Briefe eines Achtundvierzigers.
Berlin , 16. Juli 1881. Ein Glück, daß das„ Le ridicule tue" der Franzosen für unser Deutschland , die fromme Kinderstube, nicht gilt, sonst wäre unser OberRevolutionär, der sogenannte„ eiserne Kanzler", der aber in Wirklichkeit ein hasenherziger Angstmeier ist, jetzt dem Schauplatze seiner segensreichen Umsturz- Thätigkeit entrückt. Das letzte„ Attentat" war aber etwas zu lächerlich. Eine gesprungene Waggonfeder, die mit einer Dynamitpatrone, ein ehrsamer Schaffner, der mit einem Nihilisten verwechselt wird ist wahrhaftig zu arg!
das
Und dann der komische Schrecken, der sich auf dem Gesichte des „ Eisernen " malte, als er nach dem unheimlichen Knall an das Waggonfenster gestürzt kam, und leichenblaß, sprachlos vor Entsetzen, krampfhaft die Thüre zu öffnen versuchte, um den vermeintlichen Mördern zu entrinnen!
Es war ein Schauspiel für Götter und sündige Sozialdemokraten. Das Attentat" passirte bekanntlich auf der Fahrt nach Kissingen . Ganz erholt hat der„ Eiserne " sich bis auf den heutigen Tag noch nicht von dem fatalen Abenteuer, das übrigens nicht ohne Folgen sein dürfte.
Gegen den Fabrikanten, welcher den betreffenden Waggon mit der Attentats Feder geliefert hat, soll ein Hochverraths- und MordanfallsProzeß intendirt sein. Und des weiteren vernimmt man, daß der „ Eiserne " sich den Genuß des sonst so verehrten Champagners abgewöhnt hat, weil der Pfropfen zu lebhaft an Dynamitpatronen erinnert.
Wie gut, daß der heilige Cognat nicht explosiv ist!
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Recht spassig ist die neueste Encyclica des Papstes. Sie wirft Liberalismus, Sozialismus, Kommunismus, Nihilismus, kurz alle modernen is men, gute und schlechte, pête mêle in einen Topf, und leitet das ganze Uebel der Welt aus der Reformation her. Darnach wäre der protestantische Fürst Bismarck ein Sozialist, Kommunist, Nihilist was ja nicht so ganz unrecht. Im höchsten Grade ergötzlich ist die Entrüstung unserer Liberalen über diese Insulten", diesen Faustschlag" ins Gesicht des protestantischen Prinzips. Der Papst hat eben mehr Logik als die Herren Liberalen, deren starke Seite die Logik nie gewesen ist, so wenig wie die Konsequenz. Freilich, es ist nur die Logik des Unsinns.
Wenn übrigens die Herren Liberalen aus dem kuriosen Aktenstück Kapital für den Kulturkampf zu schlagen hoffen, so täuschen sie sich sehr. Der reaktionäre Staat des Herrn Bismarck ist dem bürgerlichen Liberalismus gerade so feindlich wie der unfehlbare Papst, und daß der unfehlbare Papst die Welt in religiöser und wissenschaftlicher Beziehung hinter die Reformation zurückschrauben will, kann dem genialen Staatsmann ficherlich nicht mißfallen, der dasselbe Ziel auf politischem und wirthschaftlichem Gebiete verfolgt.
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Es steht fest, daß noch vor der Reichstagswahl, die nicht vor Oktober, vielleicht später stattfindet, der Belagerungszustand über eine Reihe von Städten und Industriebezirken verhängt werden soll. Hauptlich mit Rücksicht hierauf wird der Bundesrath Anfangs September wieder zusammentreten.
En attendant hat die sächsische Regierung für ihr" Land eine Anzahl Blanco- Vollmachten zur Benutzung à discretion erhalten. Sie glaubt aber ohne weitere Applikation des„ Kleinen" fertig zu werden. Daß sie fertig werden wird, glauben wir auch.
Sozialpolitische Rundschau.
3ürich, 20. Juli 1881.
