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7. Dezember, also nach fast siebenmonatlicher Untersuchungshaft, erschien Waldeck, der das Gefängniß in dunklem Haar betreten, als Greis auf der Anklagebank vor den Geschwornen in Gemeinschaft mit dem gedungenen Lumpen Ohm. Und was ergaben die Verhandlungen? Nichts, absolut nichts gegen Waldeck; Lüge, Fälschung, Meineid gegen seine Denunzianten. Der Staatsanwalt ließ natürlich die Anklage fallen und es erfolgte Freisprechung.„ Ein Bubenstück, ersonnen, um einen höchst ehrenwerthen Mann zu verderben", nannte der Staatsanwalt die Denunziation, und auf seinen Antrag wurde Ohm in Haft gehalten und später wegen der für die Kreuzzeitungsritter geleisteten Meineide und Fälschungen bestraft.
Einen schlagenden Beweis für die Richtigkeit unserer oben gemachten Behauptung, daß die Polizei in jener Periode sich an die Stelle des Staates gesetzt und alle anderen Funktionen desselben sich zu unterwerfen gesucht habe, lieferte während der Verhandlung der Polizeipräsident v. Hinckelden gelegentlich seiner Vernehmung als Belastungszeuge. Wie der Korporal gegen den neu eingetretenen Rekruten auf dem Ererzierplatz, so benahm sich v. Hinckeldey gegen den Gerichtshof. Die an ihn gestellten Fragen, welche meistens sein intimes Verhältniß zu dem meineidigen Schuft Ohm und dem Spion Gödsche berührten, paßten ihm nicht, daher er dieselben gar nicht oder nur ausweichend beantwortete. Hart vom Präsidenten Taddel gedrängt, vergaß er sich soweit, mit der Faust auf den Zeugentisch zu schlagen. Darauf bemerkte ihm der würdige Präsident in ruhiger Festigkeit: Das schickt sich nicht!" und eröffnete dem bis dahin allmächtigen Polizeipräsidenten, er, Herr v. Hinckeldey , stehe hier als Zeuge und sei dem Gerichtshof Achtung schuldig, wie jeder andere Zeuge. Er habe die an ihn gerichteten Fragen erschöpfend zu beantworten und sich anständig zu benehmen, widrigenfalls er, der Präsident, die Ehre und das Ansehen des Gerichtshofes ihm, dem Zeugen gegenüber zu wahren wissen werde. Diese wenigen Worte genügten, den Tyrannen zu übertyrannisiren. Bleich und beklommen, niedergeschmettert stand er da, der Allgewaltige und nicht eine Silbe zur Rechtfertigung entkam seinen Lippen. Tausend Augen waren auf ihn gerichtet und in jedem konnte man deutlich lesen: v. Hinckeldey ist ein abgethaner Mann". So schrieb Einer, der dabei war.
