deutsche, fortwährend die Steuerkraft des Volkes für Militärzwecke in An­spruch nimmt, dann kann sie natürlich für Kulturzwecke nichts leisten. Und hiefür machen wir die deutsche   Nation, wie wir schon andeuteten, minde­stens ebenso verantwortlich, wenn nicht mehr, als die Reichsregierung. Weshalb wählt sie in die geseßgebenden Körper Regierungsknechte, anstatt freie Männer?

Unter diesen Umständen werden wir plößlich durch die Nachricht über­rascht, daß man eine Berliner   Weltausstellung plane und zwar für das Jahr 1885. Eine solche Ausstellung nun kostet Geld, sehr viel Geld! Sie wird auch nicht wie die letzte Pariser ihre Kosten decken, da Berlin  nicht die Anziehungskraft für Fremde hat, wie Paris  ; aber dennoch be­grüßen wir die Idee selbst mit gewiffer Freude.

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Eine Weltausstellung, zu welcher die Vertreter aller Nationen zusammen­eilen, hat nicht lediglich auf industriellem und künstlerischem Gebiete Nußen, so hoch derselbe auch immerhin angeschlagen werden muß; nein, der höchste Nußen ist zu suchen auf allgemein tulturellem Gebiete. Die Nationen hern sich und wie sie sich auf den Massenmordfeldern hassen lernen, so lernen sie sich auf dem friedlichen Wettplane der Ausstellungen achten, werth­schäßen und nach und nach lieben.

Alle Weltausstellungen sind somit Stationen auf dem großen Wege der Weltverbrüderung.

Einen großen Fehler haben dieselben allerdings noch: es ist zu wenig Gelegenheit gegeben, daß auch die Arbeiter fremder Länder die Aus­stellungen besuchen können. Von den verschiedenen Gewerkschaften frei ge­wählte Vertreter müßten auf Kosten der einzelnen Staaten in möglichst großer Zahl zu den Ausstellungen entsandt werden. Dadurch würden die Industrie und der Gewerbsgeist sehr gefördert werden. Für die Indu striellen bringen ja die Staaten immer einen sehr großen Theil der Kosten auf, warum nicht für die Arbeiter?

Wenn wir also im Ganzen genommen die Weltausstellungen und so auch die Idee in Berlin   eine solche abzuhalten, mit Freuden begrüßen, so tauchen doch gegen legtere gerade in jeßiger Zeit die gerechtesten Bedenken auf. Wir befürchten keineswegs, daß die französische Republik   so unnobel sein würde, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und die Berliner   Aus­stellung nicht zu beschicken. Und auch alle andern Nationen würden dem Rufe folgen, da ja Berlin   in der That an der Reihe ist und ihm die Ehre einer Weltausstellung gebührt. Wir befürchten auch nicht, daß die Deutschen  auf ihrem eigenen Boden eine industrielle Niederlage erleiden würden; wir haben die Gewerbeausstellung für Berlin   in diesem Jahre besucht und konnten dem ganzen Arrangement und den ausgestellten gewerblichen Lei­stungen unsere Achtung nicht versagen. Nur eine noch erhöhtere Anstrengung, so würden in einzelnen Branchen die Berliner   und viele andere deutschen   Industrien ganz gewiß auf der Weltausstellung den ersten Preis erringen.

Aber es find ganz andere Bedenken, welche uns beschleichen. Bugleich mit der Nachricht einer Berliner   Weltausstellung taucht noch die bestimm­tere Nachricht einer nochmaligen Armeevergrößerung auf. Seit fich in den jüngsten deutschen   und französischen   Manövern die Streitkräfte beider Staaten gemeffen, findet man den Stand der riesenhaften stehenden Armee Deutschlands   in vielen Beziehungen ,, nicht mehr ausreichend". Frank reich kann jeßt bereits 369 Batterien mit 2214 Geschützen aufstellen, wäh­rend Deutschland   ,, nur" über 300 Feldbatterien mit 1800 Geschüßen und unter Hinzurechnung von 54 Reservebatterien zusammen über 354 Batterien mit 2124 Geschüßen verfügt. Da es nun ,, dringend nöthig" ist, daß Deutschland   stets mit der größten Anzahl von Geschüßen auftreten kann, so bleibt nichts übrig, als eine neue entsprechende Vermehrung.

