denn dadurch wird die Behörde in ihrer Autorität herabgesetzt, ergo wird gerade das Urtheil bestätigt, und der Appellant hat noch außerdem die Gerichtskosten zu bezahlen.
Das ist nun im Reiche der Gottesfurcht und frommen Sitte nichts Absonderliches, und wer es zur Leuchte des Rechts vulgo Reichsgerichtsrath bringen will, der muß auf Extraleistungen hinweisen können, sowohl was juristische Gewissenlosigkeit als was Charakterlumperei anbetrifft. Daß Dehnhardt diese Bedingungen vollständig erfüllt, dafür mag folgende Episode Zeugniß ablegen.
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Es war im vergangenen Jahre, als ein alter Schuhmacher Dör st Ting, der wegen angeblicher Uebertretung einer Polizeiverordnung mit fünf Mark Strafe belegt war, zu mir kam und mich um Rath anging, da er sich durch die Bestrafung beschwert fand. Ich las das Strafmandat durch und erinnerte mich dabei, daß in einem analogen Falle der Polizeirichter Dehnhardt er war damals erst in das Amt eingeführt worden zu Gunsten des Beschwerdeführers entschieden hatte. Deshalb rieth ich dem Dörstling, Rekurs anzumelden, was dieser auch that. Inzwischen hatte ich auch das Erkenntniß des Richters in dem analogen Falle aufgetrieben und dem Dörstling eingehändigt, damit er es im Termin vorlegen und den Richter auf seine günstige Entscheidung aufmerksam machen könne.
Es handelte sich nämlich um eine kommunale Polizeiverordnung, die gegen ein Reichsgesetz verstößt, und deshalb vom Richter Dehnhardt einst als nicht zu Recht bestehend anerkannt worden war. Dörstling gab ruhig seinen Verstoß gegen die Verordnung zu, bestritt aber die Legitimität der Verordnung. Dehnhardt glotte den Dörstling erst eine zeitlang an, dann fragte er:„ Wo haben Sie die Gesetzeskenntniß her?" Dörstling hielt nun dem Richter sein eigenes Erkenntniß hin und machte ihm begreiflich, daß er ein freisprechendes Erkenntniß bestimmt verlange. ,, Was! Sie verlangen? Ich werde Ihnen zeigen, was es heißt, ein Recht berlangen!"
Armer Dörstling, Recht verlangen ist ein Wort, das man einem Streber, wie Dehnhardt gegenüber, nicht gebrauchen darf. Der Edle steckte also mit dem Ankläger, dem Polizeirath Mankopf, seine Weisheitsfabrik zusammen und erkannte dann im Namen des Königs" dahin, daß die Strafe von fünf, weil zu niedrig", auf zehn Mark zu erhöhen sei. Dörstling gab über diese Gemeinheit seinem gerechten Unwillen Ausdruck und erlaubte sich dem„ edlen" Richter vorzuwerfen, auf jeden Fall eine Inkonsequenz begangen zu haben. Da griff der Dehnhardt zum Glockenzug, ein Nuntius erschien, und Dörstling wurde zu 24 Stunden Haft wegen ungebührlichen Betragens verurtheilt und zu sofortiger Verbüßung abgeführt.
Dafür, daß Dehnhardt aber immer hübsch die Strafmandate des Königl. Polizei- Präsidenten im Namen des Königs" fanttionirte, wurde er auch an hohen Stellen persona gratissima und seine Verdienste blieben nicht unbelohnt. Bei dem Jukrafttreten der neuen Justizorganisation wurde er zum Landesgerichtsrath in Stettin ernannt, während alte Kreisgerichtsräthe Amtsrichter wurden. Diese unerhörte Thatsache machte in Stettin seiner Zeit Aufsehen, zumal andere Richter, z. B. der Kreisgerichtsrath Küster, der gleichfalls nur Amtsrichter wurde, sich über diese Besetzung der neuen Aemter beim Justizminister beschwerten.
