Sozialpolitische Rundschau. pevtschlaud. * An der Spree vollzieht sich wieder einmal ein Götlerschau- spiel, welches für die Dinge im Reich außerordentlich charakter- istisch ist. In der Bundesrathssitzung vom 3. ds. fand bei Feststellung des Gesetzentwurfs betr. die Erhebung von Reichs- stempelabgaben, über die Frage, ob Quittungen über Postan- Weisungen und Postvorschußsendungcn der Stempelabgabe zu unterwerfen seien, eine Abstimmung statt, wobei die Reichsregierung, bezw. Bismarck   den Kürzeren zog. Allerdings behaupten die Offiziösen, die Majorität von 30 Stimmen habe eine Bevölkerung von 7'/, Mill., die Minorität von 28 Stimmen dagegen eine solche von über 30 Millionen repräsentirt und sechszehn Stim- men kleinerer Staaten hätten sich im Wege der Substitution in den Händen von zwei Mitgliedern des Bundesraths befunden. So bezeichnend solche Dinge nun auch für die deutschen Ver- fastungsverhältnisse sind, so sind sie doch einmal gesetzlich, ja vom Gesetzgeber Bismarck selbst ermöglicht; und überdies wird sich das Mißverhältniß auch oft genug gegen die Kleinstaaten gelten machen. Weil aber dergroße Kanzler" Unrecht bekommen, spielt er sofort dm Trotzkopf und reicht seine Entlassung ein, mit der Motivirung: daß er den gegm Preußen, Bayern   und Sachsen   gefaßten Majoritätsbeschluß nicht vertreten könne. Münd- (ich aber sagte er's deutlicher:Ich habe keine Lust, mich von den Kleinstaaten majorisiren zu lassen; dazu habe ich das Reich nicht geschaffen!" Vortrefflich: ER hat dasReich" geschaffen, damit darin alles so gehe, wie ER es will! Das Wort ist unbezahlbar und wir werden noch davon sprechen. Selbst- verständlich ist die Sache nicht zu ernst zu nehmen, denn in dem allgemeinen Reichsdurcheinander kann Bismarck   nie entbehrt wer- dm und er wird deßhalb bleibm, während der ärgerliche Bun- deSrathsbeschluß suspendirt wird. Das heißt sich dann in Deutsch  - land konstitutionelles Regiment! Nur so fort wir könnten's nicht besser wünschen! Der Reichstag   hat sich wieder versammelt und wird in dieser Woche die zweite Lesung der Militärvorlage durchpeit- sche». An der Annahme der letzteren ist natürlich nicht zu zwei- feln wofür wäre denn die Jasagergesellschaft da! Die ursprünglich auf den 7. ds. anberaumte Reichs- tagswahl im 2. Berliner   Wahlkreis wurde auf den 15. ds. verschobm. Bei der jüngsten Nachwahl in Osnabrück   erhielt der sozialdemokratische Kandidat Freitag bei 1000 Stimmen, ein für diesen Wahlkreis sehr ansehnliches Resultat. Das Lügen aus die Sozialdemokratie ist der gegnerischen Presse schon zur zweiten Natur geworden und wird namentlich jetzt eifriger denn je betrieben, weil die tapferen Ver- leumder durch das Sozialistmgesetz davor geschützt sind, von einer deutschen sozialdemokratischen Presse auf der That gefaßt und empfindlich gezüchtigt zu werden. Ganz besonders weiß eine Anzahl deutscher Blätter immer und immer wieder von einer Theilung",Zersetzung" undAuflösung" der deutschen Sozial- demokratie zu berichten, unbekümmert darum, wie sehr die That- fachen der deutschen Regierung und Bourgoiste zu ihrem Leid- Wesen das Gegentheil beweisen. So ging neulich folgende Nach- richt durch die Blätter(auch dieNeue Zürcher Zeitung  " ver» schlang den settm Bissen natürlich