Als
Kehren wir nun zunächst zu dem Zuchthäusler Lindenberg zurück. Lindenberg war ein geriebner, verschmitzter Mensch, ein geborner Polizeispion, gewandt in der Feder, zu Allem fähig und wußte sich in allen Kreisen, wo er fremd war, Eingang und Autorität zu verschaffen. Von den Kreuzzeitungsrittern engagirt, erhielt er vorläufig Königsberg als Wohnsitz und Wirkungskreis angewiesen. Seine Amtspflichten bestanden darin, auf alle erdenkliche Weise gegen die Demokraten loszuziehen, und wie gewissenhaft er diesem Berufe in Wort und Schrift nachkam, geht daraus hervor, daß er wiederholt wegen verläumderischer Beleidigung 2c. 2c. zu empfindlichen Gefängnißstrafen verurtheilt wurde. Ob, wie man sagte, dem Schuft Straflosigkeit vorher zugesichert war, fönnen wir nicht behaupten; Thatsache aber ist, daß Lindenberg seine sämmtlichen Strafen im Wege der königlichen Gnade vollständig nachgelassen wurden. Im Oktober 1856 stand Lindenberg vor den Schranken der Kriminaldeputation zu Berlin , nnter der Anklage der verübten Späherei und Verleumdung gegen den Prinzen von Preußen jezigen Kaiser von Deutschland . Zeuge mußte der General Leopold v. Gerlach erscheinen, der während seiner Vernehmung nicht daran zu denken schien, daß er hier vor einem Gerichtshofe stand und nicht etwa auf einem Ererzierplatz oder in einer Kaserne sich befand. Sein Benehmen, wodurch er wahrscheinlich die Schande, mit einem solchen Lump, wie der Zuchthäusler Lindenberg, in den traulichsten Verhältnissen gestanden zu haben, von sich abwaschen wollte, war ganz à la Hinckelden, und es war nur zu bedauern, daß diesmal kein Tad del präsidirte. Mit dem Gerichtshofe machte er wenig Umstände, benahm sich barsch und spöttisch, nannte die Aktenstücke wiederholt, Wische", und behandelte die an ihn gerichteten Fragen als lächerliche Dummheiten". Sein Freund Lindenberg wurde gleichwohl wegen verübten Spähens und Verläumdung gegen den Prinzen von Preußen zu längerer Gefängnißstrafe verurtheilt, was die Parteigenossen Gerlachs hauptsächlich dessen Benehmen vor Gericht zuschrieben. Kurz darauf brachte die„ Kreuzzeitung " folgende jedenfalls denkwürdige Nachricht: Seine Majestät der König haben durch Kabinetsordre von demselben Tage( d. h. von dem Tage, wo das Gericht die Verurtheilung aussprach), noch ehe der Ver: urtheilte ein Guadeugesuch eingereicht, die Begnadigung des Emil Lindenberg mit all ihren Folgen ausgesprochen."
Eines der thätigsten Werkzeuge Hindeldey's und ein besonderer Liebling der Kreuzzeitung " war der von ehrlichen Leuten allgemein gefürchtete Konstablerwachtmeister Kayser. Der Beruf dieses Menschen schien einzig darin zu bestehen, Demokraten zu mißhandeln. Sein brutales Drein schlagen, seine niederträchtigen Rohheiten und Grausamkeiten gegen die Demokraten waren allgemein bekannt; aber alle Klagen und Beschwerden der Mißhandelten blieben lange Zeit unberücksichtigt. Endlich wurde die blutlechzende Bestie entlassen. Von Untersuchung und Bestrafung aber war nicht die Rede. Kayser ging nach England, trat in die englisch deutsche Legion ein, verübte einen schweren Diebstahl an Militärdecken und wurde zu fünf Jahren Kerker verurtheilt. So endete der Liebling der Kreuzzeitung ", der Freund Hinckeldey's, der Demokratenfresser Kayser.
Zur selben Zeit wurde der höhere Polizeibeamte Patzke, der in Berlin mit unbeschränkter Machtvollkommenheit herrschte, ebenfalls von seinem Thron herabgestürzt und hinter Schloß und Riegel gebracht. Zu den Obliegenheiten Payke's gehörte es u. a., einen Theil der Montirungsstücke für die Schutzmannschaften für Rechnung der Stadt anzuschaffen, wofür er die Zahlungen in Empfang nahm. Eines Tages stellte sich nun heraus, daß Payke den Berliner Magistrat mit gefälschten Schneiderrechnungen um eine namhafte Summe betrogen, daß er bedeutend mehr Kommißhosen in Rechnung gebracht hatte, als Schutzmänner da waren. Patzke wurde entlassen und bestraft. Es kann übrigens ganz gut der Fall sein, daß Payke im Irrthum gehandelt, nämlich Schutzmänner geschrieben und Schußengel, welche bekanntlich keine Hosen tragen, und die ihnen angebotenen sicher dankend zurückgewiesen haben, gemeint hat. Daß die Schutzengel nicht aufzufinden gewesen, daran war lediglich ihre Unsichtbarkeit schuld und keineswegs Bayke.
