werde." Mit der Berufung auf Hasselmann dürfte der verehrte Genoffe nach jenes ganzer bisheriger Auffassung ebensowenig Glück haben; sicher ist es aber lächerlich, wenn er glaubt, dessen dreimonatliche, un­schuldig verbüßte Untersuchungshaft als Motiv für eine kurzfichtige Politik der Rache einem Genossen gegenüber anführen zu dürfen, den das heutige System bis jetzt drei und ein halbes Jahr, und zwar nach seiner Meinung auch unschuldig, hinter Schloß und Riegel gehalten hat. Ich begreife den Haß und die Erbitterung, welche unsere Genossen über unsere Zustände und die uns widerfahrende Behandlung erfüllt; ich theile diese Gefühle vollständig und sehe lieber heute als morgen, daß diesen Zuständen der Infamie, einerlei wie, ein Ende gemacht werde. Aber es ist ein vollständiges Verkennen aller geschichtlichen Entwickelung und der Vorbedingungen dazu, wenn der süddeutsche Genoffe glaubt, daß eine feindliche Invasion oder gar die Abreißung deutscher   Gebiets­theile für die Entwickelung und den endlichen Sieg der deutschen   Sozial­demokratie gleichgültig, wenn nicht gar förderlich sei. Die erste Lebens­bedingung für jedes Volk ist seine nationale Unabhängigkeit, und daher find nationale Befreiungskriege und daraus folgende nationale Unabhängig­feit die erste Borbedingung für jede höhere und eigenartige Kulturent­wickelung eines Volkes. Ein Krieg, der Deutschland   zwänge, für ſeine nationale Unabhängigkeit einzutreten, würde eine so gewaltige Aufraffung der Kräfte herbeiführen, daß gegenüber diesem einen Zweck alles andere als reine Nebensache erschiene, und jede Partei unmöglich wäre, die sich diesem widersetzte oder gleichgültig verhielte. Das ist nicht bloß meine Auffassung, das ist auch die Auffassung eines sehr hervorragenden, bekannten deutschen   Parteigenossen im Ausland, der mir kürzlich schrieb: " Ein europäischer Krieg, in dem Deutschland   für seine Unabhängigkeit tämpfen müßte, wäre das größte Unglück, das die deutsche Sozial­bemokratie treffen könnte; er würde die Bewegung um 20 Jahre zu­

rückwerfen."

Glaubt nun der Genosse aus

Ich meine, über das, was die deutsche Sozialdemokratie im Falle eines Angriffskrieges zu thun habe, könnten wir uns bei unseren fran­zösischen Genossen sehr leicht Naths erholen. Wenn Sozialisten je Ur­sache hatten, mit einem Regime unzufrieden zu sein, so waren es die französischen   Sozialisten unter dem dritten Kaiserreich. Unsere franzö­fischen Genossen waren 1870 so gut wie wir gegen den Krieg, als aber der Feind in Folge des Kriegs ihr Land überschwemmte und diesem der Ver­luft von Provinzen drohte, da hat sich auch nicht Eine sozialistische Stimme in ganz Frankreich   erhoben, die mit Hinweis auf die herrschenden Zu­stände von dem Kampje bis zum äußersten abgerathen hätte. Alle haben gefämpft, bis der Kampf zu Ende war. Süddeutschland  , daß die französischen   Genossen sich weigerten, die Waffen einerlei, mer in dem Moment in Frankreich   am Ruder wenn es sich um die Rückeroberung von Elsaß- Lothringen   han­belte? Sicher nicht. Und da glaubt er, die deutsche   Sozialdemokratie fönne und müsse Gewehr beim Fuß ruhig zusehen, wenn z. B., was immer für eine Regierung in Frankreich  , nach dem linken Rheinufer der Rheinpfalz, Köln  , Koblenz  , Mainz   2c. deutschen   Ostprovinzen griffe? Besteht denn die internationale Gesinnung der deutschen   Sozialdemokratie darin, daß sie jeder fremden ausländischen Macht das Recht zuspricht, Deutschland   zu mißhandeln und nach Belieben zu zerstückeln? Ich glaube, dafür dürfte sich auch der süddeutsche Genosse

zu ergreifen

ſtehe

bebanten.

