdenkenden empörende Urtheil gegen Humbert und die Marseillaise " erhalten. In der zweitgrößten Stadt des Landes, in Lyon , ist nämlich der Amnestirte Garel, der sich den Wählern offen als Sozialist vorstellte, mit großer Mehrheit zum Munizipalrath gewählt worden schon der dritte der amnestirten Mordbrenner der Kommune", welche das französische Volk angeblich so tief verabscheut und doch seiner besten Ehrenämter für würdig hält. Weitere Manifesta­tionen des sich im Gegensatz zu der jüngst inaugurirten Re: preffivpolitik der Regierung befindlichen, aufgeklärten Volks. willens werden nicht auf sich warten lassen. Nügen werden dieselben in Bezug auf die Haltung des Kabinets freilich wenig, schon deswegen, weil es allen Anschein hat, daß sich das Wort der temporär unterdrückten Marseillaise " bewahrheiten wird, welche zum Abschied dem Ministerium zurief: Das Kabinet hat die Marseillaise " auf 14 Tage suspendirt, das Kabinet aber wird bald für immer suspendirt werden!"-

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Nicht ohne Interesse ist die Meldung eines hervorragenden französischen Provinzialblattes, daß Rußland , Preußen, Oester. reich und Italien beschlossen hätten, in Paris eine spezielle Polizei zur Ueberwachung der Sozialisten zu gründen. Was an der Nachricht wahres ist, wissen wir nicht; indessen kommt uns dieselbe immerhin nicht ganz wahrscheinlich vor. Von den drei erstgenannten Mächten, vor allem von Rußland und Preußen, wiffen wir wenigstens genau, daß es ihnen in Paris gleichwie( wenn auch in geringerem Maß) an andern Zentralpunkten der revolutionären und sozialistischen Bewegung schon seither an einer politischen Spezialpolizei keines­wegs gefehlt hat. Wozu und auf welche die Bedürfnisse aller Theile befriedigende Weise da eine Gesammtpolizei" der genann­ten Mächte gebildet zu werden brauchte und gebildet werden könnte, ist nicht abzusehen. Sollte indessen wirklich ein solcher Plan bestehen, so tönnen wir in unserm Interesse, d. h. im Interesse der Ueberwachten nur wünschen, daß mit der Aus­wahl der respektiven Spizel die deutsche Regierung betraut würde; denn diese hat, wie uns zahlreiche und besonders wieder neueste persönliche Erfahrungen fehren, ein wahrhaft bewundernswerthes Geschickt, stets solche Cujone"( um im Jargon des alten Frizz zu reden). herauszufinden, denen jeder halbwegs zurechnungsfähige Nationalität und Metier gleich auf fünfzig Schritte Entfernung ansieht.

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Berichte.

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* Zürich , 8. Okt. In der Rundschau unserer letzten Num­mer haben wir unter Frankreich bereits einer, ursprünglich von einem bonapartistischen Blatt gebrachten und von dem größten Theil der deutschen Bourgoispresse aller Schattirungen natürlich eifrig kolportirten Mittheilung über eine angebliche höchst staats: gefährliche und hochverrätherische Adresse deutscher Sozialisten an den Marseiller Kongreß Erwähnung gethan und diese Mitthei lung, ohne uns vorher mit unsern deutschen Genossen benommen zu haben, als eine Ente, als eine Lüge bezeichnet. Wie recht wir daran gethan haben, zeigt folgende Erklärung, welche die Leipziger Volkszeitung "- welche trotz ihrer angeblich urdemo­kratischen Gesinnung die erwähnte Lüge ebenfalls reproduzirt hatte- erhalten hat:

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In Ihrer Nummer vom 19. d. bringen Sie folgende Notiz: " Die Pariser Zeitung Patrie" hat aus Paris von einem ihrer Freunde, der in der Lage ist, gut unterrichtet sein zu können", eine Mittheilung erhalten, der zufolge die Sozialisten in Berlin , Breslau , Leipzig , Hamburg , München und Stuttgart Versammlungen abhielten, um einen Gedankenaustausch über die jezige Lage in Frankreich zu veranlassen; die Sozialisten in Leipzig , Breslau und München fanden die Fortschritte des Sozialismus in Frankreich so bemerkenswerth, daß eine Adresse an die fran­ zösischen Brüder beschlossen wurde, deren Grundgedanken folgender­maßen lauten sollen:" Die deutschen Demokraten können leider nur Wünsche für den endlichen Sieg der sozialen Republik in Frankreich aussprechen, hoffen jedoch, daß die französische Demo­Pratie nach ihrem Siege wirksam ihren Brüdern im Auslande zu Hülfe kommen werde, die noch unter dem Joche schmachten, namentlich aber den deutschen Proletariern; sobald die soziale Republik in Frankreich begründet worden, kann sie nur Dauer haben, wenn ganz Europa sich baldigst derselben Segnungen wie Frankreich erfreut."