begierig): Innerhalb der Sozialdemokratie mehren sich die Anzeichen, welche auf eine stetig wachsende Zersetzung dieser einst so stramm gegliederten und gut disziplinirten Partei hinweisen. So theilt Jemand, der neuerdings in geschäftlichen Angelegenheiten in Braunschwcig weilte, derDresdner Zeitung" mit, daß an die angebliche Krankheit des Herrn Bracke, der ausGesund- heitsrückstchten" sein Reichstagsmandat niederlegte, in Braun- schweig kein Mensch glaubt. Bekanntlich ist BrackeBourgeois" durch und durch, er ist Inhaber einer großen Getreidehandlung, Buchdruckereibesitzer, Verlagsbuchhändler u. s. w. u. s. w., und soll auch seine Mandatsniederlegung in einer Beziehung auf ge- fchäftlicheRücksichten" zurückzuführen sein. Als Getteidehändler unterhält nämlich Herr Bracke mit einer Anzahl adeliger Groß- gruudbesitzer in Braunschweig   und Hannover   direkte Verbindungen, und dieser Umstand sei dafür mitbestimmend gewesen, daß er auf ein weiteres Hervortreten innerhalb seiner Partei und vor allem im Reichstage Verzicht geleistet habe. Diese Nachricht wird auch weiter dadurch bestätigt, daß Herr Bracke seine Buchdruckerci und sein Blatt zu verkaufen beabsichtigt, somit also sich nur auf seine eigentliche(kaufmännische) Thätigkeit beschränken will. In zweiter und hauptsächlicher Linie soll ihm aber noch mehr der gewalt- thätige Sozialismus, wie ihn das offizielle ParteiorganSozial- demokrat" in Zürich   und die Most'scheFreiheit" in London  augenblicklich predigen, zu seinem Rücktritt bewogen haben. Bracke war von jeher der Feind von solchen Extravaganzen und ist in persönlicher Beziehung sogar(!) ein durch und durch achtens- wercher Mann. Daß die Herren Bebel und Liebknecht von diesem Verlust wenig erbaut sind, braucht nicht speziell erwähnt zu werden." Daß dieses ganze Histörchen nichts als Eine plumpe Lüge sei, welche einerseits den Gegnern einen kleinen Trost für ihre Erfolg- lostgkeit im Kampf mit der Sozialdemokratie geben sollte und anderseits ein(natürlich vergeblicher) Versuch, ob sich nicht Miß- trauen und Zwietracht in unsere Reihen säen ließe, darüber konnte kein Sozialist, noch sonst ein mit den Verhältnissen ver- trauter und vorurtheilslos urtheilender Mensch im Zweifel sein. Gen. Bracke hat aber ein Uebriges gethan, indem er einem, die obige Lüge reproduzirenden Blatt, unterm 27. v. M. aus Braunschweig   folgende Berichtigung sandte: Ich erkläre: 1) Mein Gesundheitszustand ist leider ein so trauriger, daß noch vor Weihnachten mein Arzt, der Dr. med. Otto Müller  , wie er mir nach der seit einigen Monaten ein- getretenen geringen Besserung sagte, die ernstesten Bedenke» hegte. Auch jetzt leide ich noch an periodisch austretenden äußerst heftigen Katarrhen, welche allein genügen, mich zumStillsitzen" zu zwingen; an einem rheumatischen Zustande, der mir oftmals nicht erlaubt, ohne Hülfe wenige Schritte im Zimmer zu gehen; an einem Nervenleiden, welches jede größere Anstrengung und Aufregung als gefährlich, wenn nicht tödtllch erscheinen läßt. Wenn an diese Krankheit aber in Braunschweig   kein Mensch glaubt, so muß sich die Mehrzahl der Einwohner über Nacht in Thiers oder Engel verwandelt haben. 