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oder Rußland   nach den

den Gebrauch, den die französische   Sozialdemokratie mit den Waffen in Und glaubt man mir begegnen zu können, mit dem Hinweis auf der Hand auch gegen ihre inneren Feinde gemacht habe, so antworte ich: Was die deutsche Sozialdemokratie damit thun will oder thut, habe ich

das jetzt in Deutschland   seine höchsten Triumphe feiert, daß es, um sich selbst zu schützen, feine eignen inneren Feinde und die, die es naturgemäß noch werden müssen, in den Waffen üben muß! Die Zukunft wird darüber entscheiden!

einem Kampf für die Integrität des deutschen   Bodens gewissermaßen Es mag der Sozialdemokratie sehr hart antommen, eventuell in das heimische famose Regierungssystem und ihre Todtfeinde mitverthei­digen zu müssen; aber diese wird sie nicht durch fremde Leben verlängern, das hat 1813-15 bewiesen, sondern allein durch eigne Hülfe, durch die Uebertreibungen des Systems, das herrscht und schließlich die Massen gegen sich empört. Wir geben uns, indem

Eroberer lo8

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diese könnten der einheimischen Tyrannei nur das

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wir unser Land und uns selbst- Institutionen, die vorübergehende sind nicht unsere Feinde und deren gegebenen Falles vor Berstückelung und Unterjochung schützen, nicht zum Bollwert her, um unseren wackeren Polizisten und Richtern Schutz vor dem Feinde zu bieten", wie der verehrliche Genosse aus Süddeutschland   höhnt, sondern um selbst freie Hand zu haben, uns mit unsern Feinden zu Hause in's Reine sehen zu können. Es könnte eine Zeit tom­men, wo ein russischer Kaiser mit seiner Armee in Berlin   den Feinden der Sozialdemokratie sehr genehm, ihr selbst aber sehr unbequem wäre.

In meiner Rede vom 2. März ist nicht Ein Wort, das unserm Standpunkt etwas vergäbe, denn wir vertheidigen in einem Verthei­digungskrieg nicht unsere Feinde und deren Institutionen, sondern uns selbst und das Land, dessen Institutionen wir in un­serm Sinne umgestalten wollen, das allein den Boden für unsere Thätigkeit bildet. Nur eine durch allerdings be­

greifliche

verständliche Auffassung zu einer Art von Verbrechen stempeln.

Berbitterung getrübte Einsicht kann diese einfache und selbst­

Leipzig, 10. April 1880.

abgesehen

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Zur Frage der Taftif.

heute

A. Bebel.

Nr. 9 unferes Parteiorgans veröffentlichten Aufruf An die deutschen  

Parteigenossen" ihren Ausdruck gefunden hat. Es thut uns leid, daß uns die Beschränktheit unseres Raumes daran hindert, die unbedingt bei­stimmenden Urtheile zur Kenntniß der deutschen   Genossen zu bringen, welche die sozialistische Presse der ganzen Welt, sowie auch nahestehender wirklich freisinniger und radikaler Organe über die in jenem Aufruf zum Ausdruck gekommenen Ansichten und Entschlüsse gefällt hat. Selbst der Révolté", das Organ der Anarchisten, spricht nach einer längeren, aller­dings mit verschiedenen Irrthümern behafteten Besprechung der deutschen  Bewegung und nachdem er die kennzeichnendsten Säße des Aufrufes mit­getheilt, seine Befriedigung und seine Sympathie mit letzterem aus.

