Sozialpolitische Rundschau.

Deutschland .

* Die famose Sozialisten vorlage wird in der aus­ländischen Presse nicht weniger eifrig besprochen, als die Militär­Vorlage. Die Urtheile lauten selbst von dem Sozialismus nichts weniger als gewogener Seite fast durchaus absprechend, und von mehr als einer Seite wird der deutschen Regierung ein schlim­mer Ausgang des von ihr unternommenen gewagten Spiels vor­ausgesagt, während der Sozialdemokratie nicht selten wenigstens politisch Gerechtigkeit widerfahren lassen wird und weitere Er folge derselben als zweifellos erklärt werden. So schreibt die Brüsseler Chronique":

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Die demokratische Bewegung in Deutschland ist nicht er­stickt. Die Ausnahmegeseze gegen den Sozialismus wurden mit vollkommener Rücksichtslosigkeit ausgeführt; aber die Sozialisten haben unter den arbeitenden Klassen mehr Boden als früher ge­wonnen. Natürlich ist es deshalb, daß die Thronrede die Noth­wendigkeit der Verlängerung dieses quasi- diskretionären Gesetzes ankündigt. So beharrt die Regierung, in Mitschuld mit der Mittelklasse, deren Furcht sie ausbeutet, darauf, den deutschen Sozialismus mit jener romantischen Partei zusammenzuwerfen, welche man früher in Frankreich unter diesem Namen kannte, und vermengt die Bestrebungen der einen mit den chimärischen Träu men der andern. Aber Bismarck verkennt doch weniger als ir­gendwer, daß die Führer des Sozialismus durchaus nichts Ro­mantisches haben, sondern daß sie vielmehr überzeugt, praktisch und logisch sind und daß ihre Kraft in der unbestreitbaren That­sache begründet ist, daß das gegenwärtige Regime jede Hoffnung auf eine umgehende oder baldige Verbesserung der ungeheuren Mehrheit der Bevölkerung ausschließt. Die demokratische Be­wegung wird in demselben Maße heftiger, in welchem man ihrer friedlichen Ausdehnung Hindernisse bereitet. Diese Perspektive kann nicht Jedermann gefallen; sie wird mehr als Eine Voraus­sicht vereiteln, durch mehr als Eine Berechnung einen Strich machen; aber sie ist deshalb nicht weniger gewiß....

- Der berüchtigte, Bannbruchs" Prozeß gegen die Abgg. Fritsche und Hasselmann ist auf Antrag Hasen clevers durch Beschluß des Reichstags auf die Dauer desselben eingestellt worden. Vielleicht wird er durch das Lagern gleich Käse oder Schnaps besser.

In Berlin wurden weiter ausgewiesen: Buchbin­dermeister Koth e, Tischler Peege, Steindrucker Leist, Schneider Tachner. Unter den Ausgewiesenen befinden sich Familien­Väter, welche die infame Polizei bekanntlich absichtlich heraussucht, um fie und die Partei desto härter zu treffen!

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Der Petersburger Winterpalast- Schreden ist auch an der Spree eingekehrt und treibt die ergößlichsten Blüthen. Gelegentlich eines jüngsten Opernhaus- Balles machte sich ein Schelm den Spaß, die löbliche Polizei anonym zu benachrichtigen, daß während des Balles, den der Kaiser besuchte, das ganze Opernhaus in die Luft gesprengt werde. Da man aber in Ber lin nichts von Tyrannei kennt und ein gutes Gewissen hat, so fiel man auch richtig hinein, untersuchte das Opernhaus bis in den letzten Winkel, steckte die halbe Polizei zur unsichtbaren Ueberwachung in Maskengewänder 2c. Bald aber zeigte sich, daß man genarrt war, denn es passirte nichts Ungewöhnliches und Niemand brauchte ein zweitesmal zu zittern.