Wir sind nun mit unserer Geschichtsschreiberei endlich auf einem Punkte angekommen, wo uns angst und bange wird. Wir sollen nun, wenn wir weiter schreiben wollen, müssen wir Züge aus dem Leben eines Mannes anführen, dessen Namen wir nicht ohne Schaudern und Ekel nennen können. Wir wünschen, wir könnten uns dieser Verbindlichkeit entheben. Es ist indeß nicht zu ändern, und so wollen wir uns den ruhig in unser Schicksal ergeben.
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Im Jahre 1845 erschien in Schlesien , im Riesengebirge ein gewisser Maler Schmidt aus Berlin , angeblich zu dem Zwecke, Aufnahmen für seine Mappe zu machen. Ein Meister in der Kunst, sich in Familienkreise, selbst in die höchsten", einzuschmeicheln, oder vielmehr einzuschleichen, wurde Schmidt, ohne daß es ihm große Mühe gekostet hätte, in Hirschberg und Umgegend, wo sein Standquartier war, bald ein bekannter Mann, namentlich erwarb er sich das Vertrauen des ersten Industriellen jener Gegend, des Fabrikbesitzers Schlöffel, und fand in dessen Hause stets gastliche Aufnahme, wofür er sich, wie wir bald sehen werden, später aber auch sehr dankbar zeigte. Maler Schmidt war, um fürz zu sein, ein verkappter, in den Mantel der Pseudonymität gehüllter, mit weitgehenden Vollmachten ausgestatteter Polizist, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, in Schlesien eine kommunistische Verschwörung zu entdecken, welche u. a. beabsichtigen sollte, die Festung Schweidnitz zu überrumpeln, sich dort festzusetzen und sich von da aus des ganzen Erdbodens zu bemächtigen.
Hier bricht die Skizze ab. Der Verfasser, einer der treuesten Parteigenossen, ein„ alter Achtundvierziger", der nie gewankt und gewichen, der auf dem Todtenbett, als er nicht mehr ſehen konnte, sich aus seiner heilig gehaltenen„ Neuen Rheinischen Zeitung " vorlesen ließ, Architekt hat die Arbeit, welche die Thaten der deutschen Bolizei in zusammenhängender Reihe vorführen sollte, nicht mehr vollenden fönnen. Von einer Macht, der auch er, der Willensstarke sich beugen mußte, wurde die Feder ihm aus der Hand gerissen.
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Der„ Maler Schmidt", welcher am Schluß auftaucht, ist Stieber, in dessen Namen und Perſon ſich die Schmach einer ganzen Epoche ausdrückt. Wer das Nähere über das schlesische Abenteuer dieses würdigsten Vertreters des preußischen Polizeiſtaats( alias„ Rechtsstaat") zu wissen wünscht, der lese Drei Jahre aus meinem Leben", von Wander ( Berlag der Leipziger Genossenschaftsbuchdruckerei).
Vielleicht findet sich ein Kundiger, der Zeit und Lust hat, die Arbeit des todten Veteranen fortzusetzen und zu vervollständigen. Die Nachfolger der Gödsche, Ohm, Lindenberg, Stieber dürfen am Schandpfahl
nicht fehlen.
Sozialpolitische Rundschau.