Indessen geht sowol das genannte Organ als manche andere soziali­stische Stimme außerhalb Deutschland   hiebei von einer falschen Anschauung aus, nämlich von der: daß seit einiger Zeit und namentlich mit jenem Aufruf eine komplete Aenderung der Taktik der deutschen   Sozialdemokratie, ein plötzliches Ueber­lenken von dem gesetzlichen" ins revolutionäre Fahr­wasser eingetreten sei. Dies ist nun aber keineswegs der Fall. Die deutsche Sozialdemokratie ist seit ihrer Entstehung eine revolutionäre Partei, weil ihr Prinzip ein revolutionäres ist. Was aber die Mittel zu Durchführung desselben oder mit andern Worten die Taktik be= trifft, so sind diese nicht etwas ein für allemal Gegebenes, sondern haben sich nach den jeweiligen Verhältnissen zu richten. So lange uns das Gesetz wenigstens die formelle Möglichkeit bot, unsere gerechten For­derungen auf dem friedlichen gesetzlichen" Weg zur Anerkennung und

Durchführung zu bringen, so lange wäre es ein Unsinn gewesen, uns selbst außerhalb des Gesetzes zu stellen und damit das Odium des bös­willigen Friedensstörers auf uns zu nehmen. Heute ist von unsern Feinden die letzte Möglichkeit der friedlichen Geltendmachung unserer Rechte hinweggenommen und der Weg der gewaltsamen Ausfechtung des zwischen der alten Welt der Klassenherrschaft und der neuen Welt des Sozialismus auszutragenden Streites betreten, bezw. die konsequente Fortsetzung des im Oktober 1875 provisorisch" begonnenen Kampfes beschlossen worden. Dadurch ist unsere Stellung eine wesentlich verän­derte geworden.

von verschwindenden

Die Entwicklung der deutschen   Bewegung zu dem gegenwärtigen Sta­dium war längst vorauszusehen und hat sich auch keineswegs plötzlich vollzogen; aber sie durfte nicht überſtürzt werden, sondern mußte sich naturgemäß, in Anlehnung an die begleitenden Umstände vollziehen. So wenig als erfolgreiche Revolutionen gemacht" werden können, ebenso­wenig kann die unwiderrufliche Aenderung der Taktik einer großen Partei mit Aussicht auf Erfolg von einigen Führern" dekretirt werden; sie muß vielmehr das Ergebniß der Entwicklung der ganzen Partei und der allgemeinen Lage sein.

Unsere Partei ist jetzt in ein solches Entwicklungsstadium getreten und deshalb war der gethane bedeutsame Schritt eine Nothwendigkeit; die Partei wird in ihrer Entwicklung nicht innehalten und es wird nicht allzulange anstehen, bis wir von weiteren Fortschritten melden können. Diese Entwidlung der Dinge mag wol manchem Ungeduldigen zu lang­sam dünken; aber sie allein behütet uns vor einer frankhaften, den Keim der Fäulniß in sich tragenden Frühreife und verbürgt uns eine gesunde, dauerhafte Frucht!

Wir müssen uns für heute auf diese allgemeine Ausführung beschränken, indem wir ein Urtheil über die Taktik unserer Partei anführen, welches von einem Organ gefällt wird, welches sich wiederholt und noch vor furzem sehr abfällig über unsere Taktik geäußert und Vergleiche zwischen der deutschen   Sozialdemokratie und andern Revolutionsparteien gezogen hat, welche für erstere nachtheilig ausfielen. Dieses gewiß unparteiische Organ, die New- Yorker Volkszeitg.", läßt sich jetzt folgendermaßen ver­nehmen:

Die Ereignisse schreiten rasch in unserer viel bewegten Zeit, welche so recht die Zeit der Tagesblätter ist. Kaum hat man in irgend einer Tagesfrage von sozialer Bedeutung einen Standpunkt eingenommen, als sich die Verhältnisse ändern, die Voraussetzungen, die man seiner Argumentation zu Grunde gelegt, umgestürzt werden und der ganze zu besprechende Gegenstand sich in ganz anderer Form präsentirt, als er noch vor wenigen Tagen erschien.