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Unserer neulichen Notiz über die Arbeiterrevolte in der Schar­laygrube, vielmehr in der Ronziontaugrube in Ober­ schlesien ist einiges nachzutragen. Es bestätigt sich, daß sich die Arbeiter zu Gewaltthaten und Zerstörungsakten hinreissen ließen, so daß Militair zur Herstellung der Ordnung requirirt werden mußte. Aber selbst der amtliche Bericht muß zugestehen, daß die Ursache der Erregung der Arbeiter eine verhältnißmäßig geringere Lohnzahlung" gewesen ist. Die Arbeiter waren nämlich infolge der elenden Löhne und der Theuerung der Lebens­mittel seit längerem gezwungen, Vorschüsse zu erheben, und diese wurden ihnen nun jetzt, trotz ihrer Bitten und der Unmöglichkeit, sie unter den jezigen wenig veränderten Verhältnissen zurückzu­bezahlen, von der Verwaltung des steinreichen Grafen Henkel von Donnersmark unbarmherzig abgezogen, so daß die Leute am Zahltage nur wenige, taum auf ein paar Tage reichende Gro­schen erhielten. Und daß dies eine große Aufregung unter den Arbeitern hervorbringen mußte, wußte man genau, wie Berichte von Bourgeoisblättern naiv zugestehen: man habe den Aus­bruch von Unruhen schon vorhergesehen und deshalb Gendarmen an die Grube beordert gehabt." Troßdem gelten natürlich die armen Arbeiter als die einzig Schuldigen und werden aufs bar­barischste bestraft, während die wahren Verursacher unbehelligt bleiben. Es ist doch was Schönes um solche Ordnung"! es ift bod

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Für die auf den 30. März festgesetzte Reichstags= Ersazmahl in Osnabrück ist seitens unserer Partei Ge­noffe Freytag aus Leipzig , sächsischer Landtagsabgeordneter, als Kandidat aufgestellt.

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Unseren früheren Berichten über die allgemeine Polizei razzia auf den Sozialdemokrat" ist nachzutragen, daß auch in Altona , Ruppin, Odenheim , Landshut , Flensburg , Weimar und zuletzt unter Aufbietung der ganzen Kriminalpolizei

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in Breslau und Umgegend zahlreiche Haussuchungen und theil weise Verhaftungen vorgenommen wurden, ohne daß man dabei irgend welche erhebliche Erfolge erzielt hätte. Wir hätten das der Polizei voraussagen, und diese hätte sich die Mühe sparen fönnen. Auf diese Weise kommt man den deutschen Sozial­demokraten nicht an!

-r. Berlin , 21. Febr. Im Reichstag wurde gleich nach der Prä­fidentenwahl die Generaldebatte über den Etat eröffnet. Aus den Debatten, in welche mit besonderem Geschick die Abgg. Richter und Bebel ein­griffen, ging hervor, daß alle Versprechungen, die Seitens der Regierungen und des Fürsten Bismarck im Vorjahre bei den Berathungen über den Zoll­tarif gemacht wurden, eitel Flunkereien gewesen sind. Die Ueberschüsse des Reichs an Zöllen und indirekten Steuern nämlich, die in sichere Aussicht gestellt worden waren, sollten bekanntlich den Einzelstaaten und den Kom­munen zu Gute kommen; nun aber schluckt sie, wenn die neue Militärvor­lage durchgeht, was unzweifelhaft geschieht, der Militärmoloch. Richter und besonders Bebel drangen auf Verkürzung der Dienstzeit, wodurch allein Ord­nung in's Budget kommen fönne; der lettere wollte die Verkürzung der Dienstzeit natürlich in solchem Maaße, daß ein Volksheer die naturgemäße

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Folge davon sein würde. Sehr bezeichnend war die Klage des Vertreters der Bundesregierungen, daß man sich in der Einnahme, die aus der Be­steuerung von Bier und Branntwein im vorigen Jahre erwartet wor­den sei, sehr getäuscht habe dieselbe sei eine erheblich gerin gere gewesen! Für ein solches unfreiwilliges Zeugniß fann das deutsche Volk dem Kommissär recht dankbar sein; um so niederträchtiger aber ist es, wenn sich in andern Fällen die Vertreter der Regierungen und der Majo­ritätsparteien im deutschen Reichstage nicht entblöden, von den deutschen Arbeitern als von schnapsverkommenen Menschen zu reden.

