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Gesetz gehaust haben. Würde er nun auf Konservative und Zentrum schimpfen lassen die Nationalliberalen standen wieder da wie Buridans Esel, keinem zur Luft und Allen zum Leide auf Fortschrittler und Sezessionisten, die wenigstens einen prinzipiellen Standpunkt einnahmen, wird ohnehin geschimpft so muß sich der arme Mann", d. h. der Arbeiter schließlich, sagen: soll ein für mich wirklich günstiges Gesetz zu Stande kommen, so gibt es nur eine Partei für die ich wählen muß: die sozialdemokratische. Und das ist der Humor davon.

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Darum wird wohl zwischen zweiter und dritter Lesung stark kompro­misfelt werden. Fällt ja doch Pfingsten, das Fest der Ausgießung des heiligen Geistes, dazwischen, warum soll sich nicht schließlich der heilige Geist" auch auf Bismarck und seine Getreuen ergießen! Sie werden zusammenkommen, mit Engelszungen werden sie reden und schließlich ein Ding zustandebringen, so hohl, so verlogen, so nichtssagend wie der berüchtigte Wechsel auf's Jenseits des Christenthums. Eine christliche Gesetzgebung nennen sie diese Spiegelfechterei gut; eine schreiendere Verurtheilung ihres Christenthums ist gar nicht denkbar, als dieser Volks betrug!

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Liebknecht hat es ihnen am 31. Mai vortrefflich gesagt. Wir würden gern die ganze Rede hier wiedergeben, müssen uns indeß darauf beschränken, nur einige Stellen derselben ten Parteigen offen zur Kenntniß zu geben. Dem Erzjunker, Herrn von Kleist- Rezzow, rief Liebknecht zu: " Herr von Kleist- Rezow hat weiter behauptet, daß die Sozialdemo­tratie nur zerstören wolle, daß dagegen aufgebaut werden könne blos durch eine Gesetzgebung, welche auf christlicher Anschauung beruhe; blos das Christenthum habe auf dem Gebiet der Gesetzgebung eine schöpferisch­wohlthätige Kraft. Ich möchte den Herrn Abgeordneten von Kleift- Rezzow doch einmal ersuchen, mir zu sagen, zu welcher Zeit denn eigentlich das Christenthum diese schöpferische Kraft bewiesen hat? Der Herr Ab­geordnete von Kleist- Rezzow gehört einem Stand an, welcher zu einer Zeit geherrscht hat, von der man behauptet, daß das Christenthum in ihr geblüht habe.

Diese mittelalterliche Blüthezeit des Christenthums und des Adels ist aber notorisch diejenige Zeit gewesen, wo die Knechtschaft in ihren schlimmsten Formen geblüht hat, wo Leibeigenschaft, Ar­muth und Elend bei unbeschränktem patriarchalischem Züchtigungsrecht der christlichen Obrigkeit das Loos des Volkes war. Ich möchte wissen, ob das Ideal, welches uns von Herrn Kleist- Rezzow für die Zukunft in Aussicht gestellt wird, damals verwirklicht worden ist? Uebrigens hat Herr von Kleist- Reßow selbst ja die beste Gelegenheit, in seinem Kreise das christliche Ideal schon jetzt zu verwirklichen. Wie kommt es denn nun aber, daß in den ländlichen Bezirken, wie uns von dem Herrn Vorredner soeben ausgeführt worden ist, die Mißstände, denen durch dieses Gesetz entgegengetreten werden soll, in so hohem Maß eristiren? Und wie kommt es, daß von Herrn von Kleist- Rezom, der ja Gutsbesitzer ist, und von seinen Herren Parteikollegen, die meistens eben­falls Grundbesitzer und ebenfalls vom christlichen Geiste beseelt find, die Iniziative zu diesem Gesetz nicht ausgegangen ist? Warum haben sie nicht dafür gesorgt, daß auf ihren Gütern und in den von ihnen bewohnten und beherrschten Distrikten ein kleines Himmel­reich auf Erden in christlichem Geiste besteht?

( Sehr richtig! links.)