2) GeschäftlicheRücksichten", wie überhaupt materielle Interessen haben mich nie in meinem Leben davon abgehalten, für meine Ueberzeugung meine Pflicht zu ihun. Die Behauptung des Gegentheils bei Gelegenheit der mir jetzt auferlegten Zurückhaltung ist eine höchst leichtfertige und grobe Beleidigung. Aufeine Anzahl adeliger Großgrundbesitzer" habe ich bisher nieRücksicht" genommen und glücklicherweise auch keine zu nehmen; diejenigen Herren, welche bisher mit mir verkehrt, fanden offenbar Geschmack an meinen geschäftlichen Grundsätzen und fragten nicht nach meinem politischen Stand- punkte, und diejenigen, welche sich erdreisten möchten, hiernach zu fragen, thun am besten, mir fern zu bleibe». 3) Ich bedaure aller- dings jedes gewaltthätige Vorgehen, aber die Geschichte zeigt, daß noch jedesmal die Gewaltthat von oben die Gewaltthat von unten erzeugte. Ich befinde mich deshalb auch mit meinen Freun- den Bebel und Liebknecht, wie mit demSozialdemokrat" in Zürich   in vollem Einverständniß. Von einemVerluste" in Ihrem Sinne kann deshalb keine Rede sein, wenn ich auch allerdings vorläufig zu den Ganzinvaliden gehöre. W. Bracke." Natürlich wird sich das Gesindel durch diese neue Züchtigung nicht abhalten lassen, es in der gewohnten Weise weiterzutreiben; wenn man einmal entehrt ist, kommt es einem auf eine Ohrfeige mehr oder weniger nicht mehr an. Polizei und Ordnungspartei haben eine interessante Eroberung gemacht. Die seit längerem in der Bewegung befindlichen und mit ihrer Geschichte vertrauten Genossen erinnern sich des Namens Küster. Die Persönlichkeit, welche diesen Namen trägt, war von Hause aus Hutmachergcselle, trat später dem Allgemeinen deutschen Arbeiterverein   bei und war um 1874 verantwortlicher Redakteur desNeuen Sozialdemokrat". Seine Unzuverlässigkeit zeigte sich schon in einem Prozeß in Raum- bürg, in welchem er so feig war, sich seiner freiwillig übernom- menen Verantwortlichkeit entschlagen zu wollen und Hasselmann als den wahren Redakteur zu denunziren. Indessen nützte ihm dies gemeine Manöver nichts, indem er trotzdem verurtheilt wurde. Zu Pfingsten 1876 reichte er aus dem Gefängniß ein Urlaubs- gesuch ein, das ihm bewilligt wurde. Er entfloh darauf in die Schweiz  , verbrachte sein mitgebrachtes Geld und richtete, nachdem dasselbe zu Ende war, ein in den demüthigsten Ausdrücken ab- gefaßtes Gnadengesuch an den König von Preußen, das indessen abschlägig beschieden wurde. Er schrieb nun von der Schweiz   aus mehrere Schmähartikel gegen unsere Partei an den Berliner   Gewerkverein" und ging dann nach Deutschland   zurück, um seine Strafe in Plötzensee abzusitzen. Als der christlich-soziale Rummel in Berlin   begann, schrieb Küster mit Genehmigung der Gefängnißdirektion von Plötzensee aus einen sehr albernen Offenen Brief  " an Most und ließ sich auch nach Ablauf seiner Haft bei denChristlich- Sozialen" als Agitator anwerben. Bald aber kam er mit seinem würdigen Kollegen Grüneberg in Streit(ob wegen der Kandidatur im vierten Wahlkreis oder wegen der Grammatik, ist ungewiß) und suchte nun durch einen ihm verwandten Sozialdemokraten sich wieder unserer Partei zu nähern, die sich aber für diese Ehre bedankte und ihn ferne bleiben hieß. Unter dem Regime des Sozialistengesetzes hat nun der biedere Küster, nachdem er es fast mit allen Parteien versucht und überall mit