Die Antwort auf den Belagerung szustand in Leipzig ist am 12. Juli gegeben worden. Der östliche Leipziger Landkreis für die sächsischen Landtagswahlen hat mit glänzender Majorität den Kandidaten der Sozialdemokratie, den ausgewiesenen Bebel gegen den Kandidaten der vereinigten Ordnungsparteien gewählt. Wenige Tage vor der Wahl hatten die Männer des Ausnahmegesetzes noch 22 neue Ausweisungen verfügt, um unsere Partei durch den Schrecken zu lähmen. Es war aber Alles umsonst. Umsonst setzten sie Himmel und Hölle in Bewegung, verbreiteten die unverschämtesten Lügen, beschränkten sie die Freiheit der Wahl, hetzten unsere Agitatoren", legten der Verbreitung der Wahlflugblätter und selbst der Stimmzettel jedes mögliche Hinderniß in den Weg umsonst ließen sie mehrere Träger von Flugblättern und Stimmzetteln am Tage der Wahl, oder unmittelbar vorher, verhaften die sozialdemokratischen Wähler blieben unerschütterlich fest, und der Sieg blieb unser.
"
Die ganze Umgebung von Leipzig , welche für die Reichstagswahlen einen Wahlkreis bildet, ist nun im Landtag durch zwei Sozialdemokraten vertreten: durch den jetzt gewählten Bebel und den vor zwei Jahren in der westlichen andern Abtheilung gewählten Liebknecht. Damit
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Feuilleton.
II.
Im Jahre 1848 zeigte es sich deutlich, wie Oesterreich als ein Ueberrest aus der Periode, in welcher die Völker noch nichts in die Staatsverwaltung dreinzureden hatten, daß Desterreich als ein wesentlich zusammengeheiratheter und zusammengestohlenerstehe Galizien - Staat, der nicht durch die Bande der Nationalität oder Interessengemeinschaft, sondern nur durch die Dynastie zusammengehalten wird, daß der zu Grunde gehen muß, bevor seinen Einwohnern wirkliche politische Freiheit zu Theil werden kann. So oft man den Habsburgern Zugeständnisse abgerungen hatte, benutzte man sie regelmäßig dazu, sich gegenseitig zu unterdrücken und wieder dem Absolutismus zuzuführen. In Oester reich ist nur der Absolutismus möglich, und da dieser heutzutage unmöglich ist, ist auch Oesterreich unmöglich.
Das Jahr 1848 zeigte denn auch in Oesterreich eine heillose Konfusion. In Böhmen waren die Tschechen anfangs revolutionär, die Deutschen in Prag schlugen sich dagegen auf Seite des Mordbuben Windischgrät, als derselbe Prag beschießen ließ. Als aber derselbe Windischgrätz gegen Wien zog, um dieses niederzuschmettern, waren die vor kurzem noch revolutionären Tschechen auf seiner Seite. Aehnlich verhielt es sich mit den Kroaten und Ungarn . Kein Wunder, daß die Erhebung in Desterreich bald niedergeschlagen war, mit Ausnahme der der Ungarn , dem einzigen ausschließlich österreichischen Volksstamm, der einen größeren geschlossenen Landkomplex bewohnt.
1860 tam endlich die deutsche Bourgeoisie in Oesterreich zur Herr schaft, nachdem das Jahr 1859 die Unmöglichkeit dargethan hatte, blos auf das Militär und die Büreaukratie gestützt, zu regieren. Das Jahr 1867 befestigte diese Herrschaft für die westliche Reichshälfte, indem man den Ungarn die östliche mit mehr als fünf Millionen Slaven und drei Millionen Rumänen überließ.
Nun begannen in Cisleithanien die Orgien der deutsch - liberalen Bourgeoisie unter dem Bürgerministerium". Wer da weiß, wie albern sich diese selbe Bourgeoisie in Deutschland während und nach dem„ heiligen" Krieg gegen den verkommenen Erbfeind" benahm, wie tölpelhaft brutal dieselbe jetzt gegen die ,, Semiten" auftritt, dann wird man begreifen, daß dieselbe ihre Herrschaft über die Slaven in einer Weise übte, die den
haben wir den Leipziger Landkreis auch für die bevorstehenden Reichstagswahlen erobert.
Die Herren in Dresden und in Berlin wissen jetzt, was das Volk über sie und ihr Treiben urtheilt.
Die volle Bedeutung unseres Sieges tritt erst dann hervor, wenn man erwägt, daß die Landtagwahlen nicht nach allgemeinem Stimmrecht stattfinden. Landtagswähler in Sachsen ist nur, wer an direkten Landessteuern mindestens 4½½ Mark jährlich 3 Mark fire Steuern und 1½ Mark sogenannten Zuschlag bezahlt, ein Zensus, durch welchen im Ganzen ungefähr zwei Drittel sämmtlicher Reichstagswähler von dem Wahlrecht für den Landtag ausgeschlossen werden.
