zudem keinem nützen, sondern der Gesammtheit nur unendlich schaden

fönnte.

Warum sieht heute das Volk, d. h. eine große Minorität, vielleicht fogar die Majorität, ruhig zu, wenn eine dieser Freiheiten von einer reaktionären Regierung unterdrückt wird? Weil es erstens zu selbstän­digem Denken und Meinen nicht erzogen ist, und deshalb auch kein Be­dürfniß dafür empfindet und zweitens weil es aus Noth und Elend nicht in der Lage ist, von diesen Freiheiten Gebrauch zu machen. Anderes im fozialistischen Staat.

Der Sozialismus will alle öffentlichen Angelegenheiten, zu denen im sozialistischen   Staat besonders die Regelung der Produktion und Konsum­tion und des Verkehrs gehört, durch die direkte Theilnahme Aller ge­regelt und geleitet wiffen. Diese Forderung setzt wiederum vollständige Vereinigungs- und Versammlungs-, Rede- und Schreib-, Lehr-, Mei­nungs- und Denkfreiheit voraus. Es ist geradezu widersinnig, daß man in einem Gemeinwesen, wo alle öffentlichen Angelegenheiten von den gleichberechtigten Gliedern der Gesammtheit verwaltet werden sollen, dahin kommen sollte, diese gerade hiefür ganz unentbehrlichen Freiheiten zu beschränken oder aufzuheben. Im Gegentheil, man wird im wohl­verstandenen Interesse der Gesammtheit bald dahin gelangen, zum Ge­brauche dieser Freiheiten aufzumuntern und sie weiter zu entwickeln.

Der Maßstab für neue wissenschaftliche Systeme, neue Denkweisen, neue soziale, politische und phisolophische Meinungen, neue Verwaltungs­und Arbeitsweisen wird ja nicht mehr das Interesse eines Herrschers oder einer Ausbeuterklasse, sondern das Wohl Aller sein. Da ferner für Alle die Möglichkeit und Macht vorhanden sein wird, von diesen Rechten Gebrauch zu machen, so wird die Werthschäzung und die Ausübung der­selben auf eine ungeahnte Höhe steigen. Heute bestehen diese Freiheiten wohl da und dort auf dem Papier, aber in Wirklichkeit bestehen sie für die große Masse nicht und zwar in Folge der Unbildung, Unwissenheit und der ökonomischen Abhängigkeit.

Der Sozialismus will, daß das gesammte Arbeitsprodukt der Gesell­schaft allen ihren Gliedern, nach gleichem Recht, Jedem nach seinen ver­nunftgemäßen Bedürfnissen zukomme, der für die Gesellschaft nutzbringende Arbeit leistet. Da wird also nicht mehr die Rede sein von gut und schlecht bezahlter Arbeit, von niederen und höheren Berufsarten nach Maßgabe der Entlohnung und von verachteten gemeinen Berufsarten. Der Maßstab für jede Art Arbeit wird einzig der Nutzen und die Noth­wendigkeit für die Gesellschaft sein.

Bei der Berufswahl wird also nicht mehr, wie heute fast ausschließlich, die Einträglichkeit, sondern die Lust und Liebe, d. h. die Anlagen für einen Beruf werden ganz allein bestimmend sein. Heute werden die meisten Menschen nicht das, wozu sie ihre Anlagen bestimmen, sondern das, was am besten bezahlt wird, oder das, wozu sie der Zufall der Geburt, des Standes, Bekenntnisses und Wohnortes ihrer Eltern bestimmt. So kommen die meisten Menschen nicht an den sie selbst am meisten befriedigenden und für die Gesellschaft nützlichsten Platz. Viele Genies verkommen in sklavischer Handarbeit, während mittelmäßige Talente die Wissenschaften und Künste kultiviren; der, welcher sich sehr wohl zum Viehzüchter oder Handwerker geeignet und sich glücklich dabei befunden hätte, muß Gelehrter, Künstler oder Staatsmann werden, blos weil sein Vater es war, oder weil sein Vater reich war, oder weil die einen Berufsarten eben ihren Vertretern ertragreichere und privilegirte Stel­lungen in der Gesellschaft gewähren, oder aber endlich, weil weder die Erzieher wissen, zu was der Zögling beanlagt ist, noch der Zögling selbst seine Kräfte und Fähigkeiten kennt.