Die Antwort kam nach einigen Monaten von oben herab. Sie bestand in einer Beförderung des Landesgerichtsraths Dehnhardt zum Hilfsrichter beim Reichsgericht.
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Georg Hotschic.
Sozialpolitische Rundschau.
3ürich, 21. Dezember 1881.
Durch die Presse des In- und Auslandes lief in den letzten Tagen die Notiz, daß unser großer Vorkämpfer Karl Mary im Sterben liege. Nach eingeholter Erkundigung können wir unseru Genossen die erfreuliche Mittheilung machen, daß diese Nachricht unwahr ist. Karl Marx ist zwar noch sehr leidend und bedarf außerordentlicher Schonung, aber er befindet sich entschieden auf dem Wege der Befferung. Mary' Krankheit datirt übrigens nicht erst vom Tode seiner Frau, wenngleich die Pflege seiner sterbenden Lebensgefährtin ihn die Rücksicht auf das eigene Wohl außer Augen setzen ließ, und so zur Verschlimmerung seines eigenen Zustandes beigetragen haben mag. Uebrigens wird es unsere Leser doppelt interessiren, zu erfahren, daß wenn ein äußeres Ereigniß auf die Wiederherstellung Mary's eingewirkt hat, es, wie wir einem Privatbrief entnehmen, die tapfere Haltung des deutschen Proletariats bei den letzten Wahlen gewesen ist.
Noch einmal die Debatte über den Belagerungszustand. Der stenographische Bericht über die Reichstagsverhandlungen vom 10. Dezember liegt uns nunmehr vor, und sind wir daher in der Lage, unsere Ausführungen über dieselben zu ergänzen, beziehungsweise zu berichtigen.
Was zunächst Hasenklever's Rede anbetrifft, so freuen wir uns. konstatiren zu können, daß unser Genosse eine ganze Reihe von Wendungen, welche ihm die Presse unterlegte, nicht gebraucht hat, und daß er im Allgemeinen den richtigen Ton getroffen hat, sowohl den Regierungen als auch den gegnerischen Parteien gegenüber. Wir werden in der nächsten Nummer die markantesten Stellen seiner Rede zum Abdruck bringen. Im Einzelnen haben wir freilich Mancherlei zu rügen, besonders die unpräzisen und der Mißdeutung fähigen Auslassungen über unsere Stellung zu den russischen sogenannten Nihilisten und zum Churer Sozialistenkongreß. Daß in Bezug auf den letzteren die Ehre unserer Partei eine unzweideutige Erklärung nothwendig macht, liegt auf der Hand. Auf dem Wydener Kongresse wurde die Parteileitung mit der Entsendung zweier Vertreter beauftragt, dem ist einfach entsprochen und in Chur absolut nichts verhandelt und beschlossen worden, was nicht schon viel energischer in Reden und Schriften in Deutschland ausgesprochen worden ist, und was unsere Partei irgendwie kompromittiren könnte. Verleuguung des Churer Kongresses muß als eine Verleugnung der internationalen Solidarität der Sozialdemokratie betrachtet werden, ganz abgesehen von der Rücksichtslosigkeit gegen den Delegirten der eigenen Partei. Aber auch in Bezug auf die Nihilisten ist eine Erklärung Hasenclever's nothwendig, da seine dahingehenden Ausführungen der Mißdeutung fähig sind und theils unabsichtlich, theils böswillig bereits mißdeutet worden sind. Daß es Hasenclever fern lag, die Nihilisten zu beleidigen, geht aus dem Wortlaut seiner Rede unzweideutig hervor. Er sagte an der betr. Stelle:
Eine
„ So werden Nihilisten und Vagabunden erzogen; da soll man sich wundern, wenn diese Leute die Gesellschaft nicht mehr achten, den Krieg der Gesellschaft erklären?"