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Die Ausgeschlossenen sind aber durchweg Sozialdemokraten. Und dennoch hat die Sozkaldemokratie gefiegt.
Hierzu kommt noch, daß die vereinigten Ordnungsparteien uns in der Person Heine's, der sehr populär ist und infolge seiner vortrefflichen Privateigenschaften auch unter der Arbeiterklasse viele Sympathien hat, den denkbar gefährlichsten Gegenkandidaten gestellt hatten. Und doch hat die Sozialdemokratie gefiegt.
Dieser Sieg ist ein imposanter Protest gegen die Ver hängung des Belagerungszustands.
Er zeigt, daß die Bevölkerung von der schmachvollen Reaktionswirthschaft nichts wissen will, und daß die Organisation der Sozialdemokratie durch keine Verfolgung erschüttert werden kann.
Nach ihrer Niederlage erlaubten sich die vereinigten Ordnungsparteien das tindliche Vergnügen, die Gültigkeit der Wahl Bebels zu bestreiten, indem sie erklärten, derselbe entrichte bloß 17 Mark direkter Landessteuern, während das sächsische Wahlgesetz die Landtags wählbarkeit an die Zahlung von mindestens 30 Mark jährlich knüpft. Aber das war nur ein Parthischer Pfeil, den der geschlagene, fliehende Feind abschoß.
Es ist wahr, Bebel bezahlt nur 17 Mart. Durch einen strafbaren Amts mißbrauch war dies in die Oeffentlichkeit gelangt. Allein das sächsische Landtagswahlgesetz vom Jahre 1868 bestimmt:
Und
§ 5. Jnsoweit Wahlrechte von dem Eigenthum eines Grundstückes oder der Entrichtung eines gewissen Abgabenbetrages abhängen, ist dem Ehemann und Vater der Grundbesitz seiner Ehefrau und der in seiner väterlichen Gewalt befindlichen Kinder, sowie die für Ehefrau und Kinder zu entrichtende Steuer anzurechnen."
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§ 20. Die Wählbarkeit wird außer den§ 4 bemerkten hier nicht in Frage kommenden Voraussetzungen ferner dadurch bedingt, daß der zu erwählende an Grundsteuer von ihm eigenthümlich zugehörigen inländischen Grundstücken, oder an direkten Personallandesabgaben, oder an beiden zusammen wenigstens zehn Thaler jährlich ohne den Zuschlag von 50 Prozent entrichtet( vergleiche übrigens Paragraph 5). Bei Berechnung dieses leiden die Vorschriften im hier nicht in Frage kommenden§ 19, Absatz 2 und 3 analoge Anwendung." Nun ist aber Bebels„ Ehefrau" juristisch die Inhaberin eines Theiles des Geschäfts„ Jsleib und Bebel" und bezahlt als solche das vier- und fünffache des von dem sächsischen Landtagswahlgesetz für die Wählbarkeit vorgeschriebenen Steuerbetrags. Nach dem sächsischen Landtagswahlgesetz muß dieser Betrag dem„ Ehemann" Bebel ,, angerechnet" werden, welcher demnach die Bedingungen des sächsischen Landtagswahlgesetzes, zum unsagbaren Aerger der Feinde, übergenügend erfüllt.
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Uebrigens würde es unserem Sieg keinen Abbruch gethan haben, auch wenn Bebel wirklich nicht wählbar gewesen wäre. Unseren Sieg vom 12. d. M. kann man uns nicht entreißen, und im Falle der Ungiltigfeitserklärung hätten wir einfach am Tage der Ersatzwahl einen neuen Sieg erkämpft. Denn die Behauptung der reaktionären Blätter, der Gegenkandidat wäre dann einfach als gewählt zu betrachten, ist total falsch, wie ein Blick auf die analoge erste Wahl Liebknecht's lehrt. Bekanntlich wurde dieselbe im Jahre 1877- deshalb kassirt, weil Liebknecht noch nicht die erforderlichen drei Jahre Staatsangehörig keit aufweisen konnte. Die Reaktionäre, obenan natürlich die Nationalliberalen, verlangten damals, gerade wie jetzt bei Bebel, die für Liebknecht abgegebenen Stimmen sollten sans façon als nicht vorhanden, und der Gegenkandidat als gewählt betrachtet werden. Die Regierung weigerte sich jedoch, diesem vernunft und gesetzwidrigen Anfinnen zu entsprechen: sie ordnete, ohne den Zusammentritt des Landtags abzuwarten, aus eigener Initiative eine Neuwahl an, aus welcher Freytag als Sieger hervorging.