Stank wieder abgegangen, den letzten, noch möglichen Schritt gethan, indem er sich in die Dienste der Polizei begeben hat. Und diese hat den sauberen Patron, der allen anderen zu schlecht war, mit Freuden ausge- nommen; denn je größer der Schuft, desto tauglicher für ihre Zwecke. Die letzte bekannt gewordene Heldenihat Küsters ist eine Serie von Schmähartikeln, welche vor kurzem in dem hochkonser- vativen BerlinerReichsboten" erschien und unter Benützung ihm durch die Polizei zur Verfügung gestellter Daten über Partei- ereignisse der neueren Zeit und unter schamlosen Verdrehungen und Fälschungen aller Art im Auftrag seiner neuen Brodgeber für die Verlängerung des Sozialistengesetzes eintritt. Wir haben keine Ursache, uns auf den theils infamen, theils lächerlichen Inhalt dieser Artikel einzulassen, sondern begnügen uns damit, ihren Verfasser der geeigneten Berücksichtigung unserer Genossen, namentlich derer in Bertin, zu empfehlen. Zurloyalen" Ausführung des Sozialisten- gesetzes. In München   wurde eine von dem bekannten Sta- tistiker und Kulturhistoriker Kolb präsidirte demokratische Ver- sammlung, in welcher Abg. Sonnemann sprechen sollte, auf Grund des Sozialistengesetzes aufgelöst. So haben den alle Be- strebungen derFrankfurter   Ztg." sich bei den Machthaber» durch Verleugnung der Sozialdemokratie anzuschmcicheln, nichts gefruchtet! -a». Berlin  , 7. April. Am Vorabend des Sozialistenpro- zesses Heiland und Genossen erscheint es angemessen, die schür- tische Art zu charakterisiren, aus welche dieser Prozeß eingeleitet worden. In der natürlich nicht veröffentlichten Anklageschrist findet sich folgende Stelle:Nachdem der Silberdrücker Fr. Mark, Buctowerstraße 5. II. bei O. Heinrich(derselbe, welchen wir schon vor einiger Zeit als Polizeispitzel bezeichneten D.M.) am 2. Januar er. durch eine mit der Chiffre Seh. verzeich­nete Postkarte aus Eßlingen   davon in Äenntniß gesetzt war, daß in den nächsten Tagen eine Kiste an ihn ankommen würde, die er Demjenigen herausgeben sollte, der sich danach bei ihm melden würde, ging wirklich am 7. Januar mittels Frachtscheins dd. Besigheim   den IH.yXII, 79 eine Kiste angeblich Wollwaaren enthaltend Hierselbst ein. Der Frachtbrief war ursprünglich an den Schneider Treptow, Kleine Alexander- straße, gerichtet gewesen. Dessen Adresse war jedoch ausge- stridien und die des Hrn. Marck darüber gesetzt. Dem Mark schien die Sache verdächtig, er madste der Polizei von dem Ein- tresfen der Kiste Anzeige, woraus dieselbe geöffnet wurde. Es wurden darin 750 Exenrplare der Nr. 10 des Sozialdemokrat, 12 Exemplare des ebenfalls verbotenen Schmühgedichtesein Wintermärchen" und ein Brief des Herausgebers desSozialdemokrat", Herker in Zürich  , vorgesunden. Nachdem mehrere Personen den vergeblichen Versuch ge- macht hatten, die Kiste von Mark in Empfang zu nehmen, erschien bei ihm zu gleichem Zwecke der Tischler Hugo Blum. Aus Mark's Frage, was Blum abholen wolle, erwiederte Blum:Sie wissen ja schon" und sagte, als Mark daraus bestand, er solle den Gegenstand näher bezeichnen, mit halblauter Stimmeeine Kiste". Zu seiner Legitimation holte er schließlich aus dem Futter seines Hutes einen mit mehreren Namen be- schriebenen Zettel vor, den er dem Mark vorzeigte. Dieser