Diese und andere militärische Neuformationen kosten natürlich ein hüb­sches Stück Geld, nämlich gering gerechnet eine jährliche Budgeterhöhung vrn   zirka 25 Millionen. Ferner will man das früher schon einmal in das Budget gestellte Rasernirungsgeseß in dem bevorstehenden Winter im Reichstage wieder einbringen. Bei der jeßigen Busammenseßung der edlen Körperschaft wird dasselbe auch zweifellos angenommen und das bedeutet eine einmalige Ausgabe für Militärzwecke von 280 Millionen Mark!

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Die erbeuteten Milliarden sind längst verpulvert und wo will man diese Summen wieder hernehmen? Das ausgefogene Volk wird eben noch mehr ausgesogen! Das ist die ultima ratio Bismarkii".

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Aber Bismarcks neue 3oll- und Steuermaßnahmen? Nun, das Korn ist schon aufgeschlagen, ehe noch der Zornzoll eingeführt worden ist aber in Folge der bevorstehenden Einführung des Bolles! In diesem einen Sage liegt die denkbar schärfste Verurtheilung des Bismarck  'schen Systems. Aber auch des Mannes selbst: Der Staatsmann, der an der Spize des deutschen Reichs steht, vertheuert dem hungernden, bettel­armen deutschen   Volke noch das Brod!

Die neue Bollpolitik hat aber auch direkt in Bezug auf die projektirte Berliner   Weltausstellung einen sehr bedenklichen Haken. Man muthet näm­lich den Nachbarnationen zu, daß sie in einem Lande ihre Produkte aus­stellen sollen, dem sie dieselben nicht zum Verkaufe anbieten können, weil der Schußzoll die Produkte in einer Weise vertheuert, daß der deutsche Ab­nehmer eventuell lieber die schlechtere deutsche Waare, als die bessere aus­wärtige nimmt. Dieser Puntt hätte sicherlich zur Folge, daß die auswär tigen Industriellen nur wenige Produkte, die geringe Rosten machten, aus­stellen würden, und daß so die Weltausstellung viel von ihrem Glanze und ihrer sonstigen Frequenz verlieren dürfte.

Und zum Schluffe fällt noch entscheidend ins Gewicht das Sozia­listengesetz und der über Berlin   verhängte schmähliche Belagerungs­zustand, der einer mittelalterlichen Rezerverfolgung ähnlich sieht, wie ein Ei dem andern es fehlt nur noch, daß der dicke Madai mit einem

rothen Henkermantel bekleidet wird, wenn er die Ausweisungsordre für friedliche Familienbäter unterzeichnet oder einen Ausgewiesenen, der heimlich seine schwer erkrankte Frau besucht, vom Krankenbette reißen und in die Fremde zurückstoßen läßt. Pfui, der Schande!

In solche Stadt gehört keine Weltausstellung, gehört tein internationales Verbrüderungsfest!

Ehe die deutsche Reichsregierung nicht gründliche Umkehr hält, ehe sie den Weg des Hasses, der Volksknechtung und des Militarismus nicht ver­läßt, wird keine andere Nation Vertrauen zu ihr haben, und eine Berliner  Weltausstellung würde nichts anderes sein als ein Bossenspiel.

Ehe aber das deutsche   Volk fich nicht ermannt, ehe es in seine Ver­tretung nicht Männer entsendet, anstatt Weiber und Heulmeier, eher wird die Regierung die bösen Wege, auf die sie die Nation führt, nicht verlassen!

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Sozialpolitische Rundschau.