Man hätte das besser, prinzipieller ausdrücken können, aber aus einer ungeschickten Redewendung Jemanden ein Verbrechen zu machen, vermögen wir nicht. Eine Richtigstellung halten wir indeß für geboten, und zwar folgenden Gründen:
Die russischen Revolutionäre und Sozialisten, die selbst im Kampfe stehen und daher auch wissen, was Taktik ist, sind viel zu vernünftig, von uns Erklärungen und Demonstrationen zu verlangen, die unsere Situation in Deutschland schlimmer gestalten, als es uns durch die Umstände geboten erscheint. Was sie aber von uns verlangen, ist, daß wir ihnen positiv nicht schaden. Jedesmal, wenn von unserer Seite eine absprechende Aeußerung über die Nihilisten im Reichstag gefallen ist, ist sie von der russischen abhängigen Presse mit hämischer Schadenfreude
kolportirt worden, um die öffentliche Meinung gegen die Revolutionäre einzunehmen und diese selbst zu entmuthigen. Man urtheile selbst, was es für einen Eindruck auf einen Menschen, der seine ganze Existenz für seine Sache auf's Spiel setzt, machen muß, wenn er erfährt: Deine Gesinnungsgenossen im Auslande wollen nichts von Dir wissen, sie verhöhnen Dich und sagen sich los von Dir! Andererseits aber, wie sehr auch die russische Regierung die Presse überwacht, so kann sie doch nicht verhindern, daß alle Sympathie- Erklärungen des Auslandes für die Nihilisten in irgend einer Form in's Land dringen und die wackeren Streiter für die Befreiung des russischen Volkes ermuthigen. Der russische Delegirte in Chur hat das ganz besonders betont. Es ist also sehr zu wünschen, daß in Zukunft gerade in dieser Frage das Vorurtheil der Spießbürger nicht mehr geschont, sondern lediglich der prinzipielle Charakter unserer Partei hervorgehoben werde, was in Deutschland ohnehin nicht oft genug geschehen kann.
Was dann Frohme's Ausführungen anbetrifft, so hätte derselbe nach unserer Ansicht, wenn er schon auf den Leipziger Hochverrathsprozeß einging, das ehrenwerthe Reichsgericht nicht gar so glimpflich davonkommen lassen sollen. Was er dagegen in Bezug auf die Polizei sagte, unterschreiben wir selbstverständlich von A bis 3. Frohme hat durchaus Recht daran gethan, dagegen zu protestiren, daß es Sache der Polizei sei, erst ein Verbrechen groß ziehen zu helfen, um es dann zur Verurtheilung vor das Reichsgericht zu bringen". Der Polizei einen Vorwurf zu machen, daß sie nicht rechtzeitig eingeschritten sei", ist Frohme gar nicht eingefallen.
Genosse Stolle's Ausführungen geben uns zu keinerlei Bemängelung Anlaß, wir bedauern nur, daß derselbe erst am Schluß der Debatte zum Wort kam. Seine Rede war kein rhetorisches Meisterstück, aber der Ton derselben entsprach der Situation unserer Partei.
Das gerade Gegentheil aber ist bei der Rede des Abgeordneten Blos der Fall. Der suffisante, dickthuerische, staatsmännisch sein sollende Ton, den dieser anschlug, mag vom Standpunkt eines oppositionellen Journa listen sehr schön gewesen sein, für den Vertreter einer unterdrückten Partei, für den Vertreter von armen, ausgehungerten Webern paẞte er ganz und gar nicht. Wir halten es für unsere Pflicht, das hier ausdrücklich zu konstatiren. Wir verwahren uns mit aller Entschiedenheit gegen das Vorgehen des Herrn Blos im Reichstage, das wir für einen Verstoß gegen die Ehre unserer Partei erklären. Kein Wort von dem, was im Leitartikel der vorigen Nummer gegen diese Art von Oppor tunismus gesagt ist, nehmen wir zurück.