erklärte jedoch die Art der Legitimation für ungenügend, woraus sich Blum entserntc. Auf dem Hausflur wurde er verhaftet Im Gefängniß gelang es dem Schutzmann Ewig, ihm den Zettel, den jener inzwischen aus dem Hute genommen und in seinem Rockfutler verborgen hatte, abzunehmen. Der Zettel enthält die Anweisung, daß Seewald 35 Stück, Pitschelmann 60 Stück, Beeck 100 Stück, Hiller 72 Stück, außerdem ein gewisser tennig 35 Stück und ein gewisser Künzel 150 Stück erhalten sollten." tark stand als o erwiesener Maßen im Dienst der Polizei und verriech derselben nicht nur, sondern diente auch als Lockvogel zur Einsangung ihm Vertrauender. Ueberdies wurden noch von der Polizei Fälschungen gemeinster Sorte begangen. Unter anderm fabrizirte die Polizei auch einen, angeblich von dem Verlag desSozialdem." ans- gehenden Brief, durch den ein Genosse zur Abholung der Kiste bei Mark bewogen werden sollte; derselbe schöpfte aber Verdacht und kam nicht. Wer hat nun die Fälschungen begangen? Manche Anzeichen deuten darauf hin, daß der schon von Bebel im Reichstag gekennzeichnete Polizei- kommissär Graf Stillfried seine Hand im Spiele hatte, der sich erwiesener Maßen zwischen dem 15. Dez. und dem 6. Jan. in Süddeutschland   be- fand und wahrscheinlich dort die ganze Geschichte angezettelt hat. Man sieht, wie viel Stützpunkte der im Reichstag   so viel belachte Ver- dacht Bebels, daß sich ans dem Polizeipräsidium eine Kiste mitSozialdem." befinde, die an beliebige dem Verderben geweihte Personen addressirt werden, findet. Ganz würdig dieses wahrhaft bonapartistischen Polizei,- treibens ist die Behandlung des in der famosen Werner-(Geheimdr»ckcrei-) Affäre mitverhafteten Buchbinders Anders. Die Polizei hat sid> näm lich auf dem Molkenmarkt   nicht entblödet, denselben einen politischen Angeklagten! durch Schläge zu mißhandeln. Wie lange müssen wir diese unerträgliche Gemeinheit noch erdulden? Und wann wird end- lich die Abrechnung kommen? 8. Elberfeld  , 30. März. Es schweben dahier gegenwärtig Unter- suchungen gegen 5 Personen, welchen, wie s. Z. berichtet, nach demSo zialdemokrat" behaussucht wurden, nachdem sie von der Post aus bestoh- len worden. Sämmtliche mit der Post und Bahn ankommenden Sachen werden aufgerissen und durchschnüffelt. [] Chemnitz  , 3. April. Die sächsischen Staatsretter sind in komischer Aufregung darüber, daß den pflichtvergessenen Abgeordneten der zweiten Kammer derSozialdemokrat" eines schönen Morgens im Landtage servirt wurde, ohne daß sie zu ergründen vermochten, woher diese Morgengabc gekommen. Da Chemnitz   der Aufgabeort der Sendung war, erhielt Si ebb rat einen Stoß und stürzte sich mit gewohnter Plumpheit ins Geschäft. Er kalkulirte zunächst richtig: die Sendung muß von auswärts nach Chemnitz   gekommen sein. Dann kalkulirte er falsch: sie muß an einen bekannten Sozialdemokraten gekommen fein. So viel Vertrauen zu Stephans schwarzen Kabinetten bei uns zu vermuthen! Siebdrat zog also die Post zu Hilse. Welcher Sozialdemokrat erhält Pakete?Wiemer" war die gehorsame Antwort. Wiemer ist Ge- schäftsmann und muß daher Sendungen erhalten. Dem Siebdrat genügt aber die Auskunst zu dem Schluß: Wiemer ist der Absender! Haus- snchungcn, Beschlagnahme aller Gcschäftssendnngen und Briefe, kurz