Letzte Woche ist im deutschen   Vorstaat" der nach dem famosen Dreiflaffenwahlsystem gewählte Landtag eröffnet wor­den. Was das Volt von dieser ehrenwerthen Versammlung zu erwarten hat, bedarf gar nicht erst einer weiteren Aus­führung; es genügt vollkommen, wenn man sich bergegenwär tigt, daß in dieser Volksvertretung" das eigentliche Volk so gut wie gar nicht vertreten ist, daß die Majorität in den Hän den der Junker und Pfaffen liegt, und daß, wo etwa diese nicht ohne Zaudern nach der Pfeife des allmächtigen Bismarc tanzen sollten, sofort die edlen Nationalliberalen zu jedem von ihnen geforderten Herrendienst bereit sind trotz, oder viel mehr, ihrer Hundenatur entsprechend, gerade wegen der bisher empfangenen, überreichlichen Schläge. So hat der National­liberalismus gleich zu Beginn des Landtags wieder ein Fiasto erlitten, wie es faum größer gedacht werden kann, indem statt des von ihm kandidirten Bennigsen ein Konservativer, b. Köl­ler, zum Landtagspräsidenten gewählt und dadurch der Libe­ralismus auch aus dieser alten befestigten Position" verdrängt worden ist, und zwar mit der starken Mehrheit von 318 gegen 164 Stimmen. Trotz des sehr begreiflichen Jammers über diesen Verlust aber ist diese Partei der moralischen Prostitution sofort bereit, ihre zweifelhaften Reize aufs neue zu verschachern und scheint es in der That auch, als ob ihr Angebot nicht ganz aussichtslos wäre. Die konservativ- ultramontane Mehrheit ist Bismard schon ganz recht, aber nur insofern, als sie ihm seine Arbeiten besorgt. Da diese Parteien aber, was auch sonst ihre Schattenseiten sein mögen, jedenfalls unvergleichlich mehr Selbst­bewußtsein und Selbstständigkeit haben, als der rückenmarks­

schwache Liberalismus, und Bismarck   daher befürchten muß, daß sie sich keineswegs mit der Rolle eines Werkzeuges be= gnügen werden, so will er aus Nationalliberalen und Freikon­servativen sich eine allezeit gefügige Mittelpartei" bilden. Bis jezt, und vorzüglich bei der Präsidentenwahl, hat er damit allerdings noch wenig Glück gehabt und soll er deshalb über letztere und da sie ihm eine lettere und da sie ihm eine Tyrannei" in Aussicht stellt, die wenig nach seinem Geschmack ist, wenig erbaut sein.

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Eines der ersten Geschäfte des Landtags betraf natürlich die Haupt-, ja so ziemlich einzige reelle Aufgabe der deutschen   Parla­mente und Parlamentchen: die Beschaffung des für den Staatshaus­halt nöthigen Kleingeldes. Und da stellt sich denn die für das Steuerzahlungsberechtigte Volk die angenehme Thatsache heraus, daß das preußische Defizit blos" wie der neue preußische Finanzminister und ehemalige Sozialisten- Kommissions. Präsident Bitter meint 47 Millionen Mart beträgt! An eine Erleichterung der direkten Steuern, die man dem dummen Volk so lange als Honig auf die Bake strich, ist natürlich unter folchen Umständen nicht zu denken. Um nun das vielköpfige Thier Volk nicht gar zu kopfscheu zu machen, wird ihm nach dem Zusammenbruch der alten Lüge eine neue vorgesetzt. Die Regierung verweist es auf eine Steuerreform, die der Haupt­sache nach, im strikten Widerspruch mit den vom Reichskanzler bei den Zolldebatten im Reichstage abgegebenen Erklärungen, die direkten Steuern im Prinzip beibehält und nur je nach der Finanzlage und den Ueberweisungen vom Reiche Steuererlaffe eintreten läßt. Es wird jedoch gut sein, wenn sich die Steuer­zahler auch von dieser Verheißung wenigst möglich versprechen und sich bei Zeiten mit dem Gedanken vertraut machen, daß sie einfach neben den neuen indirekten auch die alten direkten Steuern ganz wie bisher fortzubezahlen haben, wozu dann auch noch die Zinsen für das Anlehen, durch welche das Defizit ge= deckt werden soll, zu bezahlen sind. Steuern zahlen, Soldat werden und Maul halten sonst hat ja der glückliche

deutsche Unterthan" nichts zu thun. Höchstens noch ein wenig hungern. Und darauf schei­nen sich jetzt nicht nur viele Leute, sondern ganze Gegenden im deutschen Reich einzurichten. Von dem Hungertyphus in Thüringen   nnd Braunschweig   haben wir schon lezzthin berichtet. Jezt rückt auch Schlesien   an. Der Kreis Rybnik  , der von der Hungersnoth her einen traurigen Ruf in Deutschland   hat, wendet sich jetzt mit der Bitte um Hilfe gegen die drohende Noth während des bevorstehenden Winters an den Staat. Eine halbe Million Mark zu Unterſtüßungen und 300,000 Mart als Beihilfe oder Darlehen für Chausseebauten im Kreise, hat der Kreistag zu beantragen beschlossen. Andere oberschlesische Kreise tommen mit ähnlichen Anträgen.