* Das großmächtige deutsche Reich ist bekanntlich ein konstitutioneller oder Verfassungs- Staat. Ein solcher bedingt nun selbst verständlich ein freies Wahlrecht. Wie es mit diesem in Deutschland aussieht, namentlich seit dem Sozialistengesetz, darüber haben wir schon Erfahrungen in Hülle und Fülle gemacht u. a. noch ganz jüngst und in hervorragendem Maße bei der Hamburger Wahl. Immerhin aber ist es interessant, unsere Wahlherrlichkeit von Nicht sozialisten schildern zu hören. Die Wahl des konservativen Abg. Saro wird von dem früheren fortschritt: lichen Abg. Frenzel in einem Wahlprotest folgendermaßen geschildert: Landräche, Geistliche, Regierungsbeamte, Gendarmen, schilbert:„ Landräche, Geistliche, Regierungsbeamte, Gendarmen, Landrathsboten, Landbriefträger, Alles hat in unserem Kreise mitgewirkt, mitwirken müssen, um eine konservative Wahl zu Stande zu bringen. Wir bedauern diese Beeinflussungen, nicht sowohl der gelungenen konservativen Wahl wegen, als weil die Art, wie sie geschehen und angeordnet ist, demoralisirend auf die dazu benutzten unteren Beamten und das ganze Volk wirken muß, und zweitens weil diese Beeinflussung und überhaupt die ganze Art und Weise der Agitation der Anfang gewesen ist, bei den Arbeitern unlautere(!) sozialdemo kratische Ideen in Anregung zu bringen. Wenn diese Geister, die durch die Wahlbeeinflussung von konservativer Seite hervorgerufen worden sind, sich einst nicht, oder doch nur schwer werden bannen lassen, so legen wir hiermit schon jetzt Zeugniß ab, wer sie herauf beschworen hat. Der allergrößte Theil der Gutsbesitzer und unterrichteten bäuerlichen Grundbesitzer gehört der Fortschrittspartei an. Gegen diese ist die arbeitende Bevölferung geheßt und unter derselben die Ansicht berbreitet worden, daß die Gutsbesitzer den Arbeitern den Sonntag und die Kirche nehmen und die Leibeigenschaft einführen wollen, daß Jeder bestraft werden würde, der nicht zur Wahl gehe und nicht konservativ wähle, und daß, wenn ein konservativer Abgeordneter gewählt werden würde, den verfluchten Demokraten, die alles Geld haben, dieses fortgenommen und vertheilt werden sollte. Dergleichen Hezereien haben leider bei den Arbeitern, die zum größten Theil auf einer nied: rigen Bildungsstufe stehen, sehr willige Aufnahme gefunden." Natürlich würde es die Fortschrittspartei, wie alle auf der politischen und ökonomischen Bevorrechtung basirenden Parteien, nicht anders machen, wenn sie an der Herrschaft wäre. Trotzdem aber sollen die durch ein solches Treiben eingeführten sozialdemokra tischen Jdeen, unlauter" sein! Damit indessen Logik in der Sache ist, wurde die Wahl trotzdem genehmigt! Recht so; solche Roßkuren werden das blinde Volk doch zum Sehen bringen.
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Bismarcks ,, Krankheit" spielt in neuerer Zeit wieder nicht nur in der Presse, sondern in der ganzen deutschen Politik eine sehr bedeutende Rolle. Denn an den kanzlerischen Nerven hängt nicht nur die Stellung der obersten Staatsbeamten, Minister, Gesandten 2c., sondern das Wohl des gesammten Reiches. Demnach ist es gewiß von größter Wichtigkeit, die Art dieses Leidens zu kennen und über die Art seiner Entstehung, Entwicklung und seines voraussichtlichen Endes, seine Heilbarkeit u. s. w. genaueres zu wissen. Nun: von einem der angesehenſten Psysiologen Deutschlands und der Welt, der Bismarck zu beobachten Gelegenheit hat, ist die Vermuthung fast als Gewiß: heit ausgesprochen worden, daß Bismarck an nichts anderem als an Alkoholismus leidet. Alle Symptome treffen zu. Während seiner letzten Reichstagsrede vertilgte er coram publico 6. schreibe sechs große Glas„ Wasser", zur Hälfte aus dem aller stärksten Cognat bestehend! Man bedenke, das alles in ca. dreiviertel Stunden! Nun denke man, wie viel der Mann den lieben, langen Tag über und besonders in seiner ungenirten Häuslichkeit hinter die Binde gießen mag; und man wird dann leicht begreifen, auf wie natürliche Weise er,- selbst wenn man seine langjährige Uebung und seine Eigenschaft als Schnapsbrenner in Betracht zieht, zu seinem im aufreibenden Dienste des Vaterlands" empfangenen Leiden" tam. So mußte der enden am preußischen Schnaps"! Deutschland von Bismard regiert, Bismarck aber vom Geist des Fusels ein nettes Bildchen, nicht wahr?
