versucht fühlen, uns noch einmal auf sechs Spalten darzuthun, die Partei, zu der die beiden gehörten, sei auch eine Volkspartei gewesen.

Ich meine John Stuart Mill   und Buckle.

Buckle sagt: Die Ordnung aufrecht zu erhalten, den Starken an der Unterdrückung des Schwachen zu hindern und eine gewisse Vorsorge für die öffentliche Gesundheit durch Vorsichtsmaßregeln, dies sind die einzigen Dienste, die eine Regierung der Zivilisation leisten kann."( Buckle, Geschichte der Zivilisation in England, deutsch von Ruge I. Bd. 1. Abth. S. 242.)

J. St. Mill zählt in seinem Buche Die Freiheit" die verschiedenen Arten der Freiheit auf; zuerst diejenigen, welche die bürgerliche Demo­fratie mit der Sozialdemokratie gemein hat und die aus der Jdee der Voltsherrschaft entspringen, Gewissensfreiheit, Versammlungsfreiheit 2c. Dann sagt er: Zweitens erheischt dieser Grundsatz die Freiheit in der Wahl des Berufes und sonstiger Beschäftigungen, das Recht, unser Leben so einzurichten, wie es uns gefällt, zu thun, was wir wollen ( in Erwartung der Folgen, die uns treffen mögen) ohne hiebei irgend welche Behinderung von unsern Mitmenschen zu erfahren, so lange wir ihnen kein Leid anthun, auch wenn sie unser Benehmen für thöricht, verkehrt oder unrecht halten sollten."( Mill, Gesammelte Werke, übersetzt von Gomperz. I. Bd. S. 12.)

Diese Proben dürften genügen.

Was die Beiden verlangen, ist die volle individuelle Freiheit in je der Beziehung, obwohl ihnen natürlich die wirthschaftliche Freiheit die Hauptsache ist, da das herrschende wirthschaftliche System den Charakter des Lebens und Treibens bestimmt.

Oder sollte die Verhinderung der Verbrechen die individuelle Freiheit nicht zu einer absoluten" machen? Nun, ich meine, es gibt nicht ein­mal unter den Anarchisten Jemanden, der verrückt genug wäre, zu ver­langen, man solle ruhig zusehen, wenn die Leute sich gegenseitig todt­schlagen, um ihre Freiheit" nicht zu gefährden. In diesem Sinne faßt wohl Niemand die absolute individuelle Freiheit auf. Wir haben zu lernen und nicht müssige Silbenstecherei zu treiben und müssen deshalb jedes Wort cum grano salis auffassen.

Wir kommen nun zum Hauptpunkte, zur Frage der vernünftigen und sittlichen individuellen Freiheit. Merkwürdigerweise hat A. B. C. gerade in diesem Punkte das Wesentliche meiner Ausführungen gar nicht begriffen. Instinktiv fühlt er, daß zwischen uns eine Differenz besteht, aber er wird sich nicht klar darüber, wo er dieselbe zu suchen hat, und glaubt sie daher in allerlei nebensächlichem Zeugs zu finden. Ich will es versuchen, ihm klar zu machen, worin der Zwiespalt besteht.

A. B. C. geht von der Ansicht aus, die Wohlfahrt des Individuums sei der höchste Zweck des Gemeinwesens, dasselbe ist wegen des Indivi­duums da, und blos, weil die höchste Wohlfahrt und Freiheit des Indi­viduums im bürgerlich- demokratischen Staate nicht erreicht werden kann, streben wir ein sozialistisch demokratisches Gemeinwesen an, welches seinen Mitgliedern die höchstmögliche Wohlfahrt garantirt, indeß von denselben Jeder das Vermögen, das Recht und die Macht haben soll, Alles das nach eigenem Willen und Ermessen zu thun, was erwiesenermaßen für das Wohl und den Bestand des Ganzen weder gefährlich noch schädlich ist." Die individuelle Freiheit ist die Grenze des Zwanges der Gesammt­heit über den Einzelnen.