Das kommt daher, daß gleich unserer ganzen Gesellschaftsordnung, auch unser ganzes jetziges Erziehungssystem verkehrt und einseitig ist. Wir haben eigentlich gar kein Erziehungs-, sondern nur ein sehr mangelhaftes Unterrichtssystem. Von harmonischer Entwicklung aller menschlichen Anlagen ist keine Rede. Natürlich, unsere Gesellschaft kann sie auch nicht brauchen. Erst der Sozialismus wird Rath schaffen. Er fordert harmo­nische Entwicklung aller Kräfte und Anlagen des Menschen durch das Mittel der organischen Verbindung von produktiver Arbeit, Unterricht und Gymnastik. Erst bei diesem Er­ziehungssystem, das nicht allein den Kopf und das Wissen, sondern auch Hand und Fuß und Können, kurz den ganzen Menschen berücksichtigt, werden die Anlagen den Erziehern und dem Zögling selbst bekannt und bewußt wer­den und wird Jeder den ihm am meisten zusagenden Arbeitszweig resp. Ar­beitszweige wählen können. Heute besteht die Freiheit der Berufswahl nur für die wenigen Glücklichen, deren Anlagen sich zufällig nicht im Wider­spruch mit ihrer ganzen sozialen Lage befinden, für die Andern besteht sie thatsächlich nicht, weder nach unten, noch nach oben in der Gesellschaft. Denn wenn heute auch zufällig einmal die Anlagen eines Kindes erkannt werden, so stehen doch deren richtiger Verwendung in einer entsprechenden Lebensstellung alle angeführten und noch ebensoviel nicht berührte Hinder­nisse entgegen. Mit Bezug auf die nichterwähnten Hindernisse denke man nur an die Stellung der Frau in der heutigen Gesellschaft. Bei ihr nähert sich die Freiheit der Berufswahl ja dem Nullpunkt.

Das praktische Resultat dieser allgemeinen Unfreiheit ist, daß z. B. ein Reichslulu Staatsmann sein muß, während er sich sehr wohl zum Pferdezureiter oder Kutscher eignen würde und daß der geschickte Schloffer Ludwig Capet  , genannt Ludwig XVI.  , König von Frankreich   sein und sich den Kopf abschlagen lassen mußte.

Man denke nur einmal weiter über die Konsequenzen der Unfreiheit der Berufswahl für das menschliche Zusammenleben nach. Wird nicht der Mörder, der morgen den tödtlichen Streich nach uns führt, zum Mörder geworden sein, weil ihm die Freiheit der Berufswahl abging 2c. 2c. Der Sozialismus will eine vernünftige Organisation der Produktion und Konsumtion, aufgebaut auf den Gemeinbesitz an Arbeitsmitteln und der Arbeitspflicht Aller.

Hierdurch wird erwiesenermaßen, bei geringerer Arbeitsleistung des Einzelnen, einerseits das allgemeine Arbeitsprodukt, der Arbeitsertrag bedeutend vergrößert, anderseits der sinnlosen, bedeutenden Vergendung von Arbeitsprodukten ein Ziel gesetzt. Da gerechte Vertheilung des Arbeitsertrages herrscht, wird sich also der Antheil des Einzelnen am allgemeinen Arbeitsprodukt in einer Weise erhöhen, daß Jeder im Wohl­stand leben kann.

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Es wird darum auch Niemand mehr die Freuden eines geregelten fitt­lichen Ehelebens wie wir das geschlechtliche Zusammenleben nennen wollen entbehren müssen, blos weil er nicht die Mittel hat, eine Familie zu begründen. Niemand wird zur Begründung eines Geschäfts oder Sicherstellung seiner Existenz eine Frau ehelichen, blos weil sie reich ist, Niemand wird mehr eine Frau kaufen können, denn auch die Frau nimmt gleichberechtigten Antheil am Arbeitsertrag der Gesellschaft, braucht also nicht auf Versorgung zu sehen, sondern ist in ihrer Liebeswahl ebenso frei wie der Mann. Auch wird sie nicht mehr verführt werden, um den Genuß und Glanz des Reichthums sich einem reichen Wüstling hinzu­geben. Nur förperliche und geistige Eigenschaften und das Bedürfniß nach harmonischer Ergänzung ihres Wesens werden sie in ihrer Wahl wie den Mann in der seinigen bestimmen.

Also nicht aufheben, sondern begründen will der Sozialismus die Freiheit der Gattenwahl.