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Als Liebknecht s. 8 heftige Anklagen gegen den deutschen Bergwertsbetrieb schleuderte, bezeichnete ihn die ganze Bourgeoismeute als Uebertreiber, Lügner und Verleumder. Jetzt aber schreibt der tönigliche Fabrikinspektor zur Oppeln :„ Dieser ausgedehnte Bergbau ist nun, da es an Organen für die Aufficht nach Lage der bestehenden Gesetze bisher gebrach, derart verwahrlost, daß auch nicht den bescheidensten Aufor: derungen für die Sicherheit der Arbeiter genügt derungen für die Sicherheit der Arbeiter genügt wird. Die Zimmerung fehlt fast gänzlich, die Schächte sind ohne Fahrten, die Baue werden ohne Fütterung von Gruben rissen und ohne jede Kontrole von Seiten der Behörden unterirdisch derart beliebig ungesteuert ausgedehnt, daß Häuser, Kirch höfe, Chausseen, Eisenbahnen plötzlich zu Bruche gehen, wie es wiederholt geschehen ist und noch geschieht." Wo steckt nun Lüge und Verleumdung? Und solche im vollsten Sinne des Wortes verbrecherische Betriebsgebahrung, die nicht viel besser als offener Mord ist, geht unter den Augen der„ ordnungsretterischen" Regierung ungestraft vor sich; die Sozialisten aber, welche derlei für immer unmöglich machen wollen, sind Staatsverbrecher!
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In Frankfurt fand vorige Woche die dritte Fortsetzung der schmachvollen„ Meineids"-Prozesse gegen Sozialisten statt, welche als Zeugen nicht zur Verurtheilung ihrer Genossen beitragen, nicht denunziren wollten. Diesmal jedoch saßen Männer auf der Geschwornenbank, welche es mit Ehre und Gewissen wenn auch gegen politische Gegner genauer nahmen, infolge deffen die Angeklagten, Gen. Oskar Hendschel und Marie Frenzel( bie f. 3. während des Prozesses Jbsen in offener Sigung verhaftet wurden und seitdem mehrere Monate unschuldig
gefangen saßen) freigesprochen wurden. Die unerhörte Infamie der Verurtheilung unseres Genossen Ibsen zum Zuchthaus in voriger Geschwornenfißung tritt mit dieser Freisprechung nur um so greller hervor!
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Herr Hasselmann hat seinen parteibekannten Muth auch gelegentlich der jüngsten Reichstags- Affäre nicht verleugnet. Dieser tapfere Tribun hat nämlich die„ rothe Fahne", die er mit solchem Aplomb im Reichstag herausgesteckt, sofort als er den Saal verließ, diskret wieder in die Tasche gesteckt, und die Kraftstellen seiner Rede nicht nur im stenographischen Bericht bedeutend abgeschwächt, sondern in seinem eignen Blatt ganz unterdrückt! Das war die erste„ That" dieses Marat vom Molkenmarkt", wie ihn Liebknecht früher einmal genannt. Die zweite aber scheint der ersten vollkommen würdig zu werden. Wie nämlich Berliner Blätter mittheilen, wird Herr Hasselmann demnächst eine Schrift erscheinen lassen, welche„ Enthüllungen über die gegenwärtige Leitung der sozialdemokra= tischen Partei durch die parlamentarischen Mitglieder derselben" enthalten wird. Das verspricht auf alle Fälle für unsere Gegner und besonders für die Regierung sehr interessant zu werden, weil letztere daraus etwas über die durch das Sozialistengeset verbotene und lange gesuchte Parteileitung erfahren zu können hoffen darf, woraus sie dann möglicherweise eine Waffe zu neuen Verfolgungen und zur Vernichtung der Sozialdemokratie schmieden könnte. Nach Berichten Berliner Blätter soll sich Gen. Liebknecht nach Herrn Hasselmann's letter Rede dahin ausgesprochen haben: daß er begierig wäre, zu wissen, wie viel Herr Hasselmann wohl vom Reichskanzler für seine Rede bekommen habe, die sich so prächtig als Popanz und Vorwand zur Verschärfung der reaktionären Gewaltmaßregeln ver= wenden läßt. Wir wissen nicht, ob sich Gen. Liebknecht wirklich so geäußert hat und ob Herr Hasselmann von der Regierung gleich für diesen ersten öffentlichen Dienst entlohnt worden ist. Aber wir unsererseits möchten jene Aeußerung auf die erwähnte Schrift beziehen und fragen: Wieviel wird wohl Herr Hasselmann für seine„ Enthüllungen" bekommen?