Jch aber sage: Das Gemeinwesen ist nicht des Individuums, sondern das Individuum ist des Gemeinwesens wegen da. Das Individuum soll seine Wohlfahrt nur erlangen können durch Vermehrung der Wohlfahrt der Gesammtheit. Von Rechten des Individuums kann man über­haupt nur sprechen in dessen Beziehungen zu anderen Individuen. Der Gesammtheit gegenüber hat das Individuum feine Rechte, sondern blos Pflichten. Unter Gesammtheit natürlich nicht der moderne Klassenstaat, sondern eine Vereinigung gleicher Menschen verstanden.

Das mag für unsere individualistischen Ohren brutal und barbarisch flingen. Aber es ist richtig und ich werde die Richtigkeit des Gesagten beweisen. Dazu ist jedoch ein eigener Artikel nothwendig, umſomehr, da ich zu meinem Bedauern ersehen, daß die Kürze meines ersten Artikels Mißverständnisse möglich machte. Die Sache ist zu wichtig, als daß eine Untlarheit über sie in unseren Reihen herrschen dürfte.

Obgleich erst mit diesem Artikel meine Antwort auf A. B. C.'s ,, Widerlegung" beendet sein wird, halte ich es doch für nothwendig, jetzt schon Abschied von ihm zu nehmen, da der erwähnte Artikel frei von jeder Bolemit sein soll.

Ich hatte es gewünscht, daß sich über meinen Artikel eine Polemik ent­spinnen möge. Gerade die Polemik pflegt ja unsere Ansichten zu klären und zu festigen. Ich bedauere, sagen zu müssen, daß die von A. B. C. beliebte Art der Polemik dazu nicht geeignet, sondern eher im Stande ist zu verwirren und die endgiltige Lösung des Problems weiter hinauszu­schieben, welches da lautet: Ist die vernünftige und sittliche Freiheit nicht schon in der Gleichheit enthalten? Symmachos.

Aus Dänemark  .

Kopenhagen  , 28. Auguft. Wenn ich seit Anfang dieses Jahres noch nichts wieder von hier be­richtet habe, so dürfen die Leser nicht glauben, daß hier oben im Norden der Strom der sozialistischen   Bewegung eingefroren sei. Im Gegentheil, immer breiter und tiefer wühlt sich die Bewegung ihr Bett und hält dieselbe Richtung ein, welche sie in Deutschland   eingeschlagen hat, so daß für die Zukunft, wenn es gilt, auch auf die skandinavischen Brüder ge­rechnet werden kann, die in diesem Jahre ganz eminente Fortschritte gemacht haben.

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die Arbeiter

In Norwegen   haben früher schon Strikes mit Gewaltthätigkeiten statt­gefunden, wie es in dem Charakter der Söhne der alten Normannen liegt; heute aber stehen z. B. die Maler in Christiania   im Streif und finden, daß ohne Organisation Nichts zu erreichen ist. Deshalb wurde vorige Woche beschlossen, den Winter zu benutzen, um das Fehlende nachzuholen und dann eine Verbesserung ihreer Lage herbeizuführen. Ebenso gehen in Schweden  - nicht blos in Stockholm  verschiedener Gewerbe daran, sich fachlich zu organisiren, da die dieses Jahr stattgefundenen Streiks gleichfalls den Mangel des einheitlichen Zusammenwirkens klar zu Tage legten. Vor zwei Jahren wurde auf dem ,, Arbeitertag  ", welchen die Bourgeoisie in Szene gesetzt hatte, offen der Welt verkündet: In Schweden   ist kein Boden für den Sozialismus! Im selben Augenblick aber, in dem das erstemal vom Sozialismus ge­sprochen wurde, wurde der Grundstein zu demselben gelegt.