Die Freiheit des Erwerbes ist heute für die übergroße Mehrheit der Menschen ein wahrer Spott und Hohn. Im sozialen Staat wird sie eine Wahrheit sein. Erstens ist Jeder Mitbesitzer am Gesammteigenthum, zweitens wird Jeder mehr Eigenthum an Kleidern, Möbeln, Büchern, kurz Eigenthum, das nicht als Arbeitsmittel für Andere unentbehrlich ist, erwerben können, als heute der Masse von Besiẞlosen möglich ist.

Für sehr viele verehelichte Menschen ist die Freiheit der Wahl des Aufenthaltsortes gar nicht vorhanden. Wo das Geschick sie hinwars, da müssen sie bleiben. Für die Unverehelichten aber ist der Gebrauch dieser Freiheit sehr beschränkt und mit Entbehrungen und Erniedrigungen aller Art verbunden. Der Arbeitskräftige und Arbeitslustige wird heute aus

Mangel an Arbeit von Ort zu Ort gehetzt und als Lump behandelt. Das wird in einem Verband sozialer Staaten ganz anders sein. Der Zuwachs an Arbeitskräften wird überall als ein großer Gewinn betrachtet und daher die Arbeitslustigen allenthalben mit Ehren und Freuden auf­genommen werden; dieß und der schon erwähnte Wohlstand wird auch verehelichten Reiselustigen das Reisen und Wohnortswechseln sehr wohl ermöglichen. Ferner werden die Transportmittel, die im sozialen Staat nicht mehr zur Bereicherung Weniger und zur Ausbeutung des Volkes, sondern zur größtmöglichsten Erleichterung des Verkehrs dienen, so billig sein, daß Jeder Reisen wird unternehmen können, wie sie heute nur die oberen Zehntausend ausführen.

Aus allen diesen Betrachtungen ergibt sich, daß der Sozialismus die vernünftige, sittliche individuelle Freiheit Aller ganz bedeutend erweitern wird und daß eine Annäherung an die von den Anarchisten geforderte absolute individuelle Freiheit, so weit sie überhaupt möglich ist, nur im Sozialismus erreicht werden kann. Darin liegt zugleich ausgedrückt, daß er die Herrscher- und Ausbeuterfreiheit Einzelner aufhebt. Die absolute individuelle Freiheit kann auch der Sozialismus nicht vernichten, weil sie nicht besteht und nie bestanden hat als auf der erdichteten wüsten Insel des Robinsons Simplizissimus und anderer Romanhelden.

Das Problem aber besteht nicht darin, die besondere individuelle Freiheit der Kapitalisten und Grundkerren zu vernichten, sondern darin, Kapitalisten, Grund- und andere Herren überhaupt abzuschaffen. Mit Abschaffung der Klassen wird die besondere schädliche individuelle Freiheit der Glieder dieser Klassen von selbt fallen. Den alten Frrthum von Beschränkung der Herrenfreiheit, wie er in der konstitutionellen Monarchie seinen Ausdruck findet, haben wir glücklich überwunden, wir wollen Auf­hebung des Herrenthums überhaupt Ist das Herrenthum abgeschafft, dann tritt das natürliche Verhältniß der sich beschränkenden Freiheit der Einzelnen von selbst ein, d. h. die alein vernünftige individuelle Freiheit ergibt sich, wonach Jeder das Vermögen, das Recht und die Macht haben soll, Alles das nach eigenem Willen und Ermessen zu thun, was erwiesenermaßen für das Wohl und den Bestand des Ganzen weder gefährlich noch schädlich ist. Der Zwang der Gesammtheit über den Einzelnen aber darf sich ebenfalls mir soweit erstrecken, als er erwiesener­maßen für den Bestand des Ganzen nothwendig ist. Den Zwang der Gesammtheit, d. h. natürlich einer Majorität über eine Minorität so sans phrase zu proklamiren, wie Simmachos thut, heißt nichts Anderes als erklären: 51 Individuen ha bei das Recht, sich selbst und die widerstrebende Minorität der 50 zu versklaven.

Oder soll unter der Gesammtheit verstanden sein eine Majorität von 99 gegen 1, von 999 gegen 1 u. s. w.? Nein, selbst die größte Majo­rität darf gegen den Einzelnen nur Zwang üben, wenn er von der Nothwendigkeit der Erhaltung und des Bestandes des Ganzen gerecht­fertigt ist, der Zwang, den sich die Majorität freiwillig auferlegt, darf für die Minorität nur bindend sein, wenn er nicht individuelle Freiheits­rechte verletzt, die Jedem nützen und keinem schaden, oder was aufs Gleiche herauskommt, die den Bestand und das Wohl des Ganzen weder schädigen noch gefährden.