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Ln. München, Ende April. Aus Ihren jüngsten Berichten läßt sich schon erkennen, daß wir hier in München noch sehr munter und beim Zeuge sind, und ebenso auch unsere getreue Leibgarde, die wackeren Mannen der Polizei. Diese werden nicht müde, durch Bereitung größerer oder kleinerer Annehmlichkeiten unsere Gunst zu erringen und haben die Leute dabei die artigsten Manieren: Der eine Polizeimann packt einen Buchhändlerjungen beim Kragen, schüttelt ihn ein wenig heftig, schleppt ihn dann zur Tramway, um mit seinem Objekt zur Polizeidirektion„, betreffs Durchsuchung" zu fahren; ein anderer sucht mit seinen fetten bierklebrigen Fingern Fleisch, Brod, Eier, kurz Alles, was sich in dem Korbe der Frau zur Bereitung der Mittagskost befindet, durch; ein dritter schüttelt ein jedes Stück der Leib- und Bettwäsche, die wohl geordnet und gebügelt im Kasten aufbewahrt ist, und schlenkert es ordentlich aus, dann wirft er es mitten in's Zimmer zu einem großen wüsten Haufen, darob die Frau diesen Mann natürlich zum Küssen liebenswürdig findet u. s. w. Und keiner von ihnen allen findet den verfluchten Sozialdemokrat". Die höchste und edelste der rothvernarbten Polizeinasen, deren Besitzer sich Polizeirath Pfister nennt, arbeitet selbst nicht wie vorstehend Untergeordnete, sondern kommandirt nur nach Angabe seines Adjutanten Polizeikommissärs Gehret, wobei sein greifbares Ich" sich in einer sehr schäbigen, fast ,, destruktiven" Uniform befindet, so z. B.:" Ich sehe uni den Anwesenden verschiedene Anhänger der Sozialdemokratie, ich löse deßhalb auf Grund des Sozialistengesetzes die Versammlung cano fordere die Anwesenden auf, sofort und ohne Widerrede den Saal zu verlassen." Weinend sieht der Kellner zu, wie die Gäste ohne ihn bezahlen zu dürfen, hinausgetrieben werden. Und so beeilt sich jeder, seine Finger an uns abzuwischen, erwischt aber in der Eile meist den eigenen Rock und wird ausgelacht. Es wäre aber ungerecht, die ausgedehnte Thätigkeit der Polizei nur auf diesem Felde zu betrachten; sie ist ja auch auf anderen Feldern in segensreichster" Weise thätig. So bestanden früher außer dem städtischen Leihhause 174 privilegirte Leihanſtalten, die gegen eine Verzinsung von mindestens 120% Darlehen auf Faustpfänder gaben. Es ist klar, daß der Unglücksmann, der zu solcher Aushülfe seine Zuflucht nahm, sein Bischen Habe ganz verlor; denn nimmer ward's ihm möglich, Zins, Zinseszinsen und Kapital zurückzuzahlen. Da wollte man denn durch ein Gesetz der„ maßlosen Ausbeutung der Armuth" vorbeugen. Diese hehre Aufgabe ließ sich im Handumdrehen lösen: man stellte den Zinsfuß auf 12% fest, kontrolirte die Pfandverleiher po lizeilicherseits und forderte für alle Fälle von denselben die Hinterlegung einer Kaution von 2000 Mart. So that die Münchner Polizei auf Grund jenes Gesetzes und ging sofort gegen sämmtliche Pfandverleiher scharf in's Zeug. Und mit welchem Erfolge? Hört und staunt! Von 174 Pfandverleihern wurden 172 zur Geschäftsaufgabe gezwungen