Hier in Kopenhagen   überwiegt das politische das sozialistische Bedürfniß, denn zwei Wahlkämpfe in einem Vierteljahr lassen die nöthige Ruhe des Berathens nicht aufkommen, da gilt es zu handeln und gehandelt wurde beide Male. In Kopenhagens   fünftem Wahlkreis, wo schon früher ein sozialistischer Kandidat aufgestellt war, stand beide Male Schneidermeister P. Holm als Arbeiterkandidat. Jm Maimonat erhielt derselbe ungefähr 1300 Stimmen und der Regierungskandidat Profeffor Goos 2600 Stimmen, was beiderseits rege Betheiligung zeigte; das andere Mal, am 26. Juli, erhielt unser Kandidat 1429 St., Profeffor Goos 2286 St. und Zimmerer L. Andersen, Sozialrevolutionär und Nachtreter Brix' 88 St., d. h. der Regierungskandidat verlor 314 St., der unsere dagegen gewann 134 St. und der sozialrevolutionäre Keil, den die Regierung in unsere Partei treiben wollte, fiel lächerlich ab.

Ganz unerwartet trat aber auch im ersten Wahlkreis ein Arbeiter­fandidat, Pianofortearbeiter Holft, auf, und erhielt ohne eigentliche Agitation 260 St., während der langjährige Regierungskandidat, Assessor Rimestad, 811 St. auf sich vereinigte. Im zweiten und neunten Wahlkreis waren unsere Redner stets in den Wählerversammlungen und machten damit auch in diesen Propaganda für unsere Sache.

Ein heiteres Stücklein führten die Sozialrevolutionären bei der Wahl im 5. Kreis auf, indem sie öffentlich anfragten, ob Schneidermeister Holm

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nicht zu Gunsten L. Andersens auf seine Kandidatur verzichten wolle, welche Unverschämtheit ein weithinſchallendes Gelächter und wohl auch die 88 Stimmen zur Folge hatte, denn Brix Auftreten hat den letzten Rest von Autoritätsglauben, den Pio noch zurückgelassen, vollends zum Verschwin den gebracht. Unser hiesiges Blatt Sozialdemokraten" ist aber auch unter der neuen Redaktion jederzeit auf dem Platze und eine kräftige Stütze der Partei, da es die Ortsangelegenheiten in selbständiger Weise be­spricht und auch die Bewegung im Auslande den Genossen besser zum Verständniß bringt. Außer dem Solidaritätsbewußtsein herrscht jetzt auch Vertrauen und Opferwilligkeit unter den dänischen Arbeitern, was schon die Abendunterhaltung zu Ostern bewies, die zirka 150 Franken Ueber­schuß ergab, und dann die beiden Wahlkämpfe. Jetzt sind wir Deutschen  beschäftigt, für den Unterstützungsfond auch die Dänen heranzuziehen, während gleichzeitig für den Schiffszimmererstrike gesammelt werden muß. Ein Jahr früher hätte ich selbst dergleichen nicht für möglich gehalten.

Der gegenwärtig hier ausgebrochene Schiffszimmererstrife ist, wie überall so auch hier, der Brutalität der Vorgesetzten zu danken. Die Entstehung ist folgende: Ein Arbeiter Namens Hansen ist eine Art Reserve- Vormann, der dann und wann den Meister vertreten muß. Mit einem Zimmerer gerieth er in Konflikt, der so weit ging, daß die ganze Abtheilung, zu welcher er gehörte, aufhörte zu arbeiten, da sie sich eine solche Behand­lung nicht gefallen lassen wollte. Jeden Morgen traten sie an, um weiter zu arbeiten, wurden aber allemal vom Meister an Hansen gewiesen, der ihnen Arbeit anweisen würde. Aber vor diesem Menschen wollten sie nicht demüthig um Arbeit bitten und gingen wieder heim. Jeden Morgen dieselbe Zumuthung, bis die noch Beschäftigten sich an die Direktion mit der Bitte wandten, den betr. Hansen nicht mehr in dieser Stellung auf dem Platze zu belassen. Die Antwort fiel nicht versöhnlich aus und nun legten alle Schiffszimmerer auf den vereinigten Niederlagsplätzen und Werften", 150 Mann, die Arbeit nieder. Die Beiträge hier am Orte gehen verhältnißmäßig gut ein, da die Schiffszimmerer vor einigen Jahren den Rest ihres Strikefonds nach dem Siege den Tischlern, welche gleich­falls im Strife waren, überließen. Und es ist sehr die Frage, ob die Direktion auf die Dauer ihren Standpunkt behaupten kann, wenn nicht Zuzug vom Auslande kommt, wovor dringend ge­warnt werden muß. Ebenso dringend ist vor Zuzug der Tisch­ler nach Stockholm   zu warnen, da auch dort vor ganz kurzer Zeit ein, und wie es scheint, organisirter Strike ausgebrochen ist, wobei noch besonders hervorzuheben ist, daß die Löhne in Schweden   und Nor­ wegen   zu den allerniedrigsten gehören. Daher kommt es denn, daß die Schweden   hier so verhaßt sind, weil sie für einen wahren Hunger­lohn arbeiten und dabei noch Geld sparen, wie anderswo die Böhmen  , Italiener   2c., während die Deutschen   die Löhne nicht herunterdrücken, wie ihnen zugestanden wird, obwohl sie für die Erbseinde" hier gelten.