Genau so hätte auch jetzt verfahren werden müssen.
Und die Sozialdemokratie hätte zwei Stege erkämpft statt eine 8.
Der Liberalismus hat in Deutschland gründlich abgewirthschaftet. Sowohl in Sachsen als auch in Bayern ist er bei der letzten Landtagswahl gründlich geschlagen worden. Die Konservativen, die jetzt in Sachsen , und die Ultramontanen, die in Bayern die Majorität im Landtag haben, sind zwar um kein Jota beffer, aber viel schlimmer als die Liberalen werden sie es auch nicht machen. Vielmehr werden sie sich ebenso schnell, ia wahrscheinlich noch schneller als diese abwirthschaften. Und dazu: Glück auf! en. Und dazu: Gl
Jetzt ist's heraus! Es hat zwar ein bischen lange gedauert, fast drei Wochen, bis es der erstaunten Welt kund gethan wurde, aber
nationalen Fanatismus nichts weniger als einschläferte. Die Periode des„ Bürgerministeriums", diese allseits als die des Ideals der Freiheit von den Liberalen bezeichnete Periode, ist denn auch in Böhmen durch den Belagerungszustand in Prag , durch unzählige Konfiskationen tsche chischer Zeitungen, durch zahlreiche mehrjährige Kerkerftrafen tschechischer Schriftsteller gekennzeichnet.
Die Liberalen haben die Gesetze gemacht und die Praxis eingeführt, über die sie jetzt so wimmern, weil sie gegen fie angewendet werden. Und doch hat es das reaktionäre Ministerium Taaffe noch nicht gewagt, so weit gegen die Deutsch- Liberalen vorzugehen, als diese seiner Zeit gegen die Tschechen vorgegangen sind. So war es z. B. eine beliebte Praris unter der ,, liberalen" Aera , tschechische Schriftsteller, die man gerne verurtheilt wissen wollte, und deren Freisprechung durch eine tschechische Jury man fürchtete, vor deutsche Geschwornengerichte zu verweisen. Heute noch nerfährt man so gegen die Irredentisten, ohne daß eine Stimme der Entrüftung laut wurde. Man stelle aber einmal den Redakteur der„ Neuen Freien Presse" vor ein tschechisches Schwurgericht, und es wird sich ein Zetergeschrei erheben, als wäre jetzt erst die Freiheit in Desterreich bedroht, die ja doch faktisch bisher nur für die Deutsch- Liberalen bestanden hat.
Die Tschechen waren bis zum Regime Taaffe mit Ausnahme der furzen Hohenwartschen Episode in Oesterreich den schmerzlichsten Demithigungen ausgesetzt. Ihr Name war zu einem Schimpfwort geworden, deutsche Schuljungen, noch feucht hinter den Ohren, sprachen ihnen in ,, liberalen" Blättern jede Befähigung zu höherer Kultur ab und erklärten Erdarbeiten und Ziegelstreichen als ihre natürliche" Beschäftigung.
Wahrlich, es klingt höchst lächerlich, wenn die Deutschliberalen, nachdem fie in Folge ihrer Unfähigkeit und Feigheit die Herrschaft an eine slavischfleritale Koalition abtreten mußten, über Vergewaltigung und Erzeffe seitens der Tschechen klagen, deren nationalen Fanatismus sie selbst künstlich auf's höchst mögliche Maß gesteigert haben, nachdem ihn schon eine tausendjährige Entwicklung mehr als wünschenswerth entwickelt hatte. Noch lächerlicher aber ist es, wenn unsere christlich- germanische Studentenschaft, deren Fäuste noch die Spuren antisemitischer Kundgebungen" tragen, höchst entrüstet über die Rohheit des tschechischen„ Böbels" thut. Wir wollen damit natürlich die Vorgänge in Prag nicht beschönigen und noch viel weniger das Regime des Herrn Taaffe entschuldigen. Die Tschechen benehmen sich heute ebenso albern und flegelhaft gegen die Deutschen , als diese sich früher ihnen gegenüber benommen hatten, und Graf Taaffe ist um kein Haar besser als Herbst und Konsorten.
