Erscheint

wöchentlich einmal

in

Zürich  ( Schweiz  )

Verlag

A. Herter, Hottingen  - Zürich  

Kafinoftraße 3.

Poffendungen

franco gegen franco. Gewöhnliche Briefe

nach der Schweiz   tosten Doppelporto.

N: 30.

Der Sozialdemokrat

Zentral- Organ der deutschen   Sozialdemokratie

Donnerstag, 21. Juli.

Avis au die Korrespondenten und Abonnenten des Sozialdemokrat".

Da der Sozialdemokrat" sowohl in Deutschland   als auch in Oesterreich   verboten ist, bezw. verfolgt wird, und die dortigen Behörden sich alle Mühe geben, unsere Verbindungen nach jenen Ländern möglichst zu erschweren, resp. Briefe von dort an uns und unsere Zeitungs- und sonstigen Sendungen nach dort abzufangen, so ist die äußerste Vorsicht im Postverkehr nothwendig und darf teine Vorsichtsmaßregel versäumt werden, die Briefmarder über den wahren Absender und Empfänger, sowie den Inhalt der Sendungen zu täuschen, und letztere dadurch zu schüßen. Haupterforderniß ist hiezu einerseits, daß unsere Freunde so selten

Abonnements werden nur beim Verlag und dessen bekannten Agenten ent­gegengenommen und zwar zum voraus zahlbaren Bierteljahrspreis von:

Fr. 2.- für die Schweiz  ( Kreuzband) Mf. 3. für Deutschland  ( Couvert) fl. 1. 70 für Oesterreich( Couvert) Fr. 2. 50 für alle übrigen Länder des Weltpoftvereins( Kreuzband).

Juferate

Die dreigespaltene Petitzeile 25 Cts.

20 Pfs.

1881.

als möglich an den Sozialdemokrat", resp. dessen Verlag selbst adressiren, sondern sich möglichst an irgend eine unverdächtige Adresse außerhalb Deutschlands   und Oesterreichs   wenden, welche sich dann mit uns in Verbindung setzt; anderseits aber, daß auch uns möglichst unverfängliche Zustellungsadressen mitgetheilt werden. In zweifelhaften Fällen empfiehlt sich behufs größerer Sicherheit Rekommandirung. Soviel an uns liegt, werden wir gewiß weder Mühe noch kosten scheuen, um trotz aller ent gegenstehenden Schwierigkeiten den Sozialdemokrat unsern Abonnenten möglichst regelmäßig zu liefern.

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Der 23. Juli.

,, Unserm" Raiser gewidmet.

Unser theuerer Heldengreis weilt- wenigstens zur Zeit der Abfassung dieses Artikels am Bodensee  . Alle Stände", wie es heißt ,,, wetteifern, Allerhöchst demselben ihre Huldigungen barzubringen und die Versicherungen ihrer Liebe und Treue zu Füßen zu legen". Gar erbaulich lauten die Berichte über die Anstrengungen der guten Konstanzer, durch Feuerwerke, durch dra­matische Vorstellungen und v. Scheffel'sche Verse die herzliche Liebe zwischen Fürst und Volk zu offenbaren".

Auch wir fühlen uns bemüssigt, zu diesem Freudenfeste ein Scherflein beizutragen. Freilich nur in schmuckloser Prosa. Auch greifen wir nicht zurück in die glorreichen" Zeiten Karls des Großen und nicht in die Barbarossa's, um den Heldenkaiser zu berherrlichen wir lassen seine eigenen Thaten für ihn sprechen, seine Thaten in demselben Lande Baden  , das ihm jetzt so entzückt zujubelt.

armee.

32 Jahre find es her, daß Wilhelm I.  , damals noch Prinz von Preußen, in Baden   einzog, als Feind, mit der Exekutions­Es war derselbe Prinz von Preußen, der ein Jahr vorher, in den Märztagen 1848, aus Berlin  , ausgekniffen" war, wie sich Leute ausdrücken, deren Lieblosigkeit nicht einmal vor der Majestät zurückschaudert. Dieselben Leute treiben ihre Gemüth­losigkeit so weit, zu behaupten, seine Feigheit sei nur von seiner Habsucht übertroffen werden, und führen als Beweis an, daß zugleich mit ihm der Staatsschazauskniff.