Der Höhepunkt der Debatte wurde durch die Bebel'sche Rede erreicht. Bebel griff den Schutzöllner und Reaktionär Kardorff, der in der ni­hilistisch panslavistischen Bewegung in Rußland eine Kriegsgefahr für Deutsch­ land erblickte, energisch an, indem er solche Vorspieglungen nur als geeig net erachtete, die Militärvorlage demnächst durchdrücken zu helfen. Wenn man sich mit Frankreich gut stünde, meinte der Redner, so sei jede Kriegs­gefahr geschwunden. Frankreich und Deutschland marschirten an der Spize der Zivilisation; deßhalb sei es ein ganz besonderes Unglück, daß durch die Annexion von Elsaß Lothringen die Freundschaft für lange, lange 3Zeiten gestört sei. Diese Annerion brauche nicht gerade völlig rückgängig gemacht zu werden; das allgemeine Stimmrecht müsse für die einzelnen Bezirke in Bezug auf ihre Bugehörigkeit zu einer von den beiden Nationen entscheiden und ein europäischer Areopag könnte das gesammte Land dann für neutral bei allen Kriegen erklären. Bei nur einigem guten Willen ließe sich das sehr gut machen. Dann sei Rußland gar nicht zu befürchten, der Milita­rismus würde aufhören und die Völker könnten ihre Kräfte mehr und mehr den Kulturzwecken zuwenden. Bei den Ausführungen, welche der Redner über die Annexion und über die Vorzüge eines Volksheeres machte, wurde er von dem Präsidenten mehrfach unterbrochen und zur Sache gerufen, so daß selbst nationalliberale Parlamentarier verwundert die Köpfe schüttelten. Noch ist es nicht entschieden, ob solches Verfahren der Ungeübtheit oder der Ungerechtigkeit des neuen Präsidenten, des Vetters des Grafen Harry v. Ar­nim, zuzuschreiben ist; doch das wird die nächste Zukunft schon lehren.

Bei seinen Ausführungen gegen Kardorff hatte Bebel erwähnt, daß er­sterer seine Weisheit über Rußland lediglich aus der ,, Norddeutschen Allg. 3tg." geschöpft habe. In einer persönlichen Bemerkung erklärte nun in frecher Weise dieser saubere Patron, daß er allerdings nicht so gut direkt von den nihilistischen Bestrebungen unterrichtet sei, wie das natürlich bei dem Abg. Bebel der Fall sein müsse, worauf Bebel erwiderte, daß er und seine Partei keine Verbindungen mit Rußland habe und daß die Nihilisten weit mehr unter den Standesgenossen des Herrn v. Kardorff zu suchen ſeien.

Ein Redner vom 3entrum betheiligte sich merkwürdigerweise bei den De­batten heit erlangt haben über die neuerdings gepflogenen Verhandlungen zwischen Bismarck und Bennigsen; letzterer soll dem ersten nämlich die neue Militär­vorlage aus dem Feuer holen. Er wird es auch zweifellos thun und sich dabei die Pfoten nochmals verbrennen. Einen verächtlicheren Menschen kann man sich unter den Parlamentariern kaum denken, als diesen, der für Ver­sprechungen, die nie gehalten wurden, seine Gesinnungen alljährlich verkauft.

haben über on mollen erft Stellung nehmen, wenn ſie Gewiß,

Nächstens mehr.