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Der Arbeiteraufstand auf St. Croix hat endlich seinen Abschluß ge= funden, da das höchste Gericht das Urtheil der unteren Instanzen bestätigt hat. 39 Personen beiderlei Geschlechts waren noch am Leben, wovon fünf zum Tode verurtheilt waren. Dieselben erhielten Zuchthausarbeit auf Lebenszeit, die übrigen Strafarbeit auf Königsgnaden"( unbestimmte Zeit). Eine Anzahl war gleich standrechtlich" erschossen worden und einige Andere waren im Gefängniß dem Skorbut, vielleicht auch anderen Ursachen, erlegen, denn vom 1. Oktober 1878 bis zum 23. Mai d. J. kann viel geschehen, und noch dazu auf den westindischen Inseln; aber warum wollen die schwarzen und braunen Arbeiter sich besserlohnende Arbeit auf den Nachbarinseln suchen? Das war den Pflanzern zu radikal und deshalb wurden sie zu Paaren getrieben, ob gleich sie aufge­setzlichem Boden standen.

Man sieht, die Unterdrückung der Arbeiter, die ihre Lage verbessern wollen, ist international, darum muß auch der Widerstand international sein, mit dem Wahlspruch: Proletarier aller Länder, vereinigt Euch! Wenn es möglich ist, so wird Dänemark   auf unserm Weltkongreß durch einen eigenen Abgeordneten vertreten sein, im andern Falle senden wir ein Mandat, denn die Dänen halten rüstig Schritt, um nicht die Letzten zu sein, die an's Ziel kommen."

Es ist wohl nicht überflüssig, wenn ich mit ein paar Worten auf die augenblickliche Lage des Staates Dänemark" eingehe, umſomehr, da die Sozialdemokratie thatkräftig in die Verhältnisse eingreift und die bürger­liche Demokratie sich auf die Sozialdemokratie zu stützen beginnt.