Verläumdung! Als Entschädigung für den im Interesse des Staates" mitgegangenen Staatsschaß ließ er auf seinen Palast unter den Linden die Aufschrift Nationaleigenthum" anbringen, damit derselbe vom Pöbel" respektirt werde. Und der rohe mordbrennerische Böbel respektirte in der That das National­eigenthum". Es tennt eben noch nicht die Gesetze der höheren Moral", nach denen Fürsten   Staatsschätze verschwinden lassen fönnen und doch ehrliche, nachahmungswürdige Men= schen bleiben.

Der musterhafte Prinz von Preußen kämpfte also 1849 in Baden   gegen die von dem Polen   Mieroslawski   befehligte Revo­lutionsarmee.

Die Schlacht von Waghäusel  ( 21. Juni) war durch den Verrath der badischer Dragoner unter Beckert, welche mitten im Treffen zu den Preußen übergingen, unglücklich für die Revo­lutionsarmee ausgefallen. Die Letztere zog sich gegen die Festung Rastatt   zurück und besezte die Murglinie, im Ver­trauen auf Württembergs Neutralität. Ihr folgte die Ere­tutionsarmee". Am 29. Juni wurde zwar deren Angriff zurüd­geschlagen; am 30. Juni aber nahm fie, indem sie das ,, neutrale" württembergische Gebiet betrat, die Murglinie und schloß die Festung Rastatt   ein, die von einem großen Theil des Revo­lutionsheeres besetzt war. Noch während der Dauer des Krieges wurden gefangene Aufständische erschossen.

Im Gefechte bei Durlach   wurden verschiedene Turner, die den Abzug der Revolutionsarmee deckten, von einem Kirchthum herab­geworfen und unten mit den Bajonetten gespießt.

Rastatt   leistete hartnäckigen Widerstand. Schon beorderte der Prinz von Preußen, um Bresche zu schießen, von Koblenz  schwereres Geschäß, als die Regierungen von Oesterreich und Baiern   gegen die Zerstörung der Bundesfestung kräftige Ein­sprache erhoben. Da gerieth ein Lieutenant auf die Kriegslist, auf der Murg wohlverschlossene Flaschen mit Zeitungen hirab­schwimmen zu lassen, damit die Belagerten, wenn sie selbige auf fingen, fich von dem gänzlichen Aufhören des Kampfes über­Das wirkte. Unter zeugten und dadurch den Muth verlören. den Belagerten befand sich Corvin- Wierbitti. Dieser brachte es dahin, daß man ihn nebst dem Major Laupen   damit betraute, fich am 18. Juli bei den Preußen als Parlamentäre zu melden und bis hinauf nach Freiburg   und Konstanz zu reisen, um zu sehen, ob noch Entsaz möglich sei. Diese Weise machten die Ge­nannten in Begleitung eines preußischen Offiziers und zweier Unteroffiziere. Corvin gab bei seiner Rückkunft den Belagerten nicht nur Nachricht von der in Baden   eingetretenen Grabesruhe, sondern er benachrichtigte sie auch, daß der Großherzog unterm 5. Juli eine Amnestie für Alle, welche fich bis zu einem be­stimmten Termin freiwillig unterwerfen würden, verkündet habe. Ferner wurde ein Kapitulationsvertrag auf Betreiben Corvins abgeschlossen, in welchem den Belagerten volle Am­nestie zugesichert wurde. Nun ergaben sie sich auf Treu und Glauben und die Kapitulation ward am 23. Juli bollzogen.

Bei dieser Feierlichkeit ritt der Festungskommandant Tiede: mann dem an der Spitze seines Generalstabs haltenden preu­Bischen General von der Gröben entgegen und überlieferte ihm seinen Degen. Die Festungskavallerie, welche absaß und die Offiziere legten ihre Säbel auf die Erde und die Infanterie stellte ihre Gewehre zusammen. Nachdem aber die Frei­fchaaren ihre Waffen abgeliefert hatten, wurden sie Räuber und Lumpengesindel genannt und als

Gefangene in die Kasematten der Festung einge= sperrt, wo sie auf das Erbärmlichste behandelt wurden. Der Prinz von Preußen erklärte ben Kapitulationsvertrag jeßt für ungültig, weil dieser nicht von ihm selbst, sondern in seinem Namen von einem Generalstab soffizier, Major von Alvensleben, unterzeichnet war!