Warum grassirt die Auswanderung gerade in jenen Bezirken, wo die Herren Meister sind, am ärgften? Warum laufen Ihnen die Arbeiter weg? Warum müssen Sie durch die komischsten Mittel, z. B. durch das Altersversorgungsprojekt eines gewissen Herrn Putt­ kamer jetzt der Auswanderung zu steuern suchen? Da heißt es vor allen Dingen hic Rhodus, hic salta!" vor der eigenen Thür gefegt!"

"

Und weiter:

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,, Wann haben Sie sich denn um die Arbeiter bekümmert? Wann haben Sie die soziale Frage studirt? Wann haben sie überhaupt etwas für den sogenannten armen Mann" gethan? Erst seit die sozialdemokratische Bewegung Sie an Ihre Pflicht erinnert hat; erst seit Sie gesehen haben, daß die Arbeitermasse unzufrieden ist und daß sie sich der einzigen Partei zu­gewendet hat und zuwendet, welche für die Arbeiter etwas thut, welche ihnen den Weg zeigt zur Erlösung, den Weg aus dem Elend, zu welchem sie durch die bisherige Gesetzgebung und durch die bisherigen Staats­und Gesellschaftseinrichtungen verurtheilt worden sind! Das Kirchthurm­wettrennen, welches wir jetzt auf dem Gebiete der sozialen Gesetzgebung erleben, wer hat es veranlaßt? Die sozialdemokratische Be­wegung, die Sozialdemokratie. Und das ist doch eine" schöpfe­auftreten, nicht der Sozialdemokratie? Sind es nicht sozial­demokratische Schlagwörter, wie mein Freund Bebel es neulich ausgeführt hat, die selbst aus dem Munde des Herrn Reichs­tanzlers ertönen?

In unseren Fußtapfen sind Sie genöthigt, zu gehen; und wenn Sie glauben, dadurch, daß Sie jetzt die Arbeiter­beglückung in die Hand nehmen, die Sozialdemokratie, die Sie durch das Sozialistengesetz zu erwürgen versucht haben, was Ihnen mißlungen ist, moralisch und geistig zu tödten, dann irren Sie sich sehr, denn jeder Arbeiter, jeder der Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, weiß, daß das, was von hier und was von da oben her für die Arbeiter zu thun versucht und versprochen wird, nur in Folge unserer Iniziative geschieht, weil dur ch unser Vorgehen man moralisch dazu gezwungen ist. Wir, meine Herren, sind die Urheber dieses Gesetzes, soweit es einen berechtigten Kern hat, wir, die Sozialdemo= tratie.

Ohne uns war es unmöglich. Die Jdeen, welche in diesem Hause vom Abgeordneten Stumm und von Anderen angepriesen werden

alle jene Ideen, wem verdanken Sie sie? Der Sozialdemokratie. druck kommt, daß wir ihn oft kaum mehr erkennen und anerkennen können, denn man hat ihn, wie das auch bei dem vorliegenden Gesetz­entwurf der Fall ist, den Interessen der herrschenden Klasse, dem Inter­esse der Groß industrie, dienstbar zu machen gesucht."

Nur daß der sozialdemokratische Gebaute dabei in einer Weise zum Aus­

Und an einer anderen Stelle:

,, Spreche man uns nicht von Christenthum; behaupte man nicht, der Staatsbegriff sei eine christliche Idee. Nein, meine Herren! diesen Staatsbegriff hat die antike Welt schon gekannt, speziell der preußische Staat hat mit dem Christenthum nichts zu schaffen, ein Fried­ rich der Große und seine Vorgänger haben ihre Idee des Staats durch­aus nicht dem Christenthum entnommen. Der Staatsbegriff ist aus der menschlichen Kultur hervorgewachsen, als die Mensch­heit aus dem Thierzustand heraustrat; als das bellum omnium contra omnes in der rohesten Form aufhörte, war es nothwendig, Verbände zu schaffen, in denen der einzelne gegen Unfälle, die seine Person treffen konnten, sich sicherte, Verbände zunächst in der Familie, in den Stämmen. Aus diesen Verbänden entwickelte sich der Staat. Der Staatszwed war einfach, die Existenz des Einzelnen, der als Einzelner zu Grunde gehen mußte, zu sichern. Der Kulturmensch kann nur im Staat existiren, und darum scheuen wir uns keineswegs vor dem Einwand, der uns von jener Seite( zur Linken) gemacht wird, daß wir, indem wir auf diesem Gebiete für die Staatsversicherung eintreten, dem Staate eine allzugroße Macht einräumen. Diese Gefahr ist nicht vorhan= den; wir wissen allerdings, daß der jetzige Staat durchaus nicht den Jdealen, welche wir vom Staate haben, entspricht, durchaus nicht die Aufgabe, die wir als Staatsaufgabe betrachten, erfüllt, aber wir wissen auch, daß die Gewalt der Dinge stärker ist als der Wille der Menschen. Augenblicklich werden die Geschicke Deutschlands von einem Manne gelenkt, dessen Wille für unsern gilt, von dem man glaubt, daß er in seiner Faust die Geschicke Deutsch­ lands und vielleicht der Welt trage. Meine Herren, wir Sozialdemokraten gehen von einer anderen Anschauung aus, wir glauben, daß die Macht, welche der Herr Staatskanzler ausübt, nicht in seiner Bersönlichkeit liegt, nicht von seiner Person ausgeht, sondern daß sie in den Ver hältnissen liegt. Die Verhältnisse haben ihm diese Bedeutung gegeben. Die Zerfahrenheit, welche wir überall jetzt finden, das Aus­einandergehen der gegenwärtigen Staats- und Gesellschaftsbildungen, der Zersetzungsprozeß, den wir auf politischem, wirthschaftlichem Gebiete- überall beobachten. Diese allgemeine Auflösung und Zersetzung hat

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eine ähnliche Aera bei uns hervorgebracht, wie sie zur Zeit der Auflösung der heidnischen Kulturwelt, des alten Römerreiches stattgefunden hat. Das Volk wird ängstlich, jeder fängt an, für sich zu fürchten, niemand fühlt den Boden feft unter den Füßen, und da liegt es in der Natur der Menschen, daß sie sich dem Regiment der persönlichen Diktatur zuneigen. Im Schatten der Diktatur glauben sie sicher zu sein. Dieselbe Erscheinung, die uns jetzt in Deutschland entgegentritt, haben wir in einer nach den Umständen modifizirten Form in neuerer Zeit drüben in Frank­ reich erlebt. Fürst Bismarck selbst hat sich vor kurzem mit Napoleon III. , dem Kleinen, verglichen, und mit vollkommenem Recht, denn auf dem gesammten Felde der Politik verfolgt er die gleichen Bahnen. Napoleon wurde in diese Stellung genau durch dieselben Verhältnisse gebracht, wie der Fürst Bismarck: durch die Angst des Bürgerthums vor dem An­drängen des Sozialismus, durch die Zerspaltung der Klassen in sich, durch die Unsicherheit der Verhältnisse. Das hat den Cäsarismus in Frankreich erzeugt, das hat jetzt in Deutschland einen ganz ähnlichen Zu­stand herbeigeführt.

Daraus ersehen wir, daß die Zustände stärker sind als die Menschen. Wie in Frankreich die Verhältnisse ihren zufälligen Ausdruck in Napoleon gefunden haben, so haben sie in Deutschland ihren Ausdruck im Fürsten Bismarck gefunden. Auf die Person kommt es nicht an. Ein beliebiger Schulze oder Müller würde die Rolle zu spielen haben, wenn Fürst Bis­mard nicht vorhanden gewesen wäre. Das liegt in der Natur der Dinge. Der historische Entwickelungsprozeß ist unendlich stärker als der mächtigste Machthaber. Fürst Bismarck hat selber die wunderbarsten Wandlungen durchgemacht, er hat die Aufrich­tigkeit, welche mitunter an ihm zu bewundern ist, gehabt, es einzugestehen: er war eine Zeitlang im Schlepptau des Freihandels, ist dann in das Schlepptau der schutzöllnerischen Bewegung gekommen,- jetzt ist er im Schlepptau des Sozialismus. Das ist nicht sein Wille, das ist Nothwendigkeit. Ganz ähnlich hat es Napoleon machen müssen; die Logik der Thatsachen zwang ihn dazu. Und, meine Herren, wenn Sie( zur Linken) glauben, daß wir dem Fürsten Bismarc Dienste leisten, indem wir für den Kern des Gesetzes eintreten, so täuschen Sie f Wir stehen hier in der That über den Kämpfen,

die Sie bewegen freuen uns über diese Kämpfe, wir sehen,

daß hier nur für uns gearbeitet wird; Fürst Bismarck glaubt uns zu haben, und wir haben ihn.