Da auch Leipzig in dieser Notiz genannt ist, finden wir uns veranlaßt, im Namen der Leipziger Sozialisten zu erklären, daß die ganze Mittheilung, soweit unsere Kenntniß reicht, voll­ständig aus der Luft gegriffen ist. Wir fühlen uns start genug, mit unsern Gegnern fertig zu werden und brauchen teine auswärtige Hülse. Und wir glauben nicht, daß die deutsche Sozialdemokratie ein Mitglied zählt, wel­ches anderer Ansicht wäre.

Leipzig , den 22. Oktober 1879.

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A. Bebel. W. Liebknecht . F. W. Fritzsche. Wilh. Hasenclever.

Zürich , 26. Okt. Dem von ihm vielbewunderten, jüngst verstorbenen, amerikanischen Nationalökonomen Carey schnell fol: gend, ist in der Nacht vom 20. zum 21. ds. auf der Fahrt nach Köln der bekannte ehemalige Privatdozent Dr. Eugen Dühring im 47. Lebensjahre am Herzschlage gestorben. Ein schneller Tod hat damit ein durch schweres körperliches Leiden -Blindheit und dadurch hervorgerufene seelische Verbitterung leibenvolles Dasein beendet. Wenn der Verstorbene auch durch

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seine Selbstüberhebung und Konfusion sich selbst am meisten ge­schadet und weidlich die schneidige Kritik Engel's herausgefordert hat die uns eines der bedeutendsten Werke des wissenschaftlichen Sozialismus gab Sozialismus gab-, so dürfen doch die mannigfachen Ver dienste Dühring's um die Wissenschaft nicht geleugnet werden und ebenso soll es ihm unvergessen bleiben, daß er in einer sehr ab­hängigen Stellung den Muth hatte, für den Sozialismus ein­zutreten und mannhaft das Keßergericht, das ihn seiner Stellung enthob, ertrug und nicht zu Kreuze troch. In einer Zeit, wie der unsern, in der Charakterfestigkeit und Gesinnungstreue etwas so Seltenes ist, muß sie doppelt anerkannt werden, wo immer sie sich auch finde.

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uns

Zürich , 26. Okt. Vor Kurzem ging eine, bezeichnender Weise nur an die Bourgeoisblätter versandte, Buchhändlernotiz durch die Presse, welche das baldige Erscheinen einer Geschichte der Pariser Kommune von Bernhard Becker anfün digte und an diese Mittheilung für ängstliche Seelen noch die charakteristische Bemerkung knüpfte, daß ein behördliches Verbot des neuen Werkes in keiner Weise zu befürchten sei." Das soeben ( bei Otto Wigand in Leipzig ) erschienene Werk" entspricht denn auch dieser Einführung so vollkommen, daß wir es eine demnächstige Besprechung vorbehaltend für unsere Pflicht halten, schon jetzt vor demselben zu warnen, damit nicht die Genossen sich durch den Namen des Verfassers, der früher in der deutschen Bewegung eine gewisse Rolle gespielt, betrügen lassen und ihr Geld für ein Buch wegwerfen, in dem sie eine wahrheitsgetreue, vom Geist des Sozialismus durchwehte Schil derung der welthistorischen Epoche der Kommune vermuthen, das aber nichts ist, als eine lügenhafte Verunglimpfung desselben, ein charakterloses, standalöses Machwerk.