Doch nicht um eine moralisirende Beurtheilung der jüngsten Vorkomm nisse handelt es sich, sondern aus ihnen für die weitere Entwicklung
desto glänzender steht sie jetzt vor der Welt da die sächsische Regierung nämlich, ob der Verhängung des Kleinen" über Leipzig . Schauerlich sind die Enthüllungen, die sie jetzt durch ihr offiziöses Mundstück,„ Leipziger Zeitung" genannt, zum Besten gibt. Ist es nicht entsetzlich, daß es in 21 Orten der Amtshauptmannschaft Leipzig 76 mehr oder weniger entschieden sozialdemokratische Gemeinderathsmitglieder gibt? Muß sich nicht jedem ehrsamen Spießbürger jedes Haar auf dem Haupte einzeln sträuben, wenn er erfährt,„ bei Berathung des Wahlorganisationsplanes für Leipzig sei die Eventualität einer allgemeinen Erhebung" für den Fall, daß man das Asylrecht in der Schweiz und andere Freiheiten aufhebe, ausdrücklich in Betracht gezogen worden?" Man denke: in Betracht gezogen! Schauderhaft. Aber das ist noch nicht das Schlimmste; daß es den Verruchten Ernst war, beweist die fernere ,, Thatsache", daß die Führer der Sozialdemokraten häufig in Leipzig zusammengekommen sind( scheußlich!) und geheime Berathungen gepflogen haben( unerhört!), an welchen öfters- und nun kommt das Fürchterliche aus Rußland einige Führer der nihilistischen Partei theilgenommen hatten!" Na, wenn das noch nicht genügt, um den ,, Kleinen" zu rechtfertigen, dann mag der Teufel offiziöse Blätter schreiben! Woher sie nur wieder dahinter gekommen ist, die sächsische Polizei! Der Guten bleibt doch nichts verborgen. Nun sie es einmal weiß, dürfen wir es offen eingestehen: Ja, es ist wahr; noch zwei Tage vor der Proklamirung des„ Kleinen" fand eine solche„ geheime" Sigung statt, zu der nicht nur Hartmann aus London und Vera Sassulitsch aus Paris erschienen waren, sondern an der auch Trigonja und Jessia Helfmann Theil nahmen, nachdem ihnen soweit geht die Humanität der russischen Behörden extra ein Urlaub zu diesem Zweck bewilligt worden war. Und wer nun noch daran zweifelt, daß die Verhängung des„ Kleinen" so berechtigt war, wie die Ausweisung jenes 65jährigen Mannes, dessen gleichnamiger Sohn Sozialist ist, der verdient, selbst ausgewiesen zu werden.
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Das Tschechenblatt, Politik" erklärte, um die Deutschen zu höhnen, den Belagerungszustand als echt germanische Einrichtung. In Berlin , Hamburg und Leipzig , da gilt es also die nationale Ehre wiederherzustellen, an der Spree sitzt der Erbfeind, nicht an der Seine oder der Moldau.
Der Einfluß der kapitalistischen Produktionsweise auf die Moral wird deutlich illustrirt durch die Verbrecherstatistik. Die Zahl der Verbrechen in Preußen betrug in dem guten Jahr 1872 blos 8,198( 1871 gar nur 6,403, doch ist zu bedenken, daß der Krieg viele Verbrecher von ihrer Thätigkeit im Innern abgelenkt hat) stieg jedoch mit dem Eintreten der Krise in rascher Folge und erreichte 1878 die furchtbare Höhe von 14,022. Und zwar sind es gerade die Industriebezirke, in denen die Krise am furchtbarsten wüthete, wo die Verbrechen am meisten zugenommen haben, trotzdem, wie die Statistik lehrt, die industrielle Bevölkerung weniger zum Verbrechen neigt, als die ländliche ein Resultat, welches den Herren Konservativen allerdings sonderbar erscheinen dürfte. 1866-68 entfielen Verbrechen auf Einwohner Provinz Preußen
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Brandenburg
Pommern
Posen
Rheinland Sachsen blos
dagegen in den industriellen Provinzen
1607
1579(!) 2277
1827
2919
3189
1876-78 dagegen hat sich das Bild geändert. In Brandenburg blieb sich die Zahl der Verbrechen gleich. Abgenommen dagegen hat sie in Preußen, wo
1 Verbrechen nur mehr auf 1901 Einwohner fam,
1
1
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"
"
"
"
"
3122 1733
"
"
"
" 1.