Der Schmerpunkt, um welchen sich Alles dreht, ist die Frage: hat das Folkething( zweite Kammer) allein das Recht, das Budget festzustellen? Die Verfassung spricht es deutlich genug aus, aber Estrup, oder wie er jetzt hier auch schon genannt wird, Klein- Bismarck, hat seine Leibmame­lucken, das Landsthing( erste Kammer) aufgehetzt, dies zu bestreiten, so daß bis jetzt kein Budget zu Stande gekommen ist, oder aber eigentlich zwei, so daß sich Estrup in die angenehme Lage versetzt sieht, ohne jedes Finanzgesetz zu regieren, wenn er nicht vorzieht, sich ein eigenes drittes zu machen, wie vor drei Jahren. Die letzten Wahlen haben seine An­hängerschaft im Folkething, die schon vorher in der Minorität war, um weitere acht Sitze verringert, die der Opposition zugefallen sind. Der Stein des Anstoßes der Lage, in welcher sich Dänemark   befindet, ist haupt­sächlich der, daß das Ministerium Kopenhagen   zu einer Festung ersten Ranges umwandeln will, so greß, daß die ganze dänische   Armee nicht hinreicht, dieselbe zu besetzen, und daß es die Marine um ein paar stählerne Panzerbatterien zu vermehren gedenkt. Daß die vielen Millionen, welche die Verwirklichung dieses Planes kosten würde, unnütz weggeworfen sein würden, steht jedem klar vor Augen, denn auf mächtige Verbündete darf nicht gerechnet werden, wie die Minister selbst ausgesprochen haben, aber so könnte man doch mit Ehren fallen". Ich für meinen Theil denke aber, und Einige haben mir schon Recht gegeben, die dänische Re­gierung ist im Begriffe, sich dem deutschen Reiche  " anzuschließen und da ist die erste Bedingung, vermehr die Marine und baut Kopenhagen   zu einer Festung, die wir dann mit vertheidigen helfen. Deshalb geht Estrup auch so rücksichtslos gegen das Folkething vor, um diesen Hauptfaktor der Verfassung zu einer Jasagemischine herabzudrücken und der Moltke­spektakel im Tivoli war nur Hendelei, da er nicht von selbst entstand, sondern von den offiziösen Blätterr fabrizirt wurde. Graf Moltke, der große Schweiger," der eigentlich in Stolz der Dänen ist, da er hier erzogen wurde und hier das Schlächterhandwerk erlernte, war gar nicht mehr anwesend, als der feine Bbel" in blinder Wuth den Konzert­dirigenten Balduin Dahl so kannibalisch niederpfiff und niederbrüllte. Einigen Mordspatrioten, alle in angesehenen Stellungen, kostete der Spaß 15 bis 20 kr. Strafe an die Polieitaffe.

Fleuron alias Petersen sit immer noch, warum und wie lange ist mir nicht bekannt. Barbier E. W. Klein ist auch wieder hier von London  , er ist, wie ich schon füher schrieb, internationaler Spizel und muß dringend voi ihm gewarnt werden. Er ist jetzt Däne geworden, in St. Goarshauen( Herzogthum Nassau) geboren und steht in russisch   dänisch  - preußische Polizeidiensten.

Ein Glück auf!" von allen hiegen Genossen zum Weltkongreß. Jörgen Gaardmand.

An die Porteigenossen.

In verschiedenen Wahlkreisen ist nan betreffs der aufzustellenden Kan­didaten in Verlegenheit, und es mcht sich die Neigung geltend, einige bekannte Parteigenossen als allein mögliche Kandidaten zu betrachten. Dies ist eine durchaus falsche Auffffung.

Es gibt zweierlei Kandidaturen: solche, wo mit Grund ein Wahlsieg zu erwarten ist; und bloße Zählkanidaturen.

Daß es vom Uebel wäre, einen nd denselben Kandidaten in mehreren Wahlkreisen zu wählen, leuchte von vornherein Jedem ein; man braucht nur die Kosten einer Dppelwahl ins Auge zu faffen. Aber auch für Zählkandidaturen empfiehlt sich nicht die Aufstellung einer und derselben Person in viele Wahlkreisen. Es steht im Wider­spruch mit dem sozialdemokratische Gleichheitsprinzip, welches den Personenkultus verbietet. Und s bringt außerdem unsere Partei in ein schlimmes Licht, weil aus einen derartigen Vorgehen gefolgert wird, es fehle uns an geeignete Persönlichkeiten.

Ein Kandidat braucht durchaus cht in den weitesten Kreisen bekannt zu sein. Hat er nur das Vertraue der Genossen im Wahlkreis, so ge­nügt das vollkommen; und mit eine guten Lokalkandidatur laffen sich, falls sonst praktisch vorgangen wird, der Regel nach auch numerisch bessere Resultate erzielen, als mit der Zählkandidatur eines bekannten Namens.

Es ist überhaupt nothwendig, daß frische Kräfte hervortreten und die Gelegenheit erhalten, im Dienste der Partei vor der Oeffentlichkeit thätig zu sein, oder wenigstens mit ihrem Namen für die Partei ein­zustehen. Und eine Wahl bietet hierzu die beste Gelegenheit.

Aufforderung.