Und angesichts all dieser Noth ist die Regierung in aller Seelenruhe damit beschäftigt, die das Brot vertheuernden Ge­treidezölle einzuführen und mehr Steuern als je bisher zu er­heben. Wie weit muß der Magen des Deutschen   noch zu­sammenschrumpfen, bis es in seinem Kopfe hell wird?

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Schon in der kurzen Zeit, während welcher die neue deutsche   Gerichtsorganisation nunmehr funktionirt, haben sich in ihr eine Menge der größten Unzuträglichkeiten bemerkbar gemacht, welche die ganze Leichtfertigkeit der neudeutschen liberalen Gesetzmacherei wieder einmal in ein helles Licht stellen. An allen Ecken und Enden fehlts und die vor ihrem Gebrauch so herrlich blinkende, von einem verehrungswürdigen Publico maßlos angestaunte und ihre Konstruktoren mit Stolz erfüllende Maschine ächzt und krächzt jämmerlich und will nicht in Gang kommen. Es sind eben in dem Meisterstück" eine ganze Anzahl von Rädern ungenau gearbeitet oder von unhaltbarem Material hergestellt und nicht wenige fehlen ganz.

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Da sind zum Beispiel ein überaus wichtiger Faktor des neuen Gerichtsverfahrens die Schöffen. Man kann ja vielleicht in der Einführung dieser Schöffengerichte im Prinzip einen Fort schritt, wenn auch einen sehr bescheidenen, nach der Richtung der Rechtsprechung durch das Volk erblicken, insoferne, als in ge ringeren Rechtssachen der juristisch gebildete Richter nicht mehr allein das Wort führt, sondern neben sich eine Mehrheit von Bürgern als Gerichtsmitglieder ſizen hat. Aber vor allem von den übrigen den Fortschritt im Prinzip praktisch so ziem lich wieder illusorisch machenden Gesetzesbestimmungen ganz ab­gesehen gesehen sind eben diese Bürger" Bourgeois und zwar solche von bewährtester Gesinnungstüchtigkeit, da nicht nur die Masse des Volkes durch den Zensus vom Richteramt vollkommen ausgeschlossen ist, sondern auch noch die der Staatsbehörde nicht ganz sicher scheinenden Zensusleute durch ein zweckentsprechendes " Siebungs".Verfahren nach Belieben dem Gericht ferngehalten werden können. Daß infolge dessen in allen Fällen, wo die Bourgeoisie den Angeklagten, resp. seine Handlung und die ihr zu Grunde liegende Jdee ganz abgesehen von der Frage der moralischen und selbst der gesetzlichen Schuld als gefährlich

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für die Interesse ihrer Kaste bewußt oder instinktiv erkennt, ein Bourgeoisschöffengericht weit weniger Garantien für eine unpar­teiische Rechtsprechung bietet, als der juristische Richter, ist klar und hat sich da, wo die Schöffengerichte schon länger existiren, schon vielfach in eklatanter Weise erwiesen. Denn wo der Klas­sengeist sich unbehindert von andern Einflüssen wie beim rechts­gelehrten Richter die juristische Schulung einer ist- bethätigen kann, muß er sich stets rücksichtslos zeigen.

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Wo aber dies Klasseninteresse nicht in's Spiel kommt, da verhalten sich die Bourgeoisschöffen in den meisten Fällen voll­tommen indifferent und lassen sich sowohl aus Gleichgültigkeit als aus unbegrenztem Respekt vor dem rechtsgelehrten Richter von diesem vollkommen leiten. Die Ausübung des Schöffenamtes ist ihnen dann lediglich eine lästige Pflicht, der sie ungefähr mit eben so viel Verständniß nachkommen, wie ein zum Kriegsgericht neben Offiziere kommandirter Soldat. Von einer Würdigung des hohen Berufes des Rechtsprechens, pon einer Erwägung der moralischen Verantwortung des Richters, von einer Erfassung des ganzen Ernstes ihrer Funktion-keine Rede! Recht bezeichnend für die vollkommene Unfähigkeit der Bourgeoisie zum Richteramt ist ein Geschichtchen, welches gegenwärtig durch die ganze Bour: geoispresse geht und von ihr sehr luftig" gefunden wird, ohne daß den Leuten einfällt, wie viel Ernst und wie viel-Schande für sie darin steckt.