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Aehnlich ist es uns mit der Besprechung der zwischen der Sozial­demokratie und dem Nihilismus bestehenden Differenzen ergangen. Wir haben gesehen, daß dieselben aus taktischen Fragen entsprungen sind, zu denen dann erst später prinzipielle Meinungsverschiedenheiten bei­getreten sind. Die Bahmheit" der Sozialdemokraten, der Widerspruch zwischen der von ihnen stets gepredigten Gesetzlichkeit" der Mittel und dem revolutionären Charakter, der nothwendigerweise jeder sozialistischen  Bewegung innewohnt, die ängstliche Verleugnung jeder Solidarität mit anderen, weniger gemüthlich" auftretenden sozialistischen   Richtungen, dies find die Hauptpunkte der von den Nihilisten" gegen die Sozial­demokratie erhobenen Anklagen. Und nun haben die Ereignisse selbst eine

Die von der deutschen   Sozialdemokratie unter der Herrschaft des So­zialistengefeges eingehaltene Tattit hat in Kreisen außerdeutscher Sozia listen nicht selten Widerspruch und Bekämpfung erfahren, welche durch einige ungeduldige deutsche Sozialisten noch gesteigert worden sind und eine scheinbare Begründung erhalten haben. Einen Theil der Schuld hieran trägt ohne Zweifel der bedauerliche Mangel eines Parteiorgans während des ersten Jahres des Sozialistengesetzes, wodurch eine Erklä rung der die Marsch- und Kampfart unserer Partei bestimmenden Um­stände unmöglich gemacht und die ausländischen Genoffen ununterrichtet ihren falschen Vorstellungen über die deutsche Sozialdemokratie und die deutschen   Verhältnisse überlassen wurden. Wie sehr dieser Mangel eines Parteiorgans zur zeitweiligen Mißkennung der gegenwärtigen deut schen Bewegung beitrug, zeigt am besten die Thatsache, daß von dem ersten Erscheinen des Sozialdemokrat" an die vielfach irrigen Ansichten über unsere Taktik und ihre theilweise Bekämpfung seitens der auswär­tigen sozialistischen   Presse sich allmälig und unaufhörlich vermindert haben. Jetzt tönnen wir feststellen, daß unsere Partei und vorübergehenden, gar nicht in die Wagschale fallenden Ausnahmen ländischen, flämischen, dänischen, amerikanischen, noch in den französischen, weder in den österreichischen, schweizerischen, nieder­wallonischen, italienischen, polnischen oder sonstwelcher Nationalität ange­hörigen Organen des Sozialismus ähnlichen Vorurtheilen und abspre Herrschaft des Sozialistengesetzes bis zur Neubegründung unseres Partei­chenden Meinungen begegnet, wie in dem Zeitraum vom Beginn der An der Hand des letzteren haben sich die außerdeutschen Genossen über­zeugt, daß die gegenwärtigen deutschen   Verhältnisse so außergewöhnliche find, daß sie nicht so ohne weiteres von außen her beurtheilt werden, und daß auf die so gewonnene Meinung nicht Erwartungen und Forde rungen an unsere Partei bezüglich ihrer politischen Haltung geknüpft werden können; die außerdeutschen Genossen sind dann ferner zu der Einsicht gekommen, daß die deutsche Sozialdemokratie denn doch weder ihren Grundsätzen ungetreu geworden ist und aufgehört hat, eine revo­lutionäre Partei im vollsten Sinn des Wortes zu sein, noch daß sie die politische Einsicht verloren hat und den durch die Entwicklung der Ver­hältnisse erhöhten Anforderungen nicht gewachsen ist. Allerwärts er­tennt jetzt Feind und Freund, wie unsere Partei zwar nicht unfehlbar und über jeden Irrthum erhaben war und ist, wie aber ihre Haltung, oder mit andern Worten: ihre Taktik im großen Ganzen die Sache des Sozialismus in Deutschland   nicht nur gegen die Schläge des von Re­gierung und Bourgeoisie gegen sie begonnenen Kampfes auf Leben und Tod gefeit, sondern sogar ihre Anhänger vermehrt, ihre Kräfte und ihren

organes.

Einfluß vervielfältigt hat.