Der Zwang der Gesammtheit geen den Einzelnen, einer Majorität gegen eine Minorität, muß seine Grenzen haben, das wird und muß jedem Denkenden klar sein.

Der Grundsatz der Gleisheit, d. h. der Grundsatz, daß der Zwang für Alle, uch für die beschließende Majorität gelten soll, istjedoch diese Grenze nicht, denn angenommen, die Ansicht eines französischen   Arbeiterblattes, die Religion zu verbieten, erlangt die Najorität, so gilt also der Beschluß für Alle, die Gleichheit ist nicht veretzt. Da sich aber die Majorität zu keiner positiven Religion bekennt, se trifft der Zwang nur die Minorität, die Minorität ist ihrer Meinungs-, Lehr-, Lern, Rede-, Schreib-, Ver­sammlungs- und Vereinigungsfreihet beraubt.

So ließen sich noch eine Menge Flle aufführen, bei denen, obgleich der Zwang für Alle gilt, also Gleichheherrscht, doch thatsächlich nur für eine Minorität dieser Zwang fühlbe und zu einer Unterdrückung ihrer individuellen Freiheit wird.

Nicht die Gleichheit kann die Eenze des Zwangs der Gesammtheit über den Einzelnen sein, sondern nur die individuelle Freiheit. Diese aber muß die Grenze sein.

Freiheit, Gleichheit um Brüderlichkeit.

Ist es ein Zufall, daß die Freiheit voran gestellt wurde? Nein. Die Freihit ist die Grundlage, dann folgt die Gleichheit in der Freiheit und wo es sich um die praktische Ausleging und Anwendung beider handelt oder wo beide nicht mehr ausreichen, in den tausend Beziehunga des Lebens, wo weder Recht noch Gesetz und Site uns leiten können, da soll die Brüderlichkeit unser eitstern sein.

Die Wahlen in Frankreich  .

Als die ersten Nachrichten vom Wahlkampfe   kamen, da war Alles schier in heller Verzweiflung: erschien och als Signatur der Wahlen ganz offenkundig die Diftatur Gambtta's und ein gänzliches Fiasto des Sozialismus.

Sieht man jetzt, nach dem erstenSchrecken, näher zu, dann findet man, daß der Schaden nicht so groß ist, als man befürchtet hat. Einestheils ist der Sieg Gambetta's nichts as ein Pyrrhussieg, wie jetzt Jeder deutlich sehen muß, der überhaupt ehen will. Andererseits ist von einer eigentlichen Niederlage des sozialismus nicht zu sprechen. Am 9. Januar 1881 erhielt te Arbeiterpartei bei den Munizipal­wahlen 40,000 Stimmen. Am 21. August fielen ihr 60,000 Stmmen zu. 60,000 Stimmen! Freilich eine leine Zahl für Frankreich  , das Vater­land des Sozialismus, ein Menhenalter nach der Junischlacht. Es wäre Selbsttäuschung, die Erwerbug eines solchen Häufleins Stimmen einen Sieg nennen zu wollen.

Aber ebensowenig berechtigt wre man, von einer Niederlage zu sprechen oder gar nach anarchistischer Muster das allgemeine Stimmrecht als die Geißel des 19. Jahrhunder hinzustellen.

Die Ursachen, welche unseren frazösischen Brüdern den Sieg entrissen, liegen klar zu Tage und unsere Geossen selbst machen uns auf sie auf­merksam. Sie beruhen gerade daruf, daß der französische   Sozialismus noch an seiner anarchistischen Verangenheit leidet, die er noch nicht völlig überwunden hat.

Der Hauptfehler war der fast jänzliche Mangel einer Orga nisation, mithin Zersplitterun der Agitation, Mangel an Geld, planlose Aufstellung der Kandidate

Man sehe sich z. B. die Kandiatenliste des 2. Wahlkreises des 17. Arrondissements von Paris   an: Sir finden da neben einem einzigen Kandidaten der Union républicane( Gambettist) nicht weniger als vier Intransigenten, zwei revolutnäre Sozialisten, einen Arbeiterkan­didaten und Herrn Felix Pyat  , di sich das Feld streitig machten. Trieb man es auch nicht überall so arg, so war doch der Mangel an Organisation überall so groß, er eine Verschwendung der vor­handen Kräfte beförderte, die Ansamlung neuer hinderte.