Diese charakteristische Geschichte lautet folgendermaßen:

Der erste Schöffe, der sich dem Berliner   Amtsgericht I. vor gestellt, war ein beleibter Geschäftsmann, G. mit Namen, der

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sich einem Schreiber des Schöffengerichts, in mächtigen Wasser­stiefeln und seinem Arbeitsanzuge, etwa mit folgenden Worten präsentirte:" Nu, sagen Sie mal lieber Mann, Sie haben mir zum Dienstag als Schöppen vorjeladen, wat habe ich denn da eijentlich zu thun?" Der Beamte erklärt ihm seine Pflichten, worauf der Herr Schöffe erwiderte: Ja, ja, ich sehe ja die froße Ehre in, die mir wiederfährt, aber Dienstag, sehen Sie mal, Dienstag, Herr Gerichtsschreiber, unmöglich, erst des Geschäft und dann die Ehre. Sehen Sie, auf die Ehre bin id stolz, aber von des Jeschäft muß id leben; id schätze die Ehre. hoch, aber leben kann id doch nicht von ihr, Dienstag komme ick nich, ich kann beim besten Willen nich, ick komme schon ein anderes Mal, wenn ick Zeit habe und wieder jerufen werde." Wieder belehrt ihn der Gerichtsschreiber, daß er kommen müsse. Na, wat krieje ick denn Verjütigung für meine Versäumnisse?" frägt der Schöffe wiederum. Nichts," entgegnete der Beamte.  - " Nichts? Nee, des is zu wenig, da jehe ich doch lieber meinem Geschäfte nach, id kanu   Dienstag nich," replizirt der Schöffe. ,, Sie müssen kommen," antwortet wiederum der Beamte. Na, was habe ick denn zu tun?" frägt endlich beschwichtigt der Schöffe. " Sie müssen sitzen und Recht sprechen," entgegnet der Schreiber. Denn schick ich meine Frau," ruft der Schöffe, die sitzt jut un spricht den janzen Tag lang und hat immer Recht."- Nach langem Hin und Herdebattiren erklärt der Schöffe endlich re­fignirt: Na, kommen werde ick, aber jleich in de Wasserstiebeln, damit id, wenn et alle is, auch jleich an de Arbeit jehen kann. - Die Ehre is ja jroß, aber des Jeschäft am Dienstag futich; na, das schadt denn schließlich ooch nicht, wir habens ja dazu!"

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Und in den Händen solcher Menschen liegt das Wohl und Wehe des Angeklagten! Man stelle sich einmal vor, wie ein aufgeklärter, politisch gebildeter Arbeiter, wie ein Sozialist seine Richteraufgabe auffassen würde, und man wird sich klar darüber werden, wie sehr die Bourgeoisie moralisch bereits Bankrott gemacht hat und in wie hohem Grad es eine Frage des Gemeinwohles ist, ihr so bald als möglich auch thatsäch= lich das Geschäft zu sperren und ihre Schwindelfirma ein für allemal aus dem staatlichen und gesellschaftlichen Register zu streichen!

Noch einen anderen interessanten und die Herren Gesetzgeber treffend charakterisirenden Umstand wollen wir für heute aus der großen Menge des uns über die neue Gerichtsorganisation vor­liegenden Materials hervorheben. Ein Paragraph des Gerichts­organisationsgesetzes gibt nämlich ohne weitere Direktive der Re­gierung das Recht, diejenigen Personen des Polizei- und Sicher­heitsdienstes zu bezeichnen, welche als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft zu betrachten sind." Die Regierung hat nun als solche auf dem Verordnungsweg u. A die sämmt lichen Bürgermeister oder sie in der Leitung der Polizei­verwaltung vertretenden Magistratsmitglieder als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft bezeichnet, so daß z. B. die Vos­stände selbst der größten Stadtgemeinden des Landes in vieler Beziehungen dem nächstbesten Staatsanwalt untergeben sind und sich von demselben nach SS 80 und 81 des Ausführungsgesetzen zum Ger.- Verf.- Ges. im Aufsichtsweg" Rügen und Ordnungs­strafen gefallen lassen müssen. Eine würdige Selbstverwaltung" das!