echt Siebdrat'sche Wirthschaft beginnt. Man zieht sogar Geschäfts- freunde Wiemers in die Untersuchung und läßt sie Adressen an den Landtag schreiben; man untersucht die Kuverts, die sie benutzen, kurz, man stellt, um nur etwas Lärm zu machen, die ungeschickteste und aus- sichtsloseste Untersuchung an, die es je gegeben hat. Nun, diese Mühe konnte man sich getrost ersparen; wir wollen den Herren Staatsrettern verrathen, daß die Kuverts aus Frankreich   bezogen und die Adressen in Italien   geschrieben find, und die Absender sind ehemalige Liberale, welche erst durch die Rechtsverletzungen bei der hiesigen Landtagswahl und durch die schamlose Haltung der Kammermajorität zur Sozialdemokratie ge- trieben wurden! Herr Siebdrat kennt sie nicht als solche, und sie werden sich hüten, ihm ihre Bekehrung zu melden. Er mag also suchen, wenn es ihm Spaß macht, aber nicht unschuldige Leute(auch der Schnei- der Fischer wurde gestern durch eine fünf Mann starke Haussuchung vier Stunden lang von seiner Berussarbeit abgehalten) so unverschämt be­helligen. Nur kurz theile ich Ihnen noch mit, daß einer der Jahcrren in unserem Landtage gegenwärtig sein Mandat niederlegen muß, weil er vor Gericht als gemeiner Schwindler entlarvt wurde. Es ist dies der Bankdirektor, Ritter ic. Mehnert, dessen Schwindeleien schon vorigen Sommer dieDresdner Presse" mit aktenkundigen Belegen öffentlich ausdeckte. Mehnert und sein Mitschuldiger und Verwandter Ackermann, der Führer der sächsischen Konservativen und Vizepräsident des Reichstages, wütheten damals gegen das genannte, von einem Partei- genossen redigirte Blatt, und dasselbe wurde unter einem nichtigen Vor- wände verboten. Die Vertuschung der Mehnert'schcn Schwindeleien gelang aber doch nicht, denn ein Theil der Enthüllungen war in ein liberales Blatt übergegangen; Mehnert mußte dieses verklagen, die Zeugen standen zur Verfügung, und bei der dieser Tage stattgefundenen VerHand lung wurde der Kläger Mehnert der unsaubersten Wucher- und Be- trüger-Manipulationen überführt, weshalb zunächst der angeklagte Redakteur freigesprochen wurde. Das Weitere findet sich, und Mehnert ist schon jetzt unmöglich. So fällt Einer nach dem Andern von diesen Tugend- und Eigenthnmshelden! dt Müncken, 1. April. Unser durstiges Jsaratheu befand sich vergangene Woche in einer furchtbaren Ausregung, deren Wogen sicki heute noch nicht verlausen haben. Bei der Polizei war eine Anzeige ein- gelauscn, der zufolge die vielgesuchtcn Hauptverbreiter desSozialdemo- trat" sich unter den hiesigenHaderlumperinnen"(Lumpensammlerinnen) befinden sollten. Und wie es so Sitte der hiesigen hochweisen Hermandad ist: ohne viel Ueberlegen wurde ins Zeug gefahren; die ganze Polizei- macht ward versammelt und das Polizeigebäude in der Weinstraße spie nach allen Richtungen der Windrose über die arglose Stadt unisormirte und nichtnniformirte Ordnungswächter, die mit einem wahren Feuereiser in den Häusern, auf den Höfen und in den Straßen alle Haderlumperinnen, alt und jung(der letzteren gibts freilich nicht viel), deren sie habhaft werden konnten, zusammenpackten und trotz manchen Widerstandes ans das Polizeipräsidium brachten. Dort wurden die Lumpensammlerinnen sammt ihren Lumpensäcken auss peinlichste nach