Die Planlosigkeit hätte wohl ein geordneteren Agitation Platz gemacht, wenn der Wahlkampf länger gedaert hätte. Aber die Ansetzung des Wahltages auf den 21. August fie unsern Genossen keine Zeit, sich zu sammeln. Sie waren über rumpelt, und mußten ungeordnet den Kampf bestehen. Um so ehrenvolle, daß sie nicht entscheidend geschlagen

wurden.

Neben dem Mangel an Orgaisation und der Ueberrumpelung hat auch der Kandidatenstreit nicht enig zum ungünstigen Ausfall der

Wahlen beigetragen. Eine Anzahl unserer besten und bekanntesten Genossen in Frankreich  , Brousse, Malon u. A. hatten das Wort gegeben, nicht zu kandidiren, um ihre Üneigennützigkeit darzuthun, und weigerten sich dann, ihr unbedachtes Versprechen zurückzunehmen. Das war sehr unklug gehandelt, wie Jeder ermessen kann, der einen Wahlkampf mit­gemacht hat. Das Volk stimmt nicht blos für ein Prinzip, es will auch den Mann kennen, der es vertritt. Nichts ist gefährlicher, als unbekannte Kandidaten.

Das dürften die wichtigsten Ursachen sein, die unsere französischen Brüder am Siege hinderten. Bei der nächsten Wahl werden hoffentlich diese Ursachen nicht mehr vorhanden sein und wird dann die Arbeiter­partei Frankreichs   das leisten können, was man Angesichts der ökono­mischen und politischen Entwicklung Frankreichs   von ihr zu erwarten berechtigt ist.

Indeß zeigen auch schon die Wahlen vom 21. August nicht blos Schattenseiten. Sie haben einige lichte Punkte und besonders zwei der­selben erscheinen uns von Bedeutung.

Der eine ist der, daß der sozialistische Gedanke erfreuliche Fortschritte gemacht hat. Wie schwach auch die Arbeiterpartei auftreten mochte, die sozialistische Idee beherrschte doch die Wahlen in den Industriebezirken. Die Herren von der äußersten Linken, welche 1871-77 ökonomisch auf dem reinen Manchesterstandpunkt standen, haben sich genöthigt gesehen, ihn zu verlassen, um nicht die Stimmen der Arbeiter zu verlieren.

So hat z. B. Herr Camille Pelletan  , der im zweiten Wahlkreise des zehnten Arrondissements gewählt wurde, seinem Wahlprogramme folgende fünf Forderungen des Minimum" programms einverleibt: 1. Herab­fetzung der Arbeitszeit. 2. Aufhebung der Arbeitsbücher. 3. Staatliche Invalidenkassen. 4. Haftpflicht der Unternehmer. 5. Revision der Ver­äußerungsverträge von Staatseigenthum.

Clémenceau  , der Führer der Radikalen hat sogar das ganze Minimum­programm angenommen, mit Ausnahme eines einzigen Punktes, welcher bestimmt, daß jährlich ein Lohnminimum nach Maßgabe der Preise der Lebensmittel festgestellt werden solle, eine Forderung, über die sich sehr wohl streiten läßt.

Ob es Herr Clémenceau   ehrlich mit seinem Neo- Sozialismus meint, ob er auch seinen Versprechungen gemäß handeln wird, ob er sich dem Sozialismus noch mehr nähern wird, das sind Fragen, welche für die Person des Herrn Clémenceau selbst sehr wichtig sein mögen, da es voit deren Beantwortung abhängt, ob er bei der nächsten Wahl in Paris  wiedergewählt wird oder nicht: uns interessirt nur die Thatsache, daß der Führer der Radikalen gezwungen war, sich vor dem Sozialismus zu beugen. Wenn auch nicht ie Arbeiterpartei, so hat doch der Sozialismus bei den Wahlen einen schwer­wiegenden Sieg errungen.

Der zweite Lichtpunkt ist der, daß uns die Wahlen zeigen, daß die Provinz sich von Paris   zu emanzipiren beginnt, ja, daß der Sozialismus an manchen Stellen der Provinz raschere Fortschritte macht, als in der Hauptstadt.

Von den 60,000 abgegebenen sozialistischen   Stimmen entfallen 20,000 auf Paris  , dagegen 40,000 auf die Provinz.

In Paris   erhielten von den Sozialisten die meisten Stimmen Chabert im 19. Arrondissement, nämlich 2,851 und Joffrin in St. Denis 2249. Von den anderen sozialistischen   Kandidaten erhielt keiner auch nur 2,000 Stimmen. Dagegen erhielten in der Provinz die Sozialisten Brousse 2006( Montpellier  ), Richard 2686( Indre et Loire  ), Brissac 2877( Alais, 2. Wahlkreis, Gard  ), Varenne in Versailles  ( 2. Wahlkreis) 3,855, der überdies noch in Olivier Pain einen sozialistischen Gegen­kandidaten hatte, und endlich Gambon 5,268( Cosne  , Nièvre  ), Hadier de Ricard 5,531( Béziers  , Hérault  ) und Digeon in Narbonne   7,049. Die drei letzteren kommen in die Stichwahl.