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Die Parteigenossen in Sachsen   werden ersucht, den Parteivertretern im sächsischen Landtag   genaue Mittheilungen über alle Maßrege= lungen, Verfolgungen, Willkürakte kurz über alle einschlägigen Vorkommnisse zu machen, welche der Kompetenz des sächsischen Landtags unterstehen. Die Mittheilungen müssen streng wahrheitsgetreu sein und das Raisonnement aufs strengste von dem That­sächlichen getrennt werden. Durch Ungenauigkeit und Uebertreibung wird die Wirkung der Wahrheit abgeschwächt oder aufgehoben. Das, was thatsächlich vorliegt, ist so massenhaft und so skandalös, daß es weder des Aufputzes noch der Zurichtung bedarf, um uns gegen unsere Feinde ein überwältigendes Anklagematerial zu liefern.

Wir müssen jede Gelegenheit benüßen, um unsere Feinde in ihrer ganzen Niedertracht an den Pranger zu stellen, und dem Haß und der Verachtung jedes gebildeten und anständigen Menschen zu überliefern. Und im sächsischen Landtag soll das nach Möglichkeit geschehen. Alle Mittheilungen sind entweder an die bekannten Privat- Adressen der sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten zu richten, oder in das Landhaus in Dresden   zu adressiren.

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Sozialpolitische Rundschau.

Zürich  , 7. September 1881.

Aus dem Gefängniß Deutschland  . Je näher die Wahlen heranrücken, desto tollere Orgien feiert die Reaktion. Aus Altona   und aus Berlin   sind wieder Massenausweisungen erfolgt und aus Leipzig   wird nächstens ein neuer Schub" kommen. Und das Verbrechen"? Vorbereitungen für die Reich 8- tagswahlen. Nichts Anderes. Abgesehen von den Arbeitern Blonk, Deichsel, Hinte  , Marsch und Poppe, die wegen ihres Auf­tretens gegen die Stöcker- Henrici'sche Judenhetze mit den berüchtigten Ausweisungsdekreten versehen wurden, find sämmtliche zuletzt Ausgewie­ſenen nur wegen ihrer Wahlthätigkeit von dieser niederträchtigen Maß­regel betroffen worden. Wir werden nicht verfehlen, die Moral" aus diesem Vorgehen zu ziehen. Aus gewiesen werden heißt ruinirt es ist eine schlimmere Strafe als jahrelanges Gefängniß für ein schweres Verbrechen. Bestraft man nun den gesetzlichen Weg" des Wählens strenger als eine schwere Gesetzesverletzung, so wird damit, wie wir schon früher hervorhoben, förmlich eine Prämie auf die Unge­setzlichkeit gesetzt und die Konsequenzen werden nicht ausbleiben.

werden

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Bei Berathung des Sozialistengesetzes wurde von unseren Vertretern im Reichstag ausgesprochen, der Zweck dieses Attentates auf Freiheit und Volksrecht sei: möglichst geräuschlos die Sozialdemokratie zu erstiden, in aller Stille die Existenzen zu vernichten und die sogenannten Führer durch fortgesetzte Maßregelungen und Verfolgungen allmälig, mürbe zu machen." Damals wurde dies abgeleugnet heute kann es Niemand mehr leugnen. Die Absicht des Mürbemachens" ist von Bismarc'schen Schand- und Schmutzblättern mit cynischer Offenheit eingestanden wor­den; und wer seine fünf Sinne beisammen hat, kann nicht daran zwei­feln, daß die Behörden des ganzen deutschen   Reichszuchthauses in brüder­lichem Zusammenwirken nach besten Kräften diese schuftige Absicht zu ver­wirklichen suchen.

Wie viele Existenzen sind in den letzten 3 Jahren zerstört worden, mit welcher raffinirten Bosheit zerstört man täglich neue Existenzen! Während gemeine Verbrecher, die unter polizeilicher Aufsicht stehen, von der Polizei nicht so moleftirt werden dürfen, daß sie dadurch in ihrer Erwerbsfähigkeit leiden, hat die Polizei den Sozialdemokraten gegenüber ein System der Verfolgung eingeführt, das ihnen die Erwerbs­fähigkeit raubt. Sie werden planmäßig zum Ruin gehetzt. Und damit ja Keiner entrinnen kann, läßt man jetzt das Signalement der Aus­gewiesenen aufnehmen und überallhin an die Polizei versenden. Die Ehre dieser Erfindung gebührt Leipzig  . Jeder Ausgewiesene ist auf diese Weise im gesammten Deutschland   vogelfrei.