Dieser niederträchtige Wortbruch wurde a m 23. Juli 1849 vollzogen.

Nun wüthete das Standrecht mit preußischer Virtuofität. Der

hochherzige Tiedemann aus Landshut   wurde zuerst erschossen, nach ihm der Schriftsteller Elsen hans, der alte Bönning von Wiesbaden  , Major Heilig, Gebhard Croner, Neff und viele Andere. Alle starben mit dem Rufe: Es lebe die Republik!"

In Freiburg   blutete Mar Dortu, in Mannheim   fielen Trühschler, Streubel, Lacher, Diez und Höfer unter den mörderischen Kugeln des Standrechts.

Sollen wir unserem Gedenktag noch besondere Betrachtungen widmen? Wir glauben es nicht nöthig zu haben. Wir wollen nur an das letzte Wort des jungen Dortu erinnern, der den Soldaten, die ihn zu erschießen hatten, zurief:

Schießt gut, Brüder!"

Was würde Mar Dortu wohl denken und sagen, könnte er hören, wie die charakterlosen Hurrahschreier und Volksverräther, die heute denselben preußischen Prinzen mit Hosiannah begrüßen, den sie vor 32 Jahren am liebsten aufgehängt hätten, wie jene traurigen Sklavenseelen die Gräber der Standrechtsopfer von 1849 schänden und das Andenken der Todten beleidigen, indem sie ihrem Henker zujubeln:

,, Dem Schirmherrn Deutschlands   an des Südens Grenzmark  , Den nicht allein der goldne egestorbeer, ,, Den auch des Eltervaters Pflicht erfreut,

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" Dem deutschen   Kaiser Wilhelm Glück und Heil! Heil seinen Kindern und den Kindeskindern." Anders sang man in Baden   1849. Ein Wiegenlied aus jener Zeit lautete:

Schlaf' mein Kind, schlaf' leis, ,, Da draußen geht der Preuß'! ,, Deinen Vater hat er umgebracht,

,, Deine Schwester hat er zur Hur' gemacht, ,, Deinen Bruder trieb er in's fremde Land, ,, Das Haus hat er uns niedergebrannt!

,, Schlaf mein Kind, schlaf leis,

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,, Da braußen geht der Preuß'!"

Dieser Preuß' heißt heute: Wilhelm I.  , der Gütige. Baden- Baden  . Ein Unversöhnlicher.

Briefe vom Kriegsschauplatz.

Leipzig  , 17. Juli.

Die Wahl Bebel's im Landkreis und die Niederlage des national­liberalen Vollblut- Kandidaten Krause in der Stadt Leipzig   hat unsere Nationalliberalen ganz aus dem Häuschen gebracht. Letzteres Malheur vielleicht noch mehr als das erstere, auf welches sie halb vorbereitet waren. Zum ersten Mal seit es überhaupt Nationalliberale gibt, ist in der Hochburg des Nationalliberalismus ein nicht nationalliberaler Kandidat gewählt worden.

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Und Heine, der Krause geworfen, ist nicht nur kein National­liberaler, sondern sogar ein entschiedener Gegner des Nationalliberalismus. Beiläufig, als zoon politikon politisches Thier betrachtet, ein wunderbares Mischexemplar: wunderbares Mischexemplar: fortschrittlich, konservativ, sozialistisch, republikanisch, loyal- monarchistisch, kurz alles Mögliche, nur nicht bis­marckisch und nationalliberal.

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Kurios und so recht bezeichnend für die beispiellose Gesinnungslosigke it unseres liberalen" Bürgerthums ist der Umstand, daß derselbe Heine, welcher in Leipzig  - Stadt gegen die Nationalliberalen kandidirte, in Leipzig  - Land von ihnen als einziger Kandidat der Ordnungsparteien" auf den Schild gehoben und eifrigst unterstützt ward.

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Dem ersten Schub" ist bald der zweite gefolgt: zwei Tage vor der Wahl! Und da sage noch einer, die Verhängung des Belagerungs­zustandes habe nichts mit den Wahlen zu thun!