"
in Pommern in Bosen. Zugenommen dagegen haben die Verbrechen in folgenden Provinzen, wo 1 Verbrechen auf Einwohner entfiel:
1876-78
#
"
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1866-68 2157
2157
2919
Die Zunahme ist entsetzlich sie ist naturnothwendig mit dem Elend der kapitalistischen Produktionsweise verknüpft und sie wird erst aufhören, bis dieses Elend der kapitalistischen Produktionsweise hinweggefegt ist.
Wie die Bourgeoisie sich und die Welt betrügt. Aus
3 widau läßt sich die Leipziger Zeitg." schreiben:
In den seit Mitte Mai aus Staatsmitteln eingerichteten Lehrwerkstätten für Korbflechterei in seiner und mittelfeiner Waare ist die Arbeit in vollem Gange. Gegen 40 Lehrlinge( männliche und weibliche) von 14 bis in die zwanziger Jahre arbeiten mit Lust und Liebe und, da sie alle der Weberbranche, welche ja Verwandtes mit der Flechterei hat, angehörten, auch mit Geschick. Dem Versuche, einen neuen Industriezweig hier einzuführen, wird es an Erfolg nicht fehlen, da in 1½ bis 2jährigem Unterricht die Lehrlinge so weit ausgebildet werden, daß sie selbstständig arbeiten können. An Verlegern für fertige Arbeit wird es, wie es den Anschein hat, auch nicht sehlen."
Noch nicht 40 Lehrlinge und der Mülsengrund zählt
Desterreichs die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Und diese sind allerdings für die Anhänger des österreichischen Staatsgedankens nicht sehr tröstlich. So wie die ganze historische Entwicklung seit 1848, beweisen auch die Ereignisse der letzten Jahre, der Versöhnungsaera, daß in Desterreich und namentlich in Böhmen eine Aera der Versöhnung auf Grundlage der herrschenden Parteien unmöglich ist.
Es ist nicht möglich, daß die Deutschliberalen und die Tschechischliberalen ruhig zusammenwohnen, der eine von ihnen muß stets den Hammer ſpielen, wenn er nicht den Ambos spielen will. Jede der beiden Barteien finnt, so lange sie unterdrückt wird, auf Rache, um dieselbe zu bethätigen, wenn sie an's Ruder kommt und so die Kette der Repreffalien und Refriminationen ins Unendliche zu verlängern.
Es gibt in Böhmen , wie überhaupt in Oesterreich nur einen Stand, nur eine Partei, die eine Aera der Versöhnung inauguriren könnten, das sind die industriellen Arbeiter, das ist die Sozialdemo fratie.
Die sozialdemokratischen Arbeiter Böhmens haben ihre internationale Gesinnung in der Versöhnungsaera auf das Glänzendste bethätigt, allen nationalen Traditionen zum Troß, und so sehr auch ihre Aufgabe dadurch erschwert wurde, daß der nationale Gegensatz in Böhmen auch häufig einen sozialen birgt. Die Großindustrie ist nämlich daselbst vorwiegend in deutschen Händen, wie dieß der Ausfall der Handelstammerwahlen aufs deutlichste zeigt; die Arbeiter, Kleingewerbtreibenden und Bauern sind dagegen, die rein deutschen Bezirke natürlich ausgenommen, faft durchgängig Tschechen . Trotzdem haben sich die tschechischen Arbeiter nicht abschrecken lassen, ihren deutschen Brüdern die Hände zu reichen und damit zu tokumentiren, daß sie eine neue Weltanschauung vertreten. Die Bourgeoisie, groß geworden, in dem Be Selbständigkeit, muß naturgemäß national gesinnt sein. Die Herrschaft streben nach Losreißung von Rom und nach nationaler Einheit und der Bourgeoisie muß daher in einem Lande, in dem der nationale Gegensatz ein uralter ist, denselben noch verschärfen.
Nur mit Beseitigung der großen und kleinen Bourgeoisie kann auch der nationale Friede die Versöhnung in Oesterreich hergestellt werden: Dann freilich zu spät. Denn der Sturz der Bourgeoisie wird unter so gewaltigen Konvulsionen vor sich gehen, daß fie Desterreich in Stücke reißen werden, wenn diese Zerstückelung nicht den Sturz der Bourgeoisie einleiten sollte. S.