Ungetheilten Beifall aber hat im Lager des internationalen Sozialismus die neueste Phase unserer Parteientwidlung gefunden, welche in dem in

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wacht die Thatkraft im deutschen   Geiste, erst dann dämmert ihm die Möglichkeit eines gewaltsamen Kampfes auf und wird ihm die bittere Wahrheit klar, daß ein Ideal der Liebe zu seiner Verwirklichung des glühendsten Haffes, der ungebundensten Gewalt bedarf, daß die soziale Entwicklung eines Volkes keine Jdylle ist aus dem Schäferland Arkadien  . Daß die deutschen   Sozialdemokraten sich mit bestem Erfolge diesem Ent­wicklungsprozesse des Volksgeistes angeschlossen, zeigt der gegenwärtige Stand der Bewegung in Deutschland  , ihre stets wachsende Macht und Organisation..."

Sozialpolitische Rundschau.

Schweiz  .

* Eine neue schmähliche Verlegung des Asyl­rechtes! Der russische   Sozialist Peter Krapotkin ist, nach­dem die in unserer Nr. 5 berichtete erste Ausweisung gegen ihn und zwei polnische Genossen auf Protest radikaler Großräthe zurüdgezogen worden, auf Verlangen der russischen Gesandtschaft aus Genf   ausgewiesen worden! Und was das Beschämendste ist: dieses neue Attentat auf die schweizerische Ehre macht weit weniger Aufsehen als die ersten Streiche gegen Netschajew, Gehlsen, Brousse. Natürlich! Du fingst mit Einem heimlich an, bald tommen ihrer mehre dran, Und wenn Dich erst ein Dußend hat, dann hat Dich auch die ganze Stadt." Es ist nur gut, daß sich Hartmann nicht nach der Schweiz   wandte, wo unwürdige Söhne der Republik   frechen Tyrannen keinen Wunsch versagen können; die Schande Netschajew hätte sich zweifelsohne wiederholt. Umhülle Dein Haupt, Helvetia  , und höre auf, von Freiheit und Tyrannen­haß zu singen; die Zeiten der Telle sind vorüber!

Deutschland  .

Die welterschütternde Kanzlerkrise ist bereits wieder in der in Deutschland   jetzt gebräuchlichen Weise beendigt worden, d. h. Bismard hat Recht behalten und die kleinen Souveräne  ", sowie der Kaiser und alles, was sonst noch auf Macht Anspruch macht, haben sich Seinem Willen gefügt. Uebrigens handelte es fich offenbar um mehr als den angeblichen Grund der Krise: die Quittungssteuer, und aller Wahrscheinlichkeit nach ist die russische   Politik mit im Spiel gewesen. Wie es aber auch sei uns kann es nur willkommen sein, wenn Bismarck   auf solche Weise die Idee der Legitimität in deutschen   Volke immer gründ­

licher vernichtet!

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- Es ist überaus bezeichnend für die Rath- und Hilf­losigkeit der ihren nahen Untergang vor Augen sehenden heutigen Gesellschaft, daß sie so viele längst dahingegangene, vermoderte Jbeen und Männer wieder aus ihren Gräbern reißt, um sie als das neue Heil der Völker zu preisen, und der thatkräftigen, lebenstroßenden neuen Welt des Sozialis­mus fürchterliche, unbesiegbare- Leichname entgegenzustellen. Siebenzehn Jahre ist es nun schon her, daß Herr Bastiat- Schulze von Delitzsch  , der gravitätische Theaterkönig im sozialen Reich, unter den Händen Lassalles den Geist( man gestatte den her­kömmlichen Ausdruck, obgleich er nicht so recht passen will!) auf­gab. Längst sind der Dahingegangene, seine Idee", und seine Schöpfungen in Staub zerfallen und sein Andenken nahezu ver­geffen. Aber leider hatte die undankbare Welt vergessen, ihm ein Stammgrab zu kaufen, und so grub man ihn denn nach Umlauf der herkömmlichen Zeit wieder aus und warf seine Ge­beine in das Knochenhaus. Dort fand sie die Aera des Sozia­listengesetzes und der positiven Bekämpfung der Sozialdemokratie",

Antwort auf dieselben gegeben, die weit besser und entscheidender ausgefügte sie nothdürftig zusammen, drapirte einige Feßen darum und fallen ist, als irgend eine noch so überzeugende Argumentation.