Und wer die schmachvollen Zustände brandmarkt, seiner Entrüstung Ausdruck verleiht, wird in Anklage versetzt. So ist vor Kurzem gegen die Unterzeichner des bekannten Leipziger   Flugblattes, welches den Be lagerungszustand charakterisirt, auf Grund des berüchtigten§ 131 An­flage erhoben worden. Noch mehr, die Anklage wurde auch auf den Druder jenes Flugblattes ausgedehnt. Nachdem unsere Druckereien durch die abscheulichsten Manipulationen und Gewaltstreiche vernichtet worden sind, sollen die Besitzer frem der Druckereien eingeschüchtert werden, daß sie keine Arbeiten für uns liefern.

Ueber die letzten Dresdener   Prozesse wird anderweitig berichtet. Hier sei blos auf die kennzeichnende Verurtheilung Kayser's hingewiesen. Wie der Leser sich erinnern wird, ist auf Kayser, der beiläufig an dem ihm zur Last gelegten Vergehen Verbreitung ver­botener Schriften ganz unschuldig ist, die famose Aufenthaltsbeschrän kung des§ 22 des Sozialistengesetzes  " angewendet worden. Dieser Baragraph lautet:

Gegen Personen, welche sich die Agitation für die in§ 1, Absatz 2 bezeichneten Bestrebungen zum Geschäfte machen, kann im Fall einer Verurtheilung wegen Zuwiderhandlungen gegen die§§ 17-20 neben der Freiheitsstrafe auf die Zulässigkeit der Beschränkung ihres Aufenthaltes erkannt werden. Auf Grund dieses Erkenntnisses kann dem Verurtheilten der Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Ort­schaften durch die Landespolizeibehörde ver sagt werden, jedoch in seinem Wohnsitze nur dann, wenn er denselben nicht bereits seit se chs Monaten inne hat. Aus­länder können von der Landespolizeibehörde aus dem Bundes­gebiete ausgewiesen werden. Die Beschwerde findet nur an die Aufsichtsbehörden statt.

Zuwiderhandlungen werden mit Gefängniß von einem Monat bis zu einem Jahre bestraft."

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Ein Kommentar ist überflüssig. Nach diesem sauberen Paragraphen kann Kayser, falls das Urtheil bestätigt wird, aus jedem Orte in Deutschland   ausgewiesen werden, aus jedem Orte, ausge­nommen Dresden  , wo er seit länger als sechs Monaten seinen Wohnsitz hat.

Nun gibt es aber ein sächsisches Gesetz, welches der Polizei die Befugniß ertheilt, Jeden, der binnen eines Jahres mit Gefängniß be­straft worden ist, auszuweisen, ausgenommen aus der Stadt, wo er den Unterstützungswohnsitz hat. Und den Unterstützungs­wohnsitz hat Kayser nicht in Dresden  . Er befindet sich also in einer Zwidmühle, aus der kein Entrinnen ist.

Aus Dresden   kann er auf Grund des sächsischen Landesgesetzes und aus dem übrigen Deutschland   auf Grund des Sozialistenge­setzes ausgewiesen werden. Höchstens in seinem Geburtsdorf, wo er Hungers sterben würde, ist er gegen die Ausweisung sicher.

Das ist das Bismarck'sche Reich!

Ob dem Alt deutschland   des Heine'schen Weberliedes so viel Flüche in das Leichentuch gewoben worden sind, als diesem Ne u deutschland  der Brutalität und Niedertracht?

Wann werden die Flüche sich erfüllen?

Die Zeit wird kommen und unsere heilige Pflicht ist, dafür zu sorgen, daß das Volk die an ihm verübten Schandthaten nicht vergesse.