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* Berlin , 27. Ott. Da uns über die neueste Massenaus­weisung auffälligerweise( sollte Stephanage im Spiel sein?) bis jest ein weiterer Bericht aus Berlin noch nicht zugegangen ist, müssen wir uns vorläufig auf einige Mittheilungen der Berliner Presse beschränken hoffend, demnächst in der Lage zu sein, genauere Mittheilungen bringen zu können. Einer der Aus­gewiesenen ist der Pächter des großen Restaurants Industrie­Hallen" in der Reichenbergerstraße, Wienholz. Als derselbe die ihm zum Verkauf seiner Mobilien gewährte, äußerst kurze Aufenthaltsfrist infolge nicht erledigter Geschäfte um eine Stunde überschritten hatte, wurde er der Berl. Volksztg." zufolge ver­haftet, sofort per Schub fortexpedirt und sein Lokal augenblicklich polizeilich geschlossen. Natürlich ist hiedurch der Mann, der Familienvater ist, vollkommen ruinirt. Auch dem ausgewie ſenen Gastwirth Bries ist die Wirthschaft geschlossen worden, so daß auch die Familien vollkommen subsistenzlos sind. Ueber= haupt ist ganz besonders die brutale Taktik bemerkenswerth, haupt sächlich Familienväter von den 9 letzten Ausgewiesenen haben 7 Familie! auszuweisen, die dadurch doppelt schwer getroffen werden. Der Zweck dieser raffinirten Gewaltmaßregel ist klar: die schwer Geschädigten und von Sorgen um ihrer Familie Zukunft Gemarterten sollen zur Verzweiflung getrieben und sie und ihre Gemarterten sollen zur Verzweiflung getrieben und sie und ihre Gesinnungsfreunde zu Gewaltthaten, wo möglich zu Atten­taten" aufgereizt werden, welche dann den erwünschten Vorwand zu neuen Unterdrückungsmaßregeln bieten würden. Indessen wer den Herr Madai und seine Auftraggeber auf die Verwirklichung dieser ihrer sehnlichen Wünsche wohl vergeblich warten. Denn jeder unserer Genossen weiß zu gut, daß es, um unsere Feinde empfindlich zu treffen, ganz andere Mittel und Wege gibt, als spontane, wenn auch noch so erklärliche, so doch allezeit der Sache schadende, persönliche Wuthausbrüche. Und nach dieser Erkennt­niß haben unsere Genossen zum Leidwesen unserer Gegner und trotz aller Anreizungen zum Gegentheil bisher stets gehandelt und werden es auch ferner thun!

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-as, Berlin , 25. Oktober. Nothstand und Belagerungszustand diese beiden Worte charakterisiren vollkommen die Verhältnisse der deutschen Reichshauptstadt. Von legterem sind Sie ja oft genug in der Lage, berichten zu müssen. Aber auch über den ersteren dürfte wieder ein Wort an der Zeit sein. Bis zu welchem Grade derselbe gestiegen und daß von dem so oft verheißenen Ende desselben noch immer keine Rede ist dafür liefert einen hinlänglichen Beweis ein Blick auf die hiesigen Hypotheken- und Grund­besigverhältnisse überhaupt. Die hypothetarische Gesammtbelastung des Ber­ liner Grundbesißes betrug 1872 1,192,034,821 D., 1876 1,974,923,369 M., 1878 2,227,546,360 M. Die angestellten Ermittlungen ergaben, daß im Bergleich zu dem durchschnittlichen Kaufpreise, welcher gewissermaßen den dermaligen Kurswerth der Grundstücke repräsentirt, der Berliner Hausbefizer nur 288 pro Mille, also noch nicht einmal den vierten Theil sein Eigen nennt, während er mit dem llebrigen in der, größtentheils drückendsten, 3inssfaverei des Kapitalisten steckt. Die Belastung der Grundstücke geht über den Gebäudewerth nach der Feuerversicherung bereits um nicht weniger als 355 Millionen hinaus, was verglichen mit dem 18fachen Miethertrag eine Schuldenmenge von 615 pro Mille macht.

Um die Lage der, nicht große Fonds zu ihrer Verfügung habenden Grundstückbesiger noch precärer zu machen, beträgt die Zahl der in Folge des allgemeinen Nothstandes unvermiethet gebliebenen Wohnungen, Läd n und Werkstätten nach amtlicher Angabe über 20,000. Da ist es denn kein Wunder, wenn die Zwangsverkäufe gar kein Ende nehmen wollen. Es scheint wie fich ein hervorragendes Bourgeoisorgan verzweiflungsvoll ausdrückt als ob ganz Berlin unter den Hammer kommen sollte. Keine der früheren Grundstückskrisen hat so immense Verluste an Miethen, 3insen und Kapital aufzuweisen, wie die gegenwärtige. Die ungeheuere Masse der, in, den Subhastationen ausfallenden Kapitalien macht Berlin zu einem wahren Hy pothekenkirchhof, auf welchem die einzelnen Grundstücke als Gräber erscheinen, unter denen nicht allein verlorene Vermögen, sondern auch vernichtete Eri­stenzen begraben liegen.