( Heiterkeit. Sehr wahr! links.)

Er würde dieses Gesetz nie und nimmer ohne uns gemacht haben.

Und, meine Herren, glauben Sie nicht, daß durch dieses Gesetz in unserer Stellung zu ihm etwas ge= ändert wird.

Das vorliegende Gesetz ist an sich sehr unbedeutend. Sie fürchten es wegen dessen, was drum und dran hängt. Es ist das spitze Ende des Keils, welcher in die heutige bürgerliche Gesellschaft eingetrieben wird; das dicke Ende wird schon nachkommen, ob Fürst Bismard will oder nicht. Die Verhältnisse sind stärker als er. Sie haben also vollkommen Recht, dieses Gesetz vom Standpunkt der Klasseninteressen zu fürchten, es wird weiter führen.

Es ist in einem früheren Stadium dieser Gesetzesvorlage erklärt wor den, daß die Unfallversicherung sich vielfach decke mit der Armenpflege. Das ist richtig, aber es liegt hierin auch kein Widerspruch. Wir stehen auch in Beziehung auf das Armenwesen auf dem Standpunkt, daß der Staat das ganze Armenwesen zu übernehmen habe, und glauben, daß die großen Schwierigkeiten, in welche Sie mit dem Unterstützungs­wohnsitzgesetz gerathen sind, einzig darauf beruhen, daß Sie die Konse quenzen der durch die moderne Industrie gebotenen Freizügigkeit nicht zu ziehen den Muth gehabt haben. Bei der Freizügigkeit können Sie das Heimathsrecht nicht beibehalten, das ist vollkommen richtig, insoweit waren Sie logisch; Sie sind aber nicht weit genug gegangen. Sie können den Unterstützungswohnsitz nicht beibehalten, ohne der Industrie Schranken aufzuerlegen und ohne in große Ungerechtigkeit und Inhumanitäten zu verfallen. Die Freizügigkeit kann nur Wahrheit werden, wenn der Staat das Armenwesen übernimmt. Und dann ist ja der Staat auch vom Standpunkt der Armenunterstützung aus verpflichtet, für denjenigen, welcher bei der Arbeit verunglückt ist, einzutreten. So findet sich also kein Widerspruch zwischen diesem Gesetz und dieser Armengesetzgebung, es ist einfach eine Ergänzung derselben. In der neuen Fassung des Gesetzes ist nun von dem Armenwesen überhaupt nicht mehr die Rede, und das ist gut, obgleich wir keineswegs der Meinung sind, daß, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse heute sind, es eine Schande ist, Armenunterstützung zu empfangen. Wir glauben nicht, daß der Ar­beiter, der im Dienst der Arbeit Invalide geworden ist und der Gemeinde

fur got faut, te juhtube, welche es möglich machen, daß

sind nur die Zustände,

so viele Arbeiter in eine solche Lage kommen. Die So­zialdemokratie erkennt an, daß jeder Mensch, wenn er im Kampf um die Eristenz niedergeworfen ist, das Recht auf Unterstützung hat. Es ist nicht ein Almosen, welches ihm gereicht, nein, es ist eine gesellschaftliche, eine staatliche Pflicht, die ihm gegen­über erfüllt wird.

Liebknecht schloß dann seine Rede mit folgenden Worten:

Nehmen Sie das Gesetz an mit denjenigen Amendements, welche wir gestellt haben, um es von den ihm anhaftenden Mängeln zu befreien, dann werden Sie einen bedeutsamen Schritt auf der Bahn der Reform gethan haben. Der Sozialdemokratie freilich haben Sie damit nicht den Boden entzogen, sondern einen Dienst geleistet, denn dieses Gesetz ist ein Zeugniß für die Wahrheit des sozialistischen Ge­

dankens."