Altona , 19. Febr. Die Spürhunde find wieder an der Arbeit. Gestern fanden hier zahlreiche Haussuchungen statt, die zur Verhaftung von 12 Personen führten. Bei einem Verhafteten sollen 22 touvertirte Num­mern des ,, Sozialdemokrat" gefunden worden sein; die übrigen waren, so­viel bekannt, nur im Besitz einzelner Nummern. Auf den Werkstellen und in Fabriken wurden den Arbeitern selbst die Kleider durchsucht- alles im Namen des Rechts" und des Gefeßes". Ganz gewiß glaubt die Polizei den Verbreiter gefunden zu haben, indeß täuscht sie sich; ein Zufall hat ihr ein unschuldiges Opfer in die Hände gespielt und die Verbreitung dauert fort.

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Unsere Rechnung mit dem Recht" in Deutschland ist gemacht; wir kön nen fein Recht mehr verlegen, da wir keines mehr haben. Ob wir im großen Käfig, genannt Deutschland , sißen, oder im engen der Gefängniß­zelle, ist uns gleichgültig. Genossen Deutschlands ! Schon Heinrich Heine läßt in seinem Gedicht Die schlesischen Weber " aus dem Munde der Weber Deutschland zurufen: Deutschland , wir weben Dein Leichentuch." Helfen wir nun, helfen wir emfig weben an dem Leichentuch, damit es fertig werde, und wir das heutige Deutschland einwickeln und begraben können. lleber seiner Leiche wird dann die soziale Republik um so üppiger emporblühen. Darum unverzagt weiter gearbeitet über den Opfern!

Hans Großknecht.

Saarbrücken , 18. Februar. Hente früh verließ Genosse Kauliz das Gefängnis zu Trier ; der 13. März wird auch Hackenberger die Freiheit bringen und mit ihm dem lettem der Verurtheilten von Saarbrücken . Als am 18. August 1877 das Urtheil es lautete auf 22 Jahren Gefängniß für beide publizirt war, druckte es der Vorwärts" einfach ab, und fragend: ,, Wer macht verächtlich?!" rief er den tgl. Richtern zu: Justitia fundamentum regnorum und beantragte für jeden derselben 2 Jahre war ein Musterurtheil, eins von Blut Gefängniß ,, ohne das Uebrige".

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und Eisen. Weshalb wir heute darauf zurückkommen? Weil es der lette Versuch der Reaktion war, die brutale Gewalt unter einem Schein von Recht von verbergen. Bei der Berathung des Socialistengeseges beriefen fich gerade die ,, Liberalen " nach Vorgang der ,, Kölnischen Zeitung " auf die ,, mit alleiniger Hülfe der alten Gesetze gelungene Unterdrückung der Be­wegung im Saarbrücker Kohlenbecken".

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Die St. Johann- Saarbrücker Freie Volksstimme", unser damals jüngstes Parteiorgan, ward nach Ausgabe der 7. Nummer einfach unterdrückt jede Nummer hatte mehr als 1 Jahr Gefängniß gekostet. Nacheinander waren ihre 4 Redakteure verhaftet, 3 derselben: Hackenberger, Kaulig und Genosse Wyyka zu 5 Jahren 4 Monaten Gefängniß verurtheilt, der vierte plößlich nachträglich für diensttauglich erklärt und als ,, unzuverlässiger" Heerespflich tiger nach längerer Haft auf die Festung Saarlouis geschickt; feiner von ihnen hat mehr als 2 Nummern, einer nur eine einzige redigirt. Die Mit­glieder der Preß Kommission wurden in Untersuchung gezwungen, die tüch­tigsten Genoffen unter leeren Vorwänden ausgewiesen, mit raffinirtefter Niedertracht verfolgt oder monatelang in Untersuchungshaft geholten, um dann vorläufig" wieder in Freiheit" gefeßt zu werden. Das Redaktions. lokal der Freien Volksstimme" ward unter Siegel gelegt, Kauliz's Buch­handlung sans phrase geschlossen, das vorhandene Bücher- und Brochüren­lager, ja sogar seine Privatbücher in Beschlag genommen, seine Garderobe, Leib­wäsche, Uhr, Werthsache, Kassa, selbst Bücherrepositorien zur Deckung( no ch nicht entstandener) Kosten gepfändet, die Kolporteure verhaftet, einer derselben, unser braver Pionier der Menschheit", Genosse Mathies, zu 4 Monaten Gefängniß ,, verurtheilt". 3wölf der thätigsten, treuesten Ge­noffen entzogen sich, nachdem ihre meist blühenden Geschäfte glücklich zu Grunde gerichtet, nur durch die Flucht dem Kerker: sie gingen nach Belgien , Frankreich , der Schweiz . Ihnen folgten 4 der zuverlässigsten Parteiwirthe, während den übrigen bic Konzession entzogen oder sie selbst durch Polizei­chikanen mürbe gemacht wurden. Hunderte von Arbeitern wurden gemaß­regelt, mit Weib und Kind auf das Straßenpflaster geworfen und