Und doch muß es über kurz oder lang noch viel schlimmer kommen. Denn die Wirthschaftskrisen, die einander mit Naturnothwendigkeit immer schneller folgen müssen, werden immer akuter, beschleunigen die Aufsaugung des Kleinbefizes und die Monopolifirung des Kapitales in den Händen Weniger immer mehr. Aber der größte Theil derer, denen heute bereits widlungsprozesses noch feineswegs ein und werden die Wahrheit der un das Messer an der Kehle sigt, sehen die eherne Nothwendigkeit dieses Ent­sinnigen" Lehren des Sozialismus wohl auch erst dann erkennen, wenn sie selbst ins Proletariat herabgeschleudert sind.. Einstweilen betrachten sie uns noch als ihre Feinde sehr lange wirds aber nicht mehr währen.

N. Von der Niederelbe, 23. Oftober. Zunächst gestatten Sie uns, der Freude Ausdruck zu geben, daß durch die Gründung des., Sozial­demokrat" den deutschen Parteigenossen wieder die Möglichkeit gegeben ist, sich einmal über die Vorgänge im öffentlichen und Parteileben auszusprechen und zu orientiren. Denn wenn wir auch alle wußten, daß, wie die Dinge einmal lagen, nach Erlaß des Sozialisiengeseß es für die deutsche Sozial­demokratie zunächst Wichtigeres zu ordnen gab, als im Ausland ein Blatt zu begründen, so mußte auf die Dauer der Uebelstand, gar fein Organ zu haben, durch das man sich aussprechen und gegenseitig aufklären und an­feuern konnte, doch recht start empfunden werden. Deshalb erfreut es uns doppelt, den Sozialdemokrat" nunmehr zu haben und zwar ist diese Freude eine um so größere, als die im Programmartikel ausgesprochenen Grund­säge von jedem ächten und erfahrenen Parteigenossen als durchaus richtig anerkannt werden müssen. Was nun den Stand der Parteiverhältnisse betrifft, so ist es wohl nicht zu viel gesagt, wenn behauptet wird: Die

Sozialdemokratie hat auch hier im Nordwesten des Reiches durchaus keinen, Rück gang" zu verzeichnen. Daß dieses aber so ist, das verdanken wir nicht wenig unseren Gegnern und vor allem der famosen neuen Wirthschaftspolitik des Reichskanzlers. Hier im Nordwesten liegen die beiden Haupthafen- und Handelsstädte Deutschlands , Hamburg und Bremen . Diese Städte nun ha ben durch die neue 3ollgesetzgebung unzweifelhaft großen Schaden erlitten und vor allem auch sind die wirthschaftlichen Grundsäge, welche hier den Angehörigen der tonangebenden Kreise so zu sagen mit der Muttermilch eingegeben werden, auf das brutalste und gröblichste beleidigt worden. Das System Bismarcks, jeden mit Keulenschlägen niederzustrecken, der es wagt, eine selbstständige Meinung zu haben, ist auch den freihändlerischen Hansestädten gegenüber angewendet worden und hat da, besonders in den ,, reichstreuen" Kreisen unserer Kaufmannschaft, auf's tiefste verlegt. Ging doch die preußische Unverschämtheit so weit, dem Hamburgischen Vertreter im Bundesrath bei der Austheilung der Referate für die Bollvorlagen höhnisch den Artikel- Schießpulver zuzuweisen! Der Mann hatte jedoch Ehre genug im Leibe, sofort Berlin zu verlassen und gab so dem gewal­tigen Reichskanzler zu verstehen, daß der Vertreter der ersten Handelsstadt des europäischen Kontinents wohl doch noch etwas mehr werth sei, als Stiefelpuger des Varziner Guts- und Schnappsbrennereibefizers zu werben. Diese Entfremdung ist um so bedeutungsvoller, wenn man bedenkt, daß ge= rade die Bremenser und Hamburger Kaufmannschaft mit zu den reichs­wüthigsten Kreisen gehört haben und daß die Börsen dieser beiden Städte es gewesen sind, von denen aus z. B. zu Ostern im Jahre 1874 die Adressen an den Reichskanzler gingen, worin demselben in der Militärfrage unbe­dingte Bustimmung entgegengebracht wurde.