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Weil wir uns übrigens gerade einmal beim löblichen Justiz departement befinden, wollen wir doch auch gleich zweier Nach­rigten erwähnen, welche hinsichtlich des deutschen   Gefängniß­wesens vorliegen. Der einen zufolge liegt es in der Absicht der Reichsregierung, statistisches Material für das Ge= fängnißwesen im Reiche zu beschaffen und dasselbe für die Wissenschaft und Gesetzgebung nußbar zu machen." Man soll beabsichtigen, vorzugsweise eine Personalstatistik der Verbrecher zu führen, den Lebenslauf und die Ueberlieferungen, die schädlich auf sie eingewirkt, in ihren Hauptzügen festzustellen, um aus ihrer Zusammenfassung und Vergleichung unter einander die fort­während schädlichen Einflüsse, den Umfang und die örtliche Ge­staltung des Verbrecherthums zu ermitteln und hieraus weitere Schlüsse auf die zu treffenden Vorbeugungsmaßregeln zu ge­

winnen.

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Das wäre nun vorausgeseßt, daß das gewonnene Material auf einige Zuverlässigkeit Anspruch machen könnte, was bei den unter den Gefängnißoirektoren vorwiegenden Ansichten über Ent­stehung der Verbrechen und prinzipielle persönliche Verantwort wortlichkeit des Verbrechers sehr zu bezweifeln ist ganz schön

und gut, wenn sich absehen ließe, in welcher Art die Regierung die aus dem Material zu ziehenden Schlüsse nutzbringend ver­werthen könnte. Will sie vielleicht all die zahllosen Quellen der Verbrechen: schlechte Erziehung, Armuth, Hunger, Zorn über ungerechte Behandlung, Neid auf die kolossalen Besitzthümer der Reichen, Unterdrückung natürlicher Triebe durch widersinnige Ein­richtungen, Verrohung durch Kriege u. dgl. mehr verstopfen und die Hauptbrutstätte aller Uebelthaten: die Beherrschung und Aus­beutung des Menschen durch den Menschen, die rechtliche, poli­tische und ökonomische Ungleichheit vernichten? Uns sollte das schon recht sein, denn wir würden dadurch viel Zeit und Kräfte sparen, die eben von allem Anfang an feinem andern Ziel gewidmet waren. Da die Regierung aber diese Absicht kaum haben dürfte, so wird aus der wichtig angekündigten Material- Sammlung" so wenig eine Verminderung der Verbrechen und eine Besserung der moralischen und gesellschaftlichen Zustände hervorgehen, als aus einer andern angekündigten Maßregel der Regierung hin­sichtlich des Strafvollzuges.

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Dem Justizausschuß des Bundesrathes ist nämlich der lang erwartete Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes vorgelegt worden, in welchem u. A. Bestimmungen getroffen werden über die wich­tigen Fragen der Einzelhaft, der Beschäftigung der Gefangenen, der Art der Strafvollstreckung bei jugendlichen Verbrechern und der Einführung der Prügelstrafe für männliche Ge fangene, die sich nicht im Besitze der Ehrenrechte befinden.

Kerker und Prügel- diese beiden Institutionen charakterisiren am besten unsere Zustände und sind die unentbehrlichsten Mittel zur Aufrechterhaltung der heutigen Staats, ordnung". Sie ist aller­dings auch darnach.

-- Der Militarismus hat im deutschen Reich wieder ein paar artige Blüthen getrieben. Man weiß, wie drakonisch, wie geradezu unsinnig die Militärgerichte jedes Vergehen gegen die militärischen Disziplinargeseze bestrafen, selbst wenn dasselbe im höchsten Grade provozirt worden war und jedes bürgerliche Gericht Freisprechung erfolgen ließe oder