In seiner Antwort auf Hasenclevers Rede hatte Herr Puttkamer auch folgenden Passus aus einem Artikel des„ Sozialdemokrat" über die Tödtung des Wucherers So then durch dessen Diener Hietler verlesen, in dem es in Bezug auf die Thatsache, daß das Wiener Volk am Grabe dieses Sothen tanzte, folgendermaßen lautet:
Das Volk hat damit ein Urtheil gesprochen, es hat erklärt, daß Hietler recht gehandelt hat, daß er nicht anders handeln konnte. Es hat erklärt, daß unter der anarchischen Herrschaft des laisser faire, laisser aller der Proletarier dem Faustrecht des Kapitals gegenüber keine andere Waffe besitze, als das Faustrecht der bru talen Gewalt. Und damit, daß es die Empörung gegen das Individuum Sothen feierte, feierte es die Empörung gegen die Gesellschaft, deren hervorragendes Mitglied er war, und insofern sind die Tänze um das Grab Sothens ein ebenso bedeutsames Symptom als die Tänze um das Grab Ludwigs XV., welche das Nahen der französischen Revolution verkündeten." Mäßiger konnte sich ein Sozialist über dieses Faktum gar nicht ausdrücken, ja sogar nichtsozialistische Blätter haben ihrer Sympathie mit dem durch Sothen zur Verzweiflung getriebenen Hietler offen Ausdruck gegeben. Herr Puttkamer hielt es für passend, von unseren Vertretern zu verlangen, sie sollten solche Ergüsse" mit Indignation" desavouiren! Der nächste sozialistische Redner war Blos, anstatt nun, wie es die Ehre und die Grundsätze unserer Partei gebieten, diese Zumuthung Buttfamer's mit Indignation zurückzuweisen, oder sie wenigstens zu ignoriren, gefiel sich derselbe in folgender ganz unqualifizirbaren Auslassung:
,, Es ist ferner von dem Herrn Minister des Innern darauf hingewiesen worden, daß unter uns sozusagen zwei Parteien bestehen, eine gemäßigte und eine extreme oder revolutionäre, wie er sie genannt hat. Ich möchte diese Eintheilung etwas anders machen. Es sind vielmehr die zwei Parteien eine ausländische und eine einheimische; so wird die Sache wohl liegen. Die ausländische Partei hat ihre Organe, die inländische Partei hat keine mehr. Nun haben wir die eigenthümliche Erscheinung, daß jedesmal, wenn das Verfahren der Regierung gegen uns motivirt werden soll, uns die sämmtlichen Sünden der ausländischen Partei auf den Hals geladen worden."
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Was soll man dazu sagen? Auf dem Wydener Kongreß erklären die Delegirten der deutschen Sozialdemokratie den Sozialdemokrat" einstimmig zum Organ der Partei, die Genossen in Deutschland ratifiziren diesen Beschluß durch reges Abonnement und stete Korrespondenz mit demselben, die Parteileitung benutzt ihn für ihre Mittheilungen; im Frühjahr dieses Jahres erkennen Auer und Bebel ausdrücklich an, für die allgemeine politische Haltung des„ Sozialdemokrat" die Verantwortung zu übernehmen, alles das eristirt für Herrn Blos nicht, der ,, Sozialdemokrat" ist blos das Organ der ausländischen Partei". Wir vertreten nicht das Interesse der Redaktion, sondern das der Partei, wenn wir gegen diese Anmaßung Berwahrung einlegen. Es bleibt Herrn Blos unbenommen, seiner allerhöchsten persönlichen Mißbilligung über die Existenz und Schreibweise des„ Sozialdemokrat" Ausdruck zu geben, wir werden diesen Schlag zu überwinden wissen, mehr aber darf er nicht.