Wenn aber unsere Bourgeoisie oppositionell geworden ist, weil man ihre Geschäftsinteressen( bekanntlich der einzige empfindliche Punkt dieser Menschen­forte) verletzt hat, so haben in den bürgerlichen und Handwerkerkreisen die neuen indirekten Steuern und die Zölle; welche hier an der Reichsgrenze am meisten empfunden werden, sowie die Aussicht auf eine neue Erhöhung des Militäretats auch den Vertrauensseligsten die Augen geöffnet. Die Lobgefänge auf Bismarck sind verstummt, dagegen aber wimmelt es in den Biergesprächen unserer Philifter von Bismarckbeleidigungen, so daß sich das verstockteste reichsfeindliche Herz daran erquicken könnte. Was aber die Ar­beiterkreise betrifft, so sind die noch immer herrschende Arbeitslosigkeit und der Zustand politischer Rechtlosigkeit, welchen das Ausnahmegesez herbei­geführt hat, wahrlich nicht geeignet, loyale Gesinnung zu erzeugen. Die Sachen stehen eb n thatsächlich so: Wer früher schon zu uns gehalten, der thut dies heute mehr als je und wer früher unser Gegner war, der hat entweder aufgehört, uns mit jenem fanarischen Haß zu verfolgen, wie dies früher der Fall war, oder aber der Zeitenlauf hat ihn dahin gebracht, mehr oder minder mit uns zu sympathisiren, was namentlich von einem großen Theil der kleinen Handwerker gilt Wenn also das Ausnahmegesez uns auch daran gehindert hat, in sonst gewohnter Weise Refruten für die So­zialdemokratie zu werben, so haben anderseits der preußische Junkerüber­muth und der nimmersatte Militarismus dafür Sorge getragen, daß die Stimmung für uns heute eine günstigere als jemals früher ist. Die beim Erlaß des Sozialisten gesetzes gehoffte und gewünschte Vernichtung der So. zialdemokratie, hat also noch lang gute Wege!

So viel über die Situation im Allgemeinen. Was nun unsere innern Parteiverhältnisse betrifft, so versteht es sich ja von selbst, daß darüber sich jezt nicht viel sagen läßt. Nicht unerwähnt aber darf der unangenehme Eindruck bleiben, den es auf die hiesigen Genossen gemacht hat, daß im Ausland lebende Parteifreunde es theilweise für angemessen, hielten, die weise abgeschmackten Revolutions phrasen geredet werden, mit denen man uns deutsche Sozialdemokratie zu schulmeistern. Es soll hier nicht von den theil­zur ,, Aktion" aufforderte, sondern es sollen nur gegen die irrige, gerade durch deutsche Parteifreunde im Ausland verbreitete Ansicht protestirt wer. den, als ob seit Erlaß des Sozialistengeseßes die in Deutschland geblie­Annahme ist eine absolut falsche. Wenn schon die Wahlen in Breslau , Er­benen Genossen mattherzig die Hände in den Schooß gelegt hätten. Diese furt und in Sachsen gezeigt haben, daß wir deutschen Genossen die Partei­fahne auch im politischen Kampfe noch hoch halten und sie zu vertheidigen wissen, so sei noch bemerkt. daß die Regelung der Geschäfte der früher be. standenen Parteiunternehmungen( Druckereien, Beitungen 2c.) sowie die Un­terſtüßung der Inhaftirten und Ausgewiesenen und die Aufbringung der Gelder für die Wahlkämpfe, denn doch eine Thätigkeit und zugleich eine Opferwilligkeit der Genossen bekunden, welche diejenigen, welche vom Aus­land aus unserer Sache nicht besser dienen an fönnen glauben, als indem geln und gegen die bewährtesten Genossen Mißtrauen säen, sie ohne Kenntniß der Sache unausgefest nicht kritisiren, sondern nör­zu etwas größerer Vorsicht mahnen sollte. Die im Ausland lebenden Genossen soll. ten bedenken, daß es uns unmöglich ist, gerade dann, wenn wir handeln, davon großes Geschrei zu machen, ja auch nur davon öffentlich zu reden. Wenn sie aber wirklich der Ueberzeugung sind, daß das, was in Deutsch­ land geschieht, nur zur ,, Berflachung" der Partei führt, dann mögen sie zu uns fommen und zeigen, daß sie es besser können. Hic Rhodus, hic salta! Ueber die Verfolgungen und Polizeischeerereien, denen unfere Genoffen auch hier wie allerwärts in Deutschland ausgesetzt sind, das nächste Mal. Nur so viel sei bemerkt, daß in Altona augenblicklich 13 Mann wegen Verbreitung der Freiheit" sich in Haft befinden. Dieselben sizen bereits feit ungefähr 4 Wochen und ist Anklage wegen Majestätsbeleidigung und wegen Verbreitung verbotener Schriften gegen fie erhoben. Ueber den Aus­gang des Prozesses werden wohl die Altonaer Genossen berichten. In Hamburg war in lezter Woche Appellverhandlung gegen Saevete und Genossen, welche ebenfalls wegen Verbreitung der Freiheit" in erster In­stanz zu mehreren Monaten Gefängniß und theilweise zur Beschränkung des Aufenthalts verurtheilt wurden. Das Urtheil der Appellinstanz in diesem Prozeß soll erst im Laufe dieser Woche gesprochen werden.