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die ,, liberale" Presse klaschte zu alledem jubelnd Beifall den deutschen Rich­tern und der Polizei, daß sie so energisch die drohende Gefahr ab. gewandt."

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Und doch, troß alledem und alledem, hielten die Arbeiter fest und treu zusammen, schufen eine neue Organisation, nahmen sie mit unbeugsamer Energie die Agitation wieder auf. Kaum hatten sie im Frühjahr 1878 wieder ein Lokal gefunden, so beriefen sie eine Volks- Versammlung wurde sofort polizeilich aufgelöst, der Referent, Uhrmacher Megger, verhaftet und zu 4 Monaten Gefängniß ,, berurtheilt". Volle 1 Jahr blieben Haus­suchungen an der Tagesordnung, nicht etwa schon damals verbotene Schrif­ten, nein, jedes Parteiblatt, jede Brochure ward mit Beschlag belegt. Deutschrußland nannte die Freie Volksstimme" den Saarbrücker Be­zirt, und mit Recht: es berrschte hier die Knutenwirthschaft in ihrer Voll­endung. Da war ein Sozialisten geses allerdings überflüssig. Schämte man sich doch nicht, Kauliß, welcher ein kaufmännisches Geschäft am Blaze selbst hatte, wegen einer einfachen Beleidigungsklage gefänglich einzuziehen, ihn in Handeisen gelegt und mit einem Todtschläger zusammengefettet durch die Stadt zu schleppen, stundenlang so im Vorhofe des Gerichtsgebäudes einer gaffenden Menge zur Schau zu stellen, und alles das, um ihn sofort danach ,, wegen mangelnden Haftgrundes" wieder freizulassen.

Im Gefängniß erkrankten beide, Hackenberger und Kaulig Des letteren elastischere Natur zwar erholte sich, nachdem das erstere Jahr vorüber und er seine nasse, zugige Belle mit einer gefünderen vertauscht; Hackenberger aber verläßt das Gefängniß nur, um ins Hospital zu gehen. Beide werden demnächst ihre Erfahrungen vor Deutschlands Richtern und in seinen Ge­fängnisfen" niederlegen; hier ist heute weder die Zeit noch der Ort dazu . geht nach seiner Heimath Marienburg in Westpreußen , S., aus Preußen

als ,, Ausländer" ausgewiesen und durch Familienverhältnisse gehindert, in seiner Vaterstadt Braunschweig zu bleiben, nach den Vereinigten Staaten .