Auch gegen die engherzig- spießbürgerliche Trennung von„ ausländischer" und„ inländischer" Partei legen wir im Namen der zahlreichen Genossen energischen Protest ein, welche, im Auslande lebend, bisher mit unausgesetztem Eifer für die Jntereffen der deutschen Sozialdemokratie gewirkt und Opfer gebracht haben, und welche die Aeußerung des Herrn Blos nicht abhalten wird, nach wie vor ihre Schuldigkeit gegenüber der Gesammtpartei zu thun.
Es thut uns leid, daß wir den begeisternden Eindruck, welchen die Reichstagswahlen allüberall auf unsere Genossen gemacht, durch so herbe Erörterungen stören müssen, aber wenn Vertreter unserer Partei nach einer so kräftigen Lebensäußerung derselben eine so kraftlose Sprache führen und das an einer Stelle, wo sie rückhaltlos dem Unwillen und der Empörung der arbeitenden Klasse Ausdruck geben sollen, dann ist es unsere Pflicht, Einspruch dagegen zu erheben. Es ist hier ein wunder Punkt, über den wir uns nicht hinwegtäuschen dürfen, dem es gilt, herzhaft entgegenzutreten. Principiis obsta, wie der Lateiner sagt, das Uebel muß im Reim erstickt werden.
Im deutschen Reichstage haben sich die Liberalen und Konservativen in Punkto Wahlfälschungen und Wahlbeeinflussungen gegenseitig allerhand Artigkeiten an den Hals geworfen. Herr Puttkamer vertrat die Rechte der Dynastie Bismarc pardon! der Regierung Sr. Majestät des Kaisers und Königs mit ebensoviel Unverschämtheit als Ungeschick. Wilhelm soll über die grobe Abfertigung der Liberalen vor Wonne ganz aus dem Häuschen gewesen sein, was diese natürlich nicht abhält, nach wie vor in unverbrüchlicher Treue" zu ihrem„ geliebten Heldenkaiser" zu stehen, und„ entrüstet" dagegen zu protestiren, daß sie auf den Thronwechsel spekuliren. Die Schwärmerei für den Kronprinzen, die Lobpreisungen seines Günstlings, des Herrn Botho Eulenburg, geschieht also nur um der schönen Augen derselben willen. Wer's nicht glaubt, verdient Herrn Hänel zum Justizminister.
Der milde Kaiser Wilhelm hat dem Medizinalpfuscher Becker, der die Tänzerin Adele Granzow durch unerhörten Leichtsinn zu Tode kurirt hatte, den Rest seiner ohnehin niedrigen Strafe in Gnaden erlassen. Das muß selbst den verstocktesten Republikaner rühren.
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Christlicher Staat und jüdische Börse. Nach der Bergisch- Märkischen kommt jetzt die„ Berlin - Anhaltische" an die Reihe. Die Aktionäre dieser Bahn sollen eine Rente von sechs Prozent erhalten, und die Börse ist ihrer Sache so gewiß, daß sie, um im Börsenjargon zu reden, sofort die Größe des Kaufpreises eskomptirte, das heißt eine fröhliche Courssteigerung inszenirte. Als nächste Verstaatlichungsobjekte," wird der Franks. 3tg." geschrieben, gelten nun neben der Berlin - Hamburger die Oberschlesische, Rechte Oderufer und Altona- Kieler Eisenbahn. Die Eskomptirung der Verstaatlichung trieb sofort ihre Blüthen in einer viele Prozent umfassenden Cours steigerung dieser Aktien. Die Annahme aller Verstaatlichungsvorlagen seitens des Landtags wurde mit solcher Gewißheit vorausgesetzt, daß es nicht nothwendig erschien, die Möglichkeit der Ablehnung derselben( und an diese muß man doch denken) mit einer Prämie zu decken. Jedenfalls gebührt diesmal dem ,, Reichsanzeiger" die Anerkennung, der SpekuTation einen großen Dienst geleistet zu haben.
Unter solchen Umständen stecken die jüdischen und christlichen Börsenmatadore mit Vergnügen den„ Giftbaum" in die Tasche. Und das Volk ift überglücklich ob seines staatssozialistischen großen Kanzlers. Was will man noch mehr!