Das Vorgehen unserer Behörden in puncto des Ausweisens ist charak­teristisch. Hätte man gleich nach Proklamirung des Kleinen" die auf der Liste stehenden zweihundert mit einem Male ausgewiesen, dann würde die Welt über die unerhörte Grausamkeit geschrieen haben, und der Schlag war gefallen: die nicht Getroffenen hätten bald wieder ein gewisses Gefühl der Sicherheit erlangt.

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Statt dessen ist man so" human", zu Anfang nur ein Sechstel der auf der Liste Stehenden auszuweisen; die übrigen kommen zu geeig­neter Zeit an die Reihe.

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Dies hat den doppelten Vortheil, daß die Regierungsorgane die Mäßigung betonen können, mit welcher die Behörden von dem ,, Aus­weisungsrecht" Gebrauch machen; und daß gleichzeitig da die auf der Liste befindlichen Namen geheim gehalten werden das peinlichste Gefühl der Unsicherheit in Tausenden hervorgerufen wird. Niemand weiß, ob er auf der Prostriptionsliste steht, und Jedermann weiß, daß bei Entwerfung der Liste die schamlosese Willkür gewaltet hat, daß also Jedermann auf der Liste stehen kann.

Wie schamlos diese Willkür, davon haben Sie bereits Proben gehabt. Unter den zuletzt Ausgewiesenen befindet sich ein 65jähriger Greis,

Rabe in Zschocher, dessen einziges Verbrechen es ist, einen sozialdemo­fratischen Sohn zu haben; und ein Buchbinder, dem nichts anderes zur Laft gelegt werden kann, außer, daß er für ein sozialdemokratisches Ge­schäft rein geschäftlich thätig war.

In dieser letzteren Infamie ist Methode. Die Sozialdemokratie soll sozusagen in gesellschaftliche und geschäftliche Quarantaine versetzt, und für die noch nicht vergiftete" Bevölkerung zum Gegenstand des Abscheues und Schreckens gemacht werden.

Der beabsichtigte Zweck ist indeß nicht erreicht worden. In allen, nicht von Servilität und Nationalliberalismus völlig durchseuchten Volks­treisen haben die frevelhaften, durch nichts auch nur scheinbar gerecht­fertigten Gewaltmaßregeln, statt der erhofften Zustimmung, die lebhafteste Entrüstung hervorgerufen. Bei der Wahl Bebels im Landkreis hat diese Entrüstung mitgesprochen, und bei den kommenden Reichstagswahlen wird sie mitsprechen.

Ohne die geradezu russischen Zustände, die seit einiger Zeit in Dres den herrschen, würde die Sozialdemokratie am 12. ds. zwei weitere Siege erfochten haben: im Dresdener   Landkreis und in einem Dresdner  Stadtkreis. Wie die Dinge lagen, war der Kampf zu ungleich trop brachten wir es auch dort, zu einer bedeutenden Stimmenzahl.

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Ich sagte: es herrschen russische Zustände in Dresden  . Das ist keine Uebertreibung. Hören Sie nur:

Daß nach und nach Schlüter, Kayser, Zumbusch, fünf andere Führer" und schließlich noch Kegel hinter Schloß und Riegel gebracht worden, das war für unsere Staats- und Gesellschaftsretter noch nicht genug: die Partei mußte ihrer Presse beraubt werden. Die Buchdruckerei Zumbusch u. Co. wurde in der Woche vor der Wahl von der Polizei förmlich belagert, und bei einem Einbruch in das Geschäft. fiel den uniformirten Einbrechern ein im Druck befindliches Wahlflugblatt für Bebel in die Hände, das, trotz seines ganz unverfänglichen Inhalts, natürlich sofort verboten wurde. Doch dies war nur die Einleitung.

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Nach dem Verbot des Flugblatts und nach obligater Ausplünderung der Druckerei erklärte die Polizei, das verbotene Flugblatt sei dem Ver­bote zuwider weitergedruckt worden. Und auf Grund dieser un­wahren und unsinnigen, durch nichts unterstützten Behauptung wurde das sämmtliche Personal der Druckerei und Expedition verhaftet einziger mehr in Freiheit war, von der Polizei geschlossen- im und das Geschäft selbst, von dessen Theilhabern und Arbeitern kein Interesse des( herrenlosen!) Eigenthums!"