E. J.

E. II. Augsburg , 15. Februar. Einem Schurkenstreich, wie ihn schamloser Madai's Denunziantenseele nicht ersonnen, ist einer unserer besten Genoffen wieder zum Opfer gefallen. Mit dem ersten Sozialistenschub aus Berlin ausgewiesen, kam derselbe nach mancher Noth und Irrfahrt hierher und fand Arbeit. Vor einigen Wochen erfuhr nun ein früherer sogen. ,, stiller" Sozialdemokrat( Klemm ist sein Name; er ist Spinnmeister bei Riedinger und wohnt auch in der Fabrik; er sei der ernsthaftesten Berücksichtigung unserer Freunde empfohlen) die Thatsache der Ausweisung und theilte sie sofort dem Fabrikanten mit. Dieser ignorirte ste, bis vor einigen Tagen die hiesige Polizei ihn ebenfalls davon benachrichtigte( auf dem Umweg von Berlin natürlich) und der Polizeichef, Bürgermeister Fischer, direff in­tervenirte, worauf der Ausgewiesene, ein Familienvater, aus Brod und Arbeit gejagt wurde. Man ist also nicht zufrieden, durch die Ausweisung den Mann ruinirt zu haben; man will ihn dauernd schädigen, womöglich wie einen Aussäßigen von Stadt zu Stadt treiben und ihn gleichsam zum Hungertod zwingen. Wehe den Gewalthabern, wenn sich zu unserm Groll über unsere allgemeine Knechtung auch noch der Durst nach persönlicher Rache mischt, wenn der Gedanke an Repressalien uns am ersten zum Widerstand treibt. Und namentlich hier hat man seit Jahren diese Saat gestreut und der ,, rothe Fischer" in seiner bekannten offenen Verhöhnung des Gesetzes uns gegenüber in erster Linie! Und seit hier unser Organ einge gangen ist, tritt auch die Polizei viel frecher auf, die dem Münchner Mein­eidsmichel von Fischer nachdressirten zu Allem willfährigen Rottmeister Obich und Schreyer voran. Hielt kürzlich ein Gesangverein ein Biknik, zu dem auch letzterer Polizist erschien, nachdem man schon einen kurz vorher expedirt hatte. Trotz der Aufforderung zu gehen und der angedrohten Klage auf Hausfriedensbruch blieb er mit der spöttischen Bemerkung: Ihr könnt Euch beschweren, aber da bleib ich einmal; gewinnen thut Ihr aber nichts, dafür ist gesorgt." Wahrlich, wenn es so fort geht, scheint solchen Polizisten und ihren Vordermännern gegenüber schließlich wirklich nur Hilfe à la Mesenzoff übrig zu bleiben. ,, Ihr seid gewarnt!" Mit dem Kapitel der Haussuchungen will ich Sie verschonen; die dabei zu Tage getretene Dummheit war von je hier größer wie man sagt selbst die Polizei erlaubt". Gefunden wurde wie stets nirgends auch nur eine rothe Bohne!

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als

Oesterreich- Angarn.

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* Wie sich unsere Leser aus früheren Mittheilungen unseres Blattes zu erinnern wissen werden, sind seit einem Jahre eine große Anzahl polnischer Sozialisten verhaftet worden, die sich seit ihrer Haftnahme im Krakauer Kerker befinden, wo ihnen eine solche schmähliche Behandlung zu Theil wurde, daß sie sich entschloßen, eher den Hungertod zu wählen, als diese Be handlung länger zu erdulden. Dieser verzweifelte Entschluß, an dessen Ausführung sie bereits schritten, indem sie drei Tage weder Speise noch Trank zu sich nahmen, hatte schließlich zur Folge, daß sie etwas menschlicher behandelt wurden.

Nachdem dieselben nun schon seit fast einem Jahre im Kerker schmachten, begann endlich am 16. d. die Schlußverhandlung, welche mehrere Wochen währen wird, da nicht weniger als 147 Aktenstücke zur Verlesung gelangen werden und 76 Zeugen vor­geladen wurden. Der Justizminister hätte es gerne gehabt, wenn diesen Sozialisten der Prozeß wegen Hochverrath gemacht worden wäre; die Staatsanwaltschaft vermochte aber mit bestem Willen nicht, diesem Wunsche nachzukommen, da sie kein genügen­des Material hiezu fand, und so lautet die ungemein umfang reiche, über 40 enggeschriebene Bogen enthaltende Anklageschrift auf Störung der öffentlichen Ruhe".