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Die Mainzer Wahl hat leider nicht den Ausgang genommen, den wir Alle erhofft hatten. Der Kandidat der Mischmasch- Parteien hat mit 236 Stimmen über Bebel gefiegt, der nun vorläufig keine Aussicht hat, in den Reichstag zu kommen. Wir hatten 200 Stimmen mehr als bei der ersten Stichwahl ein Beweis dafür, wie tapfer sich unsere Genossen gehalten, denn es ist eine bekannte Erfahrung, daß bei Nachwahlen die in der ersten Wahl siegreiche Partei nicht mehr vollzählig auf dem Kampfplatz zu erscheinen pflegt. Namentlich pflegt dies der Fall zu sein, wenn die Nachwahl in Folge einer Doppelwahl stattfinden muß, weil der gewählte Kandidat zu Gunsten eines anderen Wahlkreises optirte. Unter solchen Umständen haben wir früher Altona verloren und Glau chau - Meerane nur mühsam behauptet, das aber diesmal auch verloren ging.
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Es kann nicht geleugnet werden und liegt ja in der Natur der Dinge, daß die Ablehnung oder Niederlegung eines Mandats geeignet ist, auf Diejenigen, welche das Mandat ertheilt haben, verstimmend zu
wirken.
Uebrigens muß den braven Mainzer Genossen zu ihrer Ehre nachgesagt werden, daß sie, sobald sie vom Sachverhalt unterrichtet waren, nur noch an ihre Pflicht dachten und sich mit selbstverleugnender Begeisterung und raftloser Energie den Anstrengungen und Opfern der neuen DoppelWahlschlacht unterzogen.
Die Frage, ob es nicht klüger gewesen wäre, wenn Liebknecht Offen bach anstatt Mainz aufgegeben hätte, ist zwar jetzt eine vollkommen müssige, zumal das bekannte Versprechen der Offenbacher Genossen ein fait accompli geschaffen hatte, das keine Wahl mehr zuließ. Trotzdem sei hier darauf aufmerksam gemacht, daß der Offenbach- Dieburger Kreis weit mehr als der Mainzer durch Liebknecht's persönliche Agitation gewonnen worden war, und daß er außerdem, schon wegen der dreimal größeren Flächenausdehnung, trotz der größeren Majorität weit schwerer für einen neuen Wahlkampf zu organisiren gewesen wäre, als der Mainzer Wahlkreis. Wir haben sonach keinen Grund, anzunehmen, daß im Fall der Annahme des Mainzer Mandates durch Liebknecht Bebel sicher in den Besitz des Offenbacher Mandates gelangt sein würde. Man darf- abge sehen von den bereits gemeldeten Erwägungsgründen nicht vergessen, daß der Offenbach- Dieburger Kreis ebensogut ein neu eroberter ist wie der Mainz - Oppenheimer.