-1. Mannheim , 22. Oft. Die Anwendung des Sozialisten­gesetzes bringt nidit nur fast alltäglich eine unerhörte Maffe von Ge waltthätigkeit und Gemeinheit, sondern fördert bisweilen auch Blüthen unbezahlbarer, wenn auch unfreiwilliger Komik zu Tage, die in unserer sonst so erusten Zeit um so schätzbarer sind. Einige solche niedliche Blüthen sind dieser Tage in den Treibbeeten der hiesigen wohllöblichen Behörden gezeitigt worden und wünschten wir ihnen, um ihnen, resp. den meisen Obrigkeiten die ganze verdiente Anerkennung der Welt zu sichern, nur den kaustischen Sarkasmus eines Börne als Schilderer. In Ermangelung desselben aber wollen wir die Thatsachen. einfach schlicht erzählen und sie für sich selbst sprechen lassen.

Bei Gelegenheit der Einweihung eines Bahnhofes dahier sollte Abends in einem geeigneten Saale ein Festgelage stattfinden, wozu der betreffende Wirth die Militärmusik engagirte. Nun wurde aber 2 Tage vorher dem Militär die Betretung dieser Wirthschaft aus uns rein un erklärlichen Gründen( denn der Wirth ist ein dickfelliger Spießbürger und seine Gäste sind von dem gleichen Kaliber) verboten. Zur bestimm ten Stunde kommt nun die Musik zwar augerückt, geht aber nicht in den son ziemlich von hohen Herrschaften" angefüllten Saal und gibt auf Befragen des Festkomite's zur Antwort: Da gehen wir nicht hin­ein, da sind ja Sozialdemokraten d'rin!" Als alles Zureden nichts fruchtete, so mollte das Komite die Musik in einem nebenan gelegenen Lokal etwas spielen" lassen. Aber ach! Kaum dort angekommen, ruft wieder Einer: Da dürfen wir auch nicht hinein, da sind auch Sozial. demokraten d'rin!" Dieser Saal war nämlich auch mit dem ersten in Acht und Bann erklärt, obwohl auch hier Wirth und Gäste von gleicher Güte sind, wie in dem vorgenannten Lokal. Endlich konnten die wackeren Spielleute in einer dritten Wirthschaft Rube finden, aber an Mufit machen war nicht mehr zu denken. Während dieser Wanderung waren aber auch die um ihren Musikgenuß gebrachten hohen Herren", welche darob sehr aufgeregt zu sein schienen, auf der Wanderung, und zwar zum Kommandeur des betr. Regiments, zwar nicht, um bei demselben energisch zu reklamiren, sondern um demselben gehorsamst zu melden, ,, daß keine Sozialdemokraten d'rin wären." Leider war aber der Herr Kommandeur nicht zu Hause" und so mußten denn die armen, boch so gesinuungstüchtigen" Liberalen ohne Musik feftessen. Die Leutchen mußten selbst ihren erbittertsten Feinden in der Seele leid thun.

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Auch bei Haussuchungen geht es manchmal nicht ohne Humor ab. So sagte bei einer derartigen Gelegenheit ein von dem Erfolg einer Haussuchung wie ein Esel beladener Polizeidiener auf dem Wege zum Kommissär zu dem ihn begleitenden ,, Deliquenten": Bei Ihrem Freunde wird man auch einen guten Fang machen." Hm! russische Zustände", lautete die Antwort. ,, Wa- wa- wacaas russische Zustände?" spißte die Polizeiseele, worauf in­dessen keine Antwort erfolgte Beim Kominissär angekommen, hat nun der Wächter des Gesetzes nicht Eiligeres zu vermelden, als daß er aus seinem ,, Deliquenten" herausgebracht habe, daß dessen Freund auf die russi­schen Zustände abonnirt sei. Der Kommissär, welcher einsehen mochte, daß er sich mit solchen Sammergestalten einem politisch gebildeten Arbetter gegenüber doch blamire, lenkte das Gespräch sofort auf einen andern Bunft.