Nun, der Reichstag hat unsere Amendements abgelehnt, er hatte aber nicht den Muth, das Gesetz im Prinzip abzuweisen. Die Verhältnisse sind eben stärker als die Menschen, und ob die Herren wollen oder nicht, der Sozialismus wird seinen Siegeslauf machen, ohne sie und gegen fie!

Die Ausführungen Liebknechts lagen den Herren ganz gewaltig in den Knochen. Nur widerwillig ließ man in der Spezialberathung unsere Genossen zum Wort. Durch die ganzen nachfolgenden Debatten zog sich

mus hinein?

auch Sozialis

Wir hoffen, daß die sehr lehrreichen Debatten im Separatabdruck er­scheinen werden, es wäre die beste Wahlagitations- broschüre für unsere Partei, wir werden auf die eingehende Kritisirung derselben daher mit Rücksicht auf den beschränkten Raum unseres Blattes verzichten. Es war geradezu skandalös, mit welcher Gewissenlosigkeit z. B. die Herren Arbeiterfreunde" bei Berathung des famosen§ 7 die Haftpflicht für die erſten zwei Wochen von der Versicherungskaffe auf die Tasche der Arbeiter, bezw. der Krankenkassen abwälzten. Der Herr Melbeck , mit Hilfe der Ultramontanen in Solingen gegen unsern Genossen Rittinghausen gewählt, trieb die Schamlosigkeit so weit, eine Aenderung des Hilfskaffengesetzes anzu­fündigen, nach welcher die Krankenkassen zwar nach wie vor erst dreizehn Wochen nach Eintritt des Mitglieds Krankenunterstützung zu gewähren haben, dagegen Unfallunterstützung vom ersten Tage des Eintritts an. Diesem Gebahren gegenüber rief Genosse Bebel mit treffendem Sarkasmus:

" Ich muß sagen, das warme Herz, das sich in dieser Beziehung für das Wohl der Arbeiter bei Ihnen kundthut, ist wirklich rührend anzu­sehen; ich halte ein solches Verlangen für eine Ungerechtigkeit, wie ich mir sie stärker gar nicht denken kann. Das wird aber nicht ver hindern, daß wir von Ihnen bei§ 13 die schönsten Redensarten darüber anhören müssen, wie nothwendig es sei, aus ethischen und moralischen Gründen die Arbeiter an der Unfallversicherungslaft theilnehmen zu lassen, wie das Selbstbewußtsein der Arbeiter ganz anders gehoben würde, wenn sie dazu zu zahlen hätten, ja, aber die Herren Arbeitgeber sorgen weidlich dafür, daß ihnen die ihnen zukommenden Lasten möglichst erleichtert werden und die Last möglichst auf die Schultern der Arbeiter gewälzt werde. Nun, wir haben am Ende keinen Schaden dabei, wenn Sie in dieser Richtung Ihre Beschlüsse faffen, im Gegentheil, Sie werden etwas ganz anderes erreichen, als Sie mit dem Gesetz erreichen wollen."

Selbstverständlich fiel das Amendement unserer Genossen, die Herren vertrauen auf die Dummheit und Schlafmüßigkeit der Arbeiter. Wir werden sehen, ob sie sich täuschen.

Auch die Anträge auf beffere Unterstützung der Hinterbliebenen der Verunglückten fielen, es half nichts, daß Bebel den Herren zurief:

,, es wäre das bitterste Unrecht gegen die Familie eines Getödteten, neben dem schweren moralischen Schaden, den der Tod des Vaters der Familie zufügt, noch materiellen Schaden hinzuzufügen; ich meine, daß gerade nach dieser Richtung hin das christliche Ge= fühl", das Sie in so hervorragendem Maße verschiedentlich bei Be­rathung dieses Gesetzes betont haben, Veranlassung für Sie sein müßte, hier für unsere, der Nicht christen, Anträge einzutreten." Aber die guten Christen besannen sich eines besseren.- Bebel nahm auch Veranlassung, für die Gleichberechtigung der Frauen eine Lanze ein­zulegen. Er verlangte gleichmäßige Unterstüßung für beide Geschlechter und sagte in dieser Beziehung:

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" Ich begreife wirklich nicht, wie man in unserer heutigen Zeit noch dem männlichen Berechtigten auf Grund des Gesetzes einen Vorzug vor dem weiblichen Berechtigten geben kann. Ich erkenne an, daß unsere bisherige Gesetzgebung, insbesondere das Privatrecht, eine solche Bevor­rechtung des männlichen Geschlechts statuirt hat. Einer solchen Bevor­rechtung wird aber von denjenigen, welche die Gleichberechtigung der Frauen mit den Männern anerkennen, entgegengehalten: das geschieht blos, weil ihr Männer bisher die Gesetzgebung ausschließlich in der Hand habt und dadurch euch solche Vorrechte vorbehalten habt, genau so wie die Arbeitgeber resp. Unternehmerklasse überall der Arbeiterklasse gegenüber ihre bevorzugte Stellung in der Gesetzgebung zum Ausdruck zu bringen sucht. Warum wollen Sie das stärkere Geschlecht, das sich viel leichter forthelfen kann, vor dem schwächeren, dem weiblichen, bevor zugen? Wir sehen keinen Rechtsgrund dafür. Wir beantragen also, daß das Gesetz die volle Gleichberechtigung der Geschlechter anerkenne und ausspreche."

Herr Stumm hielt eine sehr moralische Rede dagegen, schwefelte von dem sittlichen Gefühl der Arbeiter und auch diese Anträge sausten in den Papierforb.

Dasselbe Schicksal hatte der für den Schutz der Arbeiter gegen Berunglückungen so wichtige Antrag unserer Genossen, den Arbeitgeber, welcher die in gleichem Betriebe 2c. bei anderen Unternehmern vorhandenen Schutzmaßregeln unterläßt, in eine höhere Gefahrenklasse einzureihen, trotzdem Genoffe Kayser zweimal eindringlich dafür eintrat und an vielen Beispielen die Nothwendigkeit dieser Vorschrift nachwies. Das Klasseninteresse der Herren steht eben höher als alle übrigen Rücksichten.

Kurz und gut, das Gesetz ist in einer solchen Weise zugerichtet worden, daß unsere Vertreter, wie sie gegen den Bismarc'schen ursprünglichen Entwurf gestimmt hätten, desto mehr Grund haben, die Mißgeburt von Sie Regierung und Reichstagsmajorität schlankweg abzulehnen. haben Alles gethan, um die Benachtheiligung des arbeitenden Volkes zu verhindern, sie können guten Muthes und mit reinem Gewissen vor ihre Wähler hintreten, daher ihre gesättigte", fiegesgewisse Haltung, Herr Bamberger!

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Sozialpolitische Rundschau.

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Unsere Vertreter im Reichstage. Bei der Berathung über die Petition der sächsischen Textilindustriellen die entweder Herabsetzung der Garnzölle oder Erhöhung der Einfuhrzölle auf fertige Gewebe, bezw. Rückvergütung der Garnzölle forderten hat unser Genosse Auer einige treffende Schiaglichter auf unsere herrlichen wirthschaftlichen Zustände geworfen. Sehr bezeichnend ist nachfolgende Stelle aus dem Briefe eines der Petenten eines Fabrikanten an Auer. Es heißt da: Sie wünschen ferner zu wissen, ob nicht auch der mechanische Webestuhl den Handwebestuhl überflügelt hat, also ein Theil der Schuld an der Nothlage auf Konto des ersteren zu schreiben sei. Dieser Einwand ist sehr wichtig und wird nach meiner Ver­muthung als Angriffswaffe gegen unsere Petition benutzt werden. Die Sache liegt aber thatsächlich so, daß die mechanische Weberei, weil diese vorzugsweise nur billige sogenannte Stapelartikel fabri zirt, welche am meisten von den ungünstigen Zollsägen betroffen werden, ebensosehr, ja noch mehr darniederliegt als die Hand­weberei. Der Sachverhalt ist in Wirklichkeit der, daß schon seit Jahren infolge der beispiellos billigen Hand­löhne die mechanische Weberei nicht mit der Handweberei fonfurriren kann. Der Kampf auf Tod und Leben" zwischen Hand- und mechanischer Weberei to mmt auch noch, aber später, erst dann, wenn die Handlöhne wieder ein gewisses Lohnmaximum erreicht haben werden, wo dann die mechanische Weberei wieder konkurrenzfähig wird und die Handlöhne dauernd auf dieses Lohnmaximum niederdrüď t."