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In Bezug auf die Mainzer Stichwahl sind uns verschiedene Berichte zugegangen, die wir gelegentlich verwenden werden. Der Gesammtbericht steht noch aus. So viel wollen wir indeß hente schon feststellen, daß die elende Verdächtigung, es sei in Mainz unserer seits um die Stimmen der Klerikalen gebuhlt worden, absolut aus der Luft gegriffen ist. Nirgends haben die Priester so leidenschaftlich gegen unsern Kandidaten agitirt als gerade im Mainzer Wahlkreise. Die Bebel 'sche Erklärung, wir erstreben auf dem, was man heute das religiöse Gebiet nennt, den Atheismus", seine Broschüre Christenthum und Sozialismus", verschiedene Artikel des„ Sozialdemokrat" 2c. wurden immer wieder herangezogen, um die gläubigen Christen gegen ihn zu hetzen, und Bebel gehört, es freut uns doppelt, das hier konstatiren zu können, nicht zu den Männern, die um eines Mandates willen ihre innere Ueberzeugung bemänteln oder gar verläugnen. In Weißenau bei Mainz z. B. hatte in einer von den Ultramontanen einberufenen Versammlung der fanatische Jesuitenzögling Radé mit Bebel's Broschüre in der Hand gegen den Antichrist gedonnert, das Erste, was Bebel als er die Tribüne bestiegen, that, war die Erklärung, daß er wirklich diese Broschüre geschrie ben habe und dieselbe noch heute vertrete. Und als ihm der anwesende Ortspfaffe Pfui! zurief und deshalb zur Rede gestellt behauptete, er müsse seinen Gott gegen Lästerung schützen, da rief ihm unser wackerer Genosse zurück:„ Schützen Sie Ihren Gott in Ihrer Kirche aber nicht in der Versammlung. Da aber hier meine Ansicht von Religion und Christenthum in die Debatte gezogen worden ist, so werde ich die selbe auch motiviren," und nun zeigte Bebel in seiner klaren, rückhaltslosen Weise den erstaunten Landleuten, wie das Christenthum entstanden ist, wie es seine Moral aus anderen früheren Religionen gezogen hat, wozu es stets von den Mächtigen und Herrschern benutzt worden sei 2c. 2c. Er mag durch dieses Auftreten manche Stimme verloren haben, ja man fann behaupten, daß er bei ein wenig mehr Geschmeidigkeit wahrschein lich gewählt worden wäre, so aber hat er viele, bisher Gläubige, zum Nachdenken gebracht, was sicher mehr werth ist. Der im deutschen Volke heute graffirenden Pest der Prinzipienverlängnung muß mit äußerster Energie entgegengewirkt werden.
Wiederum sind vier Genossen aus Leipzig ausgewiesen worden: Schneider Franz Mahlmeister aus Kissingen , Buchbindergeselle Karl Friedrich Grimm aus Waiblingen , Markthelfer Karl Herrmann Schuster aus Plethe, und Schuhmacher Franz Schmidt aus Leipzig alle vier wegen ihrer Thätigkeit bei den Wahlen. Die Wahlen, die Wahlen! nichts ist den deutschen Regier ungsschuften fataler, als daß die Sozialisten auf dieses gesetzliche" Kampfmittel nicht verzichten wollen.
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Aus Sachsen , 15. Dezember. Die Polizei in Chemnitz ist noch die alte, und Siebdrat noch so frech wie früher. Die sächsischgemüthliche Nachsicht, mit welcher der Landtag über seine Streiche bei der letzten Landtagswahl hinweggegangen ist, hat den Polizeihelden veranlaßt, bei der jüngsten Chemnitzer Stadtverordnetenwahl ein Seitenstüd zur Leinen- Affaire aufzuführen. Er überfiel diesmal das Wahlkomite der freien Bürgervereinigung in einer Privatwohnung. Auf dem Tische lagen couvertirte Briefe mit Stimmzetteln, die den Wählern per Post zugesandt werden sollten, was natürlich ein guter Fund für die polizeilichen Langfinger war, welche sich schleunigst die Briefe aneigneten. Der Schuhmachermeister Walther, der sich in dem polizeilich belagerten Komite befand, fragte an, ob das wieder eine kleine LeinenAffaire werden solle. Dafür wurde er sofort arretirt und nach der Polizeiwache gebracht. Inzwischen brachte man aus der Vorstadt Schloßchemnitz drei andere Sozialisten herüber, welche ebenfalls gemeingefährliche, auf den Umsturz der bestehenden Stadtrathsklique gerichtete Stadtverordnetenwahlagitation getrieben hatten. Auch du, Brutus? sagten sie zu Walther, der von mehreren Polizisten umlagert wurde, auf daß er keinen Umsturz unternehme. Aber die drei Schloßchemnizer waren auf der Polizei kaum warm geworden, da kam das ganze Komite der freien Bürgervereinigung, sieben Mann hoch, anmarschirt und wurd