Angeklagt find 33 Genossen, zum größten Theil Studenten, Mediziner, Gelehrte, Künstler, Lehrer, aber auch Handarbeiter. Welchen Ausgang der Prozeß für die Angeklagten nehmen wird, läßt sich nicht voraussagen, da die bürgerlichen Geschworenen in solchen Fällen unberechenbar sind. Für die Sache aber wird der Prozeß auf alle Fälle von enormem Vortheil sein und für Desterreich, namentlich für Galizien eine ähnliche Wirkung( natür­lich in entsprechend geringerem Verhältniß) erzeugen, wie s. 3. der Leipziger Hochverrathsprozeß in Deutschland , von dem an der schönste Aufschwung der deutschen Sozialdemokratie datirt. Aeußert sich ja doch selbst ein Korrespondent der N. Fr. Presse", daß Viele, die früher die wunderlichsten Vorstellungen vom Sozialis mus hatten, sich nun mit demselben vertraut zu machen suchen. Und beginnen einmal die Leute sich ernstlich mit dem Sozialis­mus zu befassen, dann können wir auch sicher sein, daß sie, wenn sie Herz und Verstand am rechten Fleck haben, sich auch bald zu demselben bekennen und die Reihen der Sozialisten verstärken werden.

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Wir werden auf den nach mehr als einer Richtung interes fanten Prozeß selbstverständlich des Ausführlicheren zurückommen.

Belgien .

* Unser bewährter Brüffeler Kampfgenosse« La Voix de l'Ouvrier», das Organ der sozialistischen Arbeiterpartei Belgiens , bringt in seiner letzten Nummer folgende sehr bemerkenswerthe Veröffentlichung:

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Die Arbeitskammer( die Centralisation sämmtlicher Brüsseler Arbeiterkorporationen) hatte in ihrer lezten Sizung eine Ent scheidung hinsichtlich der gegenwärtig unter den Gruppen der deutschen Sozialisten bestehenden Streitigkeiten zu treffen. Die ( deutsche) Gruppe von Brüssel hat sich nämlich in zwei Theile getheilt, von denen der eine dem Programm und der Haltung der sozialistischen Partei Deutschlands treu bleibt, während sich die andere mit Most und der Freiheit" in London verbindet. Die( in der Arbeitskammer) vorherrschende Ansicht war, daß diejenigen Sozialisten, welche sich in Deutschland . befinden, besser im Stande sein müssen, die Lage ihres Landes und deren Erfordernisse zu kennen, als die außerhalb befindlichen, und daß deshalb die Disziplin erheischt, daß die Entschlüsse der Sozialisten in Deutschland respektrt werden und die Gruppen sich ihnen unterwerfen. Infolgedessen hat die Arbeitskammer in ihren Verband diejenigen der beiden Gruppen aufgenommen, welche sich in Einigkeit mit der deutschen Partei befindet; dagegen diejenige, welche es vorziehen zu müssen glaubt, in einer( angeblich. D. R. ) mehr revolutionären Richtung zu marschiren, zwar mit Bedauern, aber um fortdauernde Mißhellig­feiten abzuschneiden, ausgeschlossen."

Wir brauchen dieser Entscheidung kein erklärendes bort gm­zuzufügen, weil sie an vollkommener Korrektheit nichts zu wün­schen übrig läßt. Wir begrüßen sie namens der beutschen Partei als einen neuen Beweis für die oft bewährte brüberliche Gefin­nung unserer belgischen Genossen gegen die deutsche Sozialdemo kratie und als ein erfreuliches und vielversprechendes Zeichen des in der sozialistischen Parte: Belgiens herrschenden Verständnisses für die Grundbedingungen einer großen und ernst en politischen Partei. Um so beschämender ist es, daß es deutsche Arbeiter