und nur 2 konnten den neuen Vorschriften genügen. Da blies sich denn die Polizei in gerechter Würdigung ihres erfochtenen Sieges, ihrer hohen Weisheit und Besorgtheit für's Gemeinwoht" durch alle Blätter einen Jubel- und Lobchoral. Nun war geholfen: der Leute leichtsinniges Versetzen war mangels der Gelegenheit verhindert, und war wirklich jemand in Noth, so brauchte er nur mehr 12% zu zahlen. Doch das Jubellied war noch nicht zu Ende, als man in unliebsamer Weise auf das Speditions- und Kommissionswesen aufmerksam wurde. Die Pfandverleiher verschwanden Spediteure entstanden. Faustpfänder wurden Handelsgegenstände, d. h. verkaufbar, statt ,, Darlehen" gibt es nun Vorschüsse, die Zinsen heißen Lagerspesen", statt verpfändet wird eingelagert", statt ausgelöst spedirt"! Und so blüht der alte Wucher trotz der polizeilichen Fürsorge und Weisheit lustiger denn je und ohne daß die hohe Polizei auf den Gedanken verfällt, daß sie am Ende gar nicht das Instrument zur Verhütung der„ maßlosen Ausbeutung der Armuth" sei. Mit Schluß vorigen Jahres wurde der damalige hiesige Polizeipräsident Frhr. v. Feilitzsch Regierungspräsident von Oberbayern . Es ist einmal so bei uns, daß der Münchner Polizeipräsident an der Schwelle der höchsten Staatswürden steht; der eine wird Minister, der andere nicht viel weniger. Allgemeine Spannung herrschte: denn wer wird jetzt lehnte dieser die voreiligen Gratulationen ab; er war es ja noch nicht. Polizeipräsident?„ Staatsanwalt Barsch" hieß es auf einmal. Schmunzelnd Aber warum sollte er es nicht werden? Hatte der Konig ja doch einen andern Staatsanwalt zu seinem Kabinetssekretär gemacht und dann geadelt. Warum sollte es ihm nicht gerade so ergehen? Ein gewaltiges Staatslicht ist er zweifelsohne, das hat er doch in den vielen Sozialistenprozessen bewiesen.„ Oben" mußte man aber doch anderer Ansicht sein, denn das Gerücht war widerrufen und ein Appellationsgerichtsrath Frhr. v. Pechmann Polizeipräsident. Barsch erhielt nicht einmal einen Orden zum neuen Jahr, geschweige mehr. Dies Unglück schreibt der bedanernswerthe Streber seiner bitrgerlichen Herkunft zu. Mag er sich trösten: wir bleiben ja doch; da kann er sich vielleicht noch verdienen, was er so sehr erfehnt! Dem neuen Herrn Polizeipräsident aber wünschen wir gesegneten Appetit zu seiner Aufgabe. Wir überleben ihn trotz seines gestickten Kragens. Seit einigen Monaten wurde der Kriegsminister etwas unsanft in einer hiesigen, sonst bedeutungslosen Zeitung angegriffen. Das brachte die Exzellenz dermaßen in Harnisch, daß er seinen exzellenzlichen Kollegen Vorwürfe machte, sie ließen ihn ohne allen Schutz. Diese Vorstellung wirkte; es wird von dem Konfiskationsrechte jetzt, wieder ausgiebiger Gebrauch gemacht; außerdem verordnete das Justizministerium, daß der Strafvollzug gegenüber politischen Gefangenen in gefeß- und hausordnungsgemäßer Weise vor sich gehe. Auf diese Weise sollen die " Starrköpfigen" wahrscheinlich mürbe gemacht werden. Wollen sehen!
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