Man sieht, die Bewegung schreitet in der Provinz vorwärts, rascher vielleicht als in Paris   und das ist ein erfreuliches Zeichen. Die ftoß weise Entwicklung, schwankend zwischen Pariser   Coups und darauf fol­gender Provinzreaktion, wird damit ein Ende erreichen und das ist ein Erfolg, wie er gewichtiger nicht gedacht werden kann. Wird der fried­liche Entwicklungsgang der Partet, wie er sich jetzt in Frankreich   auf gesetzlichem Boden vollzieht, nicht vorzeitig gestört, dann wird aus dem selben ein ungeheuerer Nutzen nicht blos für Frankreich  , sondern für den ganzen internationalen Sozialismus erwachsen. Denn, wenn dann die Zeit für Paris   gekommen sein wird, die rothe Fahne wieder aufzupflanzen, wird es von der Pro­vinz nicht im Stiche gelassen werden. Die Erhebung von Paris   bleibt dann nicht mehr eine städtische Insurrektion; sie wird eine allgemeine soziale Revolution, unwiderstehlich, riesengroß, gleich der glor­reichen, die 1789 begann.

Dieß ist die Lehre der Wahlen vom 21. August 1881, eine Lehre, für welche die Bourgeoisie blind und taub ist. Sie jubelt über den äußer­lichen Mißerfolg der Arbeiterpartei, wie ihn einige Fehler mit sich ge­bracht haben, die nicht in der Natur der Sache liegen, die vermieden werden können und auch künftig vermieden werden, weil man sie erkannt. Sie sieht aber nicht die Symptome des Anwachsens der sozialistischen  Idee, sie sieht nicht die Symptome der Stärkung der Revolution: sie wird überrumpelt werden von der sozialen Revolution, wie sie die Arbeiterpartei mit den Wahlen überrumpelt hat: a ber sie wird nicht mit Ehren unterliegen.

Sozialpolitische Rundschau.

Zürich  , 31. August 1881.

Den 31. August 1864 starb unser edler Vorkämpfer Ferdinand Lassalle  . Wie jubelte bei der Nachricht hievon die ganze Sippe der herrschenden Klassen. Glaubten sie doch in Lassalle   die sozialistische Bewegung ins Herz getroffen.

Und heute? Wie jämmerlich sind die Erwartungen unserer Gegner gescheitert! Nicht zurückgegangen ist die Sozialdemokratie, entwidelt hat sie sich, nach außen und innen, so gewaltig anwachsend, daß derjenige, der einst mit ihr spielen zu können vermeinte, jetzt in ihr seinen gefähr­lichsten Gegner und anderseits seinen letzten Rettungsanker erblickt. Selbst ein Verlust, wie der Lassalles, hat unsere Bewegung nicht zu hemmen vermocht, als sie im Anfange der Entwicklung war; wie könnte jetzt, wo sie so sehr erstarkt ist, irgend ein Verlust ihren Lauf aufhalten? Ohnmächtig sind unsere Feinde einer Bewegung gegenüber, welche die Verhältnisse naturnothwendig erzeugen und der sie stets neue Kämpfer zuführen.

Das Verdienst Lassalles wird durch diese Thatsache natürlich nicht geschmälert. Was ein Mann für eine Partei thun fann, hat er für die Sozialdemokratie gethan, indem er alle seine glänzenden Fähigkeiten, seine hinreißende Beredsamkeit, fein ungeheures Wiffen, seinen flaren Geist auf ein einziges Ziel hinlenkte, die Erlösung des Proletariats.

Die Bourgeoisie feiert ihre Todten durch pomphafte Feierlichkeiten, durch Monumente in Stein und Erz. Das Proletariat kann das nicht und bedarf dessen nicht. Was wir in unseren Todten ehren, sind die erhabenen Ziele, für die sie kämpften, sind die Be geisterung, die Ausdauer, der Opfermuth, die sie im Kampfe an den Tag legten.

Wir können sie nicht beffer ehren, als indem wir mit derselben Be geisterung, derselben Ausdauer, demselben Opfermuth der Fahne folgen,