Wir meinen die von uns in voriger Woche mitgetheilte Erklärung des Zentralorgans der deutschen   Sozialdemokratie, die eine vollständige Aenderung der Parteitaktik ankündigt und offen die Fahne der sozialen Revolution aufsteckt. Diese Erklärung enthält vor Allem deshalb eine entscheidende Antwort auf alle Anfechtungen der sozialdemokratischen Taktik, weil sie nicht der Laune dieses oder jenes Führers" ent­sprungen ist, sondern als Resultat einer tiefgehenden Um­wandlung im Geiste der gesammten Partei zu betrachten ist. Durch ihre Willkür im Großen in der Gesetzgebung-, wie im Kleinen im Klassentrieg gegen jeden sozialdemokratischen Arbeiter haben die herrschenden Klaffen Deutschlands   die Sozialdemokratie gewalt­fam auf revolutionäre Bahnen getrieben. Daß die leitenden Geister

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der deutschen   Bewegung dieses Resultat richtig vorausge­sehen und geduldig abgewartet haben, ohne vor der Zeit mit papiernen Säbeln zu rasseln, bekundet ihrerseits einen hohen Grad von politischer Klugheit und eine genaue Kenntniß des Volkscharakters, mit dem sie zu thun haben.

Im Verkennen der Bedeutung dieses letzten Faktors liegt Richtungen unserer Bewegung beſtehen. Jeber urtheilt unbewußt vom

Standpunkt seiner Nationalität, unter dem Einfluß der sozialen Ver­hältnisse seines Landes, ohne dabei die Lehre des russischen Sprichwortes zu beherzigen, das besagt: kein Mönch darf seine Disziplin einem frem­den Kloster aufdrängen.

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Die Eigenthümlichkeiten der sozialdemokratischen Parteitaktif, die den Vertretern des russischen Sozialismus so peinlich auffielen, erklären sich insgesammt aus solchen, von den Anklägern außer Acht gelassenen natio­nalen Eigenthümlichkeiten des deutschen   Volkes. Wenn die deutsche So­zialdemokratie in ihren Loyalitätsbezeugungen nach den Attentaten ein bis­chen sehr weit gegangen ist, allerdings viel weiter, als die russische radi­tale Bresse es in ähnlichen Fällen zu thun pflegte(?), so geschah dies keines­wegs nur aus Rücksicht auf die Regierung, in dem Wahne, die Loyalität könne die Partei vor Repressivmaßregeln bewahren, sondern vor Allem aus Rücksicht für das Volk selbst. Der Krieg mit Frankreich  , der darauf hin üppig emporgewucherte Nationalitätsdusel hatten gerade in den letzten Jahren eine der Grundeigenthümlichkeiten des deutschen   Volkscharakters, welche die Bewunderer den schwärmerischen Zug", die Spötter. aber schlechtweg" Michelei" nennen, zur vollen Blüthe gebracht. Mit dieser Eigenthümlichkeit mußte eine Partei, die zur wahren Volkspartei empor­gewachsen war, wohl oder übel rechnen und dadurch erklären sich so­wohl das Verhalten der sozialdemokratischen Organe nach den Attentaten, wie auch einige andere, nicht gerade ansprechende Absonderlichkeiten der damaligen Agitation, wie z. B. das hohle, süßliche Pathos, der nicht selten schablonenhafte Charakter der Reden und Schriften, auf den schon im vorigen Jahre einer der fähigsten deutschen   Agitatoren in dem ,, Jahrbuch der Sozialwissenschaft"( Rückblicke auf die sozialistische Bewegung in Deutschland  ) hingewiesen hat. Alle diese und ähnliche Eigenthümlichkeiten der deutschen   Bewegung mögen für einen fremden Beobachter sympathisch oder antipathisch sein, dies macht nichts zur Sache: sie sind und blei­ben auf thatsächlichen Charakterzügen des Volkes begründet, die einmal nicht wegzuläugnen sind. Jedes Volk erfaßt die revolutionäre Idee des Sozialismus auf seine Art und wehe der Partei, die in ihrer Agitation dem Charakter des Voltes keine Rech­nung trägt! Beim deutschen   Volk fängt die revolutionäre Entwicklung mit einer abstrakten Idee, mit einem oft unklaren Streben und Sehnen an, das über die Wirklichkeit erhaben, mit dieser so wenig als möglich in Kollision gerathen darf. Erst wenn äußere Ereignisse dieses Ideal in faßbare Formen fügen, oder wenn ein äußerer Zwang dem friedlich stre­benden und sich sehnenden Gemüth Fesseln anzulegen sucht, erst dann er­