demSozialdemokrat" und anderen gesährlichen Dingen durchsucht, jedoch mit vollständigem Mißerfolg. Man kann sich vorstellen, daß die wegen ihrer Mund- fertigkeit bekannten Frauen von der Straße über diese sonderbare lieber- raschung nicht sonderlich erbaut waren und auch nichts weniger als da« Lob der weisen Polizei sangen. Im Gegentheil kam es während der Razzia und nach derselben aus der Straße zu lebhasten Auseinander­setzungen und schon am Abend und nächsten Tags waren ganze Viertel Uber   den Gewaltstreich der Polizei allarmirt, Der Staat in Gefahr durch die Lumpensammlerinnen ein köstliches Bild, dessen Komik uns nur nützlich sein kann, denn die Lächerlichkeit tödtet! Auch danken wir bestens dafür, daß solchergestalt immer weitere Volkskreise in Gegnerschaft zur Regierung gebracht und mit den ihnen ehedem unbekannten sozialistische» Dingen vertraut gemacht werden! Uebrigens soll der Hauptgrund der vorgenannten Maßregel, sowie der seit dem 18. März nicht mehr endenden Haussuchungen dasAbhandenkommen" eines s. Z. in Lindau   beschlag- nahmten Ballens verbotener Schriften sein, von denen man vermuthet, daß sie hierhergebracht worden sind.(Das Nähere hierüber siehe im Art. Polizeipech". D. R.  ) D Fürth, 1. April. Nachdem bereits von allen größeren Orten, wo unsere Partei Anhänger hat, Uber die jetzigen Verhältnisse im Partei- organ berichtet wurde, dürste es auch an der Zeit sein, daß wir einmal etwas von uns hören lassen; es könnte sonst unter den Genossen ander- wärts leicht die Meinung auftauchen, die Fürther   hätten sick) wirklich durch das Ausnahmegesetz einschüchtern lassen, was keineswegs der Fall ist. War es doch ein wahrer Jubel, als s. Z. die Genossen Kenntniß von der in London   erscheinendenFreiheit" erhielten, und ein längst ge- fühlte« Bedürsniß endlich befriedigt wurde. Allerdings schlug dieser Jubel bald in das Gegentheil um, als dieFr." anfing, unsere ver dientesten Genossen zu bekämpfen, Zwietracht unter die Genossen zu säe» und so unsere Sache zu schädigen. Da erschien gerade zur rechten Zeit derSozialdemokrat", der die Schergen mit derselben Energie bekämpfte, als das Most'sche Blatt und von uns sofort als die richtige Zentralstelle anerkannt wurde. Was nun die allgemeine Lage bei uns anbelangt, so ist dieselbe eine nichts weniger als rosige. Die anhaltende Geschäfts- losigkcit, die sich trotz der osfiziösen Versicherungen von dem Aufschwung der Industrie nicht zum Bessern wenden will; die fortwährend wachsenden Steuerlasten, die nachgerade unerschwinglich werden: kurz, unsere ganzen Verhältnisse wirken zusammen, um eine Mißstimmung zu erzeugen, die nicht allein die Arbeiterklasse erfüllt, sondern ganz besonder« in klein- bürgerlichen Kreisen ihre Nahrung findet, lind diese Mißstimmung wird um so inlinsiver werden, je mehr man sich bemüht, dieselben mit rohen Gewaltmittejn zu unterdrücken. Daß unter solchen Umständen der beste Boden für unsere Partei vorhanden ist, bedars wohl keiner speziellen Ausführung. Wir können getrost sagen:Wir haben unter der Herrschaft des Oktobcrgesetzes in Arbeiterkreisen uichts verloren, in bürgerlichen Kreisen entschieden gewonnen." Der Attentatswahn ist schnell und gründ lich verflogen, überall kann man wieder offen als Sozialdemokrat zaus-