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Ebenfalls im Interesse des Eigenthums" wurde das in der Druckerei­kaffe befindliche Geld bis auf den letzten Pfennig weggenommen.

Und das Alles am Freitag, d. h. vier Tage vor der Wahl, am Vor­abend des eigentlichen Wahlkampfes, der in der Nacht vom Sonnabend auf den Sonntag beginnen sollte.

Die braven Dresdener   Genossen ließen sich aber nicht entmuthigen. Ungeachtet der Schließung der Druckerei gelang es, neue Flugblätter und die nöthigen Stimmzettel herzustellen.

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Frischen Muths ging es an die Vertheilung und an die Landagitation. Seitens der Amtshauptmannschaft wurden die Polizeiorgane und Ge­meindevorstände angewiesen, die Verbreiter der verbotenen sozialdemokra tischen Flugblätter inzwischen war auch unser Flugblatt für den an= deren Dresdener Wahlkreis( Stadt), wo Münch aufgestellt war, verboten worden zu verhaften. Und dies wurde gewiß nicht zum Aerger der Herren von der Amtshauptmannschaft von den Polizeiorganen und Gemeindevorständen so aufgefaßt, als sei die Verbreitung je des sozial­demokratischen Flugblatts, ja selbst der sozialdemokratischen Stimmzettel verboten.

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Demgemäß begann, namentlich in dem Dresdener   Landkreis, eine Hetz­jagd auf unsere Genossen, wie Aehnliches noch bei keiner Wahl vorge tommen. Zehn unserer Leute wurden verhaftet, Dutzende durch Polizei und Gensdarmerie am Vertheilen gehindert.

Es half jedoch Alles nicht; die Verbreitung der Flugblätter und Wahl­zettel wurde nichtsdestoweniger bewerkstelligt. Und das Wahlresultat wäre trotz alledem in beiden Dresdener   Kreisen ein für uns günstiges gewesen, hätte die Regierung nicht amtlich, d. i. durch ihre Zeitungen und Be­amten, die Losung ausgegeben:

Wer für den Sozialdemokraten stimmt, stimmt für den Belagerungs­Zustand.

Durch diese Drohung, deren Lächerlichkeit wir bei dem Mangel einer Presse den Wählern nicht demonstriren konnten, wurden hunderte von Wählern, die unter normalen Verhältnissen für unseren Kandidaten ge­stimmt hätten, von der Wahlurne ferngehalten und der Sieg uns entrissen. Die sächsische Regierung wird in der nächsten Landtagssession für dieſe Reihe von Attentaten auf die Freiheit der Wahl, auf das Gesetz Rede und Antwort zu stehen haben!

Nachschrift. Der Fall Goldhausen ist Ihnen bekannt. Jetzt sucht die amtliche Leipziger Zeitung" dieses schreiende Unrecht damit zu moti­viren, daß ein Wahlaufruf für Bebel in der Goldhausen'schen Druckerei gedruckt worden sei. Nun wurde aber dieser Aufruf erst nach der Aus­weisung Goldhausen's gedruckt, kann also unmöglich den Grund zur Ausweisung geliefert haben; und zweitens ist der Wahlaufruf( für den Leipziger Landkreis) gar nicht verboten worden, enthält also nichts, was selbst nach dem Sozialistengesetz ein Verbot rechtfertigen könnte. Unsere Behörden müssen ein sehr schlechtes Gewissen haben, daß sie ihre Vertheidigung nicht besser zu führen wissen.

Wenn man einmal Gewalt und Willkürakte verübt, dann soll man auch entweder die Courage haben, sich offen auf den Standpunkt der Gewalt und Willkür zu stellen, oder das Geschick, die Willkür- und Ge­waltakte jesuitisch zu beschönigen. Die sächsischen Behörden haben weder dieses Geschick noch jene Courage.

Das Noblesse oblige hat sein ergänzendes Pendant. Nicht die Noblesse legt Pflichten auf, sondern auch das Gegentheil der Noblesse, namentlich wo es sich in Amt, Würden und auf dem Geld­sack spreizt und staats- und gesellschaftsretterische Alluren annimmt. Wenn nicht Pflichten des Anstands, doch wenigstens Pflichten der Lo git, oder richtiger der Sophistik.