aa

Soweit hätten wir es nun also glücklich gebracht, Dank der segen­spendenden freien Konkurrenz" auf dem Arbeitsmarkte! Die Preise der Handarbeit so heruntergedrückt, daß die mechanische Weberei mit ihr nicht mehr konkurriren kann! Hier steht die kapitalistische Gesellschaft an der Grenze ihres Wizzes. Die Handlöhne müssen erst wieder ein gewisses, ohnmaximum" erreicht haben, ehe es anders wird, meint der Fabrikant. Wißt Jhr, was das heißt? Wenn durch flotteren Geschäftsgang die Nachfrage steigt, dann bildet Euch nur nicht ein, Ihr Handweber, daß auch Eure Löhne entsprechend steigen, nein, das geht nur bis zu dem berühmten Lohnmaximum, höher nicht, dann beginnt der Kampf auf Leben und Tod".

und

Lasciate ogni speranza voi ch'entrate! Laßt die Hoffnung draußen, die Ihr eintretet, ruft er Euch zu, Ihr Proletarier. Ihr darbt und hungert heute und harrt sehnsüchtig auf besseren Geschäftsgang, aber wenn

er kommt, dann geht es Euch erst recht an den Kragen.

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Sehr richtig sagte Auer im weiteren Verlauf seiner Rede: ,, Sie haben lezzthin das Innungsgesetz beschloffen. Die Enquete zeigt Ihnen nun die Verhältnisse, in denen Tausende von Webermeistern leben. Glauben Sie, daß diesen Webernmeistern durch Innungen noch zu helfen ist? Nein, meine Herren, der Vorgang, der uns heute be­schäftigt, zeigt uns auf das Entschiedenste, daß das Klein­gewerbe in einer ganzen Reihe von Zweigen absolut nicht mehr im Stande ist, den Kampf mit dem Großbetrieb zu führen, zeigt wie ganz zwedios und verloren Ihre Be­mühungen sind, einem Stand, der im Absterben begriffen ist und das ist das Kleinhandwerk noch auf die Beine zu helfen.

Der Enquetbericht führt auch an, daß Lehrlinge von den Weber­meistern nicht mehr ausgebildet werden, zeigt also auch in dieser Rich tung, wie wenig Sie mit den Bestrebungen der Innungsvorlage, wonach Sie einzelnen Meistern das Halten von Lehrlingen verbieten wollen, noch werden erreichen können.

Mit Bezug auf die Lohnverhältnisse möchte ich hier noch eins erwähnen. Herr von Mirbach meinte, die Arbeiter sollen vom Westen nach dem Often ziehen, dort wären ja billige Lebensmittel, dort könnten sie mit ihren Löhnen auskommen. Ich fürchte nur, daß das Umgekehrte noch mehr eintreten wird, als es heute schon der Fall ist, nämlich, daß die Arbeiter vom Often nach dem Westen ziehen, und zwar wird das so lange so bleiben, als Herr v. Mirbach und seine Freunde im Osten ausschließlich das Regiment in der Hand haben. Im Uebrigen möchte ich dem Herrn Abgeordneten bemerken, daß sein weiterer Ausspruch: hohe Lebensmittel geniren den Arbeiter nicht, wenn die Löhne nur im Verhältniß zu den Lebensmittelpreisen bleiben", zwar richtig ist, daß aber leider seine Voraussetzung, daß hohe Lebensmittelpreise ftets mit hohen Löhnen Hand in Hand gehen, nicht zutrifft.

Der Umstand, daß wir genöthigt sind, nach dem Ausland unsere In dustrieprodukte zu verkaufen, und daß wir dort auf dem Weltmarkt der Konkurrenz anderer Länder begegnen, zwingt uns, wenn wir diese Kon­kurrenz bestehen wollen, die Löhne auf das niedrigste Niveau herabzu setzen. Wenn nun, wie es bei uns der Fall ist, die nothwendigsten Lebensmittel mit Steuern belastet werden, so werden zwar die Arbeits­