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präsentirte das Gerippe der Welt als Neuerstandenen. Die Welt der Bourgeoisie aber glaubte den Schwindel und erwies dem Klappermann große Ehre und pries ihn als Retter der Gesell­schaft.

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Es ist jetzt ein paar Monate her, daß das" freisinnige Bürger­thum" ein großes Aufsehen von einem in der deutschen   Revue" erschienenen Artikel ihres Klassenheiligen machte, in welchem der­selbe das Wort zu dem Thema der positiven Bekämpfung der Sozialdemokratie nabm. Sr. soziale Majestät führte darin schließen dürften, sondern ihre Reihen aus den aufstrebenden Ele­aus, daß die besser fituirten Klassen sich nicht tastenmäßig ab menten verjüngen müßten. Nicht durch die Beanspruchung eines größeren Maßes von Rechten, sondern durch die freiwillige Uebernahme eines größeren Maßes von Pflichten, im vollen Bewußtsein der fittlichen Verantwortlichkeit ihrer sozialen Lage, vermöchten die günstig fituirten Klassen sich in ihrer Stellung zu bes haupten. Alle diese Bestrebungen verwirklichen sich aber, meint Schulze, am besten in den freien Vereinen", wie er sie stets zu befördern gesucht. Verdanke die sozialistische Agitation dem festen Zusammenschluß der Partei ihre Erfolge, so sei dieses Mittel auch zu ihrer Bekämpfung unentbehrlich. Förderung aller auf Ausbildung der Einzelnen, auf ihr Emporkommen durch eigene Tüchtigkeit gerichteten Bestrebungen- darum müsse es Allen zu thun sein, die es ehrlich mit der Sache meinen! Die Ge­sellschaft aber hat nach Schulze die Verpflichtung, die Möglich­keit dieser Entwicklung des Einzelnen zu gewähren, das Resultat der Entwicklung, fagt er, kann sie nicht verbürgen. Die ihnen gebotene Möglichkeit auszunuzen, das sei die Aufgabe der Ar­beiter selbst, es sei eine Forderung, die jeder Einzelne von ihnen an sich selbst zu richten habe u. s. f. Kurz, der alte, zehnmal abgebrühte Kohl der famosen Selbsthilfe": der Ertrinkende soll sich selbst retten!

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Je mehr aber diese Schulze'schen Theorien sammt allem drum und dran hängenden Krimskrams durch die Entwicklung der so­zialen Verhältnisse, der Wissenschaft und der Volkseinsicht über­holt und abgethan sind, desto besser gefallen sie der Bourgeoisie, deren Interesse sie ihren Ursprung verdanken. Ja, der Ruhm des Schulze'schen Namens tönt jeßt in fremden Ländern lauter denn je. In Italien   wurde jüngst an den dort anwesenden deutschen   Kronprinzen von italienischen Selbsthilflern ein Lob­hymnus auf den großen Meister" Schulze gesungen. Die meifte Ehre erlebt lepterer aber augenblicklich in Frankreich  . Vor ein paar Monaten hat der liberale Pariser   Banquier Isaak Pereire sich das Vergnügen gemacht, den splendiden Preis von 100,000 Franken für die beste Lösung von vier sozialen Fragen" auszuseßen und in das von ihm zur Beurtheilung der eingehenden Lösungen" niedergesetzte Preisgericht auch Schulze­Delipsch zu berufen, unter folgender Motivirung: Ganz unent­

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